ERNST JANDL – EINE BEGRÜSSUNG
Guten Abend, meine Damen und Herrn, ich begrüße
aaaaasie gerne
zur Lesung von Ernst Jandl.
Besonders gern und herzlich begrüße ich zur Lesung
aaaaavon
Ernst Jandl: Ernst Jandl.
Wer Ernst Jandls Texte kennt, weiß, die haben eine
aaaaaWut.
Wer Ernst Jandl kennt, weiß, der hat eine Wut.
Der hat eine Wut, daß das Leben ihn nicht fragt, ob er es will.
Der hat eine Wut, daß das Leben ihn nicht fragt, ob es ver-
gehen soll.
Der hat vom Leben einen Körper, der ist Sprache.
Der schaut hinter die Sprache. Dort ist wieder die Sprache.
Der schaut hinter diese Sprache. Dort ist wieder die Sprache.
Das ist der Hintersinn.
Der nimmt die Sprache und beutelt sie und sagt: frag mich
gefälligst.
Die Sprache fliegt aus dem Beutel heraus.
Der nimmt die Sprache und rupft sie und sagt: frag mich
gefälligst.
Die Sprache fliegt zerrupft herum.
So ein Unsinn, sagt Jandl, will eine Sprache sein und fliegt
aus dem Beutel heraus.
So ein Unsinn, sagt Jandl, will eine Sprache sein und fliegt
zerrupft herum.
Elfriede Czurda
Tut so, per procura, als gebe es zumindest eine akademische Preisfrage greifbar, worauf alle entschiedenen Antworten passen. Und versucht, in einiger Selbstdurchdringung und Fasson, eigener Einsicht sowie je spezifisch erfahrbarer Verdrängung – dessen, was in einem fort vorgeht, Gnoseologie des Auges −, private Mutmaßungen konjektural zu deklinieren, was in allem und durch alles sich Bewegende aller Sprecher Empfindsamkeit spürt: Berührung? Oder aus Sprachwiesen, unbewegt doch bewegend, ambulant aber ausgrasend, und vernehmbar Zerstreutes hört? Rücke mit der Sprache heraus, wer hinter sich kommt.
Der Prokurist, Klappentext, 1990
springender Doppelpunkt zwischen Wien und Lana, versammelt zum großen Teil die lokale Begegnung und weiterreichenden Beziehungslinien der Kulturtage Lana 1989 Beweger, unbewegt, deren implizite Voraussetzung die Ankündigung einer Akademie für Sprache gewesen war: ein Kreis von Autoren, deren Zentrum überall und dessen Umfang nirgendwo ist; – viele, bald ineins mündende, bald einander fort und fort verdoppelnde, Neues verfestigende oder Allmähliches erreichende, stetig sich verflechtende Trajektorien und Traditionen rundend, ein Tableau aus Sprachen und Ebenen, in ständiger Durchdringung, und begriffen.
(Aus welchem Wiesengrund genau ist Sprache, in der jedes Wort die gesamte poetische Enzyklopädie ihrer Erscheinungen verlauten läßt – dieser angehörig −, in sich wiederholt? Erst im Zurückweichen gegenüber vorschnellen und unerwünschten Zuordnungen, umständlicher Ergänzung und voneinander abweichenden Orientierungen, Einräumen geheißen, können einzeln angeordnete Rückfragen der Dinge, sichtlich erhellend, an die Stelle ihrer voraussetzenden Bedingungen liieren: Wer zwischenfrägt, tippt auf der Schwelle, pflügt sprachliche Archive voraus. Und wie, wenn ich aber reden müßte, berührte ich, meiner Aufmerksamkeit die Erinnerung?)
Die mannigfaltigen Weisen der Welterzeugung, die Überzahl literarischer Gegenwelten, Außenwelten und Innenwelten, die enzyklopädische Vielfalt ihrer wechselseitigen Übertragungen, das auftauchen an Orten, das Erscheinen in Worten, die – das darunterliegend Verborgene offenbar verbergende – Verlautbarungen: sind unterschiedlichste Antworten im Ereignishorizont lebhafter Metaphern, wo das Milieu der Sprache, ihre Öffentlichkeit, erhellend einsieht. Darauf scheint es keine allgemein nennbare Nachfrage zu geben. Ihr Autor ist, das Wie im Wo, ein Aorist.
