V
WENN DU AUF ANGENEHME WEISE VERRÜCKT
aaaaaWIRST
Wenn du auf dein wohlgefälliges Äußeres verzichtest
aaaaaund verrückt wirst
Wenn sich der Engel neben dir auf die Bank setzt
Aufhört zu zittern und zu weinen beginnt:
„Mein Herr auch ich hatte ein Liebesabenteuer
Auch ich bin herabgestiegen ins Blattwerk dieses Baumes hier
Und habe mit ein paar Freunden Engelsmusik gemacht
Bis ich eines Nachts (heute nacht) SIE gesehen habe
In Begleitung einiger Dummköpfe
Mein Herr “ sagt er „vielleicht haben Sie eine Bekannte
Die wir anrufen und der wir schräge Dinge sagen könnten
Der wir beispielsweise sagen könnten Ich hatte ein Büchlein
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaamit weichselrotem Deckel
Aber das ist mir egal und die dann alles gleich verseht
Wenn sie morgen zur Arbeit rennt und plötzlich erleuchtet feststellt
Daß ich ein Büchlein mit weichselrotem Deckel hatte
Und daß ich Sie gesehen habe eines Nachts (heute nacht)
In Begleitung einiger Dummköpfe“
Der Dichter Daniel Bănulescu und sein Übersetzer Ernest Wichner erhalten im Jahr 2005 den Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie.
In der jüngeren Literaturgeschichte der poetischen Ketzerei nimmt der rumänische Lyriker Daniel Bănulescu eine herausragende Stellung ein. Als begnadeter ästhetischer Provokateur, der seine Häresien in Artistik zu verwandeln versteht, hat Bănulescu bereits zu Zeiten der finsteren Diktatur Nicolae Ceauşescus die rumänische Literatur mit frivolen Versen aufgeschreckt.
Das lyrische Alter Ego dieses Dichters sucht stets die Verbindung von Schönheit und Schock und stellt sich demonstrativ in die Tradition eines radikal amoralischen Ästhetizismus. Wenn der Autor in einer seiner bislang sechs Gedichtsammlungen Die Republik Daniel Bănulescu ausruft, dann zersetzt er gleichzeitig das Fundament dieser Republik durch Ironie.
Bănulescus Republik wird regiert von einem verzweifelten Traditionszertrümmerer, der sich mit der Attitüde des vitalistischen Kraftprotzes maskiert. Dieses Ich, das so großspurig seine „Konvulsionen“ besingt, ist in Wahrheit zerrissen von Schwächegefühlen und von der Empfindung der eigenen Kläglichkeit. Die vordergründig sexuellen Imaginationen gelten meist einem politischen Körper: dem repressiven Staatsapparat, der das freiheitsliebende Subjekt vergewaltigt. In der bizarren poetischen Republik des Daniel Bănulescu treffen also zwei gegensätzliche Kräfte aufeinander: der Wutschrei der Revolte und die boshafte Selbstironie. Jedes Gedicht definiert diese Kräfteverhältnisse neu – und setzt damit eine in der europäischen Lyrik einzigartige rebellische Energie frei.
Der Dichter und Übersetzer Ernest Wichner ermöglicht dem deutschen Publikum seit vielen Jahren mit kongenialen Übertragungen faszinierende Einblicke in die bedeutendsten Werke der modernen rumänischen Literatur. In seiner Übersetzung des preisgekrönten Bănulescu-Auswahlbands Schrumpeln wirst du wirst eine exotische Frucht sein hat er auch gerade jene subtilen Ambivalenzen und semantischen Mehrdeutigkeiten ins Deutsche gebracht, mit denen sich die ketzerische Poesie des „Wüterichs“ der Eindimensionalität des bloß Provokativen entwindet.
Urs Allemann, Renate Birkenhauer, Michael Braun, Joachim Sartorius, Norbert Wehr
− Ernest Wichner übersetzt Daniel Bǎnulescu.
