DIE STÄDTISCHE BIBLIOTHEK „MIHAIL SADOVEANU“
Allein die Bücher haben die Allüren echter Narren
Zerstückelte in die Räume geworfene Flure
Zwei-drei gewaltige Motten
Die nervös auf dem Mantel des Opfers sitzen
Es aussaugen
Und es mit Stupsern ihrer formidablen Antennen
Zum querstehenden Regal mit angelsächsicher
aaaaaLiteratur lenken zur Musikabteilung
Zum Lesesaal und zum Levitationsraum
Wieviel Verzweiflung steckt in diesen Bordellen
Der Weisheit
Als hättest du eine schandbare Krankheit
Schlüpfst du wieder in die Höhle deines Mantels
Und kehrst zurück in die Stadt
Zu den Erbsenverkäufern und Kopfjägern
Die mit dem täglichen Brot dir drohen
Wie mit einer gewaltigen Faust
Vor zwei Jahren hat Daniel Bănulescu eine Sammlung von Gedichten bestehend aus seinen beiden Gedichtbänden Ich werde dich lieben bis zum Ende des Bettes (1994) und Die Ballade des Daniel Bănulescu (1997) unter dem Titel Bundesrepublik Daniel Bănulescu. Der Südstaat und der Nordstaat veröffentlicht. Im Anhang dieses Buches wird auch die erste Veröffentlichung von DanieI Bănulescu faksimiliert wiedergegeben: der kleine, 1987 erschienene Band Der Tag, an dem ich publiziert wurde. Von den 15 Gedichten des Büchleins, so erfährt man im kritischen Anhang zu diesem Sammelband, waren mehr als die Hälfte von der Zensur abgelehnt worden, sie wurden dann in den ersten Band aufgenommen, der nach dem Ende der Diktatur in Rumänien erschien.
Das ist nun nicht weiter bemerkenswert, denn genau dies war Sinn und Zweck der Zensur: jene Texte zu unterdrücken, die man für gefährlich, pornographisch oder – aus welchen Gründen auch immer – für verdammenswert hielt. Interessant an diesem Fall ist lediglich, daß jenes erste Bändchen als Teil der Zeitschrift Convingeri Comuniste (Kommunistische Überzeugungen) publiziert wurde. Und daß es trotz Zensur und „kommunistischer Überzeugungen“ das Gedicht „Der Tag an dem ich publiziert wurde“ enthielt, das alles verhöhnte, was damals für sakrosankt zu gelten hatte. Und jenseits der kulturpolitischen Farce war mit diesem Gedicht schon jener DanieI Bănulescu hervorgetreten, den wir heute kennen, dem Leben, Lieben und Handeln zum sich selbst kommentierenden oder persiflierenden Text wird:
Ich der ich selbst die Hände mir auflege und mich segne
Meine Hände über die Literaturzeitschrift in der ich publiziert worden bin erhebe
Und sie segne
Dann noch die Schlüssel und die Füllfeder die Schreibmaschine und deine Socken
Die ich dir gestern schon gekauft aber noch nicht gesegnet hatte
In gewaltiger Verantwortung und mit gleichermaßen gewaltigem schöpferischen Elan
Ziehe ich ein Blatt Papier aus einem dicken Stapel hervor und notiere:
Der Tag war schelmisch und schön und die Sonne schien ganz nett
Von ihnen zu dir die Fabrik und von dir zu mir nur ein Bett
Ich der ich bis nah an deine rosige Schläfe heran turne
Und geschickt dort herrliche Linien ziehe
Bis mir ein Haus gelingt ein Gerüst eine Sonne
Das Portrait einer köstlichen Frau der ich mich feurig nähere
Und sie zu achten beginne
