− Zu Karl Krolows Gedicht „Verlassene Küste“ aus dem Gedichtband Karl Krolow: Die Zeichen der Welt. −
KARL KROLOW
Verlassene Küste
Segelschiffe und Gelächter,
Das wie Gold im Barte steht,
Sind vergangen wie ein schlechter
Atem, der vom Munde weht.
Wie ein Schatten auf der Mauer,
Der den Kalk zu Staub zerfrißt.
Unauflöslich bleibt die Trauer,
Die aus schwarzem Honig ist.
Duftend in das Licht gehangen,
Feucht wie frischer Vogelkot
Und den heißen Ziegelwangen
Auferlegt als leichter Tod.
Kartenschlagende Matrosen
Sind in ihrem Fleisch allein.
Tabak rieselt durch die losen
Augenlider in sie ein.
Ihre Messer, die sie warfen
Nach dem blauen Vorhang Nacht,
Wurden schartig in dem scharfen
Wind der Ewigkeit, der wacht.
Krolows Lied „Verlassene Küste“ ist nach dem einfachen Reimschema a·b·a·b gedichtet, jede Zeile ohne Auftakt vierhebig. Es ist klassische Liedform, als Form unserm deutschen Ohr die vertrauteste. Ein fünfstrophiges Gedicht; je öfter man es liest und verstehen möchte, desto merkwürdiger scheinen Machart und Aussage. Was eingeht, ist ein suggestiver Ton. Er wird dem festen Rahmen verdankt, dem Rhythmus, dem Reim, der Taktzahl. Die Bündigkeit ist aber trügerisch, denn die Romantiker, welche diesen Ton dem Volkslied entnahmen, wirken gegen Krolow schlicht, unraffiniert, ruhig. Man kommt nicht auf den Gedanken, dies Lied Krolows sei sangbar. Es steht in dem Band Die Zeichen der Welt. Ist es ein Zeichen – warum und wovon? Was für eine Welt wird durch dies Gedicht mit bezeichnet?
„Segelschiffe und Gelächter sind vergangen“ – das entspricht dem Titel „Verlassene Küste“. Gleich aber wird der Satz, hinter „Gelächter“,unterbrochen von einem Relativsatz, der sich nur auf das eine der beiden koordinierten Subjekte des Hauptsatzes bezieht. Wenn vom Gelächter gesagt wird, es stehe wie Gold im Barte, so wird etwas Fremdes herbeigezwungen. Der Vergleich „wie Gold im Barte“, Anschaubares gesagt von etwas Akustischem, dem Gelächter, entläßt den Leser auf eine schwierige Suche nach dem tertium comparationis, und diese Schwierigkeit ist gewollt. Hinzukommt, daß vom Gelächter gesagt wird, es „stehe“ wie Gold im Barte. Über dies Stehen kommt man schwer hinweg. „Wie ein schlechter Atem“ vom Munde – offenbar ist mit dem unappetitlichen Bild mehr gemeint als das Momentane, das im Atem liegt, als ob eben erst die Segelschiffe und das Gelächter vergangen seien. Der gute Atem vergeht ja nicht minder als der schlechte. Was soll dies „schlechter Atem“? Er gibt einen Reim zu „Gelächter“; vorläufig ist nichts Böses gemeint, denn grammatisch parallel dem „schlechten Atem“ ist der „Schatten auf der Mauer“. Atem und Schatten sind die uralten Metaphern des Flüchtigen, nahezu Nichtigen. Ein dritter Relativsatz erläutert den Schatten: „der den Kalk zu Staub zerfrißt“. Physikalisch stimmt das nicht, aber so ist es auch kaum gemeint, sondern man muß die gemeinsame Intention der drei auffallenden Glieder sehen: schlechter Atem, Schatten und „Kalk zu Staub zerfrißt“. Krolow sucht Korrelate der Vergänglichkeit und Verlassenheit, der tödlichen Einsamkeit, der Trauer, des Abscheus – und das erreichen diese drei weder grammatisch noch bildhaft stimmenden Störungen des Lesers. Die Absicht wird deutlicher.
Die nächste Zeile bestätigt, daß die Trauer unauflöslich bleibe. Wieder hakt ein Relativsatz ein: „die aus schwarzem Honig ist“. Da streiten sich die Begriffe, sie verwirren. Spielt Krolow, ein poeta doctus, auf ein Lied Walthers von der Vogelweide an, wo auch vom Honig die Rede ist? Zugleich enthält der Satz einen Widerspruch gegen die Chemie: eine Trauer, die aus schwarzem Honig ist, kann man nur ironischwitzig als unauflöslich bezeichnen, denn was löst sich leichter auf als Honig? Also schwarzer Honig ist es, ekliger, widerlicher Honig.
Der nächste Vers glossiert die Trauer des Dichters mit ironischen Gegenbegriffen: duftend – Vogelkot. Den fiebrig roten „(heißen Ziegel-)Wangen auferlegt als leichter Tod“ heißt: der Dichter fühlt seine Wangen trocken wie Stein, porös gebrannt vom Schmerz. Die letzte Zeile spielt mit der Vorstellung der mondänen Frau, welche beim Schminken ein (Ziegel-)Rot auf ihre Wangen legt. Der Dichter meint: er schminkt sich mit der Trauer wie zum Tod. Es ist Kierkegaards Krankheit zum Tode, die Verzweiflung. Aber warum ist der Tod „leicht“? Ist es ein Traum- oder Rauschtod?
Da tauchen kartenschlagende Matrosen auf, offenbar aus der Erinnerung beim Anblick der verlassenen Küste aufsfteigend. Eine Aussage über die Seinsweise der Matrosen: Sie „sind in ihrem Fleisch allein“. Das könnte fast theologisch gemeint sein, ists aber kaum trotz dem biblischen Anklang im „Fleisch“, denn „Tabak rieselt durch die losen Augenlider in sie ein“. Die Wirklichkeiten rinnen dem Dichter übereinander. Bilder und Vorstellungen sind zerbröckelt, durch Assoziationen ersetzt. Der Verlust der Wirklichkeit, der Anlaß der Trauer, ist unerträglich, der Dichter ist dahin geflüchtet, wo er einen „leichten Tod“ findet, in die angenehme Euphorie der Drogen und Narkotika, gleich den von ihm studierten und übersetzten Franzosen des XIX. Jahrhunderts. Nun folgt der Abgesang wie eine Elegie; der Dichter ist im Reich seiner Imagination, denn kein lebender Matrose hat sein Messer nach „dem blauen Vorhang Nacht“ geworfen. Was er sieht, der Dichter, ist das Sinnbild. So wie (oder weil?) die Messer schartig wurden an dem unerträglich scharfen Wind der Ewigkeit, hat ihn die Trauer überkommen. Noch ist etwas da, das wacht, unfaßbare Transzendenz, aber der Dichter verhüllt sich vor Schmerz.
Man versteht nun die simple und doch raffiniert gefüllte Form des Gedichts besser. Die Form ist das Gespenst einer Welt, die für Krolow anders artikuliert als für jene, welche diese Form einst liedhaft oder locker benützten. Schon der auf taktlose Zeilenbeginn ist hart. Die Reime, ursprünglich klangliche Entsprechung einer verbindlichen Welt, wirken wie ergrübelte Reflexe. Die zerfahrene Syntax spiegelt die Gereiztheit. So ergibt sich ein Feld von Spannungen und Dissonanzen: es macht den nervösen Reiz der Krolowschen Lyrik aus.
Curt Hohoff, aus: Curt Hohoff: Geist und Ursprung, Ehrenwirth Verlag, 1954
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