DER BIOGRAPHIENSAMMLER
es ist nicht nur der Zeitgeiz, den uns der Körper
vorführt, sondern auch das zerrende Gefühl
von Mangelernährung – daß man sich nicht
genug ist, in dieser Kosmossekunde –
zerquetscht von den opaken Blöcken vor einem
und nach einem – meist hilft eine Transfusion,
das Anzapfen anderer Leben – im Regal
stehn sie, in festem Umschlag und ohne
feste Ordnung – so daß sich begegnet,
wer sich nie traf und nicht hätte leiden können –
Heinrich Schütz singt sein letztes Magnificat –
Philip K. Dick verflucht Gott, beim Tod
seiner Katze – so oder so ist es am Ende
immer zu wenig, niemand weiß, wie-
viele kunstvoll geritzte Baumrinden moderten –
wieviele verborgene Höhlengalerien insgeheim
verschüttet wurden – welche Sandbilder
verwehen – Skulpturen durch religiösen
Wahn fielen – niemand weiß, wer das
Wenige erschuf, das überlebte durch die Jahr-
tausende – und irgendwann ist auch die Sprache
dieses Gedichts unverständlich, vergessen
von einer Menschheit, die worum kämpft:
noch immer um Ideen? – um Wasser
und Raum? eine Menschheit von welcher Haut-
farbe – welcher Schädelform? – unzivilisiert? –
cyborgisch? – irgendwann ist keiner da,
der sich diesen Mann vorm PC ausmalt,
was er aus dem Fenster sah, was ihn
quälte aus Nachbarschaft und seinem Land –
irgendwann erinnert sich der Planet nicht mehr
und irgendwann vergißt sich die Galaxie,
Licht aus! – ihr Sonnen – schlaft ruhig –
es ist so, wie Edward Elgar sagte:
„Ich glaube, da ist nur völliges Vergessen.“
(selbst der smaragdene Amazonas konnte sein
nobles Feuer nicht wieder erwecken.) – er
hätte sich nie vorgestellt, daß die Skizzen
und nachgelassenen Ideen zu seinen
besten Werken zählen würden – vervollständigt
von fremder Hand – deshalb spende ich, selten,
doch jetzt öfter, selbst etwas Blut-: Spät-
nachmittag mit eingebautem Farbwechsler,
schneller als ich wen anrufen könnte,
daß er den Beweis sieht: Sintflutgrau, Spektral-
licht – diskolorierte Birke, ihr korallenbleicher
Schopf, im Wind trocknend – tagtraum-
farben, substanzielle Luft, grimmgelb –
(da kneift die Sprache, kein Wort
schafft, was dem Eichhornpinsel leichtfällt).
Jürgen Brocân
– Ein Püree aus Nachworten, Briefen, Dialogen, abschließenden Notizen und Anmerkungen aus 42 Jahren. –
Das claasen Jahrbuch der Lyrik, dessen erste Folge wir hier vorlegen, will Entwicklungen, Tendenzen und Ausdrucksmöglichkeiten der neusten deutschsprachigen Lyrik vorstellen, Gedichte mit Träumen, Hoffnungen, Ängsten, Irritationen und Utopien. (Christoph Buchwald und Harald Hartung, JdL 1979) Das jährliche Nachwort soll nicht zum Ritual werden. Gibt es Jahr für Jahr etwas zur Erhellung der Gegenwartslyrik zu sagen? Wir fanden diesmal: Dieses Jahrbuch fragt zuerst nach dem Kommentar der Leserinnen und Leser, und es hält ihnen eine Wurst hin, die gut abgehangen ist. (CB, JdL 1990/91)
Das Zahlenmaterial
Auf dem Belveduto überm Trasimenischen See im Haus Ernst-Wilhelm Händlers – „feiner“ kann man schwerlich beginnen –, in den umbrischen Bergen also: Platz genug, die hunderte von Manuskripten und Konvoluten, die für das Jahrbuch der Lyrik zu sichten waren, im Raum (in den Räumen) zu verteilen, Zeit genug, in aller Ruhe zu entscheiden, welche Gedichte aufgenommen werden sollten, welche nicht – Platz und Zeit also für ein Verbrechen erster Güte! (Adolf Endler; JdL 2002) So viel Lyrik war nie. 66,2 Kilogramm Gedichte. (CB, JdL 2004) Der Manuskripteberg 1989 war einhundertundvier Zentimenter hoch (bitte Zollstock nehmen und an einer freien Wandfläche nachmessen!). (CB, JdL 1989/90) Der aufeinandergeschichtete Manuskriptstapel der insgesamt siebzehn Jahrbücher (…) dürfte ca. drei Stockwerke (Altbau) hoch sein, gut 80.000 Bände haben ihre Leser gefunden; die durchschnittlich 4.700 verkauften Exemplare pro Band liegen um einiges über den heute üblichen Gedichtbandzahlen, die meist als „irgendwo zwischen 600 und 1.200“ beziffert werden. (CB und Raoul Schrott, JdL 2000) Der sonst sehr zuvor-, sprich: hochkommende DHL-Fahrer weigerte sich, die acht schweren Pakete in den 5. Stock zu tragen. (Uljana Wolf, JdL 2009) Am Freitag dann der Schock: Ein zweiter Karton traf ein, größer und schwerer noch als der vorhergehende. Ich tauchte ab, dann auf und stürzte mich mit verbissen zu nennendem Eifer in die Lesearbeit, die Zahl der täglich zu schaffenden Stapel hatte sich schließlich auf einen Schlag mehr als verdoppelt. An die neuntausend Gedichte waren zu sichten, das machten zweieinvierteltausend pro Tag. Ich hörte auf zu essen. (Kathrin Schmidt, JdL 2011)
