7. Januar

Ich bin keine Very Important Person, habe auch keinen Presseausweis, muss also wie alle andern kulturinteressierten Normalverbraucher vor dem Musée du Louvre in Paris anstehen … fast anderthalb Stunden verbringe ich unter böigem Nieselregen in der stockenden Doppelkolonne, bis ich den Zugang zur Sonderausstellung erreiche, die Umberto Eco für das Museum unter dem Titel ›Vertiges de la liste‹ konzipiert hat. Listentaumel! Die Ausstellung selbst stellt eine Art von Liste dar, die abzuschreiten durchaus zu einem Taumel führen kann. Dass die Liste, zumindest im Deutschen, lautlich mit der List korrespondiert, hat durchaus seine Richtigkeit, auch wenn diese Richtigkeit vom Zufall der alphabetischen Nachbarschaft im Wörterbuch bestimmt ist. Das Wörterbuch seinerseits ist ebenfalls eine Liste … ist eine Liste besonderer, wenn auch nicht mehr besonders auffallender Art, eine Begriffsreihung nämlich, die bei strenger formaler Fügung ein arationales, geradezu chaotisches Nebeneinander von nicht zusammengehörigen und sogar gegensätzlichen Elementen erzwingt. So wie die Liste neben die List zu stehen kommt, können im Wörterverzeichnis auch Herr und Herz, Rache und Rachen, Auto und Autor, das Omelett und das Omen aufeinandertreffen. Was Eco für seine Schau aus dem Fundus des Louvre an Bildern und Texten synthetisiert, ist von staunenswerter Vielfalt … ist eine Ansammlung von disparaten Exponaten, die sich optisch, materiell, formal, funktional je einzeln klar unterscheiden und die gleichzeitig, bedingt durch das Ordnungsprinzip (Klassifikation) und die Nutzanwendung der jeweiligen Liste (Inventar, Triage, Prioritäten usf.) vereinigt werden. Eine Liste besonderer Art ist das Alphabet beziehungsweise sind alphabetisch geordnete Nachschlagewerke wie Wörterbücher, Lexika, Inventare usf. Doch die scheinbare Ordnung und Übersichtlichkeit solcher Auflistungen steht in eklatantem Widerspruch zu dem, was sie im alphabetischen Neben- und Nacheinander auf der Bedeutungsebene zusammenführen. Was haben, beispielshalber, Schiften, Schiftung, Schigatse, Schiiten, Schikane, Schikaneder, Schikarpur und Schild – eine Begriffs- und Namensfolge, die ich einem alten Handlexikon entnehme – miteinander zu schaffen? Zusammengehörig sind sie einzig aufgrund ihrer Abfolge, die durch das Alphabet bestimmt ist, in diesem Fall bis zum siebten Buchstaben innerhalb eines Worts. Der formale Rigorismus steht zum Inhalt dessen, was er auf die Reihe bringt, in offenem Gegensatz. Man könnte das wohlgeordnete Wörterbuch unter diesem Gesichtspunkt als einen absurden, in sich völlig inkohärenten Text begreifen, so wie man jeden Text als ein chaotisiertes Wörterbuch begreifen könnte. Dieses hat seine buchstäbliche (alphabetische) »Richtigkeit«, jener ist auch unabhängig vom Ordnungsprinzip des Alphabets »richtig«.

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