IN DER WAND
Das Licht in Bibliotheken die langen Studien
wo eine Fliege quer übern Tisch die Entfernungen
vermisst zwischen Gedanke Zeit und Tat
das Licht und der da liest sitzt im Gehäuse
eines grünen Apfels fest das Fleisch und Kerne
die aus vagem Weiß ihr hartes Braun erlernen
das Licht in Bibliotheken der Lesestaub und
seine stummen Dramen umeinander und um den
der liest und unter sich den Grund vergisst
das Licht nur Leere hinter schwarzen Zeichen
die er wie eine Wand durchklettert unberührt
vom Lachen derer die den flachen Anstieg nahmen
greift weit aus, in die Zeiten, ins Archaische, Mythische, und es führt in entfernte Weltgegenden, die doch merkwürdig nah liegen. Daniela Danz befragt die Bruchstellen: von Tradition und Moderne, von Europa und Orient, von Wasser und Land. Die Dinge, die sie auf ihren poetischen Reisen „findet“, rücken in ein verzaubertes Licht, sie werden zu phantastischen Orten neuer Erinnerungen.
Wallstein Verlag, Klappentext, 2009
– Liebesverlust Daniela Danz überschreitet den „Pontus“ zwischen Antike und Moderne. –
Wenn sich Poesie in „antike Dispositionen“ (Durs Grünbein) verstrickt, dann stehen ihr zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Die meisten Gegenwartsdichter bevorzugen leider den naheliegenden Weg des geringsten Widerstands: Die Nobilitierung ihrer Reiseerfahrungen an geschichtsträchtige Orte mit Prunkzitaten oder symbolschwangeren Namen. Da wird dann einfach das Antike-Regal abgeräumt und die Motiv-Evergreens zwischen Homer, Horaz und Ovid werden durchexerziert.
Daraus entsteht dann eine wohlfeile Discount-Mythologie zu ermäßigten lyrischen Konditionen. Im Gedicht taucht an jeder Straßenecke und bei jedem noch so nichtigen Reiseerlebnis irgendein berühmter Kronzeuge oder eine mythische Konstellation aus einschlägigen Urtexten auf.
Man ist wenig überrascht, wenn das poetische Ergebnis dann eher nach Traditions-Verramschung als nach Traditions-Verehrung aussieht. Aus den Imponiergesten vermeintlicher Mythos-Adaptionen entsteht nur eine Wikipedia-Archaik. Das ehrwürdige Reisegedicht schrumpft dabei zur rein bildungstouristischen Emblematik.
Daniela Danz, das 1976 in Eisenach geborene Literaturtalent – 2006 erschien ihr sehr ehrgeiziger Roman Türmer –, hat in ihrem lyrischen Erstling zum Glück den beschwerlicheren Weg gewählt. Sie schickt ihre Figuren zunächst über den berühmten Hellespont ans Schwarze Meer, den „Pontus Euxinus“, wo sich seit den Zeiten Homers alte und neue Kulturkreise, Europa und Kleinasien kreuzen und überlagern.
Dort kommt es unweigerlich zur poetischen Anrufung des großen Ovid, der einst in Constanta, dem antiken Tomis am Schwarzen Meer in der Verbannung lebte. In die Gefahr des bildungstouristischen Strebertums gerät Danz aber nur im ersten Kapitel, das einige „Souvenirs“ als Appetizer für die Begegnung mit der Fremde ausstreut. Aber bereits in diesem Abschnitt hat Danz schon lyrische Konterbande versteckt, um die allzu bequeme Fernreisen-Prospekt-Perspektive auf den Pontus zu zerschlagen.
Im Gedicht „Festung“ wird der fatale Gegensatz zwischen den Idylle-Suchern aus dem Westen und den in die Heimatlosigkeit geflohenen und in der Fremde dann internierten Migranten und Bootsflüchtlingen aus den Armuts-Regionen der Erde schroff ins Bild gesetzt.
Pontus: Der Titel von Danz’ Gedichtband evoziert nicht etwa ehrfürchtig einen mythenumwobenen Ort, sondern verweist subtil auf die Bewegungsform der Gedichte selbst. Es geht eben nicht um eine stipendiengestützte Reise an den „Pontus Euxinus“, sondern um einen poetisch kühnen Brückenschlag (von lateinisch „pons“) zwischen den unterschiedlichsten Kulturkreisen – der in die unmittelbare Gegenwart politischer Dauerkonflikte führt.
Das erhellen schon zwei Gedichte aus dem ersten Kapitel, in denen die Begegnung zwischen jüdisch-christlicher und islamischer Welt in schönen, legendenhaften Bildern vergegenwärtigt wird.
Im Gedicht „Gabriel zu Mohammed“ wird etwa eine Urszene des Islam aufgerufen: Der Legende nach hat der Erzengel Gabriel dem Religionsgründer Mohammed den Koran diktiert. Danz’ entwickelt daraus eine ebenso intensiv gefügte wie jede Eindeutigkeit meidende Szene, in der Energien und Anziehungskräfte zwischen einem Ich und einem faszinierenden „Er“ evoziert werden.
Ein Gedicht wie „Gabriel zu Mohammed“ hat denn auch eine viel größere Magie wie die symbolisch überdeterminierten Texte „Westbank 1“ und „Westbank 2“, in denen Reizvokabeln wie „Patronen“ und „Gürtel“ in plakativer Überdeutlichkeit die Nähe einer terroristischen Gefahr suggerieren.
