SCHNEE, MAYRÖCKER, JANDL
dezember schnee fällt schon lang dicht und schwer
im radio die stimme der dichterin dunkles wien
ihr schwarzes haar lang dauert der schmerz jetzt
geht es besser sagt sie ohne zu lächeln es schneit
dicht und schwer nur das dichten hilft weiter
geht tappt weiter ins treibende weiß ins dunkel
rätselverse las sie neben dem freund der uns lachen
aaaaamachte
mailand unwirtlich die germanisten starrten auf die winterstiefel
der dichterin mit abgestoßenen kappen es war
kalt unwirtlich waren wir lachten nur über ihn erst
jetzt erkenne ich die flocken im schneetreiben die funken
geschlagen aus sommerblumen unter dem
immer noch tiefschwarzen ponyschnitt erst jetzt
wo nur noch wörter um mich sind und schnee
Gedichte sind für die Dichterin eine stille Unterhaltung inmitten des geräuschvollen Trubels. Ein lautloses Vorsichhinsprechen. Sie sind Selbstgespräch, ein Fließenlassen, Zusammensetzen und Auseinandernehmen von inneren Bildern, Erinnerungen, Orten. Doch vor allem sind sie für Christine Wolter Mitteilung an andere, an Freunde, für die sie ihre Gedichte schreibt. Sie sind aber auch Gespräch mit Entfernten, Unbekannten. Schließlich sind sie ein Reden mit denen, die auf dieser Welt nicht mehr erreichbar sind; ein leises Nachrufen. Mit wenigen Zeilen wandeln sie Unendlichkeit zu einem nahen ,Du‘. Ohne Lärm, manchmal melancholisch, manchmal ironisch.
Aus Dorothea Grünzweig: Poesiealbum 311, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014
Christine Wolters Gedichte sind nicht sentimental, aber das, was man einst „empfindsam“ nannte. Eine milde Melancholie, eine unabänderliche Schwermütigkeit ist die Grundstimmung. Orte und Landschaften werden benannt… Die Gedichte bewegen sich in einem leichtfüßigen Rhythmus, die Zeilen nur durch Brechung voneinander geschieden, ineinander übergehend die Sätze, so daß sie, durch Zäsuren, die dennoch den Sprachfluß nicht stören, Doppelbedeutung erlangen.
Günter Kunert
Eine empfindsame Landvermessung der Seele nimmt Christine Wolter in ihren Gedichten vor. Unaufgeregt, aber ernsthaft erkundet sie das Sag- und das Unsagbare… Form- und sprachbewußt nähert sie sich den Worten und verwendet oft unaufdringlich die Reimung, ohne dabei eine altmodische Wirkung zu erzielen. Beinahe klassisch schön fließt die Sprache und wagt nicht selten eine elegische Tonlage.
Beatrice Eichmann-Leutenegger
Christine Wolter ist in ihren Gedichten auf Spurensuche; sie schlägt sich dabei durchs Erinnerungsdickicht, um zu Abbildern eines Bildes, eines Schauplatzes zu gelangen, hin zu den erinnerten Erinnerungen, die immer wieder aufs neue Abdrücke in Poesie von etwas Unwiederholbarem sind.
Wulf Kirsten
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014
Orte, Landschaften, Räume – vielleicht der Müggelsee oder die römische Piazza Farnese, ein Garten – erscheinen und lassen Verborgenes aufscheinen, wecken ein Gedenken, rühren an das Empfinden, rufen Einstiges, Heutiges herbei. Immer entsteht die poetische Idee aus dem Erlebnis, aus Blick, Begegnung, Erinnerung. Was zur Sprache kommt und ein Sprechen zu einem Gegenüber wird, weist über das Einzelne hinaus, in der Hoffnung oder Illusion, etwas Dauerndes und Bleibendes im Moment zu fassen.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014
Günter Kunert bei www.erlesen.tv.
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