Mircea Martin, der Leiter des legendären Bukarester Universitas-Literaturkreises und Mentor vieler junger rumänischen Dichter, beschrieb Daniel Bănulescu in einem kurzen Vorwort zu dessen Debutband als einen „Dichter der Explosion und nicht des Konzeptes, ein(en) Dichter, der seine Entdeckungen und seine Selbsterkundung beim Schreiben vollzieht“. Als dann 1994 der erste umfangreichere Gedichtband von Daniel Bănulescu erschien, setzte eine breite und weitgehend positiv gestimmte Rezeption dieses Lyrikers ein. Namhafte Kritiker quer durch alle Generationen widmeten dem jungen Provokateur ihre Aufmerksamkeit und versuchten, reflexiv einzuholen und zu domestizieren, was krude, kraftmeierisch-erotoman und anscheinend gegen alle Regeln des guten Geschmacks und der Sittlichkeit behauptete, Poesie geworden zu sein. Erstaunlich an all den verschiedenen kritischen Stimmen war jedoch, wie immanent diese im Bereich des Poetischen verblieben, daß weder soziokulturelle noch politische Überlegungen die Rezeption dieses doch ganz deutlich auf Provokation, Verletzung und Skandalisierung zielenden jungen, sich zum blutrünstigen Erotomanen stilisierenden Dichters begleiteten. Auf dem Umschlagrücken hatte der einflußreichste Kritiker – Nicolae Manolescu – in engagiert nichtssagenden Sätzen seine Zustimmung mitgeteilt; es sollte die Rezeption präfigurieren:
Eine unkonventionelle erotische Lyrik.
Im Mittelpunkt des poetischen Universums steht das Geschlecht des Mannes, bedeckt vom Plumeau seines Wahnsinns.
Summend wie die Fliegen umschwirren die Frauen die Figur Daniel. Die Metamorphose der Sprache folgt dem sexuellen Wahnsinn, dem gesellschaftlichen Wahnsinn, dem unversiegten Wahnsinn der Weh, um die Geschichte einer unverständlichen Realität zu schreiben. Alle poetischen Akte stehen unter dem Zeichen der Erfindung, der Bizarrerie, der Aggressivität.
Daniel Bănulescu ist, wenn man so sagen kann, O.K.
Schneller und gründlicher als man hätte erwarten können, hatte die Kritik den Normalfall postuliert, und Daniel Bănulescu war mit Verweisen auf Urmuz, Francçois Villon, Jessenin und Majakovskij literarhistorisch integriert. Ein lyrisches Werk, das lediglich als Ausdruck einer als unverständlich erklärten Realität gelten konnte, enthob – getreu alter Abbildtheorien – die Kritik auch der Verstehensbemühungen im Hinblick auf die Texte. Mitunter kann es jedoch spannend sein, die scheinbar als selbstverständlich vorausgesetzten Topoi einer Argumentation zu verschieben. Für Nicolae Manolescus seltsames Lob der Gedichte von DanieI Bănulescu ergäbe dies die Frage, ob nicht vielleicht die Wahrnehmung des Kritikers auch umgekehrt hätte verlaufen sein können: nach der Lektüre der Gedichte erscheint eine als verständlich angenommene Realität plötzlich als ganz und gar unverständlich; eine fremde und befremdende poetische Sensibilität hat die Ordnung der Dinge verschoben. Die emphatische oder auch bloß duldende Hinnahme dieser Gedichte schlägt allerdings um in Indifferenz und markiert – so scheint es aus der Distanz weiterer 8 Jahre – den Tiefstand literarischer Reflexion nach dem Ende der Diktatur mit ihrem fürsorglichen oder brutalen Paternalismus.
Daniel Bănulescu mag, wenn man so sprechen will, O.K. sein. Aber seine Gedichte, Ausdruck eines so und nicht anders gewordenen und in jedem Falle beschädigten Bewußtseins – sind es nicht. Oder aber sie sind es. Dann aber in einer anderen „ordine de idei“ (Ordnung der Gedanken), wie man in Rumänien sagt. Und genau diese Sortierung der Ideen und Gedanken hat, zugunsten eines oberflächlichen Werterelativismus, nicht stattgefunden.
