Christof Graf: Leonard Cohen – Partisan der Liebe

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Christof Graf: Leonard Cohen – Partisan der Liebe

Graf-Leonard Cohen – Partisan der Liebe

EINLEITUNG

Hamburg, 28. Juni 1994. Ein Dienstag und ein wolkenloses Blau am Himmel über der Hansestadt. Ein Dienstag und ein weiterer Tag, an dem das Thermometer knapp 35 Grad Celsius anzeigt. Wenn dieser Sommer vorbei ist, wird man von einem Jahrhundertsommer sprechen. Ich sitze im Wintergarten des Hotels Kempinski an der Alster und erinnere mich an das Jahr 1992. Damals war Leonard Cohen ebenfalls anläßlich einer Promotion-Reise für sein Album The Future in Hamburg. Damals, im Oktober, ebenfalls nur sehr kurz, weil ihn ein Grippevirus kurzfristig zum Abbruch der Pressegespräche zwang, die er dann im November nachholte.
Ich sitze in diesem Wintergarten, warte auf ein weiteres Interview-Gespräch, erinnere mich an so manche Jahre vor dem Jahr 1992 und stelle fest, daß vieles, was mit meinen Erinnerungen zu tun hat, irgendwie auch mit Leonard Cohen zu tun hat.
Viele Erinnerungen mache ich an Cohen fest. Die an meine ersten Konzerte, die an meine ersten Reisen, die an meine ersten Lieben. Und ich merke, daß ich mit diesen Klischees nicht alleine dastehe, wenn ich in Interviews mit Künstlern der Populären Musik nach Leonard Cohen frage und ähnliche Erinnerungen als Antwort bekomme.
Enttäuscht bin ich allerdings immer wieder, wenn ich erfahre, wie wenig man doch von diesem großen Songwriter und Poeten weiß. Den meisten fällt natürlich „Suzanne“ ein. Die, die ein wenig mehr wissen, erzählen, daß Cohen zunächst Lyriker und Poet war, bevor er durch Bob Dylan (oder war es Judy Collins?) zur Musik kam. Aber auch die, die ein wenig mehr wissen, komplettieren ihre Kenntnisse lediglich mit den gängigen Klischees. Klischees aus mehr oder weniger verläßlichen Rock-Lexika. Klischees, die meist vom „schwarzen Romantiker“ (Time), vom „traurigen Poeten“ (Stern) und immer wieder vom „Klassiker der 60er“ (Rolling Stone) erzählen. Was und wer Leonard Cohen tatsächlich ist, erzählt mir jedoch niemand. Vielleicht ist die Antwort darauf so wie die, die einst Bob Dylan auf die Frage „Wer ist Bob Dylan?“ gegeben hat:

Ich bin nur Bob Dylan, wenn ich Bob Dylan sein muß. Die meiste Zeit bin ich einfach nur ich selbst. Bob Dylan denkt nie über Bob Dylan nach. Ich halte mich selbst nicht für Bob Dylan. Es ist so, wie Rimbaud gesagt hat: „Ich ist ein Anderer.“

Vielleicht ist es wirklich so: Leonard Cohen ist nur Leonard Cohen, wenn er Leonard Cohen sein muß. Die meiste Zeit ist er nur er selbst. Leonard Cohen denkt nie über Leonard Cohen nach. Er hält sich selbst nicht für Leonard Cohen. „Leonard ist ein Anderer“, würde Cohen möglicherweise auf die Frage antworten, wer Leonard Cohen eigentlich ist. Aber Cohen mußte nie auf diese Frage antworten. Was also bleibt, sind eine weitere Spekulation, eine weitere Vermutung und eine weitere offengebliebene Frage, die bei oberflächlicher Betrachtung auch kaum einer Antwort bedarf, gibt man sich doch schon lange genug und immer wieder mit den alten Klischees zufrieden.
Gibt man sich nicht mit ihnen zufrieden, begegnet man zahllosen Gleichgesinnten, die mehr von Leonard Cohen wissen möchten und danach fragen, wer Leonard Cohen ist, was er gemacht hat und was er jetzt macht. Fragen, die nie bloß mit dem Hinweis auf „Suzanne“ oder einem der bekannten „Klischees“ beantwortet werden können, sondern nur mit Cohens bisherigem Werk. Dieses Werk umfaßt Material, das sowohl für eine Schriftstellerkarriere als auch für eine Karriere als Songwriter der Populären Musik ausgereicht hätte und in beiden Bereichen von einzigartigem Wert ist. Material, das über einen Zeitraum von vier Dekaden entstanden ist und Leonard Cohen zu einer jener Figuren der Populärkultur gemacht hat, die neben die Geschichte der harten Rhythmen „weiche“ Texte und Klänge gestellt haben. Zudem ist es Cohen, der – mit Ausnahme von Dylan vielleicht – dem Begriff des „Songpoeten“ überhaupt erst Gewicht verliehen hat.
Doch auch der Hinweis auf seine bislang elf Bücher und zwölf Schallplattenalben wird dem Künstler Leonard Cohen nicht gerecht. Denn mit diesem „Material“ hat er den an seiner Kunst Interessierten weit mehr gegeben: Erinnerungen eben und damit auch Jugend, auf jeden Fall aber Musik zum Zuhören und Texte, die zum Nachdenken anregen. Darüber hinaus zahlreiche weitere, wenngleich weniger bekannte Veröffentlichungen. Ohne in die Regionen einer elitären Kunst abzuheben, hat der Künstler Leonard Cohen (der Autor möchte sich nicht wieder zwischen dem Songwriter, Rockpoeten oder Schriftsteller entscheiden müssen!) einen großen Beitrag zu jener kulturellen Revolution beigetragen, die die Populäre Musik wesentlich mit ausgelöst hat, und er hat damit auch selbst ein Stück Kultur geschaffen. Man muß nicht akademische Definitionen und Interpretationen der Begriffe Kunst und Kultur bemühen, um festzuhalten, daß uns Leonard Cohen die Möglichkeit gegeben hat, unsere eigenen Erinnerungen als Teil eines umfassenden Ganzen zu verstehen – sofern wir uns darauf einlassen. Cohens künstlerisches Werk ist die sichtbar und hörbar gemachte Deutung seiner und unserer Lebenswirklichkeit. Cohens große Gabe ist die Fähigkeit, unsere Erinnerungen, indem er sie artikuliert, einer kaum greifbaren Geisterwelt zu entreißen und uns auf diese Weise unsere eigene Biographie und individuelle Verfassung verständlicher zu machen. Wie sich „Kultur“ und „Gegenkultur“ als voneinander abhängige Phänomene bedingen, so lockt ja auch jedes Gedicht aus seinem Rezipienten etwas hervor, und sei es nur eine persönliche Erinnerung, die es ihm wie einen Spiegel vorhält und auf die der Empfänger reagiert.
Seit Beginn seiner musikalischen Karriere am 16. Juli 1967 – auf dem Newport Folk Festival, Rhode Island/New York – hat Leonard Cohen knapp 500 Konzerte gegeben, von denen etwa die Hälfte als private Tape-Mitschnitte und nur 24 (davon allein neun von seinem ’93er Konzert in Zürich) als „inoffizielle“ Tonträger in Sammlerkreisen kursieren. Und er hat zahlreiche faszinierende Interviews gegeben, die besten in französischen, britischen, amerikanischen und kanadischen Medien. Dank der allgemeinen TV-Verkabelung und der damit einhergehenden Multimedialisierung seit Mitte der 80er Jahre sind heute Mitschnitte von Cohens Fernsehauftritten aus der ganzen Welt erhältlich.
Aber Leonard Cohen hat auch Theaterstücke und Kurzgeschichten geschrieben. Er hat in Filmen mitgewirkt, Filmmusik geschrieben und auch selbst Filme gedreht. Er hat mit zahlreichen Musikerkollegen wie Bob Dylan, Elton John oder Dave Stewart zusammengearbeitet; seine Songs sind von ebenso zahlreichen Musikern, von Johnny Cash über Nina Simone bis hin zu Suzanne Vega, gecovert worden. Die Band The Sisters Of Mercy hat er zu ihrem Namen inspiriert und seiner langjährigen Backup-Sängerin Jennifer Warnes den Weg zu ihrer eigenen Karriere geebnet.
Cohen hat also weit mehr geschaffen als zwölf Alben, elf Bücher und öffentliche Klischeebilder von seiner Person (die er nicht selbst zu verantworten hat). Grund genug also, noch einmal zu fragen, wer Leonard Cohen, der Künstler, eigentlich ist. Aber Grund genug auch, ein Buch über Leonard Cohen zu schreiben? Den Gedanken daran habe ich in mir schon oft zum Leben erwachen und ebensooft sterben sehen. Aber er hat immer wieder eine Renaissance erlebt – immer dann, wenn ich selbst in Erinnerungen schwelgte oder von den Erinnerungen anderer hörte.

