Corinna Jäger-Trees: Zu Erika Burkarts Gedicht „Vogel. Ein Dank“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Erika Burkarts Gedicht „Vogel. Ein Dank“ aus Erika Burkart: Geheimbrief. –

 

 

 

 

ERIKA BURKART

Vogel. Ein Dank

Unsichtbar anwesend flugs anderswosein,
lernte ich, Vogel, von dir,
lernte sehn
das offene Blau, das sehnliche Rot,
die fahlschwarze Ballung
Apokalypse im weissen Licht.
Meine Seele gab ich dir mit,
folgst du am Fenster vorbei,
Vogel, Gedanke,
Der mit Federn in Luft schreibt,
auf Schwingen Schimmer
und Schatten wiegt,
fliegend zeichnet
und ausmisst,
wofür mir das Wort fehlt.

 

Notiert, korrigiert, verworfen, überschrieben, getilgt

Wie finden sich die richtigen Worte für ein Gefühl? Erika Burkarts Manuskript zum Gedicht „Vogel. Ein Dank“ spiegelt den Schaffensprozess der Dichterin.

Auf den Hügeln stand das Haus im Schnittpunkt von zweimal vier Winden. Zum Haus gehörten einige Hektar Himmel und Erde, ein Sternbild, ein Garten und eine Strasse, auf der man zum Tor in der Mauer und am Tor vorbei überallhin gelangte. Wer eintrat, sah die Blätter mit Eigenlicht leuchten, in die diamantene Ruhe senkten sich Vögel herab.

Mit ein paar literarischen Pinselstrichen macht Erika Burkart im Roman Moräne (1970) ihr Lebenszentrum Haus Kapf, Sommerresidenz der Äbte von Muri, von einem räumlichen zu einem poetischen Kosmos, dessen einzige Bewohner Vögel sind. Ihre Präsenz zieht sich wie ein roter Faden durch Burkarts Werk hindurch. Im Gedicht „Vogel. Ein Dank“ erhält der Luftbewohner eine besondere Bedeutung. Die Lektüre des stark bearbeiteten Manuskriptes ist eine Herausforderung. Lieber hält man sich an den gedruckten Text aus der Gedichtsammlung Geheimbrief (2009).

Der Vogel steht in diesem Gedicht für den poetischen Schaffensprozess. Er lehrt die Sicht auf eine kontrastreiche Welt, steht für Gedanken, Kreativität und Fantasie, er schreibt in die Luft und misst das aus, wofür der Dichterin das Wort fehlt. Im Vogelflug werden das noch ungeformte Wort und die Suche danach in ein Bild gefasst.
Textinhalt und Manuskriptbild spiegeln sich in diesem Dokument auf eindrückliche Weise: Die grosse Anstrengung wird deutlich, einen Gedanken, ein Gefühl in das richtige Wort zu bannen. Erika Burkart fallen die Sätze nicht zu, um jedes Wort muss sie ringen. Das Manuskriptblatt ist nicht reinlich beschrieben, sondern weist Streichungen, Verweise, Überschreibungen, Verschiebungen der Zeilen und Strophen auf – bis an die Grenze der Lesbarkeit.
In den späteren Gedichtsammlungen wird die Bedeutung der leichten Wesen der Lüfte komplexer. So herrscht in einem von Vögeln unbevölkerten Raum existenzielle Leere und Einsamkeit („Königskinder“); Vögel erweitern den Raum („Leid“), sie machen den Himmel erst sichtbar, sind Boten des Himmels und stehen ausserdem für die Sehnsucht danach („Nachschauen“). Im Gedicht „Abflug der Stare“ stehen sie für eine Existenzform ausserhalb des Erdenlebens:

Ich, atemberaubt,
schau ihnen nach,
[…]
indes sie, aus den Augen,
nicht mehr von dieser
Erde sind.

Zunehmend fungieren in den letzten Sammlungen schwarze Vögel als Todesboten, so im Gedicht „Nachtvogel“:

Wie ist mir bang
wenn der Nachtvogel schreit,
[…]
es ist der Empfang
im fahlen Schein
der andern Welt.

Der Tod wird jedoch durch das Wort zurückgedrängt, erst das Verstummen der Dichtersprache wird zum Tod führen – ein ungeheures Vertrauen manifestiert sich hier in die lebenserhaltende Macht des Wortes:

Meister:
Rühr mich nicht an,
[…]
noch kann ich klagen,
das Schweigen befragen,
[…]
noch darf ich worten
aus meinem verlorenen, nackten Gesicht
. („Der Tod und die Frau“, in: Das späte Erkennen der Zeichen, 2010)

Corinna Jäger-Trees, Der Bund, 19.10.2020

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