Laudatio von Jörg Drews auf Daniel Bǎnulescu und Ernest Wichner. −
Manche meinen bekanntlich, das ganze Unglück habe mit der babylonischen Sprachverwirrung angefangen und die Verschiedenheit der Sprachen sei also eine Strafe. Denkt man an die Nicht-Übersetzbarkeit von welthistorisch ganz entscheidenden Wendungen – das blutigste Beispiel hierfür kommt gleich −, so muß man wohl der negativen Wertung der Sprachverwirrtheit – freundlicher ausgedrückt: der Sprachenvielfalt- beipflichten, insbesondere dass das Pfingstwunder – nämlich die Ausgießung von alle Menschen versöhnender Sprachkompetenz – offenbar auch nicht sehr viel genutzt und nur punktuellen Effekt hatte. Denn kurz vorher waren Christus zwei höchst zweideutige Formulierungen unterlaufen. Die eine war ein fauler Witz, indem er nämlich dem Jünger Petrus – was der Steinerne heißt – verhieß, daß er, Christus, auf diesen „Felsen“ seine Kirche bauen wolle. Mit Namen macht man eigentlich keine Späße, aber Christus tat’s doch: er machte aus einem Kalauer einen konstruktiven Spaß. Das mag ja noch angehen, obwohl man sich beim Weltenerlöser eine Neigung zu Wortspielen eigentlich schlecht vorstellen kann; fataler aber waren bekanntlich die Einsetzungsworte für das Abendmahl. Die wurden vom Nazarener wahrscheinlich aramäisch oder hebräisch gesprochen – mit seinen Jüngern unterhielt er sich mit Sicherheit volkssprachlich! – und also war der in Frage stehende Satz ohne Verb, wörtlich: „Dies mein Leib“, mit Deixis statt Verb, und dann mußte daraus zur Verbreitung dieser Frohen Botschaft Griechisch gemacht werden, Koiné für das allgemeine Verstehen im östlichen Mittelmeerraum, also – siehe Lukas 22, Vers 19: „τουτο εοτiν το οωμα μον“. Und damit hatten wir den Kladderadatsch – vornehmer gesagt: et hinc illae lacrimae −, denn dieses „εοτiν“ ist eine Interpretation; man könnte auch übersetzen: „Dieses bedeutet meinen Leib“, und da man sich da bis heute nicht einigen konnte bzw. kann, konnte das grimmige Morden losgehen, zumindest ab dem 16. Jahrhundert.
Ganz allgemein könnte allerdings ein Kulturtheoretiker dagegenhalten, daß Sprachverschiedenheit samt der Notwendigkeit, diese – wie behelfsmäßig auch immer – zu überbrücken, kulturgenerativ in höchstem Maße ist: Unzählige Amalgame inklusive der in sie eingebackenen Mißverständnisse, des Ungefähren und des Verfälschenden machen einen großen Teil dessen aus, was wir unsere „Kultur“ nennen. Kommt hinzu, daß obendrein beim Übersetzen man nach dem Zeugnis vieler zwar die qualvollsten Stunden, aber eben auch die größten Glücke erfährt, die „heitersten Stunden des Lebens“, wie Abraham Voss 1826 sagte, und jeder, dem es einmal geglückt ist, einer fremdsprachigen Wendung ein akzeptables deutsches Pendant zu entlocken, kennt dieses Glücksgefühl; Peter Bichsel spricht davon, wenn er erzählt, daß Schlegel, nachdem er ein Wortspiel in Shakespeares Midsummernight’s Dream im Deutschen hatte entsprechend formulieren können, so hingerissen war, „daß er nach dieser Erfindung vor Glück nächtelang nicht mehr schlafen konnte.“
Das Glück kommt ja gar nicht so sehr daher, daß man etwas ,richtig‘ übersetzt hat, sondern daß man etwas fand, was in der Zielsprache, in unserer Sprache, sich hält. Die Wörter kann man ja meist nachschauen, aber die Worte, die Worte… Wenn zum Beispiel ein kleines Mädchen von neun Jahren im Englischen Verse schreibt, die klischeehaft und fehlerhaft sind und sich in der Diktion zugleich an Byrons Lyrik anlehnen was mache ich dann im Deutschen? Klischeehafte und fehlerhafte deutsche Verselein schmieden? Wie macht man das? Da tun sich ganze Korridore von Überlegungen und Stunden des Herumprobierens auf, mit und ohne Licht am Ende des Tunnels, und wenn wir’s ernsthaft überlegen, müssen wir eigentlich und mit guten Gründen zugeben, daß Übersetzen – und gerade bei Lyrik – nicht wirklich geht: Es ist nötig, aber unmöglich. Und daraus ziehen wir dann aber bekanntlich oft die Folgerung: Wenn’s ohnehin nicht geht, das Scheitern also gewiß ist, dann kann man es ja gerade probieren. Wir werden zu fröhlichen Trotzköpfen, machen uns ans Unmögliche und kommen doch oft ganz gut durch damit, werden Zeugen eines bisweilen geradezu verblüffenden Gelingens. In der Münchner Autorenbuchhandlung unterhielt ich mich vor einiger Zeit mit einem Dozenten für Romanistik über Julio Cortázars Bücher; wir schwärmten von diesem Autor, vertieften uns in Details, und nach einiger Zeit gab ich zu verstehen, daß ich Cortázar nur in Übersetzungen gelesen hätte. Das ist gar nicht möglich, Sie haben so detaillierte Beobachtungen gemacht und solche Nuancen hervorgehoben – und ich konnte nur sagen: Ich hab wirklich alles nur auf Deutsch oder auf Englisch von ihm gelesen. Was heißt: Die Cortázar-Übersetzer, von Rudolf Wittkop et alii, hatten offenbar bis in feinste Schattierungen des Tons von Cortázars Sprache exzellente Arbeit geleistet.