Zum ersten Mal kam mir Leonard Cohen mit einem Konzert nahe, das er am 2. Mai 1976 in der Saarbrücker Saarlandhalle gab. Ein Konzert, das ich nicht besucht habe; ich war zu jung dafür. Was mir blieb, war, seinen Auftritt anhand einer Konzertkritik unter dem Titel „Einer, der aus der Reihe singt“ (Saarbrücker Zeitung) zu rekonstruieren, und das Tourneeplakat, das ich damals von einer Litfaßsäule herunterkratzte.
Am 7. November 1980 erlebte ich Leonard Cohen in der Frankfurter Jahrhunderthalle zum ersten Mal live; nach diesem Auftritt erhaschte ich von ihm mein erstes Autogramm und erste persönliche Worte. 1985 wohnte ich während der Various Positions-Tour mehreren seiner Konzerte bei; und am 31. Januar desselben Jahres, nach seinem Auftritt im Mannheimer Rosengarten, nahm ich im gegenüberliegenden Hotel Maritim meinen ersten Drink mit ihm.
1988 war ich zugegen, als der Konzertveranstalter Rainer Zasel (Z-Concerts) Leonard Cohen am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen abholte und ihn zu einer Pressekonferenz im Flughafengebäude führte. Anschließend begannen die Proben für die am 5. April in der Mainzer Rheingoldhalle startende I’m Your Man-Tour. Wieder besuchte ich die Deutschland-Konzerte und einige weitere in europäischen Nachbarländern. Ab und zu ergab sich dabei ein kurzer Backstage-Talk mit Cohen.
Seit ich 1988 erstmals Gelegenheit bekam, Leonard Cohen auch als Journalist zu begegnen, endete jedes unserer Gespräche mit der Feststellung, daß die Zeit, die eine Plattenfirma für solche Promotiongespräche einräumt, stets viel zu knapp bemessen ist, als daß sich der Interviewer mit einem Künstler, der wohlüberlegt und bedächtig und nahezu druckreif spricht, philosophische Wortgefechte liefern könnte.
Am 23. November 1992 erhielt ich von der Firma Sony Music die Bestätigung für ein Cohen-Interview in Frankfurt anläßlich der Veröffentlichung seines Albums The Future. Cohen ließ durch Sony zehn Exemplare meines Buchs So Long, Leonard kaufen, gab mir seine Telefonnummer und lud mich zu weiteren „solchen“ Gesprächen ein. 1993 reiste ich seinem Tour-Treck durch Deutschland nach, dokumentierte die Konzerte in Wort und Bild, hatte dabei Gelegenheit, Cohen mehrmals hinter der Bühne sowie bei Interviews mit anderen Medienleuten zu erleben, und besuchte seine Konzerte in Gent, Paris, Zürich und anderen europäischen Städten.
Feststellen konnte ich während meiner manchmal allzu kurzen Begegnungen mit Leonard Cohen, daß unser Dialog immer dann besonders reizvoll verlief, wenn er merkte, daß man sich mit seinen Werken und Gedanken bereits näher befaßt hatte. Feststellen mußte ich beim Zusammenstellen von Pressespiegeln zu seinen Veröffentlichungen und Tourneen aber auch, daß viele Journalisten kaum vorbereitet in die Auseinandersetzung mit ihm gingen.
Auf einen Künstler, den man, ohne zu übertreiben, als einen Meister des Wortes bezeichnen kann, muß eine solche Vorgehensweise wie eine Beleidigung wirken. Trotzdem hat es auch großen Unterhaltungswert, Cohen im Umgang mit solchen Journalisten zu beobachten. Cohen gibt sich dann nicht selten als ein Mann mit Humor, der es sogar schafft, manch unvorbereiteten Pressemann mit einem schlüpfrigen Witz während einer Live-Sendung aus der Fassung zu bringen:

Do you know the story about the old bull and the young bull? There are two bulls, an old one and a young one walking down the prairie. When they ’re coming to the top of a hill, they see a crowd of female bulls. And the young bull says to the old bull: „Hey, let’s run down to the valley to fuck some of these female bulls.“ And the old bull says to the young bull: „Hey, why don’t we walk down to the valley to fuck them all?

Doch Humor äußert sich bei Cohen nicht nur im Witzereißen, sondern auch in Ironie und Sarkasmus – eine Haltung, die sich in seinem gesamten Werk nachweisen läßt. Aber diese Haltung erkennt man als Charakterzug erst im Detail, wenn man Cohen im persönlichen Gespräch erlebt oder live auf der Bühne beobachtet. Dort erst bekommt man jenes realistische Bild von Leonard Cohen, das durch die Medien und die immer wieder hervorgeholten Klischees verzerrt wird.
Cohen paßt sich jeder Situation souverän an. Begegnet er interessierten Pressevertretern, steht er Rede und Antwort und gibt dabei nicht selten poetisch anmutende Antworten. Stupide Fragen wie zum Beispiel „How do you feel as a rock-star?“ kontert er mit einem „Very well“. Leonard Cohen weiß sich branchen- und szenegerecht zu präsentieren.
Was Leonard Cohen zudem auszeichnet, ist, daß er irgendwann den Sprung vom Interpreten der Beat-Generation zum Chansonnier mit dem Auftreten eines Gentleman geschafft hat und, auch wenn er heute selbst im schwarzen Zweireiher auf der Bühne steht, ein Publikum anzieht, das ältere Damen in Abendgarderobe und Stöckelschuhen ebenso umfaßt wie Jeansträgerinnen in Turnschuhen. Leonard Cohen, der Liebling der Frauen? Eine weitere Frage, ein weiteres Klischee.
Aber dies alles sind nur Annäherungen an einen Künstler, über den man bis heute viel zu wenig erfahren hat. Es gibt zwar einige TV- und Film-Dokumentationen über Leonard Cohen, doch nur wenige gute biographische und kaum vollständige. Auch Bücher über Leonard Cohen sind bereits erschienen, doch die meisten decken nur einen Teil seiner Biographie ab. Kaum ein Autor ist Cohen bisher über einen längeren Zeitraum begegnet, und die meisten Veröffentlichungen liegen Jahre zurück. In deutscher Sprache existiert bis dato – mit Ausnahme meines 1990 erschienenen Bild-Text-Bandes, einer ersten literarischen Annäherung an Leonard Cohen – kein Buch, das sein Leben und Werk bis zur Gegenwart dokumentiert. Das knapp 400 Seiten starke Prophet Of The Heart des englischen Autorengespanns Dorman/Rawlins aus dem Jahre 1990 war der erste Versuch einer Cohen-Biographie. Leider endet sie im Jahre 1988, zudem ist ihr Inhalt nicht unumstritten. Grund genug also, ein neues Buch über Leonard Cohen zu schreiben.
Doch wie sollte ich es angehen? Ich habe Leonard Cohen nicht sein ganzes Leben lang begleitet; auch kenne ich niemanden, der das von sich sagen könnte. Diejenigen, die in Frage kämen, würden kein Buch schreiben, und diejenigen, die ein Buch schreiben würden, könnten nur einen Teil der Geschichte erzählen. Am besten wäre es wohl wirklich, Cohen würde eine Autobiographie verfassen. Doch auch er würde darin nicht alles erzählen. Auch hat er niemals den Gedanken an ein solches Vorhaben erwähnt.
Leonard Cohen beschränkt sich wohl lieber auf das Schreiben seiner poetischen Lieder und Texte, die er als „Reporter meines eigenen Ichs“ mit autobiographischen Zügen versieht und mit denen er – je nachdem, von welchem Standpunkt aus man es betrachtet – den Rohbau oder die Innenarchitektur einer möglichen Biographie liefert. Sie zu formulieren, überläßt er anderen Autoren. Doch die wenigsten ihrer Werke hat er gelesen. Zu wenig scheint Cohen an der Dokumentation seines Lebens interessiert. Er lebt es lieber. Und schließlich ist auch sein gesamtes Werk bereits eine Art Autobiographie.
Leonard Cohens Gesamtwerk als seine „Biographie“ zu betrachten, reicht jedoch nicht aus, um den Menschen hinter dem Künstler zu begreifen. Zu viele Lücken weist Cohens künstlerisches Werk auf, als daß man sich nur aus ihm ein Bild von dem Menschen machen könnte, der es geschaffen hat. Zu oft erliegen wir auch Irrtümern. Jahrelang pflegen Fans ihr eigenes Bild von ihren Idolen und sind, wenn es ihnen gelungen ist, sie persönlich kennenzulernen, enttäuscht. Nur die wenigsten haben das Glück, daß das Bild, das sie sich von ihrem Idol gemacht haben, bestätigt wird.
Leonard Cohen ist gottlob weit entfernt von jeder Idolisierung. Mit dem 1985 von Yvonne Hakze in den Niederlanden ins Leben gerufenen „Intensity“ existiert nur ein Fanclub. Jim Devlin hat den von Gerhard Schinzel und Michael Lohse um die gleiche Zeit entstandenen „Leonard Cohen Information Service“ bis 1994 weitergeführt. Bis auf die in der jüngsten Zeit entstandenen Internet-Channels sind weitere Vereinigungen dieser Art nicht bekannt. Beide Institutionen informieren bzw. informierten in ebenso liebevoller Detailarbeit wie distinguierter Distanz über Cohens Gesamtwerk und seine aktuellen Veröffentlichungen. Von Idolisierung auch hier keine Spur, Gott sei Dank! Cohen gehört nicht in die Welt der Pop-Stars und -Sternchen. Er hat sich von der sogenannten Szene stets ferngehalten. Außerdem hat er sich in den letzten beiden Dekaden zunehmend zurückgezogen; und er benötigt für Alben und Bücher im Vergleich zu anderen Künstlern der Populären Musik enorm viel Zeit. Zeit, die weitere Lücken für offene Fragen entstehen läßt.
Dies sind die Gedanken, die mir durch den Kopf gehen und in denen ich von Nicole Maschmeyer vom Hamburger Sony-Büro unterbrochen werde, während ich auf meinen Interviewtermin mit Leonard Cohen warte. Es ist 13.45 Uhr, und die wenigen schattigen Plätze im Wintergarten des Kempinski sind begehrt. „Cohen ist nur einen Tag in Hamburg“, erklärt die Promoterin, sichtlich angetan von dem durch und durch „wie ein wahrer Gentleman“ wirkenden Künstler. Am Abend zuvor sei er angekommen; aus Skandinavien sei er angereist.

Er muß noch heute weiter nach Holland. Also heißt es wieder mal, einen viel zu engen Terminplan einzuhalten.