Fragen ließe sich zum Beispiel, wie es kommt, daß ein Mitte 30-jähriger Dichter, der seine Kindheit und Jugend fernab von der extrem sexualisierten Bilderwelt der Konsumgesellschaften in der bis auf das Abbild des Staatspräsidenten – bilderlosen und prüden Gesellschaft der Diktatur zugebracht hat, all seine Weltwahrnehmung sadistisch oder masochistisch sexualisiert? Wie sieht jenes göttliche (?) Du aus, (wo kommt es her und um wen handelt es sich) das nicht selten in einem saloppen, alltagssprachlich formulierten Pathos und mit häretischen Untertönen angesprochen wird und – immerhin Adressat von Gebeten ist? Und die Gedichte scheinen Gebete zu sein, Besinnungsgemurmel oder Privatsprache, ein unreiner Code, der irgendwo hin zielt. Auf wen – uns? Gott? Das Pathos schlechthin? Ein Nur-so-Sprechen? Poesie jenseits von alle dem?
Inwieweit ist solches Sprechen individuell identifizierbar, jenes von Daniel Bănulescu, dem Autor? Und inwiefern ist es die Stimme einer Figur, eines konstruierten „lyrischen Ich“? Inwiefern ist der Autor oder seine Figur ein synthetisches Konstrukt aus den schillerndsten Verdrängungen, Deformationen und Faszinationen seiner oder ihrer Umwelt? Ist Daniel Bănulescu Daniel Bănulescu, wenn Ich ein Anderer war? Oder sind wir mit solch einer Frage wieder dort angelangt, wo die rumänische Literaturkritik aus Daniel Bănulescu zuerst eine graue Katze gemacht hatte, die sie dann als des Pudels Kern identifizierte?
Was hat ein Übersetzer über das von ihm übersetzte Werk zu sagen? Welches Recht hat er, jenseits der unermeßlichen Einflußnahme des Übersetzens, sich urteilend zu äußern? Fragte ich mich dieses, so versuchte ich, mich mit Urteilen zurückzuhalten. Ich ließe vielleicht durchblicken, daß ein übersetzendes Zusammenleben mit einem Dichter nicht ohne Kollisionen verlaufen kann – die Euphorien sind geschenkt. Der Ein- und Widerspruch hat uns das Leben versüßt. Wir haben gerauft und wie Vetteln gezankt, damit lesende Menschen zu ihrem Recht kommen. Da wollten wir hin.
Ernest Wichner, Nachwort
schreibt auch der rumänische Autor Daniel Bănulescu eine sprachkräftige und erotische Lyrik, über die der namhafte rumänische Literaturkritiker Nicolae Manolescu sich zu folgender verschmitzter Bemerkung hinreißen ließ: „Im Mittelpunkt des poetischen Universums steht das Geschlecht des Mannes, bedeckt vom Plumeau seines Wahnsinns. Summend wie die Fliegen umschwirren die Frauen die Figur Daniel.“ Tatsächlich gebärdet sich diese Dichtung häufig äußerst krude, kraftmeierisch-erotoman und würde wohl gerade in unseren mitteleuropäischen Breiten den Ekel und die Kritik so mancher feministisch orientierter Leserinnen und Leser hervorrufen, vernähme man unter der Oberfläche der ironisch-saloppen, alltagsprachlichen Manier dieser Gedichte nicht ebenfalls das zwar beschädigte aber immerhin Beschwörungspathos eines betroffenen Verzweifelten und Liebenden. Alle poetischen Akte stehen unter dem Zeichen der Erfindung, der Bizarrerie, und der Aggressivität, dennoch scheint der Autor von diesen eher selbst infiziert, als daß er sie aus einer zynischen Distanz zu entwerfen vermöchte. So eindeutig läßt sich der Autor dann aber doch nicht in die Karten schauen und versteht es äußerst gewitzt und originell das Dilemma um Autorschaft und vermeintlicher Authentizität immer wieder kritisch in Szene zu setzen.
