Buckingham Palace muss die Schwangerschaft der Prinzengattin Kate bereits in der achten Woche bekanntgeben, nachdem die werdende Mutter wegen gravierender Beschwerden hospitalisiert wurde. Seither beherrscht das Thema die britischen Medien, die Frontseiten der Qualitäts- wie der Gratispresse. Man berechnet, unter Beiziehung von Gynäkologen und Hochadelsexperten – den Tag und den Ort der Zeugung. Man wettet auf die Geburt eines Mädchens oder eines Jungen. Man wettet auch auf den künftigen Namen des Kinds. Man wettet und jubelt. »Man« ist das Volk. »Man« ist die Welt. Man ist im 21. Jahrhundert angekommen. Ist man ins 21. Jahrhundert zurückgefallen? – Die sexuell stärkste, erotisch einprägsamste Pornoszene, die mir aus dem Kino in Erinnerung bleibt, dürfte auf die späten 1970er oder frühen 1980er Jahre zu datieren sein. Der Titel des Films ist mir ebenso entfallen wie der Name der Regisseurin, die das Drehbuch geschrieben hat und auch die Hauptrolle spielt – im Internet kann ich dazu keine Angaben oder auch bloß Hinweise finden. Ich weiß nur, dass die Protagonistin denselben Namen trägt wie die Regisseurin und Darstellerin, Anne-Marie, vielleicht auch Marie-Anne. Das Setting ist sehr karg, gefilmt wird in Schwarzweiß, alles spielt sich in einem schlichten Gastzimmer ab – alles, das ist im Wesentlichen das Schweigen der unscheinbaren, vielleicht dreißig-, fünfunddreißigjährigen Frau, die sich in dem Zimmer umtut, gelegentlich zu sich selbst oder zu ihrem Spiegelbild an der Wand gegenüber dem Doppelbett spricht. Die Frau hat kein Gepäck dabei, steht lange Zeit im Regenmantel zwischen Spiegel und Bett, nestelt am Gürtel, zieht die Schuhe aus, knöpft den Mantel auf, knöpft ihn wieder zu, sagt hin und wieder ein Wort, einen halben Satz, einen Namen, zeigt keinerlei Emotionen, gibt nur ihre Nachdenklichkeit, ihre Zweifel, ihr Zögern zu erkennen. Die Kamera scheint über dem Kopfende des Betts fest installiert zu sein, sie schwenkt nicht, beschränkt sich auf wenige langsame Zoombewegungen. Die ereignislose Eingangssequenz dauert wohl zehn, zwölf Minuten; nichts geschieht, nur die Dämmerung fällt allmählich ein. Die Frau setzt sich auf den Bettrand, öffnet mit einer erschreckend plötzlichen Geste den Stoffgürtel ihres Mantels, dann von unten nach oben dessen Knöpfe, während sie sich gleichzeitig schräg nach hinten aufs Bett fallen lässt. Dabei trennen sich die Mantelschöße, man sieht, dass die Frau den Mantel auf der nackten Haut trägt, ohne BH, ohne Slip, ohne Strümpfe, ohne Schmuck. So bleibt sie eine Weile entspannt liegen, bewegt nur lautlos die Lippen, legt die linke Hand auf die Leiste zwischen Schenkel und Scham, wippt leicht auf und ab, indem sie rhythmisch ein paarmal ihren Hintern zusammenkneift. Oft ist ein Körper ohne Blick, so auch dieser, und bleibt offen für jeden Namen, während die Finsternis wächst und das Gesicht abnimmt. Die Kamera zeigt über Kopf in starker Verkürzung nur einen Teil ihrer Stirn mit den Brauen und Wimpern, die Nasenspitze, das Kinn und weiter nach unten, in der Optik stark deformiert, die kleinen auseinander strebenden Brüste und dazwischen, in der obern Bildhälfte nur noch als schmale pelzige Naht zu erkennen, das schwarze Geschlecht. Man hört, dass … man erschrickt, als unerwartet die Tür geöffnet wird, man sieht, wie die Frau sofort ihre Knie hochnimmt und sie gleichzeitig auseinanderfallen lässt. Die Frau sieht an sich hinunter, sieht genau das, was wir als Zuschauer ebenfalls zu sehen bekommen – ein verwirrliches, perspektivisch verzerrtes Durcheinander, Ineinander, Nebeneinander von Körperteilen, die jetzt nur noch in extremer Verkürzung und in kaum differenzierten Grautönen wahrnehmbar sind. Der Nasenrücken und der rechte Nasenflügel. Der Lippenwulst und das schmale darunter vorspringende Kinn. Die rechte Ellenbogenbeuge, darin die dunkle Brustspitze. Am linken und rechten Bildrand je ein stark abgewinkeltes Knie, dazu die Innenlinie der an den Schenkel gedrückten Wade. Die überm Geschlecht gefaltete Bauchwand mit dem winzigen Nabel und dann – jetzt – das zwischen die Beine gesenkte Gesicht, ein fast kahler, matt schimmernder Schädel, auf dem sich schwach die Scheitelnaht abzeichnet. Der Hinterkopf des Manns ist im Spiegel zu sehen, der mir gegenüber … der dem Betrachter gegenüber aufgehängt ist, ein gewöhnlicher randloser Hotelspiegel mit Spuren von Fliegendreck und Blütenstaub – auf geblümter Tapetenwand ein Jedermannsspiegel, in dem bald der Nacken des Manns, bald die Stirn und der Haaransatz der Frau zu sehen sind. Die beiden Gesichter scheinen sich in der Tiefe des Spiegels aneinander zu reiben, sich zu kosen, doch wenn nun die Augen des Manns über den Pelzhügel zwischen den geöffneten Schenkeln heraufblicken, wird klar, dass er mit seiner Zunge in ihrer Vulva ist. Die Frau lässt ihn schweigend gewähren, ein wenig hilft sie mit gespreizten Fingern nach, dann setzt sie sich leicht auf, beugt sich vor, fasst ihn unter die Achseln, zieht ihn mit beiden Händen zu sich hoch, und während er über sie kommt und ihre Knie links und rechts aus dem Bild kippen, überzieht ein dichtes Grau die Leinwand, verdunkelt sich bis zur vollkommenen, nur von vereinzelten Lichtspritzern geritzten Schwärze – ein langer Abspann, währenddessen hin und wieder ein Flüstern, ein Rascheln, ein leises Schmatzen, ein paar hastige Atemzüge zu hören sind und dann, zuletzt, der Schrei, mit dem die beiden sich voneinander freimachen. (Ich habe den Film in einer Mitternachtssession der Cinémathèque de France am Trocadéro in Paris gesehen. Die Vorführung dauerte eine knappe Stunde, die schwarze Schlusssequenz zehn Minuten, wenn nicht gar eine Viertelstunde – eine gefühlte … eine kleine Ewigkeit.) – Das war heute, exklusiv für 3sat, »einer der selten gewordenen TV-Auftritte des Schriftstellers Peter Handke«. Handke, zu einem mürrischen Greis mutiert, versucht sich am stillen Örtchen. Versucht sich. Versucht das Klo zur Eremitei aufzuwerten, zu einem peripheren Ort der Besinnung, an dem er überm eigenen Mist aufblühen kann. Handke spricht tastend, suchend, hält den Blick gesenkt, Hals und Wangen bilden beim Sprechen eine Vielzahl von unmerklich zuckenden Falten [bricht ab]
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