Leonard Cohen, der während seiner Deutschland-Tour ’93 aufgrund eines dichtgedrängten Tourneeplans und zur Schonung seiner Stimme kaum Interviews geben wollte, sich dann aber doch spontan immer wieder zu kurzen Gesprächen bereit erklärte, agiert bei seinem diesjährigen Abstecher genauso. „Zum Mittagessen hat er sich hier in Hamburg mit Freunden verabredet. Mit den Interviews hat er um ein Uhr angefangen“, erzählt Nicole und deutet auf die Uhr. Es ist soweit.
Wir gehen hinauf in eine der vollklimatisierten Suiten mit Blick auf die Alster. Ich nehme auf der Couch Platz. Das Bandgerät ist auf Betrieb geschaltet und auf dem Beistelltisch plaziert. Ich muß keine Minute warten; pünktlich um 14 Uhr betritt Leonard Cohen die Suite. Er trägt einen grauen Einreiher, darunter ein schwarzes, bis zum Hals zugeknöpftes Polo-Shirt und dazu braune Westernstiefel und eine getönte Sonnenbrille im Pilotenstil, die er während des Interviews nur abnimmt, um sich mal die Augen zu reiben. Cohen wirkt relaxt, frisch und ausgeruhter, als ich ihn 1993 erlebt habe. Äußerlich bietet er mitsamt seinem kurzgeschnittenen Haar im dichter werdenden Grau das Bild, das er im Jahr zuvor abgegeben hat. Er begrüßt mich mit einem festen Händedruck und einem „Hey, man, how are you?“, bietet mir einen Kaffee an und schenkt sich auch selbst eine Tasse ein. Schwarz und ohne Zucker. Bevor ich ihn zu seiner letzten Tournee und dem am Vortag veröffentlichten Album Cohen Live befrage, überreiche ich ihm eine Auswahl meiner Fotos vom letzten Jahr. Interessiert schaut er sich jedes einzelne an und erkundigt sich nach den Objektiven, mit denen ich die Schnappschüsse gemacht habe. Aber dann, in Anbetracht unserer knapp bemessenen Zeit von kaum 45 Minuten, kommt er ohne Umschweife auf die von mir als „euphorisch“ beschriebenen Konzertkritiken zu sprechen…

Interview

Leonard Cohen: Grundsätzlich habe ich gute Erinnerungen an die vorige Tournee. Alle Konzerte verliefen sehr erfolgreich, was sich auch auf die Musiker in der Band ausgewirkt hat, die sich von Konzert zu Konzert steigerten. Besonders das Hamburger und das Frankfurter Konzert habe ich noch gut in Erinnerung. Hinter der Bühne trafen wir dort sympathische und interessante Menschen. Die Open-Air-Konzerte verliefen, ehrlich gesagt, nicht ganz so glücklich. Obwohl die Musiker gut drauf waren, sind ja Konzerte unter freiem Himmel immer schwierig – gerade für unsere Musik. Außerdem gibt es dort oft Soundprobleme. Beim Rock am Ring-Festival war es zwischen all den Heavy-Bands nicht einfach, den richtigen Ton zu treffen, vor allem, wenn man mit seinen Songs die Aufmerksamkeit auf etwas lenken möchte, das durch das Massengefühl leicht verlorengehen kann – erst recht dann, wenn aufgrund all der Außengeräusche und der Lautstärke die Spiritualität leidet. Am Ring, denke ich, war das egal, weil zu dem Zeitpunkt die Mehrheit sowieso schon betrunken war. Ich meine das Publikum, nicht die Musiker.

Christof Graf: Wie empfindest du auf der Bühne das Feedback vom Publikum, und gibt es, was das Publikum betrifft, überhaupt Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern? Lange Zeit bist du ja zumindest in den Staaten eher stiefmütterlich behandelt worden.

Cohen: Ich mag es nicht besonders, irgend etwas zu kategorisieren. Alles hat seinen eigenen Wert, gerade dann, wenn es um Menschen geht. Ich würde auch nie versuchen, zum Beispiel Frauen zu kategorisieren; dazu sind sie zu verschiedenartig.

Graf: Das neue Live-Album enthält mit „Suzanne“ auch deinen wohl größten Hit. Wie stehst du heute, 25 Jahre nach seiner Entstehung, zu diesem Song? Es gab ja in der Vergangenheit auch Konzerte, in denen du ihn nicht gespielt hast.

Cohen: „Suzanne“ ist der schönste Song auf dem Album, weil er am besten den Unterschied zwischen Heute und Gestern aufzeigt. Die Stimme hat sich verändert, das Tempo ebenso, und die Erfahrung, ihn über 25 Jahre gesungen und gelebt zu haben, drückt sich in dieser Version aus. „Suzanne“ ist heute evidenter. Das „Suzanne“ von heute beschreibt einen Mann „im Vorübergehen“, einen Mann, der nicht mehr derselbe ist. Die Version von gestern ist voller Hoffnung, voller Mitleid, voller Idealismus. Die Version von heute zeigt einen Bruch, zeigt Striemen.

Graf: Es scheint einmal mehr, als wäre dein Schreiben eine Form der Selbstanalyse.

Cohen: Es wäre falsch, das leugnen zu wollen. Aber das bezieht sich nicht nur auf diejenigen, die schreiben, oder auf das Schreiben selbst. Jede Form von Arbeit führt zur Selbstanalyse. Darin liegt der Sinn und die Bedeutung von Arbeit, und darum ist sie für jedes menschliche Individuum lebensnotwendig. Darin liegt der Sinn des Lebens. Das Schlimmste, was diesem symbiotischen Kreislauf widerfahren kann, ist, daß er zum Stillstand kommt. Wenn ich schreibe, erwarte ich jedoch als Ergebnis keine Selbsterkenntnis. Ich betrachte das Schreiben als meine Arbeit.

Graf: Am 21. September [1994] feierst du deinen 60. Geburtstag. Wie begegnest du diesem Ereignis und vor allem der Aufmerksamkeit, die deiner Person und deiner Arbeit in den letzten Jahren wieder entgegengebracht wird, nachdem sie Ende der 70er, Anfang der 80er eher „bescheiden“ war?

Cohen: Das ist etwas, worüber ich mir gar keine Gedanken mache, weil ich es auch nicht richtig verstehe. Schließlich arbeite ich heute mit denselben Mitteln und in derselben Form wie schon vor dreißig Jahren. Ich schreibe und mache Musik. Das nimmt noch immer sehr viel von meiner Zeit in Anspruch. Der einzige Unterschied besteht darin, daß man sich gegenwärtig auf eine ernsthaftere Art und Weise damit auseinandersetzt. Von den Klatschspalten ins Feuilleton sozusagen!

Graf: In diesem Jahr erscheinen über dich in den USA, in Kanada und in Europa einige mehr oder weniger „authentische“ Biographien. Was empfindest du, wenn du so etwas über dich liest? Schließlich schreibst du ja selbst und möchtest, daß deine Bücher gelesen werden.

Cohen: Auch wenn ich nicht alles lese – das betrifft vor allem die Bücher, die nicht in meiner Sprache geschrieben sind! –, schmeichelt es mir. Als Künstler ist man natürlich abhängig von der Öffentlichkeit. Die Menschen, die sich für einen interessieren, suchen nach dem, was andere – Kritiker, Journalisten und Schriftsteller – zusammengetragen haben. Das heißt, auch ich bin darauf angewiesen, daß über mich geschrieben wird. Schließlich ist meine Karriere nie so „übersichtlich“ gewesen, daß meine Arbeit Leuten, die sich plötzlich für mich interessierten, leicht zugänglich war. Zwischen vielen meiner Veröffentlichungen lagen einfach zu lange Pausen; zieht man alle Umstände in dieser schnellebigen Musikbranche in Betracht, ist das nicht gerade von Vorteil. Außerdem hat auch die Plattenfirma immer nur ein Minimum an Einsatz gezeigt. Das ist nun mal die Realität. Es kann also nur bedeuten, daß ich mich über jedes Buch, das über mich geschrieben wird, sehr freue, nicht zuletzt, weil es mir hilft, in der Öffentlichkeit präsent zu bleiben. Was nicht heißen soll, daß ich meine pausenreiche Karriere nur für recherchierende Journalisten begonnen habe! Ich kann nur sagen, es ehrt mich. Ohne die Aufmerksamkeit der Journalisten und derer, die über mich lesen, kann ich als Künstler nicht überleben.

Graf: Wie gehst du mit negativen Kritiken um?

Cohen: Es steht jedem frei, etwas gut oder schlecht zu finden. Liest man aber falsche Interpretationen über sich oder über seine Werke, bedrückt einen das natürlich immer. Trotzdem lese ich sowohl die Dinge, die den Tatsachen entsprechen, als auch die, in denen ich falsch interpretiert werde, und die, die mich vielleicht sogar verletzen. Aber alles – egal, ob Positives oder Negatives – empfinde ich als gleichermaßen inspirierend. Ich erinnere mich noch gut an das Buch von Dennis Lee, einem bedeutenden kanadischen Dichter, der über Beautiful Losers auf eine Art und Weise herzog, daß es fast einer Demütigung gleichkam. Er lieferte eine vernichtende Kritik über meinen ersten Auftritt als Schriftsteller. Trotzdem war es wichtig, daß er über mich schrieb.

Graf: Prophet of the Heart von Dorman/Rawlins, ein Kompendium von über 400 Seiten, das die Autoren selbst zur einzig lesenswerten Leonard-Cohen-Biographie erklärt haben, ist von einigen Kritikern recht zwiespältig aufgenommen worden. Was hältst du von dieser Biographie?

