Bring mir das Wort
wiederholte er zwischen Gesten und Schritten
und du wirst geliebt werden
ein einziges
das wie die Februarhimmel glüht
das meines zurück halten möge und du siehst
nur dies kenne ich von ihr
das vage Licht und die Welle
sag mir ein Wort
und du wirst geliebt werden
wie der erste Stern am Abend
geliebt wird von der Nacht
und für ihn seinen Namen ändert
letzter Traum
der im Zimmer bleibt
und noch
über das eigene Dunkel hinaus
von Ding zu Ding
erklingt und tanzt
Danila Boggianos Buch beginnt mit einer von Licht durchfluteten Szenerie: kleine Mädchen, die in einer natürlichen, beinahe verzauberten Welt leben und aufwachsen, die reich an Tieren und Pflanzen ist und in der ein gleichzeitig realer und metaphorischer Wind weht. Die Zeit verstreicht zwischen all diesen Figuren nahezu unbemerkt, bis sie sich plötzlich, jedoch erst am Ende des ersten Teils, in all ihrer Unerbittlichkeit zeigt, die zwar unvermeidbar ist, die aber beinahe unbekümmert angekündigt wird.
Dies wird nun der Ablauf der Texte sein, die die Sammlung bilden. Die Sprache ist klar, wenn auch fortwährend anspielungsreich auf eine fundamentale Wahrheit verweisend, die jedoch nie explizit angekündigt wird, der man sich nur annähern kann, da sie unsagbar und vielleicht im Grunde unnennbar ist, weil ein Geheimnis sie umgibt. Es sei denn, man nähert sich in diesem Zusammenhang einem Bild wie dem der leichtfüßigen und grausamen Gazelle: sie ist glücklich über ihren leichten Schritt und von intuitiver animalischer Intelligenz, so als sei sie Teil einer heilen Welt und einer einzigen Seele, die alle umfasst; und doch ist sie auch von metaphorischer Deutlichkeit, die die Eigenart der Bilder mit bedachtsamer gedanklicher Beunruhigung begleitet.
Es ist in der Tat überall eine Art Sehnsucht in den Gedichten enthalten, die nicht allzu sehr von Schmerz gekennzeichnet ist, sondern durch eine Tröstung, die ermöglicht wird durch die Rückkehr zu jener immer präsenten Zeit der Kindheit oder zu jener einer angedeuteten keuschen Liebe, die jedoch so stark war, dass sie dem Tod den Platz streitig machte. Die Dichterin vertraut dem eigenen Wort ganz und gar, sie vertraut ihm mit völliger Aufrichtigkeit die geheimsten Bewegungen der Seele an, und dabei erfährt sie Trost, ja sie sucht darin sogar offenkundig einen Halt angesichts der Verwundungen der Seele, angesichts der Wundmale, die im ersten Abschnitt weit weniger zahlreich waren als die Bilder vom Glück in der Natur und in der Natürlichkeit: allerdings erweisen sie sich als unleugbare Vorahnung eines Zustands, der trotz der Hilfe jener wertvollen Ausstattung aus den Anfängen mühsamer und beschwerlicher zu bewältigen ist.
Dazu gehört die „bestimmte und leichte“ Geste der Mutter, die das „Licht im Zimmer entzündet“; die weiße Seite jedoch wird „von deinen holprigen Silben verwundet“, sodass dort „Klatschmohn und Veilchen“ und die Lampe „die wir in Händen hielten und die wir entzündet hatten“ nebeneinander bestehen. Und ähnlich auch die „Tanzschritte“ von jemandem, der „zögert / in letzter Liebe zur Erde / bevor er die Schwelle / der Schatten überschreitet“. Dennoch bewahren die Bilder vom Leben ein ihnen eigenes Licht, das Glück bedeutet, ja das zuweilen sogar strahlt und frühlingshaft wirkt. Und auch wenn es in „den Blick eines Ungeheuers“ gefallen ist, „für immer gefallen/ die erträumte Puppe“, so „betritt die Mimose das Haus / verströmt die Glyzinie ihren Duft… hinterlässt goldene Liebkosungen auf den Mauern.“
Jedoch, wie Angela Barile gesagt hätte, „wegzugehen ist dem Entführten nicht gegeben“. Und deshalb heißt es, „die Liebe / oder dasselbe Geheimnis / das allen Dingen innewohnt / zuweilen streifst du es…“ und jene Schmetterlinge „wer weiß, ob sie lächeln und tanzen / oder ob sie sanft sterben“.
