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Ich wurde nach der Publikation von V gefragt, wozu ich überhaupt dieses riskante Thema gewählt habe. Manche meinten, es sei ein für alle Mal erledigt, und mindestens überflüssig, wenn nicht schädlich, sich damit zu befassen. Ich meine das nicht. Ich meine, dass der Begriff eine solch relevante Begriffsgeschichte vor allem in jüngerer Zeit hat, dass wir auf ihn nicht verzichten können. Keineswegs kann auch der Begriff Heimat ihn ersetzen, und so werden wir ihn aktualisieren müssen, um ihn brauchbar zu machen. Allerdings ist bei Begriffen wie diesem gerade die Brauchbarkeit ein Problem, und daher ist, meine ich, vor allem die Kunst aufgerufen, zu verhindern, dass er wieder zu einem Schlagwort werden kann. Die Kunst vermag es, den Begriff beweglich zu halten, ihn der Vereinnahmung zu entziehen. Sie könnten jetzt einwenden: Was aber geschah mit jenen Hölderlingedichten, die die deutschen Soldaten in Feldausgaben als geistige Wegzehrung aufgenötigt bekamen? Ja, sie sind vereinnahmt und missbraucht worden. Der Missbrauch von Kunst ist möglich, aber sie überdauert ihn. Und auch aus diesem Grund wollte ich mich des Begriffes wieder annehmen. Ich wollte verstehen, was Hölderlin unter Vaterland verstand und ich musste verstehen, was ich unter Vaterland verstehe. Hölderlins Vaterlandsbegriff umfasst die bürgerlich-freiheitlichen Ideale der Französischen Revolution, die, auf das 1796 durch die napoleonischen Truppen besetzte Süddeutschland angewandt, für eine Befreiung von tyrannischer Fremdherrschaft gelten sollten. Ich, als heutiger Staatsbürger, verstehe unter Vaterland eine Abstraktion derjenigen Erfahrung, die den meisten von uns durch Heimat geschenkt wird, die beglückende Erfahrung von Nähe und von der Formbarkeit der Welt. Tatsächlich tut das Vaterland damit einen Anspruch an uns, nämlich, das, was uns durch Heimat geschenkt ist, auf etwas darüber Hinausgehendes, Abstraktes, eine nicht selbst gewählte menschliche Gemeinschaft zu übertragen: und eben „nicht […]“ zur Sache „eines Volks, nicht einer Partei […]. [sondern zur] Sache der Menschheit“ zu machen.
Diese Fragen in V sind die Fortsetzung meiner Frage danach, was Europa ist, wofür es steht und wo es endet, um die es in meinem vorhergehenden Gedichtband Pontus ging. Im Zentrum dieses Bandes stand der Bezug auf die Antike, die griechische Hegemonie, parallel zur derzeitigen europäischen Hegemonie in Bezug auf die Beitritts- und Austrittskandidaten, und die, wiederum gemäß antiker Sichtweise, „barbarischen“ Einflüsse auf die griechische Hochkultur. Auch in Pontus habe ich deshalb ein spätes Fragment Hölderlins als Motto des abschließenden Odenkapitels gewählt.
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Zwiesprachen III: Daniela Danz über Friedrich Hölderlin am 16.7.2015 im Lyrik Kabinett, München
Daniela Danz: Einige Gedanken über drei zentrale Begriffe in Hölderlins Spätwerk
Hölderlin und Hegel heute – Podiumsdiskussion
1. Der kühne Zugriff auf die freie Form in dieser zu einem unglaublichen Sprung ansetzenden Zeit.
2. Der Entwurf einer dichterischen Landschaft, in der das Vertraute ins Mythische übergeht und der Mythos in die Gegenwart greift.
3. Das Wagnis der an die Grenzen getriebenen Verständlichkeit
Daniela Danz, Verlag Das Wunderhorn, Klappentext, 2016
Christophe Fricker: Kreatives Lesen
literaturkritik.de, Juli 2016
In der Zwischenzeit: Poesie – mit Daniela Danz.
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