Cohen: Ich habe sie nie gelesen, sie ist mir zu umfangreich. Ich weiß, daß viele Leute das Buch nicht mögen, weil es von den Autoren aus einer zu persönlichen Perspektive geschrieben wurde, und weil sie sich wohl auch zu sehr mit ihm identifiziert haben. Vielleicht liegt es auch an der Art und Weise, wie die Autoren das Buch präsentiert haben. Dennoch waren mir die beiden Autoren unglaublich sympathisch. Wir hatten zuvor vereinbart, daß sie mir keine zu weitgehenden persönlichen Fragen stellen würden, und daran haben sie sich gehalten. Keine Fragen darüber, wen ich geliebt und wen ich nicht geliebt habe, mit welchen Frauen ich geschlafen oder nicht geschlafen habe! Das sollte niemanden etwas angehen, der sich für mich oder meine Arbeit interessiert; ich würde auch nicht darüber sprechen. Die beiden haben das akzeptiert und ihr Buch geschrieben. Obwohl ich immer wieder höre, es sei zu umfangreich und zu trocken geschrieben, finden sich immer wieder Leute, die darin etwas Neues entdecken. Und das sollte dem Anspruch, den man an eine Biographie stellen kann, genügen. Aber, wie gesagt, ich habe das Buch nie gelesen. Meine Schwester hat es getan.

Graf: Und was denkt sie darüber?

Cohen: Auch ihr ist es zu weitschweifig. Ihrer Meinung nach wurde zuviel Wert auf den jüdischen Hintergrund meiner Familie gelegt. Trotzdem sollte man die Arbeit der Autoren würdigen; es ist ja schwer, allen Ansprüchen gerecht zu werden.

Graf: Hast du je daran gedacht, eine Autobiographie zu schreiben?

Cohen: Ich ziehe es vor, kürzere Sachen zu schreiben; das bin ich gewohnt. So wie es die alten Zen-Meister zu tun pflegen, bevor sie sterben. Sie schreiben ein Gedicht über den Tod. Ein paar bescheidene Zeilen, ehe sie uns verlassen. Mehr wäre mein Leben auch nicht wert, eine Autobiographie schon gar nicht. Vielleicht fünf oder sechs Zeilen. Mehr nicht. Etwas ganz Kurzes, das genügt.

Graf: Welche Worte würdest du gern auf deinem Grabstein sehen?

Cohen: „Trinkt einen auf mein Wohl!“ Oder das, was Johnny Cash auf dem seinen lesen möchte: „Jetzt gibt’s eine kleine Pause. Ich bin gleich wieder zurück.“

Graf: Liebe, Tod und Religion waren stets deine Themen. Wie denkst du über den Tod?

Cohen: Zunächst einmal denke ich, daß er nicht mehr weit weg ist. Zum ersten Mal habe ich Angst davor, nicht mehr an der menschlichen Gesellschaft teilhaben zu können.

Graf: Was bedeutet „Tod“ für dich?

Cohen: Der Mensch nimmt sich viel zu wichtig. Das Leben ist ein Zimmer, der Tod ist nur ein anderes. Der Tod ist nur der Übertritt von einem Raum in einen anderen.

Graf: Wenn du in der Vergangenheit über den Tod gesprochen hast, klang das oft zynisch.

Cohen: Zynisch bin ich, glaube ich, nie gewesen. Zynismus bedeutet, daß man etwas nicht ernst nimmt. Vielleicht hat man Zynismus mit Skepsis verwechselt. Die kleinen Arrangements des Lebens sind zu wertvoll, als daß man ihnen zynisch gegenüberstehen könnte.

Graf: Du hast lange Zeit als Frauenschwarm gegolten. Hast du jemals gleichzeitig Liebe für zwei Frauen empfunden?

Cohen: Ist das eine rein technische Frage?

Graf: Eher eine intim-aufdringliche.

Cohen: Mit Sicherheit bin ich schon mal mit zwei Frauen allein in ein und demselben Raum gewesen. Aber eine intime Beziehung habe ich immer nur mit einer Frau gehabt. Zwei Beziehungen zu pflegen, endet in purer Konfusion – etwas, das ich hasse und mir schon deshalb nicht vorstellen kann. Aber auch wenn ich nur den rein sexuellen Aspekt betrachte – was ich mir schon eher vorstellen kann! –, ist es konfus. Sowohl vom Kopf her als auch vom Herzen.

Graf: Dir haftet das Image vom einsamen Mann im schwarzen Anzug an, der von der Einsamkeit singt. Bist du einsam?

Cohen: Ja, natürlich. Genauso, wie es andere auch sind. Hätten wir diese Erfahrung nicht, wüßten wir nicht, wie es anderen in dieser Phase erginge. Fühlen wir uns einsam, versuchen wir, auf andere zuzugehen. Und da man mit ihr umzugehen lernt, ist Einsamkeit für mich eine Art von Mitgefühl und somit auch eine Triebfeder für alle sozialen Aktivitäten.

Graf: Fühlst du dich heute einsam?

Cohen: Ich bin in der glücklichen Lage, daß viele Menschen in mein Leben getreten sind, die mir etwas bedeuten, die mir mein Leben damit einfacher gemacht haben und die mich heute keine Einsamkeit mehr fühlen lassen.

Graf: Einsamkeit, Frauen, Krieg und Religion sind die bestimmenden Themen deines Werks; Melancholie und ein gewisser Zynismus kennzeichnen deine Grundhaltung. Sind für dich Melancholie und Zynismus notwendig, um überleben zu können?

Cohen: Melancholie ist das falsche Wort dafür.

Graf: Ich meine nicht die guten Seiten der Melancholie…

Cohen: Über die wir nicht sprechen müssen, wie ich sehe. Aber Melancholie ist das falsche Wort, um es zu beschreiben. „Melancholie“ ist ein Gemütszustand, keine Überlebensweisheit. Ich denke, auf meinem neuen Album ist keine Spur von Melancholie. Melancholie ist auch ein zu umfassendes Gefühl, um es zu beschreiben; den Rahmen eines Songs oder eines Albums würde es sprengen. Und Zynismus ist zu vernichtend, als daß man ihn zum Überleben brauchen könnte.

Graf: Schon der Name Leonard Cohen reizt zu Fragen nach deiner Vergangenheit; und dein Werk reizt zu Fragen nach dem Menschen, der sich dahinter verbirgt. Stört es dich nicht, wenn man dir mit solchen Fragen sehr nahe tritt?

Cohen: Wie gesagt, ich lebe nicht in der Vergangenheit. Und du fragst ja nicht wie „jeder“. Es kommt auch auf die Art und Weise an, wie man miteinander umgeht. Du zum Beispiel hast eine bestimmte Vorstellung vom Verlauf dieses Gesprächs, genauso wie ich. Und jeder versucht sie zu realisieren – du mit deinen Fragen, ich mit meinen Antworten. So lange, wie sich unsere Vorstellungen decken, stört mich das überhaupt nicht.

Graf: Wir haben schon darüber gesprochen, daß du 1994 sechzig wirst. Auch Bob Dylan, Joni Mitchell, Neil Young und Van Morrison sind in die Jahre gekommen – alles Songwriter, die die Geschichte der Rock- und Popmusik wesentlich beeinflußt haben. Denkst du, daß ihre Bedeutung heute noch dieselbe ist wie in der Zeit ihrer ersten großen Erfolge vor zwanzig, dreißig Jahren?

Cohen: Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Ich empfinde es immer wieder als sehr angenehm, von ihnen und ihrer Arbeit zu hören. Das hat nicht nur damit zu tun, daß sie prominente Namen tragen. Es sind Menschen wie du und ich, die auch älter werden und uns dank ihres Werks wie Freunde oder Bekannte ein Leben lang begleiten. Man interessiert sich für sie; sie sind einem vertraut. Von Joni Mitchell höre ich immer wieder gern, obwohl sie stets unterbewertet worden ist. Von Dylan höre ich auch immer gern, auch wenn man meinen könnte, daß er heute ruht, statt nur mal zu rasten. Dylan braucht auch eigentlich keine Songs mehr zu schreiben. Aber ich denke, daß er nicht aufhören kann, Songs mit Botschaften zu schreiben, so wie wir es von ihm kennen. Das hat nichts mit ihrer Bedeutung vor zwanzig, dreißig Jahren zu tun, sondern mit ihrer Präsenz, die ich wie viele andere nicht missen möchte.

Graf: Zurück zur Gegenwart! Auf deinem letzten Studio-Album The Future hast du ebenso konkrete wie bedrohliche Zukunftsvisionen an die Wand gemalt: „I’ve seen the future, brother: it is murder“, heißt es im Titelsong. Mal abgesehen von dieser apokalyptischen Vision: welches aktuelle Thema würdest du zur Zeit noch gern in einem Text verarbeiten?

Cohen: The Future war eines der objektivsten Alben, das ich bis jetzt geschrieben habe. Es zeigt all die Gedanken auf, die mich während des Schreibens bewegten, vom Fall der Mauer in Berlin über den aufkommenden Fremdenhaß bis hin zu einem demokratischen Denken – all das eben, was zur Zeit des Schreibens um mich herum geschah. Grundsätzlich beeinflußt mich das beim Schreiben immer. Bei The Future umgab mich außerdem eine Art von beängstigender und zugleich realistischer Bedrängtheit. Setze ich mich mit dieser Frage ganz ehrlich auseinander, stelle ich fest, daß ich über all die Jahre immer über das gleiche geschrieben habe. Egal, ob ich heute schreibe „Take the only tree that’s left and stuft it up the hole in your culture“, oder ob ich damals im Song „The Gypsy“ „These are the final days. This is the darkness. This is the flood“ geschrieben habe, es geht immer um dasselbe. Ich beschäftige mich mit Dingen, die stets präsent sind. Es ist nicht Schwarzmalerei, wie mir Journalisten damals in bezug auf „The Gypsy“ vorgeworfen haben, es ist die Realität. Das, was ich damals schwarzgemalt habe, ist auch heute schwarz. Schau dir nur all die Katastrophen an, die um uns herum passieren! Es geht nicht darum, alles schönzureden, nur damit man sich keine Gedanken machen muß; es geht um die Auseinandersetzung mit der Realität.

Graf: Welches Thema würdest du auf keinen Fall in einem Song verarbeiten? Gibt es irgendwelche Tabus für dich?