Es geht also doch; ganz entscheidende Dinge kann man auch durch Übersetzungen mitkriegen – und dann gibt es sogar eine Art Salto mortale, daß nämlich die Übersetzung in sich so überzeugend wird, daß sie zu der Literatur gehört, in die sie übersetzt wurde. Die Luther-Bibel ist eines der größten Stücke deutscher Dichtung, und Shakespeare ist ein deutscher Autor der letzten Jahre des 18. Jahrhunderts geworden, weil durch Lessing, Wieland und Goethe eine Dramensprache bereitlag, in die unübertrefflich vieles von Shakespeare transponierbar war – und die Aussage gilt bis heute, selbst wenn wir inzwischen wissen, wo die Grenzen der Schlegel-Tieckschen Übersetzung liegen. Vielleicht entziehen sich sogar manche Bücher der Übersetzbarkeit, weil zu einem gegebenen Zeitpunkt für sie keine Sprache zur Verfügung war oder doch auch keine Person mit dem notwendigen spezifischen Sprachgefühl. Denken Sie an Hölderlin, dessen Lyrik – im Gegensatz zu der Heines – nicht ins Französische und Englische übersetzbar schien. Es mußte ein deutscher Emigrantensohn nach England kommen, um innerhalb der englischen Sprache Möglichkeiten zu finden, wie Hölderlin zu übersetzen wäre.
Beim Übersetzen mündet alle Theorie in Praxis, in Kasuistik, in unvoraussehbar vielfältige Kasuistik. Inzwischen wissen wir, wieviel Tausende von Fehlern Luther gemacht hat bei seiner Übersetzung, in den meisten Fällen unwissentlich oder aus Verlegenheit: Er konnte viele Tier- und Pflanzennamen gar nicht kennen, die Wörterbücher gaben ihm damals falsche Auskünfte, und so machte er aus Unkenntnis Poesie. Wir lesen von der hochdichterischen „Nachthütte in den Kürbisgärten“, und dabei handelt es sich doch korrekt um ganz handfeste „Jagdhochstände in den Gurkenfeldern“, vielleicht müßte man statt „Jagdhochstände“ sogar „Wach- und Beobachtungstürme gegen Erntediebstahl und Wildschaden“ sagen – ein Kasus, über den sich vor Jahren schon Arno Schmidt lustiggemacht hat. Korrigierte man viele solcher Stellen, würde das geradezu erkältend wirken; das würde ihn für uns geradezu verfälschen. Überhaupt kann das Resultat fruchtbar sein, wenn man am fremdsprachigen Original etwas verfehlt. Goethe gedachte wie Pindar zu dichten, er glaubte zu wissen, wie Pindarische Oden und Dithyramben gedichtet seien, und dem Mißverständnis bzw. der noch nicht sehr avancierten Altphilologie, Abteilung Poetik, verdanken wir die Hymnen des Sturm und Drang, von „Wanderers Sturmlied“ bis „Prometheus“, die zwar keine Übersetzungen, aber Imitationen sein wollten. Ob eine Übersetzung ,gelungen‘ ist, kann man erst oft bei Offenlegung der Kriterien diskutieren – und sich dann eben nicht einigen. Rudolf Borchardt baute sich genial-aberwitzige Annahmen und Thesen auf, wie nachträglich dem Umstand zu begegnen sei, daß eben keine Übersetzung der Divina Commedia ins Spätmittelhochdeutsch oder Frühhochdeutsche, also aus der Zeit um 1400 etwa, existiert. Also rekonstruierte er sich ein artifizielles Deutsch von circa 1400 zurecht und übersetzte in dieses bzw. aus diesem seinen „Dante Deutsch“ mit dem Resultat, daß man um diese Übersetzung zu verstehen Erläuterungen und ein lüttes Studium braucht. Die Sache ging also einerseits schief, andererseits ist es außerordentlich eindrucksvoll, diesen ausgedacht-spätmittelhochdeutschen Text zu hören, der für unsere Ohren übrigens viel befremdlicher klingt als für einen heutigen italienischen Leser die Divina Commedia in der Originalsprache.