Jedes Kapitel wird mit einem hochkonzentrierten Prosagedicht eingeleitet, das die Stoffe, Motive und Schauplätze der einzelnen Gedicht-Abteilung präludiert. Diese einleitenden Partien eilen mitunter in allzu erwartbaren Assoziationsketten dahin. Danz behält jedoch die Kontrolle über das antikisierende Namedropping – und sucht immer wieder kontrastbildenden Haltepunkte in der Gegenwart. Das gilt für das schöne Kapitel über das Hiob-Schicksal des ukrainischen Märchenhelden Danilo ebenso wie für das „album amicorum“, das die alten Dramen von Liebes und Liebesverlust durchbuchstabiert.
Nur da, wo die Kollision von Antike und Moderne auch am poetischen Stoff beglaubigt wird, kann bedeutende Poesie entstehen. Und das gelingt Danz in nicht wenigen Fällen, etwa wenn im Falle von „Telepylos“, einer Stadt aus der „Odyssee“, nicht eine Homer-Schwärmerei ausgepinselt, sondern lakonisch die nüchterne Empirie der Kriegshandlungen verzeichnet wird, die in der antiken Stadt und ihrem realgeschichtlichem Abbild stattgefunden haben.
Hier wirkt dann der Hinweis auf „eine eiserne Ration Homer“ nur noch sarkastisch. Das heikelste Kapitel in Pontus, in dem die Dichterin an eine kryptische poetologische Notiz Hölderlins anknüpft, übersteht Danz nur mit einigen Blessuren. Mitunter gibt sie der Neigung zum Selbstkommentar nach oder greift zu einem blassen Bild.
Ihre verstörende Wirkung bewahren ihre Gedichte aber immer dann, wenn sie ihren Rätselcharakter nicht preisgeben, sondern verstärken. Wie in „Ceyx“ aus dem Kapitel „Symbolon“:
bleiben können wir hier auf den Felsen
Flügel deine Schulterblätter Klippen
unter uns die Knochen brechen doch
Flossen unsre Arme Beine glänzend zähl
ich jede Schuppe deines Leibes sirren
über uns Zikaden oder ist das unser Ton?
Ja, es klingt sehr angenehm und die Sprache fährt lange Strecken oft und dann und wann erscheinen Erkenntnisse, die man gerne teilt.
Eingeteilt in fünf Abteilungen, deren Überschriften weniger erraten lassen als sie preisgeben, beginnt das schöne Werk jedoch mit einem Prolog an das Meer, an Helles Meer.
Helle, eine mythische Königstochter flieht mit ihrem Bruder auf dem goldenen Widder, weil ihre Stiefmutter sie hasst.
Auf dem Weg übers Meer rutscht Helle jedoch ab und fliegt ins Meer (Hellespont), ihr Bruder entkommt nach Kolchis.
Und somit erschließt sich das alte Märchen für uns Leser, denn später wird das Goldene Vlies (das abgezogene Fell des goldenen Widders) von Jason und Medea gesucht und gefunden. Das aber ist auch eine märchenhafte Erzählung, jedoch, wie wir wissen in der Literatur verankert.
Nun zu den Gedichten und den eingestreuten Prosastücken.
Die Prosastücke haben es in sich, sind stringent gehalten, berichten von Alltäglichem mit dem Hinweis auf nicht Alltägliches und die Protagonistin als „felicissima filia“ im ersten dieser Stücke spiegelt sich, findet sich wieder und weiterhin sucht sie sich und anderes.
Das ist schön, angenehm zu lesen und läßt das Abenteuer des Reisens sichtbar werden.
Die Gedichte: zum Teil beim langsamen Lesen sich auffächernd, aber doch nicht immer, manchmal versandet etwas im Fluß der schönen Sprache.
Ein Kritiker einer großen Tageszeitung spricht von der alkäischen Ode, die spürbar wird, weil sie streng eingehalten wird in ihrer Art, vor allem in der letzten Abteilung der Gedichte. Alkäisch oder asklepiadeisch, wer weiß, etwa auch sapphisch?
Die unter der Überschrift „Album amicorum“ versammelten Gedichte sind für mich durchschaubar und besonders gelungen, vor allem wieder das einleitende Prosastück. Hier ein Gedicht-Beispiel als Auszug:
frisch gehobelt war der Tisch er roch
nach Fichten die hoch und flüsternd
beugten ihre Kronen über mich:
hat die junge Frau kein Haus und
hat sie keine Kinder warum aß
nicht einer ihr geschnitten Brot
Aber die Reise in den Süden, in den Osten, den nahen zumeist, diese Reise hat viel zu erzählen aus den Ländern dort und nicht nur von der Angst, auch vom mutigen Durchhalten.
Und oftmals glänzt nicht nur das Vlies des Widders auf, auch die Zuversicht trotz allem scheint herauf dort am Hellespont, immer schon und anscheinend, gottseidank, immer wieder.
Robert S.: Zu „Pontus“ von Daniela Danz
Lyrik der Gegenwart, 1.7.2019
Daniela Danz – Literatur zwischen Gesellschaft und Sprache am 3.12.2022 im 4. Salon der Arab-German Young Academy of Sciences and Humanities
In der Zwischenzeit: Poesie – mit Daniela Danz.
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