edition per procura, Ankündigung
zählt Daniel Bănulescu zu den meistbeachteten jüngeren Autoren, was nicht allein der Bildgewalt seiner Texte, sondern auch der Irritation seiner Rezipienten zuzuschreiben ist. 1960 geboren, hat Bănulescu sich nach einem Ingenieursstudium als freier Autor in Bukarest durchgeschlagen und seit den späten 1980er Jahren fünf Gedichtbände sowie zwei Romane veröffentlicht, die für Aufsehen sorgten. Er gehört der so genannten Generation der Neunziger an, die sich nach dem Sturz der kommunistischen Diktatur von moralisch fragwürdig gewordenen ästhetischen Konzepten abwendete und einer neuen Wahrhaftigkeit, einem sozialen Realismus das Wort redete: umgangssprachlich, unmittelbar und unverfroren – kurz: krude. Und er vermochte von Anfang an zu verstören, so daß die Kritik seine Texte verlegenheits- und einfachheitshalber in die sexistische Ecke verwies. Etwa der namhafte Literaturkritiker Nicolae Manolescu, der ebenso reduktionistisch wie effekthascherisch postuIierte: „Im Mittelpunkt des poetischen Universums steht das Geschlecht des Mannes, bedeckt vom Plumeau seines Wahnsinns. Summend wie die Fliegen umschwärmen die Frauen die Figur Daniel.“
In Anbetracht der in Rumänien weit verbreiteten Scheu, den nach 1989 eingetretenen radikalen Gesellschafts- und Wertewandel mit seinen Ursachen und Konsequenzen – auch im Hinblick auf die Literatur – bewußt wahrzunehmen, geschweige denn zu diskutieren, mag eine solche Äußerung noch hinzunehmen sein. Nicht hinzunehmen aber ist, daß die Wiener edition per procura ihr Pressematerial darauf abstellt – es sei denn, man fügt sich ungefragt dem marktstrategischen Kalkül.
Dabei hatte zum Beispiel Herta Müller das deutschsprachige Publikum bereits 1998 gelegentlich der Leipziger Buchmesse mit dem Schwerpunkt Rumänien in einem Interview der taz darauf hingewiesen, daß die jungen rumänischen Autoren, die politisch unbelastet sind Bănulescu inbegriffen −, durch „Ironie, Distanz und auch Süffisanz“ versuchen, der Gesellschaft ein möglichst genaues Spiegelbild vorzuhalten, denn:
Der ästhetische Bezug für die Literatur kommt ja nicht aus der Literatur, die Ästhetik kommt von allen Dingen der Welt, die uns umgeben, bis in die Sprache hinein.
Und auch Ernest Wichner vermerkt im Nachwort des von ihm betreuten und nun endlich vorliegenden ersten deutschsprachigen Bănulescu-Bandes, daß Manolescu in seinen „engagiert nichtssagenden Sätzen“ die öffentliche Wahrnehmung dieses Autors „präfiguriert“ habe, und fügt hinzu:
Erstaunlich in all den verschiedenen kritischen Stimmen war jedoch, wie immanent diese im Bereich des Poetischen verblieben, daß weder soziokulturelle noch politische Überlegungen die Rezeption dieses doch ganz deutlich auf Provokation, Verletzung und Skandalisierung zielenden jungen, sich zum blutrünstigen Erotomanen stilisierenden Dichters begleiteten.
Bedauerlich ist hingegen, daß auch das deutsche Feuilleton – wohl aus Unkenntnis – diese Rezeptionsschiene verlängert. So etwa, wenn Karl-Markus Gauß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung formuliert:
Das Thema von Bănulescus Gedichten ist Bănulescu – oder vielmehr ein lyrisches Ich, das in seinen wilden Tiraden und Beschwörungen des Exzesses die Biografie eines Wüstlings namens Bănulescu halluziniert.