Der Prokurist, Begleittext, 1990
Als Ereignis an immerhin [immer] anderen Orten, im Kontext von, sagen wir, bestimmten Organisationsformen für Öffentlichkeit. Im Konnex mit anderen [Publikationen]. Die Zweitschrift einer Zeitschrift, Nummer Null und Nummer Eins Null. Plötzlich vielleicht und unerwartet tritt Der Prokurist in den Zusammenhang einer Auseinandersetzung, die es ohne [Konjekturen] vielleicht gar nicht gegeben hätte. Der Prokurist aber (Turist im Korpus? Ruki im Orkus? – Pastiors Ubertragungsdoppelpunkt der Metapher ins Syntagma) ist immer schon weiter, voraus[sichtlich] nur um weniges, Wort für Wort [vorläufig] ohne Ort [und Jahr]. Der Verteter einer unbegrenzten [unermess-lichen] Vollmacht, seine Freiheitsgrade selbst[vergessen] zu bestimmen oder [auch] zu ver-lieren. Der Prokurist ist kein Sitz für Stimmen einer Sprache [Organ für Literatur], aber jeweils deren Versprechen [Leertasten] um einen attraktiven Punkt. Eine Erscheinungsform mit Mobilität zwischen den Medien: vorübergehend taucht von Mal zu Mal ein Prokurist auf und verschwindet wieder; gleichzeitig aber – und das ist immerhin paradox – wird er immer als derselbe und selbander bändig identifiziert. Ein Name, der nichts benennt als seinen Ruf. Der Prokurist ist als [chaing of?] Beam [Korruptele] ein Hasardeur, der wie alle Parasiten, Schulterhocker, Aufsitzer, tapferen Schneider, Zaunkönige und Zwerge auf Schultern von Riesen die Welt, die er lebt [doch ja, ein bißchen gewiß], schlecht verwaltet, privilegiert [und] bleibt, und jeden Händedruck [lectio difficilior:] Hand in Hand umdreht. [1988/1992]
Edition per procura, Ankündigung
Verein für Organisation und Austausch von Kunst und Kultur ist im Jahre 1989 in Wien gegründet worden. Ein Stammtisch von Schriftstellern, Künstlern und Kulturwissenschaftlern konnte kraft Organisation und Koordination von Literatur, Wissenschaft und Kunst im engeren kulturellen Wechsel mit Lana (der Verein ist aus der Tätigkeit und einigen Vorstandsmitgliedern des Vereins der Bücherwürmer Lana hervorgegangen) – aber auch mit weitem Europa überhaupt – eine eigene Informationsstruktur samt Redaktionskonzept aufbauen, gruppieren und weitertragen. Von Lana aus gesehen machte die real existierende und wachsende Vernetzung mit anderen Veranstaltungsorten und Ideenbereichen ein eigenlebiges Büro in Wien notwendig und ermöglichte im gleichen Zuge („transalpin“) die Zeitschrift Der Prokurist mit doppelter Buchführung („Und Tuchfühlung?“). Ein Scharniergelenk dieser Zwillingsbindung war 1989 die Rückführung des Kravoglschen Kraftrades aus dem Technischen Museum Wien ins Geburtshaus des Erfinders nach Lana.
Seit April 1990 hat sich der Verein in zuzüglich strukturierten Räumlichkeiten eingemietet, um von dort aus seine kulturelle Tätigkeit („ungleich“) intensiver aufzunehmen. Die Veranstaltungen der Secession Lana erbieten damit ihr entsprechendes, gleichsam größeren Aktionsradius ermöglichendes, betriebliches Pendant. Die kontinuierliche, propädeutische Vor- und unterstützend redaktionelle Nachbereitung in der Session Wien stillen gleichsam mehrere Verlangen nach erbittlich geltender, ebenso ersichtlich wie repräsentativ einräumender Vermittlungsstruktur, stellvertretend zwischen Wien und Südtirol („wer so will“). Beide zentrieren Sammel- und Verteilungsträger – Archiv und Vertrieb, springender Doppelpunkt – von aktuellen literarischen und offenbaren Beziehungslinien. Damit sind im Modell endlich jene Voraussetzungen zur Organisation von Selbstorganisation gekoppelt, aus denen heraus die procura selbstgewiß hervorragt und – déjà-vu anscheinend – punktet: Es entstand nachgerade das gemeinsame, in Wien und Lana erscheinende Publikationsprojekt edition per procura (Abteilung B) und die alljährlich stattfindenden Kulturtage Lana werden ebenfalls von hier aus konzipiert und bereitet. Von nun an können Lesungen, Veranstaltungsreihen, Symposien und Ausstellungen in Lana sowie Exkursionen und eigene oder nachbarschaftlich berührende Publikationen in einem konzeptionell weiterreichend eingebundenen Zusammenhang koordiniert und operativ, geographisch übergreifend, gewertet werden.
Die dazu erforderlichen Vorarbeiten sind inzwischen soweit abgeschlossen, um die Räumlichkeiten einer literarischen Öffentlichkeit zugänglich und keinen Staat zu machen. Die Session Wien jener ideellen Akademie umfaßt in Ergänzung („ein Herz und eine Seele“) zur erprobten Einrichtung ihres Voraussetzungssystems in Lana: erstens ein funktionales Büro mit entsprechender Geschäftsführung, das die erforderliche redaktionelle Mitarbeit in bezug auf jedwede Produktion in Lana erleichtert; zum andern einen Veranstaltungsraum mit kleinem Schanktisch, wo Werkstattgespräche und Sessionen mit („Sitz im Leben“) Lesungen, Vorträgen und Ausstellungen organisiert bzw. ermöglicht werden sollen; darüber hinaus eine Sammelstelle des Europäischen Archivs für Poesie, welches in Lana in Aufbau ist sowie eine Einlauf- und Vertriebsstelle von Informationen, Ideen und Interessen.