Es ist kein Ende der konstruktiven Narreteien auf diesem Gebiet der Europäischen Poesie; da ist zum Beispiel Arno Schmidt, der Prosa von Edgar Allan Poe, etwa den Traumtext „Siope“ so übersetzt, daß wir nun im Deutschen eine Art düsteres und ganz einmaliges Capriccio haben; dann macht er sich an Bulwer-Lyttons Roman What Will He Do With It, einen unleserlichen viktorianischen Schinken von 1.600 Seiten, den er aber so übersetzte, daß er überhaupt erst wieder lesbar wurde (was auch heißt: er verbesserte das zeitfressende Monster stärker, als die Polizei erlaubt), und dann übersetzte er zwanzig Seiten aus James Joyces Finnegans Wake so, daß das Stück mit dem anglo-irischen Original nicht mehr viel zu tun hat, aber als deutsche Prosa ganz einzigartig und noch-nie-dagewesen ist. Legitim? Illegitim? Jedenfalls nicht zu vermeiden, nicht steuerbar, wenn man nicht literaturpolizeiliche Oberaufsicht über erlaubte oder unerlaubte Übersetzungspraxis einführen wollte, die ja aber Reichtum der Kultur unterbände statt ihn zu fördern. Europa, „unser Kontinent, das alte“, wie Weltliteratur-Propagator Goethe sagte, hat immer auf Übersetzungen gesetzt, und deshalb gibt es solche Wunderwerke wie Chapmans Homer-Übersetzung und H.C. Artmanns Villon-Übersetzung, und wenn manchen Übersetzern auch gar nicht ganz klar war, was da in der – sie irgendwie reizenden – Originalsprache stand, dann behalfen sie sich mit den Krücken der Roh-Übersetzung, probierten den Geist der Sache zu erspüren und schufen solche Wunderbarkeiten wie viele der Gedichte des Westöstlichen Divan oder wie die Chinoiserien jenes Gedichtzyklus von 1829, der auf der nur allervagsten Ahnung von chinesischer Lyrik beruht – es ist zum Kichern, wenn man ganz genau hinschaut- und in der deutschen Sprache eine Kostbarkeit namens „Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten“ darstellt, die sich ein 8ojähriger alter Herr in Weimar, einem deutschen Provinzkaff, ausdachte, inspiriert von einem obskuren französischen Buch über China und vom Versuch, mit einem Pinselchen fünf chinesische Schriftzeichen zu malen.
Apropos Dichter im Exil, Exilanten, Leute mit gemischten Herkunftsgeschichten, überhaupt als prädestinierte Übersetzer, und als doppeltes Apropos: Chapmans Homer-Übersetzung von 1611, von der Sie vielleicht noch nie gehört haben. Nun kann man jemand, der auch nur ein wenig Geduld hat für älteres Englisch, nur empfehlen, zu eigener Lust mal in Chapman hineinzusehen, zweitens es also so zu machen wie der Dichter Shelley, der eines Tages auch zum ersten Mal in diese Chapmansche Übersetzung hineinsah und sein blaues Wunder erlebte. Drittens schließlich noch einmal ein Wort über Dichter, Exilanten, Ausgewanderte als Glücksfälle für die Übersetzung. Ich kenne ja nun Ernest Wichner seit vielen Jahren, ich kenne ihn als Autor, ich kenne ihn als Übersetzer und als Kritiker, aber dann fiel einmal der Name Daniel Bǎnulescu, genauer: ich las ihn auf dem Umschlag von Norbert Wehrs Schreibheft Nr. 62 vom April 2004, und dann las ich ein längeres Poem namens „Was schön ist und dem Daniel gefällt“, und das gefiel auch mir ausnehmend gut und ich fühlte mich wie besagter Shelley, als er zum ersten Mal in den Chapman hinein schaute:
… then I felt like some astronomer
When a new planet swims into his ken
Ein intrikates kleines Übersetzungsproblem. Ein Astronom blickt durch sein Fernrohr und ein „neuer Planet“ tritt in sein Gesichtsfeld, kommt ihm zur Kenntnis, aber eben mit metaphorischer Würde: nämlich der neue Planet „schwimmt in sein Wissen“, in den „Kreis seiner Kenntnis“, und das ist sicher erhebender und sinnlicher in der Astronomie damals gewesen, als wenn heute ausgerechnet wird, daß da irgendwo fünf Supernovas sein müssen und dann sind sie halt auch irgendwie da.
