Clemens Kuhnert: tina die teilzeitstewardess

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Clemens Kuhnert: tina die teilzeitstewardess

Kuhnert/Bohajedyn-tina die teilzeitstewardess

WELTRAUMSCHROTT

geortet vom strahl der radare,
empfangen von bodenstationen,
im abgleich der kräfte voraus-
berechnet die flugpositionen:

das werkzeug verloren im raum
beim richten der messinstrumente,
die stufen der trägerraketen
vom treibstoff in stücke zerfetzt,

missionen erinnert in trümmern,
die sonnensegel durchlöchern,
die wuchtvoll bei kollisionen
die kapselschalen zerbrechen.

und tonnen wiegen die schilde
zum schutz eines astronauten,
zum schutz eines kamerablicks,
versenkt in das strudeln der erde.

aus einer kurve geworfen
zuckt ein blitz und erlischt.
langsam verteilt sich der rauch
im dunstreif der atmosphäre.

 

 

 

Clemens Kuhnert (geb. 1965)

hat als Herausgeber der bundesweit erscheinenden Literaturzeitschrift lauter niemand in den letzten 13 Jahren hunderte von Gedichten gesichtet und ausgewählt, hatte aber nie den Ehrgeiz, eigene Texte für eine Publikation zusammenzustellen – hier nun ist sie:
Ein Debüt mit 33 Gedichten aus ca. 20 Jahren. Aufgeregtes und Unaufgeregtes, Lokales und Globales, alles formbewußt zusammengedrechselt und mit einem Schuß Neoexpressionismus durchlöchert. Ob Neuköllner Pflaster oder Weltraumschrott, nichts geschieht in diesen Texten ohne den Bezug zum Wir.

Distillery, Ankündigung, 2009

 

Wo Teilzeitstewardessen Döner essen

Clemens Kuhnert hat sich mit „tina“, der „teilzeitstewardess“, tief ins Whiskyglas vorangekämpft. Im „Freien Neukölln“ gehen fast die Lichter aus, da hebt der Meister an, erinnert eine nächtliche Begegnung in der „u-bahnbar“,

sie schnippt
die asche ins dunkel, bis ihr das licht
abteil für abteil ans schienbein drischt
.

Gegenüber schaufelt Stardöner müde im Salat:

der duft nach döner und nach warmem staub
weicht fischgerüchen aus den Hofeinfahrten,
durch gitterroste atmen schächte aus,
als ob kanäle aufs gewitter warten.

Stimmungsbilder, Polaroids aus einem Neuköllner Künstleralltag, unromantisch, da warten keine reichen Studentenpapis im Hinterhof, da riecht es nach Fisch. Man ist mit dem Amt verheiratet,

nahm das amt an, kein altar, doch bargeld
gegen formulare, keine ehe, eher ringkampf:
künstlerpech. nachträglich wird ein pflegeheim

mir sterbehilfe leisten, grund sich gleich mit klaren
kalt zu machen: diese runde zahl ich. trinkt,
meine brüder, wer wird ladenhütern trauen?

Harte Alliterationen, heißer Asphalt und kaltes, klares Wasser, Doppeldeutigkeiten zwischen Wohlstandsfantasien (welche wohlstandsdamen / werden ladenhüter trauen?), Ambivalenz zwischen bürgerlicher Partizipation und trotziger Resignation. Besser die Stellung halten, lieber „ladenhüter“ als korrumpiertes Andienen. Dazu eine Variation des besagten Nacktcovers: eine schäbige, rauchende Alte ganz im Stil von Bukowski (tolle Illustrationen von Tomasz Bohajedyn). Es ist durchaus eine gewisse Melancholie zu bemerken, die sich beim Lesen breitmacht, ein unaufdringliches Pathos, zum Beispiel die Frage: worauf es ankommt, / was wir hier machen. Die Antwort als ein schnell verglühtes Schulterzucken: (…) wir machen / was sonnen machen, / sonst machen wir nichts.

Daniel Ketteler, titel-magazin.de, 1.6.2009

Gedichte aus der Hauptstadt

Berlin, wird immer mehr zum Mekka der neuen deutschen Lyrik-Szene. Die Zeiten der apathischen Abgeklärtheit sind in der Hartz IV-Ära endgültig vorbei.
Berlin, die von Widersprüchen zerrissene Stadt, gibt den Ton an für eine schrille Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, die kein Blatt vor den Mund nimmt:

ich rate dir: zieh weg. hier wird nicht sommer
hier fällt es schwer zu atmen. alle straßen

sind hier eng. kaum ein geschäft, kein kind
das spielt, nur diese kneipe.

Im rührigen „Distillery Verlag“ des Kleinverlegers Alexander Krohn sind unter dem Titel tina die teilzeitstewardess 33 Gedichte des 1965 in Berlin geborenen Clemens Kuhnert erschienen.
Kuhnerts Verse verströmen die Energie der Metropole, knüpfen ganz bewußt an die Tradition des expressionistischen Stadtgedichts an:

was schrein
zikadengleich die sterne, rauscht die stadt
als schnitten flügel licht

Daneben finden sich aber auch Gedichte im Alltagston, die ganz realistisch den Geruch „nach döner und warmem staub“ heraufbeschwören. Der polnische Zeichner Tomasz Bohajedyn hat das schmale Bändchen wunderbar treffend illustriert.