Die Botschaft wird derart anderen Kreaturen anvertraut, mit ihnen geteilt, damit wir sie uns so besser zu eigen machen können, jedoch ohne Schwere, die uns bedrücken könnte anstatt uns zu bewegen, das gemeinsame Schicksal der Endlichkeit zu akzeptieren. Deshalb würde ich dem Leser raten, öfter zur Lektüre jenes überzeugenden Gedichts zurückzukehren, das den Anfang des Werks bildet („Die Tage hatten…“), und sich dann der bereits erwähnten Gazelle zu widmen, damit derart der Zusammenhang zwischen der breit gestalteten Erzählung vom Leben – die reich ist an Suggestion, Bildern, sogar Träumen und Erschrecken – und der vollkommen glücklichen und gleichzeitig todgeweihten Synthese jenes zarten Tiers bewiesen wird.
„Wer weiß, welchen Gott die Gazelle anruft, / wenn es für sie keinen Ausweg mehr gibt…“, ob eine ihr ähnliche Gestalt oder der gleichgültige Abgrund sie erwartet. Hier entfernen wir uns von den Worten, die zur einzigartigen Sprache der Poesie gehören, jedoch nur um sie zu interpretieren. Das was jagt und verschlingt, natürlich nicht nur die Gazelle, ist jedoch zur Gänze und beinahe heiter in einer Frage enthalten, in der sich jeder auf die ihm eigene Weise erkennt, indem er in seinem Blick „sanfte Gräser“bewahrt, die zwar zertreten werden, aber doch existieren. Und indem sie auf diese Weise bekräftigt, dass auch die Augen des Menschen „die Sonne suchen, wenn sie sterben“, überreicht uns Danila Boggiano diesen vielfarbigen, fröhlichen und bestürzten, lebendigen und verhängnisvollen Strauß aus Versen, die wir nicht vergessen werden.
Adriano Sansa, Vorwort
Dieser erst vor kurzem erschienene Lyrikband In tenerezza declina il vento von Dànila Boggiano ist ein zwar schmales, aber doch bedeutungsvolles Buch.
Ich kenne die Autorin seit geraumer Zeit, zwar leider nicht persönlich, aber durch eine konstant aufrecht erhaltene, freundlich – freundschaftliche Korrespondenz. Ein gemeinsamer Freund, Massimo Bacigalupo, emeritierter Professor für Englische Literatur an der Universität in Genua, hatte Dànila offenbar meinen Mann, Hans Raimund, Übersetzer und Lyriker, und mich als mögliche Übersetzer ihrer Lyrik genannt. Sie schickte uns ihr Werk mit einer liebenswürdigen Widmung, und ich beschloss nach aufmerksamer Lektüre, eine Übersetzung dieser Verse zu versuchen.
Mein Mann und ich übersetzen seit Jahren Lyrik aus dem Italienischen, ohne Vertrag, ohne Bezahlung, nur aus Freude an der Arbeit mit Sprache und mit der vagen Hoffnung, dass unbekannte, italienische Lyrikerinnen und Lyriker im deutschen Sprachraum Gehör finden. Manchmal entstehen dann, sofern es sich um zeitgenössische Autoren handelt, persönliche Beziehungen zwischen Autor und Übersetzer, die uns viel bedeuten.
Nach aufmerksamer Lektüre war mein erster Eindruck, dass sich die Anfangstexte des Bandes leichter erschließen als jene, die ungefähr ab der Mitte der Sammlung folgen. (Dies erwähnt auch Adriano Sansa in seinem Vorwort.) Thema ist zu Beginn das behütete Aufwachsen eines Kindes, eines jungen Mädchens, das die Tage als „Geschenk“ empfindet, das eins ist mit der sie umgebenden Landschaft und Natur. Feste werden gefeiert, die Welt ist hell und strahlend, ein einziges großes Versprechen. Doch diese Helligkeit wird auch getrübt durch schmerzliche Erfahrungen: die Mutter ist eine strenge, unnahbare Frau, die Schuldzuweisungen verteilt, der Vater zumeist abwesend, der geliebte Onkel stirbt, der wunderbare Kirschbaum wird gefällt.