Cohen: Aus dem Song „The Future“ habe ich Hitler herausgenommen. Die Zeile „If you could see what is coming next. The hidden takes. Give me love or give me Adolf Hitler“ wurde geändert.

Graf: Dennoch hast du Figuren wie Stalin darin erwähnt.

Cohen: Stalin habe ich nur erwähnt, weil in letzter Zeit wieder viele Menschen nach solchen Figuren rufen, obwohl es eigentlich vielleicht nur der Ruf nach Ordnung ist. Unsere Zeit ist zu problembeladen, da hat es die Rechte leicht, ihr Netz auszuwerfen. Ich mache nur darauf aufmerksam.

Graf: Was würdest du gerne an der Realität ändern?

Cohen: Wenn ich dazu in der Lage wäre: all denen Freiheit und Erlösung gewähren, die sie nicht erfahren, und all das im Keim ersticken, was dies zu verhindern sucht.

Graf: Wann überkam dich das letzte Mal eine so große Traurigkeit, daß du geweint hast?

Cohen: Es bedarf dazu keines besonderen Ereignisses. Manchmal genügt eine ganz alltägliche Situation, um mich zu Tränen zu rühren.

Graf: Welches war die meistgestellte Journalistenfrage während deiner letzten Interview-Tour?

Cohen: Was ich mit „I’ve seen the future, baby: it is murder“ gemeint habe. Manchmal schien es mir, als würde man die Redewendung nicht verstehen. In den Staaten sagt man oft, daß es „mörderisch“ heiß ist oder daß ein „mörderischer“ Verkehr herrscht. Trotzdem ist „It is murder“ durchaus wörtlich zu nehmen: Die Bereitschaft zu töten ist größer geworden.

Graf: Gibt es etwas in deinem Leben, das du – hättest du die Möglichkeit, es zu ändern – heute anders machen würdest? Bereust du irgendwas?

Cohen: Es hat nichts mit Bereuen zu tun. Aber ich denke, darüber zu sprechen, kann nicht im Rahmen eines solchen Gespräches geschehen. Für mich ist es unmöglich, so etwas mit ein paar Worten oder Sätzen, wenn überhaupt, zu beschreiben.

Graf: Als Songschreiber und Buchautor werden dir sicher auch manchmal Texte von fremden Autoren angeboten. Wie reagierst du darauf?

Cohen: Sicher, das kommt vor. Doch meistens verstehe ich die Texte nicht, kann nichts mit ihnen anfangen. Das passiert mir sogar bei vielen Songtexten der aktuellen Popmusik, auch wenn sie in meiner Muttersprache geschrieben sind. Ich habe Schwierigkeiten, den Sinn mancher Texte zu begreifen.

Graf: Wie denken deine Kinder über dich?

Cohen: Ich glaube, sie machen sich weniger Gedanken über mich als alle, die nach ihnen fragen. Meine Tochter Lorca – sie trägt einen Ring durch die Zunge und hat blaugefärbtes Haar – weiß noch mehr mit meiner Arbeit anzufangen als Adam, der sich vorwiegend für black dance music interessiert und mit der Generation der Grateful Dead überhaupt nichts anfangen kann. Lorca ist eher folk- und rock-orientiert. Sie findet zum Beispiel das Album The Future besser als I’m Your Man.

Graf: Wie denkst du über das, was zur Zeit in der Welt passiert, den Aufschwung des Neofaschismus zum Beispiel?

Cohen: The whole world is blowing up, nicht nur in Deutschland. Kaum ein anderes Land hat derart mit seinem Erbe zu kämpfen und damit solche Probleme wie Deutschland. Und irgendwie ist es ganz natürlich, daß dadurch Disharmonie entsteht. Aber ich glaube fest an die deutsche Demokratie und an den Willen des Volkes, diese Probleme in den Griff zu bekommen.

Graf: Bist du als Jude nicht – bewußt oder unbewußt – befangen, wenn man dich auf die aktuellen Geschehnisse anspricht?

Cohen: Natürlich unterliegt man als Jude einer gewissen historischen Voreingenommenheit, wenn man an Deutschland denkt oder in diesen Tagen nach Deutschland kommt. Aber es ist nicht nur das Problem Deutschlands. Der Faschismus ist die Extremform einer politischen Idee, die in anderen Ländern ebenso auf der Tagesordnung steht. Ich denke, Rechtsradikalismus oder Faschismus ist ein Problem aller demokratischen Staaten.

Graf: Du bist Jude und praktizierst Zen. Ist das kein Widerspruch?

Cohen: Ich bin als Jude geboren. Das ist meine Familie, Tradition, Theorie. Man muß zwischen Religion, Tradition, Theorie und Praxis differenzieren. Zen ist keine Religion, liegt aber der Shinto-Theorie zugrunde. Zen ist Praxis. Es ist wie mit Golf; du spielst zwar, weil es dir gefällt, aber du glaubst nicht daran. Ich betrachte es auch nicht als eine Art von Meditation. Aber vielleicht beginnt man mit dem Wort „Meditation“, sich langsam der Zen-Praxis anzunähern. Man hat damit die Möglichkeit, sich selbst zu studieren, von Anfang bis Ende.

Graf: Glaubst du an ein Weiterleben nach dem Tod?

Cohen: Nicht in diesem Sinne.

Graf: In welchem dann?

Cohen: Natürlich bedeutet der Tod die endgültige Lösung aller Probleme im diesseitigen Leben. Ob man aber danach ganz ohne Probleme leben kann, ist sehr fraglich.

Graf: In den letzten Jahren kam in Interviews immer wieder deine Amnesie zur Sprache. Leidest du wirklich daran, oder ist es nur eine originelle Strategie, allzu aufdringlichen Journalisten auszuweichen?

Cohen: Sie gehört wohl zu dem mir vorbestimmten Lebensplan. Es gibt etwas in mir, das verbissen an der Vergangenheit festhält. Aber es ist etwas, das nichts mit Nostalgie oder Erinnerungen zu tun hat. Diese zumindest verliere ich in zunehmendem Maße – vielleicht, weil ich zu sehr in der Gegenwart lebe. Ich vermisse die Qualität der Erinnerungen, obwohl ich nicht weiß, woher das kommt.

Graf: Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre hast du deine Interviews ebenso wie deine journalistischen Gesprächspartner auf Tonband aufgenommen. Aus welchem Grund?

Cohen: Ich hatte vor, jedes meiner Interviews aufzuzeichnen. Ich war von der Idee geradezu besessen. Der Grund dafür war aber lediglich, daß ich mich in Interviews zu oft mißverstanden fühlte. Das wollte ich kontrollieren. Ich habe es aber sehr schnell wieder aufgegeben, mit dem Hintergedanken, irgendwann einmal ein Buch über mißverstehende Journalisten zu schreiben.

Graf: Worin liegt für dich der Unterschied zwischen Egoismus und Egozentrik?

Cohen: Ich denke, daß beides zu einem Künstler gehört, damit er überleben kann. Ein Künstler lebt ja im ständigen Austausch mit seinen Gedanken und denen der Öffentlichkeit, die sich selten decken. Das kostet ihn ebensoviel Kraft, wie es ihm Kraft zurückgibt. Die beiden Kräfte, die diese Gedanken entstehen und Gestalt annehmen lassen, sind Egozentrik und Egoismus. Und da die Aufgabe eines Künstlers darin besteht, zu überleben und auszuharren, braucht er ein starkes Ego. Niemand schert sich darum, wenn es dir schlechtgeht – eine der schlimmsten und unkreativsten Erfahrungen überhaupt. Um das zu überstehen, brauchst du dich selbst am meisten. Ich habe einen Freund, einen kanadischen Schriftsteller, der mir einmal gesagt hat, daß es zwei grundlegende Charakteristika für einen jungen Dichter gibt: Unerfahrenheit und Arroganz.

Graf: Du hast gesagt, daß deine aktuellen Arbeiten, das Cohen- Live In Concert-Album und das Buch Stranger Music, den Hauptteil deiner Karriere zusammenfassen. Kommen nun nur noch die letzten fünf oder sechs Zeilen eines Zen-Meisters?

Cohen [lacht]: Nein, so ist es nicht gedacht. Aber es ist nun mal nicht zu leugnen, daß ich sechzig bin und sehr lange an meinen Texten arbeite. Und bevor ich etwas Neues anfange, möchte ich das Alte abschließen. So sind das Buch und das Album zu verstehen. Sie schließen lediglich das Kapitel eines bestimmten Lebensabschnitts ab, der gelebt worden ist. Sie dokumentieren meine Ideen und Vorstellungen in dieser Phase, so konkret wie keine andere meiner Arbeiten je zuvor. Aber sie sind nicht das Gesamtwerk. Ich weiß nicht, was kommen wird. Ich mache keine Pläne. Wenn du Pläne machst, ist es nur der Teufel, der sich ins Fäustchen lacht.

Graf: Was nun wirklich wie die Weisheit eines alten Zen-Meisters klingt.

Cohen: Ich lebe das Leben eines Menschen, der Zen praktiziert, nicht das eines Meisters. Aber ich lebe zur Zeit in einem Kloster – ein Zen-Zentrum in Südkalifornien, auf einem 6.000 Fuß hohen Berg, auf dem Schnee liegt. Kaum zu glauben, daß ein Mann aus Montreal in den Süden zieht, um dem Winter zu begegnen!

Graf: Nach Griechenland zieht es dich nicht mehr?

Cohen: Ich komme nicht mehr dazu. Ich habe zwar noch immer mein kleines Haus auf Hydra, aber ich lebe nicht mehr dort. Gegenwärtig verbringt mein Sohn seine Zeit auf Hydra.