Diese Texte aber sind keineswegs Erfindungen eines Rabauken, sie reflektieren vielmehr präzise die gegenwärtige rumänische Lebenswelt, das gegenwärtige rumänische Lebensempfinden. Denn nicht der Autor ist ein Erotomane, es ist der Alltag, der im Zuge des tief greifenden Wertewandels nach der Implosion des real existierenden Sozialismus und der Invasion der so genannten freien, in Rumänien durchweg mafios betriebenen Marktwirtschaft zunehmend sexualisiert wurde. Nach dem Vorbild des „goldenen Westens“, der übrigens eine kritische Diskussion dieses Sachverhalts nicht minder scheut, ist der höchst zweifelhafte, weil aggressiv gepolte und nicht minder aggressiv gefeierte Geschlechtstrieb – es sei hier bloß an das „Alpha-Tier“ erinnert! – zum entscheidenden Kriterium für die Realitäts- und die Selbstwahrnehmung aufgerückt, die angesichts des vollkommen banalisierten Alltags und der fortgeschrittenen sozialen Atomisierung die flüchtige geschlechtliche Vereinigung als einzig verbliebene Möglichkeit der (Nicht-) Kommunikation zelebriert. Bănulescus angebliche „Kraftmeierei“ bezeichnet also nichts anderes als den Status quo einer Gesellschaft, die soziale, kulturelle und religiöse Bindungen dem schnellen Profit geopfert hat – zum Preis der individuellen Isolation und chronischen Depression. Der vordergründig so großspurige, ach so selbstherrliche Gestus dieses Textes gilt also nicht der persönlichen, sondern der gesellschaftlichen Hybris und fungiert als Pranger. Dahinter aber konturiert sich uneingestandene Trauer, ja Sehnsucht – und verzweifelte Wut. Denn Bănulescu stemmt sich mit seinen Texten gegen jenes Omen an – auch im Hinblick auf deren öffentliche Wahrnehmung −, mit dem dieser Gedichtband überschrieben wurde: Schrumpeln wirst du wirst eine exotische Frucht sein.
Edith Konradt, Südostdeutsche Vierteljahresblätter, 2004
durfte die Welt im Dezember des Jahres 1989 einen heldenhaften Dichter bestaunen. Der rumänische Lyriker Mircea Dinescu, der als ungebärdiger poète maudit vom Geheimdienst seines Landes schikaniert worden war, verkündete im staatlichen rumänischen Fernsehen den Sturz des Diktators Nicolae Ceauşescu.
Es war, wie wir im Nachhinein wissen, ein Trugbild, die melodramatische Inszenierung eines Volksaufstands entpuppte sich als kalter Putsch von Ceauşescus innenpolitischen Rivalen. Der berühmte Dichter hatte erfolgreich die Lichtgestalt der Revolution gemimt, bald darauf lieferte er auch das groteske Nachspiel. Der vormalige Volksheld kutschierte im weißen Mercedes durch die Straßen Bukarests, meldete seine Ambitionen auf die Präsidentschaft an und machte sich für die Einführung der Todesstrafe stark.
Dennoch hat man sich hierzulande lange durch die überlebensgroße Präsenz Dinescus blenden lassen. Die Stilisierung Dinescus zum strahlenden Dissidenten korrespondierte mit einer niederschmetternden Gleichgültigkeit gegenüber der rumänischen Gegenwartspoesie.
Aber schon lange vor den spektakulären Selbstinszenierungen eines Mircea Dinescu hat es in Rumänien einen Lyriker gegeben, der die Literaturdoktrinen des autoritäten Kommunismus aus den Angeln gehoben hat. Er wird jetzt in einer Buch-Reihe der edition per procura wiederentdeckt, jener „Sammlung für Poesie und Übersetzung“, die vorzugsweise sprachbesessene, inhaltlich wie formal häretische Poesie zur Geltung bringt. In einer schönen zweisprachigen Ausgabe wird hier der in Bukarest lebende Lyriker Daniel Bănulescu vorgestellt, ein Provokateur, Erotomane und Blasphemiker.