Die Auswahlkriterien
Wir wählten aus nach bestem Wissen und Geschmack. (CB und Harald Hartung, JdL 1979) Zur genauen Beurteilung der Gedichtauswahl müßten alle aussortierten Gedichte als Anhang veröffentlicht werden. (CB und Harald Hartung, JdL 1979) Die Möglichkeiten einer Anthologie sind begrenzt. Die Möglichkeit von Kompromiß und Mißlingen ist unbegrenzt. (Christoph Meckel, JdL 1980) Das Prinzip Anthologie ist Ordnung und Übersicht. Das Prinzip Jahrbuch engt das Prinzip Anthologie ein. Festgelegte Typografie und Aufmachung des Buches engen weiter ein. Die literarische Optik der Herausgeber engt die Gedichtauswahl ein, und die Qualität der eingesandten Gedichte engt die Qualität des Jahrbuches ein. (Christoph Meckel, JdL 1980) Diese Sammlung ist eine Ehrlichkeit, eine Zwischenschau, ein Aufhorchen und Weiterflüstern, eine Auswahl durch vier Augen, zwei Gehirne, zwei Herzen. (Nora Gomringer, JdL 2015) Viele sind dir persönlich bekannt, einige freundschaftlich verbunden. Weggefährten. Du denkst, hätten sie nicht bessere Gedichte schicken können? Sie können es doch, oft genug haben sie es uns allen gezeigt. (CB, JdL 1989/90) Es ist Sonntagabend. Ein Autor aus Kaiserslautern greift telefonisch in dein Privatleben ein. Er fragt, ob er aufgenommen sei, ob es diesmal (diesmal!) geklappt habe, gerade in diesem Jahr sei es wichtig für ihn, runder Geburtstag, Krankheit etc. Ich denke Kaiserslautern. Fußball fällt dir ein, Amikasernen. (CB, JdL 1989/90) Zwar ist eine Ähnlichkeit meiner Person mit einer göttlicherseits installierten Messlatte einfach nicht vorhanden, aber wenn ich dieses Buch mitherausgeben soll, muss ich mich zumindest ein wenig um eine Messlatte scheren. (Kathrin Schmidt, JdL 2011) Man kann das Jahrbuch nicht als ästhetisch-poetologisches Statement der Herausgeber lesen. Was auch immer man sich vielleicht vornimmt, alles steht und fällt mit den Texten, die eingesandt werden oder eben, auch nach Nachfrage, nicht eingesandt werden. (Uljana Wolf, JdL 2009) So viele Traditionslinien. So viele Brüche. Dichter reich an der Zahl. Einige Schulen. Einige Poetiken. Sie vereinen zu wollen, wäre Unsinn. (Joachim Sartorius, JdL 1995/96) „Ich will nie wieder beim Lyrikjahrbuch mitmachen“, schrieb Oswald Egger vor zehn Jahren, und er schrieb es nicht ein Mal – er schrieb es satte 24 Mal. (Nico Bleutge, JdL 2018) Ich höre nur das Wie. So ist es. Stimmt das Wie nicht, höre ich überhaupt nichts. Stimmt es, dann freilich geht es mir gut (geht es los). Es stimmt mich froh. Ich bin nicht taub, solange es gut geht, sofort taub, sobald es nicht gut geht. (Elke Erb, JdL 1986)
Der Auswahlprozess
Die Vorschlags-Liste, die Fragezeichen-Liste. Zweites Lesen, ohne auf die Listen zu sehen. Abwägen des Fraglichen, Bestätigung des Unfraglich-Gewesenen – die Fragezeichen-Mappe. (Elke Erb, JdL 1986) Wie immer haben uns wichtige Autoren mit triftigem Grund abgesagt, und wie immer haben wir Gedichte retournieren müssen, die allzu offensichtlich bei der Zusammenstellung des letzten Gedichtbandes „übriggeblieben“ waren. (CB und Gregor Laschen, JdL 1984) Kannst du mir das bitte laut vorlesen? (Ulf Stolterfoht, JdL 2008) Natürlich habe ich, nachdem wir in Berlin die definitive Auswahl getroffen hatten, mehrfach meine charakterliche Eignung für ein solches Projekt hinterfragt (Ich Weichei! Drecksack! Kameradenschwein!), aber mir ist auch deutlich geworden, dass die Eigendynamik, die ein solcher Auswahlprozess entwickelt, die eigenen ehernen Kriterien zumindest ins Wanken bringt. (Ulf Stolterfoht, JdL 2008) Was diese Anthologie angeht, so entsteht so etwas wie Wahrheit ganz bestimmt auch durch die Polyphonie im gemischten Chor. (Silke Scheuermann, JdL 2007)