Graf: Du hast The Future ein Zitat aus dem 1. Buch Mose vorangestellt [Genesis 24: „And before / had done speaking in mine heart, behold, Rebecca came forth with her pitcher on her shoulder; and she went down unto the well, an drew water; and / said unto her, Let me drink, / pray thee. And she made haste, and let down her pitcher from her shoulder, and said, Drink, And / will give thy camels drink also: so I drank, and she made the camels drink also… “], mit dem du das Album Rebecca de Mornay [Schauspielerin; Hauptrolle im Film Die Hand an der Wiege] widmest…

Cohen: … dem Edelmut, den sie für mich verkörpert hat, und natürlich auch dieser [alttestamentarischen] Geschichte.

Graf: Bist du noch mit Rebecca de Mornay zusammen?

Cohen: Sie war weise genug, mich zu verlassen.

Graf: Auch wenn du keine Fragen magst, die dein Privatleben betreffen, möchte ich dir zum Schluß doch noch eine stellen. Was machst du, wenn du nicht schreibst, keine Alben aufnimmst, nicht auf Tournee gehst? Wie sieht ein ganz normaler Tag im Leben von Leonard Cohen aus?

Cohen: In diesem Jahr arbeite ich, bis auf diese knapp zwei Wochen dauernde Promotion-Tour für das Live-Album, überhaupt nicht. Ich lebe wirklich in einer kleinen Klosterzelle, was ich mir schon sehr lange vorgenommen hatte und nun verwirklichen kann. Ich befasse mich mit meinen Zen-Studien. Ich stehe sehr früh auf, esse, trinke, schlafe, sitze in der Meditationshalle und führe ein einfaches Leben. So lebe ich seit Ende der Future-Tour.

Die Zeit für das Interview ist um. Ich bedanke mich, und Leonard Cohen erwidert meinen Dank, indem er in ein Exemplar meines Buches So long, Leonard eine Widmung schreibt: „To Christof with appreciation for your kind attention to my work over the years – Leonard, Hamburg 1994 – I’ve seen the future baby – it is murder. But cheer up, anyway.“ Dann stempelt er noch sein „Zeichen“, das Herz im Judenstern, hinzu.
Zum Abschluß äußere ich die Bitte, noch einige Fotos machen zu dürfen. Oft schon habe ich darauf verzichtet, mal, weil es die Atmosphäre gestört hätte, mal, weil sich Cohen mit dem Satz distanzierte:

Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich lieber davon absehen.

Diesmal jedoch steht er meinem Vorschlag, noch eine kurze Foto-Session zu veranstalten, ungewohnt aufgeschlossen gegenüber. Der Journalist Dr. Fritz Werner Haver wird Cohens nächster Gesprächspartner sein. Wie zuvor mit ihm abgesprochen, teilen wir uns die knapp bemessene Zeit für unser Shooting und überreden Cohen, kurz auf die Brüstung eines Vordaches zu steigen, um gute Motive zu bekommen. Auch diesmal willigt Cohen ein. Die Session kommt zustande; danach verabschiede ich mich.
Im Foyer des Kempinski begegne ich Günther Rammoser, einem befreundeten Journalisten aus Hamburg, der im Anschluß an mein Gespräch mit Cohen zusammen mit Andrew Eldritch, Mitbegründer und Kopf der in den 80er Jahren als Gruft-Rock-Band bekanntgewordenen Sisters Of Mercy, ein unkonventionelles Interview in Form eines Gedankenaustausches zwischen zwei Songwritern inszenieren wird (das er freundlicherweise für dieses Buch zur Verfügung gestellt hat).
Während andere Medienkollegen bereits zu ihren nächsten Terminen hetzen oder die Heimreise antreten, verweile ich noch ein wenig im Foyer des Kempinski. Die Liebe zu Hotels teile ich mit Cohen; darum lasse ich das Gespräch mit ihm an diesem Ort noch einmal Revue passieren. Vor dem Eingang warten Fans und – vielleicht auch – Groupies. Nicht auf Leonard Cohen warten sie allerdings, sondern auf Steven Tyler und Joe Perry von der Metal-Band Aerosmith, die einen Tag zuvor im Rahmen ihrer Deutschlandtournee in der Kieler Ostseehalle aufgetreten ist und deren Mitglieder gerade durch die Hotelhalle huschen. Einer Blondine gelingt es, sich Tyler an den Hals zu werfen und ein Autogramm auf ihrem Busen und ein gemeinsames Foto mit ihrem Idol zu ergattern. Ich denke dabei an Cohen und frage mich, wie er wohl in einer solchen Situation reagieren würde.
Als ich das Kempinski verlasse, weiß ich: ich werde „mein“ Buch über Leonard Cohen schreiben. Nicht die definitive, womöglich autorisierte Biographie, sondern einen Versuch der Annäherung an diesen einzigartigen Künstler auf der Basis der Interviews, die ich vorwiegend selbst mit ihm geführt habe.
So oft wie möglich werde ich also in diesem Buch Leonard Cohen selbst zu Wort kommen lassen in der Hoffnung, daß aus seinen Äußerungen ein authentisches Bild des Künstlers und Menschen, nicht des „Idols“, entsteht. Indem ich aus seinen Liedern und Gedichten zitiere, vor allem jedoch aus seinen oftmals „philosophischen“ Antworten auf Fragen, möchte ich dem Leser Gelegenheit geben, sich sein eigenes Bild von der Art und Weise zu machen, wie Cohen seine Gedanken zu Leben, Liebe, Tod, Religion, Politik und Gesellschaft formuliert, wie er dabei nicht zuletzt seine eigene Person und Biographie immer wieder in Frage und zur Diskussion stellt und welche Antworten er für sich persönlich auf diese uns alle bewegenden Fragen gefunden hat.
Dabei distanziere ich mich von der unkritischen Praxis der Yellow Press, noch dem unbedeutendsten Popstar Gelegenheit zur Nabelschau zu geben, ebenso bewußt wie von der Methode mancher Biographen, eigene Recherche und möglichst objektive Darstellung durch spitzfindige Textinterpretation oder die öde Aneinanderreihung nicht immer verifizierbarer Lebensdaten zu ersetzen. Meine Absicht ist es vielmehr, Leben und Werk von Leonard Cohen durch die Wiedergabe authentischer Statements aus seinem eigenen Munde anschaulich zu machen.
Damit aber auch die „Fans“ auf ihre Kosten kommen, habe ich in dieses Buch zahlreiche bisher unbekannte Fotos aus den Jahren 1967 bis 1994 aufgenommen, darunter Schnappschüsse, die ich während der Cohen-Tourneen von 1988 bis 1994 backstage und frontstage gemacht oder aus den Archiven der Plattenfirma Sony/CBS sowie befreundeter Journalisten „entwendet“ habe.
Es würde den Autor freuen, wenn der Leser am Ende seiner Lektüre den Eindruck gewonnen hätte, daß ihm ein Bild von Leonard Cohen vermittelt wurde, das anders als die eingangs erwähnten Klischees der Realität entspricht und mit Leben erfüllt ist.
Gewidmet ist dieses Buch niemand anderem als Leonard Cohen selbst („Wem sonst als dir“); womit ich mich den Worten anschließe, die Bob Dylan am 4. Dezember 1975 während eines Live-Auftritts mit seiner Rolling Thunder Revue gesprochen hat:

This is for Leonard – if he is still here.

Das Schlußwort überlasse ich dem amerikanischen Journalisten Larry Sloman, Autor des legendären Buches On The Road with Bob Dylan (New York, 1978) und Verfasser des Begleittextes im Programmheft zu Leonard Cohens The Future-Tour, der Cohens Bedeutung für die Geschichte der Populären Musik und zeitgenössischen Literatur auf den Punkt gebracht hat:

Leonard Cohen has taken us down to that place by the harbour and our world has become that much richer for the journey.

Thanks for the „song“, Mr. Sloman.

 

 

 

Vorwort

Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit, in der ich die Zeilen „When they poured across the border I was cautioned to surrender. This I could not do…“ zum ersten Mal hörte. Diese Zeilen schleppte ich lange mit mir herum. Aber auch andere Songs wie zum Beispiel „Bird On The Wire“ gingen mir nicht aus dem Kopf. Irgendwann waren sie weg, und Cohen wurde vergessen. Es schien, als passe er nicht mehr in unsere Zeit. Und die Presse machte sich über ihn lustig, schrieb was von Suizidmusik und ähnliches Zeug.
Dann aber, ganz plötzlich, war er wieder da. Startete ein Comeback, obwohl er nie weg gewesen war. Vielleicht war es auch nur deshalb ein Comeback, weil sich die Zeiten geändert hatten und die Leute wieder anfingen, Cohen zuzuhören. Wahrscheinlich als eine Art Gegenreaktion auf die musikalische und textliche Übersimplifizierung von Pop und Techno. Sein Material war immer großartig.
Alben wie Songs From A Room oder Songs Of Love And Hate sind zeitlos und werden wohl noch in 50 Jahren von unseren Kindern gehört werden. Bei Cohen ist es wie mit den Beatles: man hört aus den alten Songs immer wieder Neues heraus. Cohen ist wie eine Bestätigung für das, was man mal gut gefunden hat und was auch heute noch gut ist. Es ist wie mit einer klassischen Statue oder einem guten alten Freund.
Musikalisch mochte ich an Leonard Cohen, daß man seine Songs leicht nachspielen konnte, daß man sie schnell im Ohr hatte. Das habe ich an Songwritern immer bewundert. In seinen Texten beschrieb er die ersten romantischen Gefühle – Gefühle, die einen bewegen, wenn man dabei ist, erwachsen zu werden. Auch wenn die Presse was von einem Soundtrack zum Selbstmord schrieb, spürte ich bei ihm immer Hoffnung, nie Verzweiflung. Abgesehen davon zeugen seine Songs von seinem Sinn für Humor und von einer großen Liebe und großem Verständnis für alle Frauen.
Manchmal war es ein romantisches, manchmal ein männliches Verständnis. Und sollte es je nur ein männliches gewesen sein, dann war es jedenfalls ein sehr akkurat beschriebenes. Ich liebe die Bilder, die er dabei verwendet.
Als er anfing, Musik zu machen, beschritt er einen schweren Weg. Poeten sollen nicht Populisten werden, sie sollen nur schreiben. Aber Leonard Cohen wurde ein Star. Das war schon mal verdächtig. Aber er war wirklich ein Star, die Leute haben das nur lange Zeit vergessen. Ich erinnere mich noch an das Konzert auf der Isle Of Wight. Ich sah damals Hendrix, The Who und Leonard Cohen. Und er war ein Star. Sechs Motorräder eskortierten ihn aufs Festivalgelände. Ich habe viele gute Auftritte gesehen, aber der von Cohen auf der Isle Of Wight war einer der besten und erfolgreichsten. 1993 bin ich ihm zum ersten Mal persönlich begegnet, im Sunset Marquee in Los Angeles. Menschlichkeit kann manchmal auch ein „transzendentaler“ Erfolg sein. Cohen ist eine Kombination aus großer Persönlichkeit und spirituellem Geist. Diesen Eindruck bekommt man, wenn man ihm begegnet.
Und dann erinnere ich mich noch an einen Samstagabend, an dem ich mich mit meinem Freund Sean Finnegan betrank. Als ich schon im Bett lag, saß Sean noch bis fünf Uhr morgens wach, spielte seine Leonard Cohen-Platten und weinte.