Diese erste ausführliche Sammlung von Bănulescus Gedichten hat Ernest Wichner ins Deutsche gebracht. Ihr Titel Schrumpeln wirst du wirst eine exotische Frucht sein konterkariert allerdings in seiner Verkleinerungs-Gestik die Unbescheidenheit des Originaltitels. Dieser lautet nämlich Die Republik Daniel Bănulescu, ein eher monumentalisierendes Bild, zumal der Autor seine „Republik“ in einen „Nordstaat“ und einen „Südstaat“ eingeteilt hat. In dieser poetischen Republik hat ein lyrisches Ich das Sagen, das mit einer Melange aus Wollust und Ekel, aus Gier und Langeweile ein Territorium aus Frauenkörpern durchquert und verzweifelte Gebete an einen mal jüdischen, mal christlich-orthodoxen Gott adressiert.
Das vor vier Jahren in Rumänien erschienene Werk geizt nicht mit Selbstglorifizierungen des Autors. „Geboren am 31. August 1960, dringt Daniel Bănulescu protegiert von Weiberröcken in die rumänische Literatur ein“: Die hübsche Ironie dieses Mottos wird von den metaphorischen und motivischen Aufladungen der Gedichte immer wieder bestätigt. Denn das lyrische Ich, das sich hier artikuliert, sucht in seinen ketzerischen Gebeten den wilden Exzeß, den sexuellen Rausch und die Raserei der Ich-Überschreitung: „Ich bin der größte Wüterich der Stadt“ oder: „ich bin verfault und Gott hat mich geraucht wie eine Zigarre“ – mit solchen kraftmeierischen Versen zitiert Bănulescu die alte Tradition eines amoralischen, morbiden Ästhetizismus. „Man sagt“, so erklärte Bănulescu einem Journalisten, „so würde Baudelaire auf dem Klo schreiben.“
In einem Gedicht porträtiert sich das lyrische Ich vielsagend als „Bestie“, „Ungeheuer“ und „Priester“: Hinter solchen blasphemischen Gesten verbirgt sich jener vitalistische Kraftprotz, den schon der junge Brecht in seiner Figur des „Baal“ vorführte – der Bürgerschreck, der zunächst mal alle ästhethischen und moralischen Traditionen abräumen muß, um etwas Neues zu schaffen.
Bănulescus Republik wird regiert von einem verzweifelten Traditionszertrümmerer, der mit seiner lüsternen Prahlerei alles zum Bersten bringt: die lyrische Konvention, die Grenzen des guten Geschmacks, vor allem aber den Leib der Frau. Der sich hier so demonstrativ die „Teufelskrone“ aufsetzt, ist aber zugleich jemand, der seine eigenen Begrenzungen kennt.
Bănulescus Ich, das so großspurig seine „Konvulsionen“ besingt, ist in Wahrheit zerrissen von Ambivalenzen, von Schwächegefühlen, von der. Empfindung der eigenen Kläglichkeit.
Wer sich seine sexuellen Imaginationen genauer anschaut, wird feststellen, daß sie meist einem politischen Körper gelten: dem repressiven Staatsapparat, der – so die Phantasie des Gedichts – zur Vergewaltigung aller freiheitsliebenden Subjekte ansetzt. In der bizarren poetischen Republik des Daniel Bănulescu treffen zwei gegensätzliche Kräfte aufeinander der Wutschrei der Revolte und die boshafte Selbstironie. Jedes Gedicht definiert diese Kräfteverhältnisse neu – und sorgt so für produktive Irritationen.
