Constantin Virgil Bănescu: Der Hund, die Frau und die Liebäugler

Mashup von Juliane Duda zum Buch von Constantin Virgil Bănescu: Der Hund, die Frau und die Liebäugler

Bănescu-Der Hund, die Frau und die Liebäugler

KARTARI
(das glück hat mich im stich gelassen)

das glück hat mich im stich gelassen
ich selber werde abtrünnig

ich? wer soll das sein?
ich geh aufs klo ich sammle und ich lese bücher ich pflege
meine nostalgien schlafe nach dem mittagessen schreibe meine
träume auf höre Chopin wie Klaus Schulze und glaube damit
durch zu sein dann trink ich kaffee
wasch mir mit preiselbeergelee die hände und pflege mit honig die lippen
küsse den asphalt (was mir in der tat großen spaß macht und eine
reihe von erinnerungen dann verändert) betrete bahnhofshallen
verlasse bahnhofshallen schlafe ein wache auf liebkose diverse
körper verfüge über etliche verhaltensmuster
trage hosen mit schlag und blumen im haar

kurzum:
der alltag verhindert mein wandeln auf kosmischen pfaden

 

 

Constantin Virgil Bănescu 

Ein Jahr vor Oskar Pastiors Tod, im Sommer 2005, widmete der junge rumänische Dichter Constantin Virgil Bănescu diesem das Gedicht „der tag an dem ich sterben werde“. Es begann mit den Zeilen: „mit 23 Jahren habe ich / bis ich sterben werde nichts mehr zu schreiben // und heute ist leben // mein mund steht offen vor meinem sterbenden mund“, und es endete:

der tag an dem ich sterbe
ist noch ein tag im leben

Oskar Pastior hatte aus eigenem Antrieb zwei Gedichtbände des 1982 in der südrumänischen Provinzstadt Târgovişte geborenen Dichters übersetzt; ihn hatten der existentielle Ernst und die Entschiedenheit, mit der hier ein noch nicht einmal Zwanzigjähriger sich bedingungslos der Poesie verschrieben hatte, überzeugt und zu freundschaftlichem Beistand veranlaßt. Bobiţă, wie der Dichter von Freunden und Bekannten genannt wurde, dankte es ihm mit einem Gedicht, das sich als für beide Dichter prophetisch erweisen sollte. Oskar Pastior starb völlig unerwartet am 4. Oktober 2006 in Frankfurt am Main; Constantin Virgil Bănescus Todestag (der 12. August 2009) war jener Tag in seinem Leben, an dem er dieses selbsttätig beendete.

Bobiţă ist tot, er, der wie ein Feuerwerk in die Poesie eingezogen war, Bobiţă, der mit den Odaliskenaugen, er verzauberte das deutsche Publikum mit seiner Flöte, auf der er wie ein spielendes Kind heitere Melodien improvisierte, Bobiţă, der jedes Wort wie ein Gedicht durchlebte, der ehrlich war und artifiziell. Bobiţă, den diejenigen, die alles an ihren eigenen Begrenztheiten messen, bezichtigten, ein Hochstapler zu sein, Exhibitionist, ein großer Schmeichler; daß er sich den leichtgläubigen wie ein Ekzem in die Haut setze, daß er simuliere, ach, diejenigen, die alle nach ihrem Standardmaß beurteilen – man hüte sich vor solchen, die nicht an andere glauben!

Nora Iuga schrieb diese Sätze in einem ergreifenden Nachruf auf den jungen Kollegen; sie wußte, wie mißtrauisch der junge Dichter von der Mehrheit seiner Generationskollegen betrachtet worden war, sah doch das meiste, was diese in ihren Gedichtbänden zum Druck befördern ließen, neben den Gedichtbänden von Constantin Virgil Bănescu bestenfalls mittelmäßig aus.
Mit achtzehn Jahren hatte er den Band Câinele, femeia şi ocheada (Der Hund, die Frau und die Liebäugler) und mit zweiundzwanzig floarea cu o singură petală (die blüte mit dem einen kelchblatt) veröffentlicht, 2006 folgte der Band acelaşi cer ce nu e (der gleiche himmel, der nicht ist). Im Sommer 2003 wurde ihm für die ersten beiden Gedichtbände der Hermann Lenz-Förderpreis verliehen, für seinen Debütband hatte er den Preis der Bukarester Schriftstellervereinigung erhalten.
Der hier vorliegende Band versammelt die Gedichte der von Oskar Pastior in einer Folge und damit im gleichen Duktus übersetzten ersten beiden Gedichtbände von Constantin Virgil Bănescu, der dritte Band hatte Oskar Pastior nicht mehr erreicht. 