Die Themen der eingesandten Gedichte
Die Poesie findet nicht mehr auf der Straße statt – wenn das nicht überhaupt ein Mißverständnis war. (CB und Harald Hartung, JdL 1979) Geschichte und Gegenwart, Bewußtsein und Gefühl, Öffentliches und Privates sind im Gedicht wieder als dialektische Einheit vorstellbar. (CB und Gregor Laschen, JdL 1984) So finden sich auch in diesem Jahrbuch viele Gedichte, die man grosso modo jener neuen Sensibilität zurechnen mag, die in den letzten Jahren so viel von sich reden gemacht hat. Mit Benns Diktum, wonach auch die großen Lyriker nur fünf oder sechs vollkommene Gedichte schreiben, läßt sich jedoch keine Anthologie, noch weniger ein Periodikum wie dieses Jahrbuch bestreiten. (CB und Harald Hartung, JdL 1979) Oft habe ich das Gefühl, dass DDR-Autoren (u.a. Adolf Ender, Karl Mickel, Günter Kunert, Erich Arendt, Rainer Kirsch, Kurt Brasch, Heiner Müller) und ehemals in der DDR wohnende Dichter (u.a. Peter Huchel, Sarah Kirsch, Bernd Jentzsch, Jürgen Fuchs, Thomas Brasch, Helga Novak, Christa Reinig) das Niveau bestimmen. (Lutz Rathenow, JdL 1980) Das zeitgenössische Gedicht ist ein überaus gelenkiges Geschöpf, libellenartig beinah. Auch deshalb vielleicht scheint eine Blütezeit des Prosagedichts anzubrechen. (Mirko Bonné, JdL 2019) Experimentell oder traditionell, narrativ oder sprachspielerisch, Persiflage oder Mundart: Nichts garantiert ein Gelingen, aber kein Ansatz steht ihm im Weg (…). (Jan Wagner, JdL 2013) Gedichte sind unser Gedächtnis von Zeit; in ihnen sind Zeit und Epoche, Gegenwart und Jahrhundert aufgehoben. (CB, JdL 2005) Der Einsendeschluß für die Gedichte des Jahrbuchs lag einige Tage vor dem 11. September 2001. (Lutz Seiler, JdL 2003) Die zahlreichen Bezüge auf die havarierten Reaktoren in Japan bewiesen erneut, dass all das, was uns zu überwältigen droht, Ausdruck im Gedicht zu finden versucht. Sie waren allzu oft freilich auch der Beleg dafür, dass es im Augenblick der Überwältigung äußerst selten zu einem gelungenen Gedicht kommt. (Jan Wagner, 2013) Sermon: keine Bekenntnisgedichte bitte und keine Parolen-Gedichte gegen Beton und Waldsterben, wir können als Leser doch nur zustimmend nicken zu solchem Protest; der Autor hat unser Einverständnis schon vorab, das Gedicht kostet ihn nichts und der Allgemeinplatz tut niemandem weh (…). Oh Beulen-Pest der Poesie, oh Hunderttausend-Verse-Mißverständnis, oh Eitelkeitswiese von schreibenden Studienräten in Gesundheitsschuhen! (CB, JdL 1986)
Die Abfolge der Gedichte
Angesichts der großen Anzahl der zum Jahrbuch eingesandten Texte mochte man sich für die Präsentation einer literarischen Auswahl ähnliche Möglichkeiten einer fließenden Aufstellung mit laufenden Aus- und Einwechslungen (wie im Fußball, Anmerkung der Herausgeberin) wünschen – andere Aufstellungen brächten in ihrem Zusammenspiel sicher ganz andere Qualitäten zum Vorschein. (Lutz Seiler, JdL 2003) Nach einem schnell gescheiterten Versuch, bequem zu katalogisieren (nach Kategorien wie Liebe, Tod, Natur usw.), begreife ich: Ich habe wortlos einen neuen, übergreifenden (über sie und über mich hinaus!), einen neu erkundenden Text zu schreiben. (Elke Erb, JdL 1986) Aus vielen Stimmen wurde ein großes Poem. (CB und Harald Hartung, JdL 1979)
Lob
Haltet Ihr das Jahrbuch nur einige Jahre durch, hat es die Chance, zu einem Stollen zu werden, aus dessen Vortrieb man Aufschluß und Überblick über die Dichtungstendenzen dieser historischen Episode erhält. (Richard Pietraß, JdL 1981) Um nicht abzukommen: ich leide unter Magenkrämpfen angesichts der meisten Anthologien. Das Jahrbuch verschafft Luft. (Uwe Kolbe, JdL 1988/89) Es wird so viel über schlechte Gedichte geklagt, aber so wenig über gute Gedichte geschrieben. Und so schlecht sieht es meiner Meinung nach gar nicht aus. (Marcel Beyer, JdL 1993) Ein Hoch dem Düddellütt! (Ludwig Harig, JdL 2001)