Und durch alle Texte weht der Wind („Man braucht einen windigen Verstand / um die Worte des Winds zu verstehen.“), der unvermeidbare Veränderungen mit sich bringt.
Und so wirken die späteren Texte spröder, hermetischer, weniger rasch verständlich. Es bricht Dunkelheit ein.
Und dann (…) verteilte sich die Kränkung zwischen den Dingen.
Bitterkeit stellt sich ein, Verzagtheit angesichts der Vielzahl von verstörenden Ereignissen. Das empfindsame, verletzliche lyrische Ich gibt sich immer wieder zu erkennen, notiert ernüchtert, wie sich ihm Menschen und Dinge entziehen. Das Schreiben ist nur Behelf, ist mühseliges Bemühen um Dauer, um Gültigkeit „vergeblicher Lieben“.
Bewegend z.B. das Gedicht, das der zu früh verstorbenen Dichterin Elena Salibra gewidmet ist und in dem viel Nähe, viel Verständnis spürbar werden.
So bin ich bei dir um dir
im Wind zitternde Wörter zu bringen.
Ein anderer Text ist der Nobelpreisträgerin Louise Glück gewidmet, auch hier wird Nähe ausgedrückt:
Für dich verlieh ich Blumen eine Stimme.
Gegen Ende der Sammlung häufen sich Schmerz, Enttäuschung, Leid.
Die Seele war müde geworden.
Und doch „öffnete sich ein Himmel auf der Buchseite.“ Das Rätsel Liebe bleibt ungelöst, das Licht ist „vage“, die Umarmungen sind „amputiert“. Was bleibt, ist der Wunsch, das Böse möge sich in Hoffnung verwandeln, „an die Novemberabende / werde ich Lampen hängen“ und „aus dem Wind werde ich ein Orchester bilden.“
Ganz deutlich manifestiert sich der unbeirrbare Wille, trotz aller Versehrtheit, trotz aller Kränkung „Ja“ zum Leben zu sagen.
Kennzeichnend für unterschiedliche Befindlichkeiten sind unterschiedliche sprachliche Mittel, derer sich die Autorin bedient. Im ersten Abschnitt überwiegen Langzeilen, z.B. für die Vorbereitungen der Feste, die Vorfreude der Kinder. Verben werden gezielt eingesetzt, da alles in Bewegung ist, da jegliches Tun ein verheißungsvolles Morgen hat.
Ganz anders die Texte des zweiten Abschnitts, in denen die Zeilen kürzer sind, die Substantive überwiegen, wodurch eine gewisse Statik erzeugt wird. Und es handelt sich zumeist um geläufige, zwar nicht abstrakte, aber doch wenig greifbare Nomen, die zum Einsatz kommen: Himmel, Traum, Schatten, Mond, Nacht, Angst. Natur und Landschaft treten in den Hintergrund. Und obwohl das verwendete Wortmaterial vertraut wirkt, ist dessen Bedeutung nicht immer leicht zu erfassen. Bilder und Metaphern bleiben häufig rätselhaft.
Charakteristisch für den Stil Dànila Boggianos sind weiters zum einen der weitgehende Verzicht auf Adjektiva, wodurch der Eindruck einer gewissen Kargheit, Sprödigkeit entsteht und zum anderen die nahezu vollkommen fehlende Interpunktion, die den Leser dazu zwingt, Zusammenhänge selbst herzustellen, was nicht immer überzeugend gelingt.
Dànila Boggianos Gedichte benötigen also einen aufmerksamen, konzentrierten, mit Lyrik vertrauten Leser, der für seine Anstrengung jedoch mit einem Kaleidoskop von erinnerten und erträumten Szenarien belohnt wird, die alle „sanft, ganz sanft“ vom Wind bewegt werden.
Franziska Raimund, Hochstrass, im Februar 2022, Nachwort
Wird ein italienisches Gedicht in die deutsche Sprache übersetzt, wechselt es nicht nur den linguistischen Zeichenkodex, sondern auch den literarischen, und dieser kann auch vom besten Übersetzer nicht umkodiert werden, denn die Erinnerungssphäre eines Einzelwortes ist muttersprachlich gebunden.