Bob Geldof, Vorwort

Vorwort

Wir hockten zu fünft in diesem engen Passat und sollten irgendwo einen Keller ausfindig machen für unsere Band oder das, was wir dafür hielten. Es sollte ein Partyraum sein. Die Adresse hatte einer von uns wieder mal nur im Kopf und so weiter und so fort. Ich fand unsere Band zum Überleben gut. Ich war der einzige, dem sie das Singen zutrauten. Wir spielten in dieser Zeit sehr viel Van Morrison und Them und all das Beatnikzeug. Kurzum, ich war wohl der, dem sie Texte zutrauten, weil ich Ginsberg und Burroughs und Butler Yeats und Genet und all das Zeug gelesen hatte. Ich war der Pessimist bei uns. So ein Graufalter.
Jedenfalls war es ein Regentag, und wir klebten in diesem Passat, und dann fanden wir dieses kleine Reihenhaus, und die beiden Brüder stiefelten rein und wollten den Hobbykeller begutachten, in einer Welt, die mir so miefig vertraut war, daß ich nicht einen Schritt über die Schwelle getan hätte. Die mit den kleinen Vorgärtchen und den Männern in Westen hinter den Gardinen und den kleinen Frauen mit sorgenden Blicken, dem ängstlichen Schweigen und all dem Kleinbürgerscheiß, dem ich doch entkommen wollte.
Als ich mit dem Kopf an der nassen Scheibe in dem Passat klebte, da machte Rally das Radio an, und Cohen sang. Natürlich Suzanne. In A-Dur, glaube ich. Suzanne, dieser Engel, der den Schlüssel der Kindheit besitzt, der zu dir kommt, wenn du am Fluß des Lebens sitzt, verloren, mutterseelenallein, mit den Füßen im Fluß, wie der Idiot, an dem neverending river, mit dem ich aufbrechen wollte, mitziehen, irgendwohin, bloß ganz weit weg. Wie Rimbaud, trunkenes Schiff, wie Brel, Baudelaire, wie alle Sänger, die Erzähler, die Suchenden, wie die, dir mir doch „Vater“ sein sollten. Da sang einer von dem, was wir alle zu verbergen versuchten.
Ich weiß nicht, zum Heulen war mir immer, aber der Mann sang so verdammt hart und sanft, mehr sanft, mehr weiblich, ohne dieses Schnulzengehabe. Wie einer, der wußte, ohne zu wissen, und ich hab in diesem engen Passat an einem Regentag meine Zukunft, mein ganzes kleinmütiges Leben in drei Minuten an mir vorbeisegeln sehen.
Als die beiden Brüder zurückkamen, war Suzanne schon lange fort, und in meiner Birne flitzen nur ’ne Menge Pläne, die meine Traurigkeit und meinen Zorn ablösten. Ich sagte nur noch, als alle von dem Partyraum schwärmten und ihre Verstärker sortierten und das Programm für den Abend verplanten, ich sagte, ich würde heute abend in der Tanzpause ein eigenes Lied singen, ich sagte, ich würde es so wollen, zwischen Them und den anderen Songs, und ich sagte wohl auch noch, es wäre ein sehr stilles Lied und es hätte noch keinen Titel.

Klaus Hoffmann, Vorwort

 

Inhalt

Vorworte

– Bob Geldof
– Klaus Hoffmann

– Einleitung: Hamburg, 28. Juni 1994
Wer ist Leonard Cohen? Ein Interview

 

1. Kapitel

Kindheit, Jugend und erste literarische Gehversuche
Die 30er, 40er und 50er Jahre

Cohens Elternhaus: der frühe Tod des Vaters, die Liebe zur Mutter / Jüdische Erziehung / Mit Banjo und Mundharmonika bei den Buckskin Boys / Literarische Ziehväter / „Ritterschlag“ an der McGill University / Das Plattendebüt: Six Montreal Poets / Jazz und Poesie in den Clubs von Montreal und die „Londoner Erfahrung“: 3 Seiten Tagespensum

 

2. Kapitel

Vom Underground-Literaten zum Rock-Poeten
Die 60er Jahre

Hydra, Marianne und die Erkenntnis der Unruhe (1960–1964) / Castro, Kuba und der einzige Tourist in Havanna (1961) / Leonard Cohens subversive Phantasien – Weltablehnung, Selbstvernichtung, sexuelle Transzendenz und politische Verweigerung (1956–1973) / Ladies And Gentlemen, Mr. Leonard Cohen (1964–1966) / Suzanne und die Geschichte weiblicher Inspiration (1966) / Das Chelsea Hotel in New York, eine kleine Liebesgeschichte mit Janis Joplin, Drogenexzesse, Nico, Cohens Hinwendung zur Musik (1966) / Von der Literatur zur Musik – Cohens erste Auftritte als Singer/Songwriter (1966/67) / The Songs of Leonard Cohen – Die ersten zwei Platten, Unsicherheit, Depressionen, Drogen, Selbsterfahrung. Und: Cohens Freundschaft mit dem Zen-Mönch Roshi (1968/69)

 

3. Kapitel

Vom Romantiker des Pop zum Death Of A Ladies’ Man
Die 70er Jahre

Cohen als Soundtrack-Lieferant für Robert Altmans Film McCabe & Mrs. Miller / Cohens erste Konzerte in Europa – Hitlergrüße in Frankfurt, mit weißen Pferden auf Frankreichs Bühnen, Schlagzeilen auf der Isle Of Wight (1970) / Songs Of Love And Hate und die Bilanz der ersten Welttournee (1971/72) / „Live Songs“, Cohen im Yom-Kippur-Krieg und Gerüchte über Konzerte in Irrenhäusern (1973/74) / New Skin For The Old Ceremony, mit Tony Palmer im Schatten Frank Zappas und der Start der ersten großen US-Tournee (1974) / Paul Williams im Gespräch mit und über Cohen (1974/1994) / Cohen on the road, Frauentourismus auf Hydra, über Bob Dylan und die Ansichten eines unabhängigen Kanadas (1975/76) / Death Of A Ladies’ Man – Trinkgelage mit Wein, Revolvern und Phil Spector, Studio-Sessions mit Allen Ginsberg und Bob Dylan, eine abgesagte Welttournee, der endgültige Bruch mit Suzanne und das beste, autobiographischste und meistignorierte Buch Cohens (1977/78) / Recent Songs als Grabgesänge für Cohens Mutter, die Erkenntnisse aus seinen Zen-Studien und eine fast zweijährige Welttournee (1979/80)

 

4. Kapitel

Zwei Alben, ein Buch. Und: Von einem, der ein Comeback startet, obwohl er nie weg gewesen ist
Die 80er Jahre

Der „Dekadensprung“ einer Welttournee, erste Auftritte in Australien, das Filmporträt The Songs Of Leonard Cohen und ein Demo-Tape für ein nie veröffentlichtes Live-Album (1980) / Rückzug auf Hydra, die Arbeit an einer Rock-Oper, die Filmliebe zu einem Hotelgeist und der doppelte Boden einer religiösen Besinnung (1981–1983) / Das „Buch der Gnade“, das Beziehen der Various Positions, die darauffolgende Welttournee, das Comeback in den 80ern und die Freundschaft mit Dominique Isserman (1984/85) / Auf dem Weg zur Kultfigur, Schützenhilfe durch Jennifer Warnes’ Famous Blue Raincoat (1986/87) / I’m Your Man, die „Rückkehr der Ankunft“ und die „Manifestation des Kults“: Chartserfolge und eine weitere Welttournee (1988/89)

 

5. Kapitel

Zurück in die Zukunft
Die 90er Jahre

Songwriting, Schicksalsschläge und mit Don Was in „Elvis’ Rolls Royce“ (1990) / I’m Your Fan – das Ende vom Anfang einer zur Kultfigur gewordenen Legende / Kurt Cobains „Pennyroyal Tea“ mit Cohen / Der Einzug in die „Juno Hall Of Fame“ und Cohens „Hand an der Wiege“ mit Lebensgefährtin Rebecca De Mornay (1991) / The Future (1992) / „Ausgewählte Gedichte“ zum Start einer weiteren triumphalen Welttournee, der ewige Kampf mit den Journalisten und die Amnesie-Theorie (1993)/Das Bootleg-Dilemma von Zürich, das ’94er Album Cohen Live In Concert, das Ende eines Kapitels mit 60 Jahren / Leonard Cohen, Andrew Eldritch & The Sisters Of Mercy und der Soundtrack zum Oliver-Stone-Film Natural Born Killers (1994) / Zen, Frauen und die nie geschriebene Geschichte eines „Partisanen der Liebe“ (1995)