Tausend Arten der Klagen und Kritik
Bessere Zeiten für die Lyrik sind immer noch keine guten. (CB und Harald Hartung, JdL 1979) Alles in Ordnung also im Lyrikland? Das wird, außer von ausgemachten Narren, wohl nie mit ja zu beantworten sein. (CB, JdL 2001) Es sind gute Texte drin, unbestritten, aber fast alle Texte können nur von intellektuellen Überfliegern und Insidern in dieser Art lyrischer Oberschichtssprache verstanden werden. (Fritz Deppert, JdL 1985) Ein Paradigmenwechsel kündigt sich an. 1985 werden Gedichte eher am Reißbrett gezeichnet als mit dem Munde gemalt. Viele dieser Gedichte sind kopflastig. (CB und Ursula Krechel, JdL 1985) Die Wahrnehmungsweisen haben sich individualisiert. Es gibt keinen großen Topf des Zeitgefühls, aus dem jeder Lyriker seinen Teller Brei schöpft. (CB und Ursula Krechel, JdL 1985) Was mich enttäuscht hat, war, auf so viele schlechte (vordergründige, belanglose, von völliger handwerklicher Unkenntnis geprägte etc.) Gedichte zu stoßen. Zuviel Raum der „Laber-Lyrik“ (…). (Jürgen Wellbrock, JdL 1980) Eine öffentliche Polemik zwischen Lyrikern halte ich für wenig sinnvoll. Die tun nämlich fast immer so, als würden sie sich uneigennützig für die Lyrik engagieren, und engagieren sich doch in Wahrheit nur für sich selber. (Michael Buselmeier, JdL 1981) Dichter sind halt wie Autofahrer: Fehler machen immer nur die anderen. (Detlev Meyer, JdL 1981) Warum verwenden so wenige Lyriker Phantasie auf die Verwendung neuer Formen? (Harald Hartung, JdL 1983) Die Zeit der reinen Jamben ist unwiderruflich vorbei. (Robert Gernhardt und Matthias Politycki, JdL 1997/98) Die besseren Reime kommen aus der Schlagerindustrie. (CB, JdL 1989/90) Nun habe ich ½ der Texte gelesen und befinde mich im Zustand völliger Zerknirschung. Nicht, weil da so viel Kitsch wäre, sondern eher umgekehrt: Es gibt kaum noch ordentlichen Kitsch. Dafür aber stapelweise Sachen, die mich vollkommen ratlos zurücklassen. (…) Schlimmer als Kiesschaufeln. (Thomas Rosenlöcher, JdL 1992) Lang ist’s her, doch noch immer trauere ich jenen Zeiten nach, da die Dichter uns Menschen Formulierungshilfe in allen Lebenslagen leisteten (…). (Robert Gernhardt, JdL 1993) Beschwerdeende. (CB, JdL 1998/99)
Warum Gedichte schreiben? Und wie Gedichte verstehen?
Was soll ein Gedicht? Was will es? Kann es? Was ist ihm zuzutrauen, anzutragen, aufzubürden und sonst niemandem? Wo kommt es her? Wo zieht es hin? Wofür steht es ein? Wogegen steht es? (Peter Rühmkorf, JdL 1988/89) Von (Poesie), die heute ihr Lebensrecht bewähren will, ist in gewissem Sinne ERKENNTNISCHARAKTER ZU fordern. (Theodor Adorno, JdL 1987/88) Wenn ich der poetologischen Versuchung nicht widerstehen kann, liegt das vor allem daran, daß für mich Poesie und Reflexion sehr eng zusammengehören. (Brigitte Oleschinski, JdL 1987/88) Credo: Das Verstehen in der Lyrik hat der Teufel gesehen! (Ulf Stolterfoht, JdL 2008) Ein Gedicht ist für fast niemanden. Es führt, neben der geläufigen Sprache, für sich ein Sein, selbstgenügsam, und will doch, selbstbewußt, daß seine Wirklichkeit anerkannt wird, die es orakelhaft verkündet. Was ist das, Poesie? (Joachim Sartorius, JdL 1995/96) Ist Selbstverleugnung Poesie? (…) Führt jede Anstrengung des Autors, von sich selbst abzuweichen, immer wieder zu dem selben Ergebnis, nur seinen „privaten Code“, seinen „Ideolekt“ auszuüben? Und das auf die Dauer lebenslänglich? Betreibt der Dichter ein lebenslängliches Ablenkungsmanöver? (Michael Lentz, JdL 2005) Seamus Heaney hat in seinem Versuch, die Poesie zu rechtfertigen, sich um einen gemeinsamen Nenner bemüht:
Die Erfahrung, die uns zuteil wird, ist ein Labyrinth. Auf die Unmöglichkeit, daraus herauszufinden, antwortet der Dichter, indem er das Äquivalent eines Labyrinths imaginiert und es durchschreitet und es uns durchschreiten macht. (…)
Der Dichter ist ganz allein mit seiner Sprache. Hier hat er seine Heimat und seine Freiheit, daß man ihn ebensogut verstehen wie nicht verstehen kann. (Joachim Sartorius, JdL 1995/96).