Daniel Bǎnulescu also trat mit drei Gedichten in der Übersetzung von Ernest Wichner vor mein Auge, und lassen Sie mich gleich hinzufügen, daß ich mich heute darüber noch aufgeregt vergnügter fühle als damals, weil ich gar nicht den Eindruck oder das bekannte Klischee eines Eindrucks hatte, den offenbar einige Kritiker hatten, nämlich, ohé, das ist ja ein großmauliger und berserkerhafter Sex-Maniac. Sondern ich dachte: Das ist ja ein wunderbar ungeniertes und freches und entspanntes Liebesgedicht, wunderbar zärtlich und heiter, und es handelt gleichzeitig von der Landschaft eines Bettes und von Bukarest als Stadtlandschaft und von Rumänien als einer vielgestaltigen Landschaft, dies alles übergeblendet und in die Decken- und Kissenzipfelige Landschaft bloß hineinprojiziert, damit am Ende eine Fee angerufen und gebeten werden kann, doch bitte zu kommen und auch diese Landschaft zu bevölkern. Da war ich weg! Und las weiter, alles in der Übersetzung von Ernest Wichner und natürlich in der stillen Hoffnung, daß auf diese Übersetzung so viel Verlaß sein möge wie auf die Übersetzung der Prosa Julio Cortázars, und daß um solche Genauigkeit und Verläßlichkeit jedenfalls gekämpft worden war zwischen Wichner und Bǎnulescu konnte ich einer lustigen Neben- und Nachbemerkung Wichners auf Seite 138 des Gedichtbandes Schrumpeln wirst du wirst eine exotische Frucht sein entnehmen.
So machte ich nach und nach genauere Bekanntschaft mit dem neuen Literarischen Planeten, der uns von einem vermittelt, gedolmetscht wird, der aus der Heimat Rumänien ins Exil Deutschland gehen bzw. kommen mußte, oder muß man umgekehrt sagen: der in die alte Heimat Deutschland flüchten mußte und die Fremdsprache mit sich nahm? Jedenfalls war da wieder ein Mittler am Werk wie Oskar Pastior, und wenn es die beiden (sozusagen) Zwangs-Übersetzer nicht gäbe, was wüßten wir dann von Urmuz und Tzara, von Gellu Naum und Marian Sorescu und M. Blecher und Daniel Bǎnulescu? Müssen wir am Ende Nicolae Ceausescu noch dankbar sein? Perverser Gedanke.
Heftig und sanft zugleich rührte Bǎnulescu Gedanken, poetologische Gedanken in mir auf, die uns umtreiben können bezüglich der gesamten Poesie des 20. Jahrhunderts. Damit Lyrik nicht in lyrischem Feinsinn schwächelt oder untergeht, wie’s Brecht schon in den späten zwanziger Jahre befürchtete, tut ihr bisweilen provokative Grobheit und Heftigkeit und politisch Unkorrektes gut: die ausfahrende Geste, etwas Unfeines, die Wonnen der Gewöhnlichkeit, ein Schuß Unappetitliches, Unerlaubtes, und das hat ja schließlich auch seine Tradition, war irgendwann immer nötig, vom niederen Minnesang über die spöttischen, wohlkalkulierten Derbheiten Villons bis zu Bert Papenfuß. Übertrieb man das aber, wurde es zur albernen Kraftmeierei, zu blöder Grobheit und Angeberei: Bert Brecht ist nicht frei davon, das Explizite, das rückhaltlos Grobe und Offene zu ostentativ einzusetzen und darüber gänzlich zu vergessen, daß es noch eine andere Ästhetik gibt, die er doch auch kennt: daß andeutend und indirekt, geradezu diskret zu sprechen ebenfalls sehr wirksam sein kann und vielleicht insgesamt nachhaltiger wirkt. Ästhetik der Andeutung versus Ästhetik der Überdeutlichkeit, metaphorisches Sprechen contra jene tabu-lose Direktheit, die einen Spaten einen Spaten nennen will, was ja weiß Gott erfrischend sein kann. Hätte ich eine ganz kurze Summe