Michael Braun, Schreibheft, Zeitschrift für Literatur, Heft 62, 2004
− Daniel Bănulescu ruft den lyrischen Staat aus.−
Der 1960 geborene Daniel Bănulescu gibt in der neueren rumänischen Dichtung seit einigen Jahren erfolgreich den Berserker. Sein bekanntestes Buch nannte er bescheiden Die Republik Bănulescu, deren lyrisches Territorium er in den „Nordstaat“ und den „Südstaat“ gliederte. Diese furiose Sammlung kraftmeierischer, blasphemischer und erotomaner Gedichte bildet auch die Substanz des ersten deutschsprachigen Bandes, der jetzt unter dem Titel Schrumpeln wirst du wirst eine exotische Frucht sein von ihm erschienen ist. Das Thema von Bănulescus Gedichten ist Bănulescu – oder vielmehr ein lyrisches Ich, das in seinen wilden Tiraden und Beschwörungen des Exzesses die Biographie eines Wüstlings namens Bănulescu halluziniert. Dessen lyrische Geständnisse muten mitunter wie schwarze Gebete an, in welchen die Geschlechtsgier zur häretischen religiösen Praxis sakralisiert wird. Der auftrumpfende Ton und die durchgehend sexualisierte Wahrnehmung der Welt sollten aber nicht dazu verführen, diese Lyrik unmittelbar autobiographisch zu nehmen und die Erfahrungen, die sie preisen, gar für authentische zu halten.
In den Poemen des „Nordstaates“ finden sich schlichte Erkenntnisse („Das blonde Schulmädchen ist blond“), rotzige Bekenntnisse („Mein Leben war kurz / Ich hatte keine Zeit der Menschheit das in Aussicht gestellt Gute zu bringen“), vorzeitige Ergüsse („Wir keuchen / Und schaffen’s nur noch bis zum Lift“), fragwürdige Bilder („mein Blut hing nicht herab wie ein Kuheuter“) und elegante Übergänge („Sie standen am Ufer eines Baches und warfen mit Steinen dort hin / Und sagten: Wir stehen am Ufer eines Baches / Und werfen mit Steinen dort hin“). Daß selbst solch fragwürdige Verse ihre Wirkung nicht verfehlen, hängt damit zusammen, daß sie allesamt auf das verzweifelte Bemühen bezogen sind, mit dem sich da ein Ich gerade durch den Verstoß gegen gesellschaftliche Normen wie poetische Regeln zu konstituieren sucht. Die Banalität vieler Aussagen wird gerechtfertigt durch den Anspruch eines großspurigen, kleinmütigen, berauschten, verkaterten Ichs, sich eben auch in seiner Großspurigkeit, Kleinmütigkeit, in seinem Rausch und seiner Verkaterung selbstherrlich vor die Welt zu stellen und zu sagen: Seht her, ich bin ein Arsch, aber mein eigener!
Im „Südstaat“ der Republik Bănulescu regiert nicht immer nur der Rabauke, da wagt es der Autor auch zarter. In den Gedichten des Südstaates schreitet das lyrische Ich ein Rumänien aus, das heute wohl bereits versunken ist, dessen Orte, in all ihrer Trivialität magisch geworden, Bănulescu jedoch beschwört; und sei es, daß sie ebendeswegen heilig sind, weil er dort die Wunder der Pubertät erfuhr „Grundschule Nr. 27“, „Der zoologische Garten“, „Die städtische Bibliothek“ oder gar „Der Kraftraum unter der Radrennbahn des Portparks Dynamo“ sind diese Gedichte überschrieben. Die Titel deuten es schon an, die Erfahrungen, um die es geht, sind konkreter als jene, die der Autor im „Nordstaat“ für sich reklamierte; präzise Topographie statt rasender Brunft gewissermaßen.