Junge Lyrik
Können wir Ferien machen von der Geschichte der Poesie? Gibt es einen poetischen Generationenvertrag? (Michael Lentz, JdL 2005) (…) aber was, fragt ein Mittvierziger fast verzweifelt, hat dieses bei jungen Dichtern offenbar sehr beliebte Wort „ficken“ in Gottsnamen mit Poesie zu tun? (CB, JdL 2005) Schreiben die Zwanzigjährigen keine Gedichte, oder keine bemerkenswerten? Kann eigentlich nicht sein. Oder rappen die lieber? (CB, JdL 1998/99) Die „junge Lyrik“, die sich in „jungen“ Anthologien vorstellt, verblüfft durch Harmlosigkeit, Provinzialität und eine Art von Unbefangenheit, die alte Hüte als neue ausgibt. (CB und Gregor Laschen, JdL 1984) Keine Strömungen derzeit, höchstens Brisen und Rettungsschwimmer, kein Arschloch der Jahrtausendwende. (Michael Lentz, JdL 2006) Seit dem Expressionismus hat es in der deutschsprachigen Poesie keine solche Breite an Talenten mehr gegeben wie in unseren Tagen. (Axel Kutsch, JdL 2013) Das Staunen über besonders eindrückliche Gedichte von Autorinnen und Autoren, von denen man noch nie gehört hat, gehört zu den besonders erfreulichen Seiten der Arbeit an der Auswahl. (CB, JdL 2009) Nie ging es der deutschsprachigen Lyrik besser als in diesen ersten Jahrzehnten des zweiten Jahrtausends (…). (Ulrike Almut Sandig, JdL 2017) Disketten können leider nicht angenommen werden, und die Rücksendung der Manuskripte erfolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. (CB, JdL 2002) überhaupt scheinen die diversen (jüngeren) Lyrikszenen in Ermangelung an Publikationsmöglichkeiten und „öffentlichem Raum“ wie selbstverständlich im Internet ihr Medien gefunden zu haben. (CB, JdL 2004) Was soll denn zeitgenössische Lyrik sein? So etwas wie junge Lyrik? Richtig junge Lyrik kommt meistens von Elke Erb. (Wilhelm Bartsch, JdL 2013)
Ehre und Dank
Eine schöne Ehre ist das! (Nora Gomringer, JdL 2015) Das Jahrbuch der Lyrik wird ohne Christoph Buchwald ein anderes sein. Diese Institution von Buch hat ihm viel zu verdanken. (Carolin Callies, JdL 2021) Mehr Lyrik! (Klaus Schöffling, jederzeit) Immer Weiter Lyrik! (Nora Gomringer, JdL 2015)
Der schnöde Mammon
Was sind das für seltsame Leute, die gegen jede herrschende Vernunft dieses einsame Handwerk betreiben? (Michael Krüger, JdL 2004) Der Markt für Gedichte befindet sich gleich neben dem Schlachthaus der Kunst. (Ludwig Fels, JdL 2011) Wer kauft eigentlich Anthologien? Ich möchte ganz grob fragen: Sind sie eigentlich ein Geschäft? (Gottfried Benn, JdL 1984) Meine Mutter würde murmeln: „Irgend etwas ist da im Gange, paß auf!“ … PS: Können Sie, bitte, feststellen, was aus meinem Honorar geworden ist. (Adolf Endler, JdL 1985)
Carolin Callies, Nachwort
– Ein Selbstgespräch. –
Inzwischen ist das Jahrbuch nach 42 Jahren bei seiner 35. Ausgabe angelangt, das war 1979 wahrscheinlich noch nicht geplant oder abzusehen?
Das Jahrbuch der Lyrik ist de facto aus einer Not geboren. Der Verleger gab dem jungen Lektor angesichts der vielen unaufgefordert eingesandten Lyrikmanuskripte den gut gemeinten Rat, „doch einfach eine kleine Auswahl mit den schönsten Gedichten aus all den eingesandten Gedicht-Manuskripten“ zusammenzustellen. Der junge Lektor erschrak heftig: Was sind schöne und, noch besser, schönste Gedichte? Woran ist die Schönheit abzulesen, und woran misst sie sich? Immerhin ahnte er nach der (Schul-)Lektüre von viel Bachmann und Benn und eindrucksvollen Uni-Vorlesungen des Schriftstellers und großen Anregers Walter Höllerer (Theorie der modernen Lyrik, Neuausgabe 2003), dass man bei der Beurteilung von Gedichten mit Schönheit nicht weit kommt. Die Zeiten waren unruhig, auf den Straßen wurde demonstriert gegen Pershing-Raketen, Waldsterben und Atomkraft, und wenn Gedichte immer auch Seismographen sind für Zeit und Epoche, wie der Mitherausgeber des zweiten Jahrbuchs (1980), Christoph Meckel, es formulierte, dann war für Beschauliches und Erbauliches wenig Platz. Die ersten drei (als Lyriker sehr verschiedenen) Mitherausgeber des Jahrbuchs, Harald Hartung, Christoph Meckel und Rolf Haufs, waren jedenfalls hilfreiche und strenge Lehrmeister bei der Herausbildung eines eigenen Urteilsvermögens.
Haben sich die Kriterien seit dem ersten Jahrbuch in einem fortschreitenden Lernprozess verändert?