Das schreibt Eugenio Montale über das Übersetzen. Er hat gewiss recht, aber wir Leser sind glücklich, dass wir auch die Werke aus anderen, uns fremden Sprachen genießen und ihnen so nahe wie möglich kommen können.
Ein sehr feiner, intensiver Genuss ist die Lektüre der von Franziska Raimund übersetzten Gedichte der aus der Provinz Genua stammenden Dànila Boggiano. Von der ersten Zeile an trägt ein beglückender Rhythmus durch die Tage einer Kindheit, die wie „ein Geschenk empfunden“ wurden, „wie warmes Brot nach langem Fasten.“ Für die „kleinen Mädchen“ ist alles beseelt, die Pflanzen, die Früchte, der Fluss, der Kirschbaum und der Brunnen darunter. Verse wie blühende Sommertage mit Margariten und Veilchen – später werden es Mohnblumen und Veilchen sein, das Helle wird dem Dunklen weichen. Adriano Sansa, der Verfasser des Vorwortes, empfiehlt den Lesern, immer wieder bei der Lektüre zu den ersten Versen zurückzukehren. Denn diese von Schönheit und Glück durchdrungene Zeit mit ihren Geheimnissen bleibt wie ein Licht, eine Lampe in der Dunkelheit der späteren Zeit bestehen. Wunderbar die Beschreibung des Regens, der alles einschließt und verbindet:
der Regen ist der goldene Faden, der uns vereint, die Häuser öffnen sich wie Rosen…
die Zeit ist ganz in jenen Tropfen eingeschlossen…
die Gedanken sind Blumen, Wörter ihr Duft
die Mädchen waren Gärten und Wiesen
sie fühlten den Schmerz abgeschnittener Blumen…
Verse von wunderbarer Poesie, beseelte Bilder. Aber später „wer weiß aus welchem Gedanken entsprungen / verteilte sich die Kränkung zwischen den Dingen… der Himmel verlor seine Wörter / sie fielen zu Boden wie verwundete Schwalben…“
Die Mädchen erlebten den Verlust geliebter Menschen, sie erfuhren den Schmerz, sie wurden erwachsen, sie „hatten den Wind gelernt“.
Das schmale Bändchen ist eine lyrische Reise durch Lebensjahre von äußerster Dichte. Noch war das Schwere, Erschütternde nicht eingetreten, „und wir achteten nicht auf den Mond / auf die Zeit die neben uns einherschritt… als wir im Schatten schon gegen den Strom schwammen“. Aus der Kindheit blieb ein Vorrat an Stabilität gewahrt, denn „man muss in einer längst vergangenen Zeit / die blühenden Silben der Stunden gelernt haben / man muss lange geruht haben / an ihren grünen Ecken“. Aber plötzlich geschieht etwas dann „bringe ich dir meine Nächte / bei Kerzenschein verbracht… und den Stein meines Atems / bringe ich dir / der mir das Herz zertrümmerte“. Die Atempause, den Fluchtort gibt es nur im Traum, in der Sprache, in den Gedichten, die wie „Nester aus klaren Wörtern die zwischen den Zweigen singen“, sind. Es ist nicht alles zu verstehen und zu deuten in diesen Gedichten, dennoch berührt es. Vieles verschließt sich und bleibt verborgen unter den Bildern der Sprache, und es will auch nicht verstanden, es will gesagt sein.
Das letzte Gedicht bringt die Zuversicht, das Sanfte zurück:
Es möge,
du der du zurückblickst
mein neuer Engel
mit finster blickenden Augen,
sich das Böse in Hoffnung
verwandeln…
an die Novemberabende
werde ich Lampen hängen
aus dem Wind werde ich ein Orchester bilden
im Maiengras
umarmen werde ich die Glühwürmchen
lernen werde ich eine neue Sprache
Die Schönheit und Musikalität der italienischen Sprache, ihre Geschmeidigkeit, ihr Wohlklang – Franziska Raimund gibt auch dem angeblich spröden Deutschen diese Eigenschaften. Sie „übersetzt“ von Ufer zu Ufer, vom anderen zum eigenen, von einer „muttersprachlichen Gebundenheit“ in die andere. Und wir Lesende fühlen nicht wie Montale, dass die „Erinnerungssphäre eines Einzelwortes“ durch diese Gebundenheit eine andere sein könnte. Wir tauchen ein in diese Lyrik und erfreuen uns an ihrer Übersetzung.
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