– Abspann und Aufstieg zum Tower Of Song

– Danksagungen

 

Anhang I

Diskographie

– Alben (Vinyl & CD) / Singles (Vinyl & CD) / Eps / Leonard Cohen auf diversen Tonträgern / Compilations / Bootlegs/Tribute-Alben/Soundtracks / Aufgenommene Songs von A bis Z

Filmographie / Videographie

– Leonard Cohen im Film / Leonard Cohen auf Video / Wichtige TV-Features

Bibliographie

– Leonard Cohen: Buchveröffentlichungen / Bücher über Leonard Cohen

 

Anhang II

– Leonard Cohen: Auszeichnungen und Ehrungen

– Rund um Leonard Cohen: Diverses

– Nicht aufgenommene Cohen-Songs von A bis Z

– Cover-Versionen von Cohen-Songs: Interpreten von A bis Z

– Leonard Cohen als Interpret „fremder“ Songs

– Musiker auf Alben von A bis Z

– Musiker auf Tourneen von A bis Z

– Produzenten auf Alben von A bis Z

– Fanclubs

– Leonard Cohen im Internet

– Leonard Cohen On Stage: Tourneedaten

– Tour- und Song-Index 1970–1993

– Quellenangaben / Copyrights

– Bildnachweise

– Vita des Autors

– Register

 

 

Begründete und faktenreiche Bewunderung

Allgemein gilt, dass es einem Biographen der dem Portraitierten zu nahe steht, sei es nur emotional oder durch zu häufige Begegnungen, kaum gelingen kann, ein objektives Bild zu zeichnen. Zu wenig distanziert in der Betrachtung, zu unkritisch, zu voll der Bewunderung droht ein solches Werk zu geraten.
Das mag im Grunde alles richtig sein, aber der Portraitierte ist hier kein glamouröser Pop-Star, kein selbstherrlicher Profilneurotiker, keine sonst wie boulevardeske Person, die vor lauter Schein einer kritischen Betrachtung hinter die öffentlich erkenntliche Fassade bedurft hätte, sondern Leonard Cohen. Ein Mann, ein Künstler, der allein aufgrund seines Wesens und der Undurchdringlichkeit vieler seiner Gedanken, genug Distanz herstellt und sich zu oft und zu lang zurückzieht, um idolisiert werden zu können, so dass ein bewundernder Biograph wahrscheinlich sogar nötig ist, um ihm überhaupt etwas näher zukommen, ein paar Hintergründe zu beleuchten und ihn ein wenig zu verstehen.
Aus kritisch überblickender Distanz wäre wohl nur ein Buch mit gesammelten Klischees entstanden, derer es um L. Cohen reichlich gibt und die fast alle so wahr sind wie die Annahme, dass W.A. Mozart einen besonderen Faible für gewisse Nougat-Marzipan-Kugeln gehabt hätte.
Der Autor, Christof Graf, ist Fan und glühender Bewunderer des Poeten, Songwriters und Sängers und verheimlicht dies nicht. Nach für dieses Buch exklusiven Vorworten der Musiker und Cohen-Fans Bob Geldof und Klaus Hoffmann, erläutert der Autor noch in der Einleitung sein Fanwerden und erwähnt dort auch seine seit 1985 (das Buch erschien 1996) regelmäßigen, recht häufigen Begegnungen mit L.Cohen. Von Distanz also keine Spur, aber gerade das tut dem Buch gut.
Cohen gewährte dem Autor Einblicke und erteilte Auskünfte, zu denen er den meisten Journalisten gegenüber bis heute sonst kaum bereit gewesen ist.
Letztlich führte es dazu, dass Graf mit diesem Buch etwas gelang, was Cohen eigentlich nicht vorhatte. Die Frage ob Cohen irgendwann selbst seine Autobiographie zu schreiben vorhätte, verneinte er mit letztinstanzlicher Absolutheit. Inzwischen sind 16 Jahre vergangen und in der Tat ist keine Selbstbespiegelung Cohens in Sicht. Doch Graf ließ derartig viele O-Töne aus Gesprächen im Buch (sind kursiv kenntlich gemacht), dass sie gut ein Drittel des Bandes ausmachen, also gut 100 der über 300 Seiten, dass Partisan der Liebe zumindest in Teilen doch eine Autobiographie wurde.
Und man erfährt reichlich und kommt Mensch und Künstler ein gutes Stück näher. Man versteht zwar auch nach Lektüre dieses Buches nicht unbedingt jeden Cohen Text auf abschließende Weise, aber man erfährt, dass dies auch oftmals gar nicht Cohens Absicht war und er selbst mitunter Jahrzehnte später Dinge in seinen Texten neu entdeckt – das tröstet! Und man lernt zu verstehen, warum er so lange braucht, um ein Lied, ein Album fertig zu stellen. Vor allem erfährt man aber, dass vieles was man vorher von Cohen zu wissen glaubte, zu bruchstückhaft war und zu einem Eindruck führte, der mit der Realität oft sehr wenig gemein hat. Cohen der ewige Melancholiker? Cohen der Zen-Mönch? Cohen der stets charmante Ladies-man? Cohen der ewig kopflastige Denker? Ja sicher, aber nein!
Jedes dieser seit Jahrzehnten breit getretenen Klischees hat etwas Tatsächliches und doch in Ergänzung des Verborgenen ergeben sich ganz andere Bilder von Leonard Cohen, als die die man bisher von ihm nur durch seine Musik hatte. Nicht weniger mystisch, nicht weniger besonders, nicht weniger einzigartig und ungewöhnlich, aber anders und noch weitaus vielschichtiger und sich über die Jahre veränderter, als man erwartet hätte, wenn man ihn nur von seinen Platten und aus seinen Konzerten und seltenen Medien-Auftritten kennt.
Nach gut dreihundert Seiten folgt dem Text noch ein 108 Seiten umfassender Anhang! Faszinierend detailliert ist dort alles tabellarisch erfasst, was Cohen jemals öffentlich tat. Jedes Album, jede Single, jedes Buch (soweit noch recht üblich), jeder Musiker der dem Anlaß zugeordnet mit Cohen im Studio oder auf der Bühne stand und jeder Konzerttermin mit Nennung des Spielortes aller Tourneen bis dato etc. Respekt! Ein beeindruckendes Nachschlagewerk.
Dieser Hang zur Auflistung, der in Form des Anhangs sehr zu loben ist, ist aber auch die einzig störende Schwachstelle dieser im Ganzen sehr gelungenen Biographie und Würdigung. Der Autor verliert sich immer wieder in endlosen Aufzählungen, die das Lesen erschweren. Wenn er auf ein Konzert zu sprechen kommt (und das kommt in einer Musiker-Biographie nun einmal recht häufig vor), dann nicht ohne die vollständige Set-List zu nennen. Da Cohen stets sehr lange Konzerte gibt, wird der laufende Text dann erst einmal durch Aufzählung von zwanzig und mehr Songtiteln unterbrochen. Oder Video-Clips (Cohen machte bis 1996 glücklicherweise nur sechs, denn er war nie ein typischer MTV-Act) werden Szene für Szene beschrieben. Derartiges ist dann doch etwas zuviel Detailliebe.
Alles in allem aber ein wunderbares Buch über einen wunderbaren Künstler und eindrucksvollen Menschen, der seine Makel nicht verhängt, sondern sie an sich akzeptiert und sie jedem Menschen zugesteht. Keine distanzierte Betrachtung, sondern eine Liebeserklärung an einen, den es leicht fällt zu lieben, weil er rätselhaft bleibt.

Christian Günther, amazon.de, 10.3.2012

 

DUNKELHEIT. LEONARD COHEN

Verlöschender stotternder stockender Film.
Die das Herz auf der Zunge tragen werden weniger.
Verstummt sind die Partisanen.
Ihre Zungen sind an die Scheunen genagelt.

Die Empörer in den Komfortzonen
tragen kugelsichere Westen.
Geschäfte werden im Zwielicht getätigt.
Die Summe allen Leids bleibt sich gleich.

Die da vorübergehen, die Schatten
von Schatten von Schatten
kennen kein Mitleid mit den Tieren.
Gehen sie unter mit den Bäumen
verschwinden auch sie.

Übriggeblieben ein alter Mann
mit verrosteter Stimme
der im Dunkel mit Liebe hausiert
und von Tür zu Tür
seinen Bettelsack schleppt.

Thomas Böhme

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Facebook + YouTube

 

Blaubart & Ginster #6: Leonard Cohen und Nick Cave

Andres Wysling: Wie Leonard Cohen seine Stimme findet

Gert Heidenrich: Nächte mit Leonard

Detlef Kuhlbrodt: Seems so long ago

 

 

Fakten und Vermutungen zu Leonard Cohen + Instagram 1, 2, 3 & 4 +
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Porträtgalerie: Keystone-SDA
Nachrufe auf Leonhard Cohen: Spiegel ✝ FAZ ✝ Die Zeit 1 + 2 ✝

 

 

Zum 1. Todestag von Leonard Cohen:

Margret Kreidl: Krempelsatz
Fixpoetry.com, 11.11.2016

 

 

Zum 90. Geburtstag von Leonard Cohen:

Hallelujah – Leonard Cohen zum 90. Geburtstag
WDR5, 21.9.2024

Kurt Kister: Leonard Cohen ist nicht tot
Süddeutsche Zeitung, 21.9.2024

 

 

Leonard Cohen’s 90th Birthday – Massive Hallelujah Sing-Along auf Tour in Boston

 

 

Leonhard Cohen-Porträt als 30jähriger beim Besuch seiner Heimatstadt Montreal.

 

Leonard Cohens Dankrede – How I Got My Song – zur Verleihung des Prinz-von-Asturien-Preises am 21.10.201 in Oviedo.

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