Sagen wir es vorsichtiger: Sie sind präziser und weiter zugleich geworden. Weiter in dem Sinne, dass die Neugier auf ungebräuchliche lyrische Formen, die außerhalb des herrschenden Zeitgeistes lagen, eher zunahm. (Es gab z.B. Zeiten, da reimende Gedichte als reaktionär und hoffnungslos altmodisch galten.) Voraussetzung dafür war aber, dass in den Gesprächen mit den jeweiligen Dichtern und Dichterinnen, die als Mitherausgeber fungierten, etwas eingeübt wurde, was immer wieder trainiert werden muss: das präzise Beschreiben der Bewegungen, die sich in einem Gedicht vollziehen. Was passiert da mit welchen Mitteln? Taugen die Mittel, um – diskursiv oder assoziativ – zu einem Mehr an Bedeutungen zu kommen und damit zu überraschenden Einsichten? Warum geben auf Pointe geschriebene Gedichte so oft wenig her? Wie lassen sich Denk- und Wahrnehmungsbewegungen eines Gedichts beschreiben? Warum werden Gedichte mit abstrakten Begriffen so schnell nebulös und ungreifbar und Kombinationen von Abstraktum und Konkretum fast immer unsäglich [„im Spinnennetz meines Vergessens…“]?
Warum kann Geschmack kein Kriterium zur Beurteilung von Lyrik sein?
Zum einen: Wie ließe sich das, was in der Lyrik als Geschmack durchgehen könnte, überhaupt allgemeingültig und nachvollziehbar beschreiben, geschweige denn definieren? Das scheint mir nicht möglich und auch nicht wünschenswert. Auch wenn, wie Carolin Callies in ihrem Blick zurück zitiert, im Nachwort des ersten Jahrbuchs der Lyrik zu lesen ist, die Herausgeber hätten „nach bestem Wissen und Geschmack“ ausgewählt. Shame on us!
Dazu als Zwischenbemerkung einige Auszüge aus den Handreichungen für Gedichtleser, die während eines Lyrikfestivals entstanden sind als Reaktion auf die dort wieder und wieder gehörte Ansicht, Lyrik sei doch vor allem „Geschmacksache“.
* Noch weniger als die Musik hat das Gedicht, oder besser: das Umgehen mit, Verstehen und Beurteilen von Gedichten, etwas mit Geschmack zu schaffen. Gedichte haben, wie das Komponieren eines Horntrios oder eines Popsongs, schlicht mit Handwerk zu tun, mit Kenntnissen: Wer Gedichte schreibt, muss mit dem Handwerkszeug umgehen können, mit Vers, Reim, Dramaturgie, Wirkungsästhetik, Traditionen, Klang, Sprachlogik, Sprache, etc. Ein Gedicht ist immer etwas Gemachtes, sprachlich Verdichtetes. Dichter, die intuitiv und ohne Kenntnisse Meisterwerke aus dem Ärmel schütteln, kommen, wenn’s gut geht, alle dreihundert Jahre einmal vor. Selbst der geniale Mozart wurde von seinem Vater geschurigelt und bekam erstmal die Sonatenhauptsatzform eingebimst.
* Nicht umsonst haben Gedichte seit mehr als 2.000 Jahren die Menschen immer wieder verzaubert, begeistert – oder verärgert. Anders als die Erzählung oder der Roman hat das Gedicht die Möglichkeit, durch Rhythmus, Wortklang, die Kombination oder das Zusammenstoßen von Wörtern etwas assoziativ spürbar oder hörbar oder sichtbar zu machen, das die Wörter selbst nicht benennen oder bezeichnen könnten. Das berühmte Weit spannte meine Seele ihre Flügel aus ist ein Bild, das für viel mehr steht und viel mehr ausdrückt als ein vergleichsweise plattes Ich fühlte mich ganz und gar eins mit der Natur.
* Auch wenn Sie beim ersten Hören oder Lesen nicht gleich alles verstehen, nicht alle Bedeutungen aufdröseln können, lassen Sie sich, sofern das Gedicht das hergibt, forttragen vom Klang und Rhythmus der Sprache. Ist da eine Wut zu spüren, oder eine Melancholie oder eine Nachdenklichkeit, überrascht das Gedicht durch unerwartete Reime oder durch eine Serie von Wörtern, die alle mit K oder mit U anfangen? Taucht ein Wort, sagen wir: Apfelgarten oder Frequenzweiche, mehrmals auf? Und klingt das Gedicht nach Suada, Litanei, Gebet oder Alltagsgestammel? Oder, schlicht gefragt: Mit welchem Wortmaterial wird da gearbeitet?
* Fragen Sie bei der Frage, wie Ihnen ein Gedicht gefallen hat, gleich weiter, warum es ihnen gefallen oder missfallen hat. So stoßen Sie schnell auf eine Kardinalfrage der Lyrik: Wie ist das gemacht, mit welchen Mitteln wird da gearbeitet? Mit Naturbildern oder Gefühlsäußerungen, mit wissenschaftlichen Termini oder Modejargon, mit Worterfindungen, mit Dialekt, mit präzisesten Beschreibungen oder mit rauschhafter Wortmusik? Mit Wörterreihungen, mit Prosasätzen oder mit Lautexplosionen, im Stakkato, in auschwingender Rhetorik, im Gossenslang oder in Werbeslogans?