Ernest Wichner, Nachwort

 

Über dieses Buch

Es sind lakonische Texte mit scharf gefeilten Pointen, gestenreich, witzig und verstörend. Mit ihnen stellte sich ihr Autor in die Tradition der rumänischen Surrealisten, aber mitunter glaubt man auch den fröhlich-unglücklichen Catull herauszuhören oder den frechen Archilochos, der einer der ersten Dichter der westlichen Welt war. Als Bănescu sich 2009 das Leben nahm, widmete ihm Nora Iuga einen ergreifenden Nachruf. Oskar Pastiors Übersetzungen sind in den Jahren seit 2002 entstanden. In seiner Auswahl erscheint dieser Band in doppelter Weise postum.

Verlag Das Wunderhorn, Ankündigung

 

Das Unglück als Schreibantrieb

– Gerade 27 Jahre alt war der 1982 in Südrumänien geborene Constantin Virgil Bănescu als er sich 2009 das Leben nahm. Bis dahin aber hatte er schon drei Gedichtbände veröffentlicht, von denen der Büchnerpreisträger Oskar Pastior zwei ins Deutsche übersetzt hat. –

Es ist schwer, die Gedichte Constantin Virgil Bănescus nicht biografisch, nicht vom frühen Freitod des Autors her zu lesen. Aber was spricht auch dagegen? Manchmal eben hat die Literatur doch etwas mit dem Leben zu tun, mit dem individuellen Leben ihres Schöpfers. Sie ist dann nicht einfach nur Kunst – das ist sie im Falle von Der Hund, die Frau und die Liebäugler ohnehin – sie ist zugleich Lebensgeschichte, Lebensbericht, ist die in wenige Worte gekleidete Mitteilung von den Sehnsüchten und Ängsten des Menschen Bănescu:

dies da ist Haëla
welche hinfort leib & seele mir
zu tode quälen wird
berühren durfte ich sie schon
als ausgebuffter schwere- & gewissensnöter
habe ich ihr meinen ersten gedichtband versprochen
klar: schreiben würde ich ihn nicht
wenn ich glücklich wäre

Das Unglück als Schreibantrieb ist vor allem jenen bekannt, die über das Tagebuchschreiben nicht hinausgekommen sind. Für die Literatur braucht es einen stärkeren Beweggrund als die emotionale Rührung, braucht es einen Formwillen und die Fähigkeit, den Worten eine Art Allgemeingültigkeit zu verleihen. Der Leser muss die Gedanken und Gefühle nicht nur nachvollziehen, sondern auch als die seinen wiedererkennen können. Dieses Kunststück gelingt Bănescu, indem er als verbindendes Element zwischen dem Gedicht und seinem Leser den Humor einsetzt. So existenziell viele seiner Verse anmuten, so einfach sie auch geschrieben scheinen – leise Ironie durchzieht sie wie ein feiner Faden. Bănescu besitzt die Fähigkeit, von sich selbst abzusehen und den Leser mit einzubeziehen:

unter der haut verbirgt sich mein fleisch
ruhend sind mir im liegen
frauenkörper in den sinn gekommen
und wäre nichts mir in den sinn gekommen
so wären es doch frauenkörper
die mir nicht in den sinn gekommen wären

Die Liebe, die Sexualität, der Tod – dass sind die Themen Constantin Virgil Bănescus. Der Dichter hat sich nicht lange mit Nebensächlichkeiten aufgehalten, er ist gleich aufs Ganze gegangen, so spielerisch wie leidenschaftlich. Es war wohl diese Furchtlosigkeit, war der Furor, mit dem sich Bănescu in die Literatur geworfen hat, was Oskar Pastior an diesen Gedichten so fasziniert hat. Von der ersten Seite der Übersetzung an kann man diese Faszination nachvollziehen. Bănescus meist knappe, mit wenigen Worten auskommende Diktion wirkt nie bloß sentenzenhaft. Als wäre Der Hund, die Frau und die Liebäugler ein Haufen Kohlen, glüht jedes dieser kleinen, scheinbar schlichten Gedichte hell, kraftvoll, mitunter auch rätselhaft dunkel, strahlt dabei aber immer eine tiefe, menschliche Wärme aus. Kurz ist Bănescu auf der Welt gewesen, kurz und heftig hat er mit ihr gerungen, und kunstvoll hat er von diesem auch komischen Kampf Zeugnis abgelegt hat.