Daniel Bănulescu hat ein schönes Talent, den literarischen Kraftlackel in seinem Genick gelegentlich durch Selbstironie abzuschütteln. Und er hat einen Fährmann: Ernest Wichner, der im Banat geborene, in Berlin lebende Dichter, der um sein eigenes Schaffen nur wenig Aufhebens zu machen pflegt, hat hier nachdichtend ein Werk aus der einen in die andere Sprache hinüber gesetzt. Das aber entspricht ganz dem Programm der Buchreihe, der dieses Werk zu verdanken ist: der feinen, spartanisch aufgemachten Sammlung für Poesie als Übersetzung, die Alma Vallazza in der edition per procura herausbringt und entlegenen Kostbarkeiten der Weltpoesie vorbehält.
Karl-Markus Gauß, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.12.2003
Der Band beinhaltet 36 Gedichte ausgewählt aus drei Gedichtbänden des rumänischen Dichters (Ich werde dich lieben bis zum Ende des Bettes, 1993, Ballade des Daniel Bănulescu, 1997 und Daniel, des Gebets, 2002) gesammelt unter dem Titel Die Republik Daniel Bănulescu mit den Teilen: „Der Nordstaat“, „Der Südstaat“ und „Die Legende von Daniel und Brunhilde“.
Schockierend für den Leser ist besonders der erste Teil, „Der Nordstaat“, da der Dichter alles anders ist als prüde. Er denkt und dichtet komisch und schreibt genau so wie er denkt und dichtet. Neben reiner und purer Poesie steht verblüffende Vulgarität. Die Worte fließen non-stop auf dem Papier wie ein Wasserfall, der alles mitspülen möchte.
Man findet schockierende Assoziationen, wie: „Jede schöne Frau soll auf dem Hintern ein Blatt aus solch einem Buch kleben haben / Wie auf jedem der Bücher hinten / den Preis draufsteht den zu zahlen musstest damit du’s hast“ („Sehr nett von ihnen, dass Sie solch ein schönes Gedichtbuch mögen“, S. 43).
Einige seiner Liebeserklärungen können die Aufmerksamkeit keiner Geliebten wecken. Dagegen. „Ich hätte mir gerne eine Mundharmonika gebastelt / Aus den Geschlechtern aller Frauen die ich kennenlernte / Denn ich ekele mich nicht“ („Von morgen an begegnen wir uns direkt im Baum“, S. 11) oder „Aber ich langweile mich / Meine Hüften langweilen sich / Meine Liebe zum Fahrstuhl langweilt sich / Und die Langeweile meines Lederstiefels langweilt sich deinetwegen“ („Du trägst meinen Sauerstoff in deiner Sauerstoffflasche aber auch dies langweilt mich gewaltig“, S. 57).
Zweite Teil, „Der Südstaat“, ruft Bukarest und die Kindheit und Jugend des Autors wach („Die Kindergarten in der Nähe des Boulevards ,Dinicu Golescu‘“, „Die Grundschule Nr. 27“, „Der Zoologische Garten“, „Die städtische Bibliothek ,Mihail Sadoveanu‘“, „Das Lyzeum ,Dimitrie Cantemir‘“, Der Kraftraum unter der Radrennbahn des Sportparks ,Dynamo‘“, „Pendlerin vom Nordbahnhof“).
„Die Tage ohne dich vergehen wie eine Reihe von Elefantenfürzen“ („Pendlerin vom Nordbahnhof“, S. 111) klingt ein origineller Vergleich mit welcher debütiert eine Poesie.
In allen Gedichten des Bandes ist Daniel Bănulescu anwesend, ironisch und spöttisch mit sich selbst und mit die anderen.
Die Gedichte schildern sein Leben wie es war, wie es ist oder wie es sein kann. Oder – damit man im Einklang mit diesem kontroversen Dichter zu sein – wie es nicht war, wie es nicht ist oder wie es nicht sein kann…
Johann-Heinrich-Voß-Preis 2020 an Ernest Wichner Laudatio: Lothar Müller
Miniinterview 2010 mit Daniel Bănulescu.
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