dessen zu ziehen, was mir so große Leselust bereitet an den Gedichten Daniel Bǎnulescus, würde ich sagen: Er spricht nicht aufdringlich metaphorisch, aber auch nicht aufdringlich prosaisch und direkt, er spricht nicht nur im radikal diesseitigen, gewissermaßen total ausgenüchterten Parlando, sondern schließt metaphorisches Sprechen ein, ohne es zu zelebrieren. Zugespitzt gesagt: Es gibt zwei Arten lyrisch zu sprechen. Einmal kann man – und das reicht in die höchsten Höhen lyrischen Sprechens hinauf – Wein oder Traube mit Gesang gleichsetzen. Oder man kann das Wunderbare durch lauter metaphernlos unauffällige, gegen das Bildliche sich asketisch verhaltende Sätze zu erreichen versuchen. Insgesamt neigt Bǎnulescu sicher etwas zu ernüchterten, der Emotion vor allem in Gestalt von Frechheit und ein bißchen Großmauligkeit huldigenden Sprechweisen. Aber er weiß natürlich auch, daß zu große Abstinenz vom Poetischen dem Sprechen eine Dimension, nämlich die der Spannung zwischen profanem Ausdruck und eben noch gemeintem Mehr-als-Profanem nimmt. Daß Kunst, daß – was uns hier besonders interessiert – Gedichte eine reale Präsenz des Heiligen, die momentane, punktuelle Offenbarung von Transzendenz sind, das möchten George Steiner und Botho Strauß am liebsten als Faktum dekretieren, und das geht natürlich nicht. Aber wenn man die Offenbarung des Wunderbaren, als Utopie, als regulative Idee aufgibt, nimmt man der Kunst und insbesondere auch dem lyrischen Sprechen die Kraft und die Gespanntheit auf etwas hin, was nicht im alltäglichen Gerede stecken bleibt, auf etwas hin, was nicht von dieser Welt ist (und von dem man natürlich kaum sprechen kann, ohne sich zu genieren). Bǎnulescu, so lese ich bei Edith Konrath, gehöre der Generation der Neunziger an, die nun „einem sozialen Realismus das Wort redete: umgangssprachlich, unmittelbar und unverfroren – kurz: krude.“ Das mag ja nun stimmen, aber in der Kunst ist „unmittelbares“ Sprechen selbst wieder der Stil, eine Inszenierung und insofern eben kalkuliert unmittelbar, und „unverfrorenes“ Sprechen kann man so augenzwinkernd und tongue-in-cheek anstimmen, daß es nur noch halb unverfroren ist, und Krudheit kann ein Antidot sein zum feinsinnigen Lügen. Vor allem aber: Was Edith Konrath hier benennt, ist ja nicht ein Ziel, sondern bemerkenswert wird dies alles nur dadurch, daß aus solchem Humus, aus solcher Sprache sich dann etwas erhebt, was eben doch Poesie ist. Bei Skandalisierung und Provokation muß sich noch etwas anderes zeigen als eben nur dies; das erfreuliche Wunder besteht dann gerade darin, daß das krude Material etwas ganz anderes hergibt. Aber vorher muß eben an der kruden Realität Maß genommen werden, die Lage ist zu erkennen und nicht wieder neue Parolen, und so sind Krudheiten adäquat, wenn im befreiten Ostblock, von Tallin bis Temeschwar, in den häßlich verrottenden Realsozialismus nicht der schöne geschmacksichere Kapitalismus eingebrochen ist, sondern eine neue Art von Vulgarität und Häßlichkeit. Es geht um einen durchweg mafios und sexualisiert betriebenen Kapitalismus, sprich: Marktwirtschaft, und wenn die Wirklichkeit so aussieht wie sie aussieht, dann kommen halt auch solche Gedichte raus – die dann aber Gottseidank das Milieu, dessen Reflex sie sind, übersteigen, sonst würde wohl kaum ein Übersetzer sie übersetzen und wir uns auch nicht drum kümmern müssen.