* Lassen Sie sich den Spaß an der Sprache, am Gedicht nicht durch die angsteinjagende Frage Was will uns der Dichter damit sagen? vermiesen. Wenn das so einfach zu beantworten wäre, wäre möglicherweise ein Essay, eine Predigt oder ein Leitartikel die angemessenere Form, um die messitsch rüberzubringen.
* Was ein gutes oder gelungenes Gedicht ausmacht, ist idealtypisch und allgemeingültig nicht zu sagen. Die Zeiten der normativen Ästhetik sind tempi passati. Für schlechte Gedichte dagegen gibt es deutliche Anhaltspunkte: schiefe Bilder, ungenaue Sprache, Denk- und Sprachklischees, Bestätigung und Verdoppelung des Allzubekannten. Alarmsignale sind z.B. ungenaue Wie-Vergleiche, platte Metaphern, beliebige Zeilenbrechungen, Verbindungen von Abstraktem und Konkretem wie z.B. im Spinnennetz meines Vergessens, romantisierendes Poëteln besonders bei Liebesgedichten, ideologische Phrasendrescherei oder platte Nachahmung. Wer heute noch so dichtet wie der Freiherr Joseph von Eichendorff 1812, hat etwas Wesentliches in der Entwicklung der Welt verpasst.
* Das immer wieder Beeindruckende und Wunderbare an gelungenen Gedichten ist, dass sie mit den Mitteln der Sprache etwas ausdrücken, etwas formulieren können, was wir irgendwie eher vage und gefühlsmäßig geahnt haben, aber nie wirklich fassen, festhalten, uns bewusst machen konnten: ein Lebensgefühl, eine Zeitstimmung, einen komplexen Denkzusammenhang. Dass sie ein Bild oder einen Klang für das gefunden haben, was wir immer schon über die Welt wissen wollten, aber nie zu denken wagten.
* In und mit Gedichten können wir Erfahrungen machen, die möglicherweise in unseren Biographien so nicht vorkommen. Und: Gedichte sind unser Gedächtnis von Zeit; in ihnen sind Zeit und Epoche, Gegenwart und Jahrhundert aufgehoben. Ohne die Gedichte Bachmanns, Brodskys oder Brechts (um willkürlich drei Herrschaften mit B zu nennen), wüssten wir bedeutend weniger von unseren Furien, Ängsten, Schrecknissen und Lüsten, und noch viel weniger von denen unseres Jahrhunderts.
Was fällt in der blätternden Rückschau auf die 35 Jahrbücher zuallererst auf?
Sehr grob und sehr verallgemeinernd viererlei: Erstens die inhaltlichen Verschiebungen vom vornehmlich politisch orientierten zum sehr privaten Selbsterfahrungs-Gedicht in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre. Danach und bis heute eine allmähliche Entwicklung hin zu einer größeren thematischen und formalen Offenheit bei stetig wachsendem Misstrauen gegen alles Ideologische.
Zweitens wird sichtbar, wie viele in den ersten Jahrgängen des Jahrbuchs noch unbekannte Lyriker sich im Laufe der Zeit einen Namen gemacht und einen erkennbar eigenen Ton entwickelt haben.
Drittens wäre zu beweisen, dass in den letzten zwanzig Jahren die Kenntnis der großen Dichter-Vorgänger und die formale Vielfalt des Gedichts eher zugenommen haben. Vielleicht stimmt die Vermutung, dass, wer heute Gedichte schreiben will, diese wohl kaum ohne jede Kenntnis der lyrischen Traditionen „einfach so“ aus dem Ärmel schüttelt.
Und viertens, dass Gedichtbände mit einer verkauften Auflage von 1.500 Exemplaren heute eher die schöne Ausnahme sind denn die Regel. (Zum Vergleich: 1979, dem Erscheinungsjahr des ersten Jahrbuchs der Lyrik, erschien ebenfalls beim claassen Verlag in Düsseldorf Christoph Meckels Gedichtband Säure und fand innerhalb von sechs Monaten 22.000 Käufer.)
Das liegt woran?
Ein wesentlicher Grund für die schrumpfenden Lyrikregale in Buchhandel und Bibliotheken scheint mir (unter vielem anderen) das Verschwinden des Gedichts aus dem Schulunterricht. Die Deutschlehrer – wenn diese sträfliche Verallgemeinerung gestattet ist – haben’s in der Schule oder auf der Universität selber nicht mehr gelernt, mit Gedichten analytisch umzugehen und ihre Gedichtlektüre als Bereicherung der Einsichten in die Condition humaine zu erfahren. In Gesprächen mit Lehrerfreunden war auf Nachfrage immer wieder festzustellen: Lyrik im Unterricht ist ein Angstgegner. Es ist wie bei den Bach-Partiten für Violine solo oder Frank Zappas Shut Up ’N And Play Yer Guitar: wer sich nie die Zeit genommen hat, aufmerksam zuzuhören, der hört nicht das Wunder im Werk und schaltet ab.