Fitzgerald Kusz, Nürnberger Nachrichten, 20.7.2009

Wie die Sonne

Die Geschichte, die Herausgeber Alexander Krohn aus Clemens Kuhnerts Gedichten gemacht hat, beginnt intensiv, hart am Neuköllner Pflaster, das Kuhnert seit Jahren kennt.

es schwanken platten aus granit im netz
aus sandverfugtem pflaster, grauen wellen,
um sockel, masten, grüne inseln treiben
die kippen über teergeflickte stellen
.

Die doppelte Bedeutung, die die fließenden Zeilenübergänge der Enjambements offerieren, ist so wichtig wie die körnige Anschaulichkeit der Texte:

ich rate dir: zieh weg. hier wird nicht sommer
hier fällt es schwer zu atmen. alle straßen

sind hier eng. kaum ein geschäft, kein kind
das spielt, nur diese kneipe. früh am abend.

Geschrieben wohl gerade noch bevor Nord-Neukölln zum Trend-Bezirk wurde.

Kuhnert, 1965 geboren, ist im Berliner Lyrikbetrieb nicht ganz unbekannt. Als Mitbegründer der Literaturzeitschrift lauter niemand, in der in den vergangenen zwölf Jahren viele debütierten, hat er den Weg anderer begleitet, daneben ab und an in Zeitschriften veröffentlicht. Jetzt gibt es tina die teilzeitstewardess, ein erstes Bändchen mit eigenen Texten, dreiunddreißig, mal längeren, mal kurzen Gedichten, die der polnische Zeichner Tomasz Bohajedyn atmosphärisch genau und graphisch schön mit den Texten verflochten illustriert hat.
Manchmal spürt man das expressionistische Erbe („durch Gitterroste atmen Schächte aus“), gelegentlich überbordet Kuhnerts Liebe zur Alliteration, aber immer wieder liest man Gedichte, die beinahe klassisch lakonisch und darin schon wieder neu wirken:

worauf es ankommt,
was wir hier machen,

ist nicht unerschöpflich.

wir können nicht sagen,
dass wir es begreifen,
so wie wir die sachen
begreifen, wir machen

was sonnen machen,
sonst machen wir nichts

Hans-Peter Kunisch, Süddeutsche Zeitung, 27.1.2009

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

1 Antwort : Clemens Kuhnert: tina die teilzeitstewardess”

  1. Maria Larsson sagt:

    In „tina die teilzeitstewardess“ von Clemens Kuhnert wird einem unweigerlich ins Gedächtnis gerufen, wie man doch Berlin und das Leben darin sehen kann. Zwar nicht muss, aber kann. Und dieses „kann“ kann man ziemlich oft. Harte, direkte Worte, doch ganz melancholisch gemeint, wieder hart verpackt. Die Berliner Kotterschnauze. Die direkte Art seiner Beschreibungen, die auf den ersten Blick nicht ganz eindeutigen Zweideutigkeiten in vielen Gedichten dieses Bandes erinnern mich auch an mein Berlin.

    Dicke Luft, nach Gullideckel müffelnd und dieser heiße Hauch, der einem bei 38° im Schatten im Hochsommer an jeder Kreuzung liebevoll um die Nase weht. Und trotzdem kommt man nach dem Urlaub wieder gern in sein stinkendes Berlin. Die Melancholie, mit der man viele Berliner die Straßen entlang trotten sieht, mit mürrischen Blick, Augen halb geschlossen, aber eigentlich doch ganz in beschäftigte Gedanken versunken. In Kuhnerts Gedichten geht es nicht nur um Berlin, auch um Globales, um Wichtiges und um tiefgreifende Eindrücke, die der Tag hinterlässt. Aber wenn ich „Weltraumschrott“ lese, muss ich trotzdem wieder an die ewigen Berliner Baustellen denken. An die starren Gerüste vor jedem zweiten Altbau.

    Es sind viele Momentaufnahmen, die durch den Kopf wabern, wenn man einzelne Abschnitte liest. Einiges oft gesehen, manches nur vermutet, dennoch immer anwesend, wenn man es sich eingestehen will. Das Direkte spricht mich an. Diese Art, etwas zu sagen, was wichtig ist. Etwas was wir irgendwie doch alle kennen?

    Was mir jedoch noch unklar bleibt, ist das Covermotiv. Was will mir diese alte, rauchende Frau sagen? Ist sie besagte „tina“? Wenn ja, wo ist sie eine Teilzeitstewardess? Oder ist sie eine Verkörperung der Grundstimmung, die ich als eher traurig betrachte? Vielleicht ist sie aber auch die Frau vom Amt? Ach, ja… .Ich weiß. Ich kann sie mir doch regelrecht vorstellen, diese Begegnung. In der U-Bahn. Kurz, aber einprägsam:

    sie schnippt
    die asche ins dunkel, bis ihr das licht
    abteil für abteil ans schienbein drischt.

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