Der Berserker, der Wüstling, der Kraftlackel in der Literatur bzw. als literarische Rolle – so ungewöhnlich ist das nun, historisch betrachtet, auch wieder nicht: vom späten Rom über den späten Minnegesang bis zu CharIes Bukowski und Wolf Wondratschek kann man sie am Umgangssprachlich, unmittelbar und unverfroren kurz: krude Schnürchen hersagen, und vor einem solchen lyrischen Kraftmeiertum braucht man doch nicht gleich Angst zu haben oder moralisch zu werden. Den Typus des libertinären Großstadtbarden kann man ja auch begrifflich leicht bändigen, indem man von regard masculin und der poesie du désir spricht. Aber so sehr verflüchtigen wollen wir das Phänomen dann auch nicht, und die Genannten hatten ja auch immer die Größe, nicht nur ihre Grandiositätsphantasien spazieren zu führen, sondern auch neben ihren selbstherrlichen Räuschen die Kater und die Selbstverspottung der Welt vorzuführen. Die selbsterklärte „Republik Daniel Bǎnulescu“, der Dichter als sein eigenes ironisches Staatswesen ist ja nur der Kontrapunkt zur Harmonie aller Teile im Organismus eines vorgeblichen Staatskörpers, und wenn Ludwig XlV. „L’état c’est moi“ sagen darf, Paul Wühr die ganze Poesie zur res publica, also zum wahrhaft idealen Freistaat ausrufen und Urs Widmer in lustiger Anmaßung sagen kann: „In meinem Staat hätte jeder das Recht, meiner Meinung zu sein“, dann wird doch Daniel Bǎnulescu mit dem bei Künstlern ja ohnehin üblichen (und mehr oder weniger ausgeprägten) Größenwahnsinn sich zur eigenen Republik erklären dürfen. Darin geht’s dann mit Sicherheit liberal zu (oder noch ein bißchen freizügiger), und jedenfalls ist das kein Sklavenstaat! Jede Epoche sollte auch ihre lustigen Buben haben, ja sie braucht sie. Was wäre das für eine Zeit, die nur den hochanständig (allerdings auch mit hochunanständigen Wünschen im Herzen) seine „Coy Mistress“ anbetenden Andrew Marvell hätte und nicht auch John Wilmot Earl of Rochester, der so fröhlich und verboten reimte wie er auch etwas anderes tat, und neben den schwächelnden Anakreontikern rettete auch der Saufbruder Johann Christian Günther durchaus die Ehre der Poesie in seiner Epoche. Wenn es immer nur sozial akzeptabel zugeht im Leben und in der Literatur, wird’s langweilig, eine ordentliche Prise Heftiges gehört dazu. Und ich meine daß das bei Bǎnulescu eben auch nicht zu „erotischer Lyrik“ führt, der Name ist viel zu „foin“, und „Liebeslyrik“ – ja, das ist es dann schon (aber er sagt nicht gleich expressis verbis „Liebe“ dazu), vielleicht ist es sowas wie Trieblyrik, mit einer starken Zugabe von Ironie versetzt, und auf diese Ironie zu achten ist auch wichtig, denn wenn in dem Gedicht „Der dritte Tag“ bei Bǎnulescu einer sagt: „Eigentlich tut man, wenn man eine Frau auszieht, doch nichts anderes, als das Loch in ihrem Strumpf maßlos zu vergrößern…“. Das sagt aber weder Bǎnulescu noch auch ein lyrisches Ich in einem seiner Gedichte, sondern ein Plüschteddybär, vorlaut aus der Rocktasche einer Frau herausquasselnd.
Sie merken: Ich war ungerecht gegen die Leistungen des zweiten heute mit einem Preis Ausgezeichneten, denn er ist nicht ,nur‘ ein Übersetzer wie etwa unter den Preisträgern Hanns Grössel, sondern ein Dichter eigenen Rechts. Gewiß war meine Entdeckung eher die der Gedichte und Prosa Daniel Bǎnulescus, aber eben in Ernest Wichners Übersetzung, und wenn ich Sie auf den Autor Wichner aufmerksam machen darf, so lesen Sie doch bitte jetzt vor allem die 20 Gedichte des Zyklus „Über’s Dorf“ in dem Band Rückseite der Gesten von 2003 und die 17 Gedichte mit dem Titel „Im Spiel“, abgedruckt in der Broschüre aus Anlaß dieses Preises für Europäische Poesie 2005, Gedichte in einer ganz ungewöhnlichen jambischen Prosa, die ich aufs Äußerste bewundere und mit denen Ernest Wichner, denke ich, ein ganz neues Kapitel in seinem eigenen Werk aufgeschlagen hat.