ich kann mir das zimmer mit dem lehnstuhl gut vorstellen
wo statt der fenster leiber sind
die sterben würden wenn man sie stieße
und ich kann sie stoßen
und ich stoße sie

Tobias Lehmkuhl, Deutschlandfunk, 2.5.2011

Witz und Wahn: Taghell erleuchtete Finsternis

Exzellente zeitgenössische Lyrik aus aller Welt präsentiert die Reihe P, eine neue Bibliothek moderner Poesie, die Joachim Sartorius, Hans Thill und Ernest Wichner herausgeben. Band 3 ist dem Rumänen Constantin Virgil Bănescu gewidmet, jenem Ausnahmedichter, der als Zehnjähriger seine ersten Verse auf Französisch schrieb, im Alter von achtzehn Jahren seinen ersten Lyrikband veröffentlichte und sich 2009 – erst siebenundzwanzigjährig – das Leben nahm. „Alles / wirklich alles / kehrt sich hierzulande gegen mich / wo der teufel seine schwarzen netze / so weiträumig auswirft / daß niemand mehr was sieht / in der taghell erleuchteten / finsternis“ heißt es in seinem Gedicht „finster wie der tag“. Auf andere Weise experimentell als die konstruktivistisch mit sprachlichen Kleinteilen jonglierende Anna Altschuk hält Bănescu seine Texte in der Schwebe. Ebenso berührend wie erschreckend, ebenso genial wie tragisch gibt sich Bănescu als baalsches Raubein, Weltenschöpfer und „Sphärenesser“. Im Zyklus „21 kurze gedichte ohne titel“ lässt er den Leser in eine Schachtel mit Überraschungen gucken, die vor allem aus Erkenntnissen bestehen:

deshalb essen wir sphären
um schweben zu können

Zwischen Wachen, Schlafen und Träumen entwirft Bănescu eine surrealistisch anmutende Welt aus absurd erscheinenden Räumen. Alltägliche Gegenstände erscheinen plastisch und klar als Sammlung von Kuriositäten. Den hellen Pol bilden die zärtlichen, sinnlichen, einer Gefährtin und der Natur zugewandten Gedichte. Außer bei dem in New Yorkshire geborenen Bürgerschreck Tim Turnbull gibt es gegenwärtig keinen, bei dem die Grenzen zwischen Provokation, Witz und Wahn so fließend sind wie bei Bănescu.

Dorothea von Törne, Die Welt, 11.12.2010

Traum und Fleisch 

– Wahnvorstellungen höheren Grades: Zu den Gedichten von Constantin Bănescu.

Die Literaturgeschichte kennt viele Jungverstorbene, doch der frühe Tod der Berühmten ist längst Teil ihres Mythos geworden. Wir akzeptieren ihn als unverzichtbaren Schluss der Erzählung, als die wir ihre Biografie zu lesen gewohnt sind.
Wie traurig aber macht es, von einem Zeitgenossen zu erfahren, der eben noch lebte und schrieb, ganz und gar nicht fiktiv und entrückt, und doch im Alter von nur 27 Jahren keine Alternative sah, als den Punkt selbst zu setzten. Constantin Virgil Bănescu, der im Zweitnamen den römischen Dichter trägt, der Dante in seiner Divina Commedia durch Hölle und Purgatorium bis hinauf zum Thron Gottes führt, begann sein Leben 1982 im Süden Rumäniens, in Targovite, und ließ es im Sommer 2009 freiwillig enden. „das sind wahnvorstellungen höheren grades die du hast / sei stolz / du siehst dinge die niemand sonst sieht / deine wahnvorstellungen sind von eines höheren grades ordnung“, lesen wir nun in einem seiner Texte, dessen Schlusszeilen angesichts der Tragödie geradezu prophetisch klingen:

um meine botenschuld nun vollends abzustatten
werde ich dir aber verraten dass diese wahnvorstellungen
dich töten werden