Und noch ein Letztes, wobei wir endlich bei diesem 35. Jahrbuch der Lyrik angekommen wären: Wie bei fast allen Jahrbüchern haben die Herausgeber zu einzelnen Gedichten, die durch irgendeine Ungeschicklichkeit in Schieflage geraten, aber doch zu gut waren, um sie auf den Nein-Stapel zu legen, den Autoren konkrete Änderungsvorschläge gemacht. Bemerkenswert ist nun, dass alle Angeschriebenen unisono anmerkten, dass sie dieses genaue Eingehen auf ihre Gedichte auf Zeilenniveau deshalb als so bemerkens- und begrüßenswert empfanden, weil es in ihrem lyrischen Alltag schlichtweg nicht mehr vorkommt. „Ein Gespräch über die Feinheiten des lyrischen Handwerks findet nicht mehr statt.“
Ein Grund mehr, die zukünftigen Herausgeber des Jahrbuchs der Lyrik zu ermuntern, reparable kleine Ungeschicklichkeiten in ansonsten beeindruckenden Gedichten mit dem Autor oder der Autorin in ein paar freundlichen Zeilen unter die Lupe zu nehmen.
Und zum Schluss schwenkt unterzeichneter Herausgeber hier und jetzt den Hut zum Abschiedsgruße, dankt den Dichtern, Mitherausgebern, Verlagen und Lyriklesern, die diese 35 Bände möglich gemacht haben, für Enthusiasmus, Treue und Fachkunde, singt ein Loblied auf die Verlagskolleginnen – in diesem fünfunddreißigsten Fall auf die wunderbar umsichtige Jasmin Camenzind –, die, wie Mitherausgeber Thomas Rosenlöcher es ausdrückte, „wissen, wie man so einen Sack Flöhe hütet“, und grüßt die Freunde, die einen stillen Arbeitsraum für die Endauswahl zur Verfügung stellten – aktuell den Gedichte-Vielleser Rolf Kauffeldt in Düsseldorf.
Überaus gedeihlich war die Zusammenarbeit mit der diesjährigen Mitherausgeberin Carolin Callies, unsere Gespräche en détail waren stets bewusstseinserweiternd und erhellend. Danke!
Dem neuen „ständigen“ Mitherausgeber Matthias Kniep, der als Programm-Verantwortlicher beim Berliner Haus für Poesie das Genre und die Szene kennt wie kein zweiter, sei hiermit der Stafettenstab für die nächsten 35 Jahrbücher der Lyrik in die Hand gedrückt: Gutes Gelingen und: Viva la poesia!
Christoph Buchwald, Dezember 2020, Nachwort
schreitet das Jahrbuch der Lyrik alljährlich die poetischen Landschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz ab. Für die 35. Ausgabe konnte Christoph Buchwald die vielfach ausgezeichnete Lyrikerin Carolin Callies als Mitherausgeberin gewinnen. Gemeinsam haben sie aus den eingesandten Texten von über 600 Lyrikerinnen und Lyrikern, jungen und alten, bekannten und unbekannten, die besten Gedichte ausgewählt und in thematischen Kapiteln zusammengestellt. Die Dichterinnen und Dichter finden auch 2021 überraschende und eigensinnige Wege, die Natur zu beschreiben, den Blick in eine ungewisse Zukunft oder eine oft seltsam oszillierende Vergangenheit zu richten. Sie gedenken der Toten, der namenlosen und derer, die Vorbilder und Heldinnen waren. Wörter wie „lungenverzehrend“ oder „Seuchenzug“ haben Konjunktur in den diesjährigen Texten, das poetische Gegenwartssensorium ist hellwach.
Schöffling & C0., Klappentext, 2021
Das Jahrbuch 21 enthält wie auch seine Vorgänger eine ganze Reihe sehr spannender und interessanter Gedichte. Daher könnte man es als lohnend bezeichnen. Gleichzeitig klammert es ganze Bataillone von Lyriken komplett aus: Lyrik in einfacher Sprache, Politische Lyrik, Komische Lyrik, Sound Poesie, Lyrik in Zykluskontexten etc. Das Jahrbuch folgt stoisch seinem alt-überbrachten Konzept. Das kann man tun, vor allem wenn man es sich dank öffentlicher Fördergelder meint leisten zu können, auch wenn einem dabei schließlich kaum noch Lesende folgen. Der Titel des Buches ist denn aber doch ein kleiner Etikettenschwindel. Es handelt sich definitiv nicht um das „Jahrbuch DER Lyrik“. Es handelt sich um ein „Jahrbuch der quasi akademischen Lyrik unter gleichzeitigem Ausschluss anderer Lyriken“. Klingt weniger flott, wäre aber ehrlicher.
Thomas Groß: Callies und Buchwald geben Jahrbuch für Lyrik heraus
Mannheimer Morgen, 5.4.2021
Sebastian Weirauch: „Erst wo sich alles berührt, wird es genau“ ‒ Betrachtungen zum Jahrbuch der Lyrik 2021
signaturen-magazin.de
Achim Lettmann: 35. Jahrbuch der Lyrik: Herausgeber Christoph Buchwalds letzte Ausgabe
wa.de, 22.3.2021
Christoph Buchwald: Selbstgespräch, spät nachts. Über Gedichte, Lyrikjahrbuch, Grappa
Das Jahrbuch der Lyrik im 25. Jahr
Jahrbuch der Lyrik-Register aller Bände, Autoren und Gedichte 1979–2009
In der Zwischenzeit: Poesie – mit Carolin Callies.
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