Der Dichter und sein Übersetzer: ein Thema mit unendlichen Variationen, eine höchst merkwürdige Konstellation. Ich stelle mir zur Gaudi eine ganze historische Reihe vor: Homer steht neben Voß und Chapman, blind neben den in Devotion Erstarrenden. Der wahrscheinlich syrische Dorfhochzeitliederdichter des Hohen Liedes Salomonis steht wechselweise neben Luther und neben Klaus Reichert. Dante steht neben Rudolf Borchardt, der ihn in großartig dröhnendes unverständliches Deutsch übersetzt hat. Shakespeare steht neben Karl Kraus, der nicht nur kein Englisch konnte, sondern, möchte man bei der Lektüre seiner Sonett-Übersetzung denken, auch kein Deutsch (was ja aber nicht stimmt) und der den anderen, den wahrhaft großen Übersetzer von Shakespeares Gedichten, nämlich Stefan George, widerlich schmäht. Goethe steht einmal neben einem anonymen Italiener, der das Gedicht schrieb, das mit den Zeilen endet: „Dormi, qui voi tu piu…“ und das Goethe so übersetzt und dabei überarbeitet hat, daß eines der schönsten Gedichte seines Werkes daraus wurde: „Schlafe, was willst du mehr“ und dann neben Denis Diderot, dem Autor von Rameaus Neffe – ein prächtiges Bild! Neben William Wordsworth stelle ich Ernst Jandl, der aus „My heart leaps up when I behold…“ ein hart-irres „Mai hart lieb Zapfen Eibe hold…“ machte, er nennt das eine „Oberflächenübersetzung“. Neben Arno Schmidt steht der Elsässer Claude Riehl, der es wahnsinnigerweise unternommen hat, Schmidts Roman Kaff auch Mare Crisium ins Französische – ins Französische! – zu übersetzen und übermorgen den Gérard de Nerval Übersetzerpreis in Paris dafür bekommt. Dann steht da noch H.C. Artmann neben François Villon – die beiden Saufnasen harmonieren prächtig. Und nun also heute als die Letzten, die Neuesten, die Jüngsten in dieser Reihe: Daniel Bǎnulescu und Ernest Wichner, der freche und der zurückhaltende Knabe in der ersten Reihe. Herzlichen Glückwunsch!
Jörg Drews, aus: Hermann Wallmann (Hrsg.): Als ihr Alphabet mich in die Hand nahm, Daedalus Verlag, 2011
ist ein lebhafter und stattlicher Bursche, mitteilsam im vertrauten Kreis der Freunde und „in Gesellschaft“, wie man so sagt, zurückhaltend. Selten bloß mischt er sich in die Auseinandersetzungen des Universitas-Kreises ein, dann aber überstürzt und abgehackt, als wollte er sich einer unangenehmen Pflicht entledigen. Er zieht es vor, sein „Gift“ in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu verstreuen, um sich anschließend, selbstverständlich mit gespielter Naivität, zu wundern, welchen Nachklang dies hat. Konventionelle Posituren und große Worte bereiten ihm sichtlich Unbehagen, machen ihn ungehalten; Dichtung ist für ihn eine Chance, sie programmatisch zu vermeiden und – mehr noch – sie lächerlich zu machen. Seine einzig akzeptable Devise sind die Tintenkleckse, die seine eigenen Finger verursacht haben.
Er ist ein Dichter, der die Kontraste der Existenz mit äußerster Schärfe einfängt. Daniel Bănulescus Instinkt verbietet ihm jedes Zugeständnis. Wenn er mitten im Fluß des poetischen Ausdrucks den Schock der Dissoziation produziert – von großer poetischer Wirkung −, nimmt er sich selbst ins Gelächter mit hinein: „Ich war sehr traurig und setzte große Hoffnungen darein“: Eingenommen, ja sogar besessen von den unterschiedlichen Spielarten des Eros hat der Dichter eine solche Abscheu vor dem Sentimentalen, daß er sich nicht damit begnügt, die Geliebte in ersatzweise aufgebotenen Dingen und Gegenständen zu betrachten (einem Stapel Bücher „von deiner Größe“), sondern darüber hinaus noch das Bedürfnis nach einer ironischen Überblendung verspürt, womit meiner Meinung nach, der Bogen überspannt ist.
Daniel Bănulescu ist ein Dichter der Explosion, nicht des Konzepts, ein Dichter, der sich selbst nur schreibend entdeckt – und die Welt jenseits seiner erst recht. Bei ihm ist der Sinn des Gedichts niemals dem Gedicht selbst voraus. Mitunter konstruiert er mittels einer extrem geschmeidigen und genauen Syntax die Sinnlosigkeit selbst. Die Faszination für „die Regionen des Buches“ bleibt ihm jedoch integral erhalten, und er gesteht sie auf seine Weise, beinahe verstohlen und wie eine „schändliche Krankheit“, die ihn jedoch mit Stolz erfüllt.
Mircea Martin, Vorbemerkung zu Daniel Bănulescu: Der Tag an dem ich publiziert wurde, 1990
Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner
Spracharchipel III: Minderheiten, Sprachen und Repräsentationen in Rumänien. Alexandru Bulucz im Gespräch mit Ernest Wichner innerhalb des 22. poesiefestival berlin 2021.
Zu Gast bei Ernest Wichner: Wer moralisch integer blieb. Alexandru Bulucz besucht Ernest Wichner
Johann-Heinrich-Voß-Preis 2020 an Ernest Wichner Laudatio: Lothar Müller
Miniinterview 2010 mit Daniel Bănulescu.
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