und mehr weiß ich nicht

Der Fatalismus, der aus diesen Zeilen spricht, ist längst nicht allen Gedichten Bănescus eigen, wohl aber eine Grundstimmung des Überdrusses, ob der Sprecher vor der Menge in sich selbst erschrickt oder bekennt, dass er eigentlich ganz gut auf sich selbst verzichten könnte, ein Gefühl der Ausweglosigkeit:

meine seele
weiß nicht wohin
und auch nicht
dass sie nirgend hinkann

Zwei Wörter sind es, die dabei immer wiederkehren, die gemeinsam das zentrale Begriffspaar von Bănescus Poesie bilden: Auf der einen Seite der Traum, auf der anderen das Fleisch, „diese krankheit“, wie Bănescu schreibt, das Fleischliche an sich, also „das bisschen leib / das du in obhut hast“. Es wird übel malträtiert, ob Wangen in Fetzen gerissen oder Zähne ausgeschlagen, ob in einer Selbstverstümmelungsphantasie Haut und Fleisch von den Händen und von der Brust entfernt oder einem Hund die Zähne gezogen und die Krallen ausgerissen werden, bis der so grausam Misshandelte ganz und gar wehrlos ist:

die augen hab ich ihm darum gelassen:
zusehn soll er
und nicht können soll er

Heilsam wirken kann da nur der Traum, und nicht umsonst tragen gleich eine ganze Reihe von Gedichten das Sanskritwort „swapna“ im Titel, was sich mit „Traumzustand“ übersetzen ließe. Auch die Bilder, die Logik erscheinen oft traumgleich, ja viele der Gedichte wirken wie äußerst knapp geratene Traumprotokolle. Dass an einer Stelle die „malerei der surrealisten“ angerufen wird, ist folglich kein Zufall, und zweifellos hätte auch André Breton seine Freude gehabt an den oft überraschenden Anfangszeilen Bănescus („zu der zeit als ich frauenkleider trug / trank ich viel tee“), am gequälten Witz und an den scharfgestellten, präzisen Details:

das licht wacht noch über
den letzten mistkäfer der
über die rüstung des jungen
besiegten am feldrand kriecht

Wunderbar auch, wie Bănescu ein Paar nach einer Liebesnacht in einem Unterstand im Wald „am morgen herabsteigen / und beim heuwenden helfen“ lässt. Zwar ist nicht alles gleichermaßen überzeugend, scheint einiges mehr notiert als gestaltet, mehr hingeworfen als ausgearbeitet zu sein. In ihren besten Momenten aber erzeugt Bănescus Lyrik mit ihrem saloppen Ton, der sich mit dem bitteren Ernst seiner Weltsicht verbindet, schöne Effekte („auf einmal sind / holterdiepolter / bereits zwanzig jahre / durch mich gerollt“), entstehen famose Miniaturgrotesken und Gedankenspiele.

ruhend sind mir im liegen
frauenkörper in den sinn gekommen
und wäre nichts mir in den sinn gekommen
so wären es doch frauenkörper
die mir nicht in den sinn gekommen wären

Das ist von großem Charme und vielleicht das schönste in einer ganzen Serie von kurzen Gedichten mit dem Titel „liebäugler“. Dicht gefolgt freilich von einer zwingend absurden Beobachtung Bănescus:

ich würde gern mein
linkes bein um einen fuß
erweitern – wäre es mir
nicht so lästig
fünfzehn nägel zu schneiden

Das schöne Wort „Liebäugler“ schmückt auch den Titel des ersten der drei Gedichtbände, die Bănescu veröffentlichen konnte: Der Hund, die Frau und die Liebäugler erschien, als der Autor gerade rimbaudsche achtzehn Jahre alt war, gefolgt von die blüte mit dem einen kelchblatt – zwei Bücher, die nicht nur die Aufmerksamkeit der literarischen Szene Rumäniens erregten, sondern auch die Oskar Pastiors. Der nahm sich der Verse an und übersetzte sie ins Deutsche.

Jan Wagner, Frankfurter Rundschau, 19.1.2011/23.1.2019

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Kalliope
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Constantin Virgil Bănescu liest im Mai 2009, während des Kolloquiums für junge Schriftsteller in Alba-Iulia.

 

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shi 詩 yan 言 kou 口

 

Oskarine ist ein Gedicht-Generator von Ulrike Gabriel, der auf den Gedichten von Oskar Pastior basiert. Jedes Gedicht spricht sich selbst – immer neu und mit der Dichter-Stimme.

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