Auch im Jahre 1991 werden Bücherwürmer und Prokuristen als betriebsame Verbindung ihre Tätigkeit im Gefüge verschiedener Veranstaltungsformen, Beziehungslinien und Arbeitsbereichen fortsetzen. Nach erfolgter Verfestigung der infrastrukturellen Voraussetzungen und wechselseitiger Koordination von Sitz und Stimme, zeichnet nunmehr kräftiges Kolorit sichtbar Konturen, zeiht Parcours, Projekt und Produktion nach Jahr und rotem Faden, und noch und noch ergeben einander Ereignisse laufender Dinge, Zeit des Wartens. Der Kreis von Aktivitäten mag sich („Runde“), und mit beruhigter Gelassenheit sehen der Verein der Bücherwürmer und dessen Prokuristen auf alle eingelösten Ankündigungen zurück, sehen zu, daß im gegenwärtigen Jahr das erreichte Tableau gefestigt und wohl zum Teil auch erweitert werden kann. Rückblickend auf einen vervielfachten Realumsatz, welcher jene qualitative Schwelle überschreiten half und ein neuartiges, komplexes Geflecht literarischer Öffentlichkeit entstehen ließ, lokal bis kontinental, wissen mehr und mehr zu schätzen, worauf Tätigkeit jederzeit rückführbar erbaut werden will. Wohl trägt der Fortlauf der Geschehnisse einigen Keim zwar nicht zur Sorge, aber doch zu besonnener Aufmerksamkeit, und die nachdrückliche Bereitschaft zu breitflächig versponnener Aktivität ist dauernd. Einigen war die Akademie noch nie plausibel und, täuscht nicht alles, so rochieren jetzt Demarkationslinien. Schade, soviel Ungestüm. Procura erscheint republik, siebenmal im Jahre 1990 allein: das PR-Projekt mag nur die Stillen vom Land kongregieren, um, aber in ungleich weiterreichter Nachbarschaft wirken, eine Art Exportartikel geistigen Binnenmarktes wiederherzustellen und sich nicht irgendeinem Vergleich kraft ökonomischer Verkaufskraft messen, welcher zudem noch anzuzetteln wäre. Nur die Ruhe. Zum anderen, aber das fällt schon leichter, ist gewiß das Niveau der Veranstaltungen (Abteilung A) – samt dem Ausbau des Europäischen Archivs für Poesie (Abteilung C) – zu halten (aber in Bewegung), zu welchem bereits namhafte Schriftsteller ihre Zuträgerschaft beginnen. Als Akademie für Sprache (Abteilung D) wird die traditionelle Exkursion (Abteilung E) dann nach (und nah) dem Osten – in die Autonome Tschuwaschische Sowjetrepublik – unterwegs sein, so viele mögliche Welten in wie vielen ermöglichten Tagungen („Session aus Secession“). Selbstredend, aber nicht angekündigt, werden einzelne Autoren, Projekte oder Bücher vorgestellt. Dazu kommen Ausstellungen, die den Bereich des Literarischen berühren, etwa die erstmalig vollständige Präsentation der Gemälde Pier Paolo Pasolinis, welche vom Assessorat für Kultur der Provinz Pordenone zur Verfügung gestellt werden. Aus solchem Ungefähr heraus erfolgt, genüglich und wiederholt verjüngt, unablässige Dislokation. Vorausgesetzt, die Dinge laufen.
Seit 1990 erscheint die Zeitschrift Der Prokurist
in Wien und Lana mit mindestens drei Literaturnummern und einer nicht festgelegten Anzahl von Supplementbänden (edition per procura) pro Jahr. Südtiroler Eigentümer des mehrstelligen Publikationsprojekts ist der Verein der Bücherwürmer Lana, Herausgeber Oswald Egger. In Wien trägt die Publikationen als Zweitstelle der gleichnamige Inhaber – Der Prokurist. Verein für Organisation und Austausch von Kunst und Kultur – unter integrierend redaktioneller Mitarbeit bislang vor allem von Peter Waterhouse. Zuträger und Kommanditär Felix Philipp Ingold haftet in korrespondierender Teilhabe aus Zürich am PR-Projekt, Hermann Gummerer hält in der Secession Lana kulturwissenschaftliche Leitlinien inne – mit ermessendem Beirat – sowie jedwede Endredaktion in Zusammenarbeit mit Robert Huez und Arnold Mario Dall’O durch. Damit erfüllt sich das Desiderat einer unmittelbar anwendbaren, funktionalen, zugleich publizistisch präsenten Vermittlungsstruktur zwischen Wien und Lana: Zum einen, was die organisatorischen Voraussetzungen der kulturellen Übertragung betrifft – im Hinblick auf seine ebenenweite Vernetzung – zum anderen, was einen entsprechenden distribuierten medialen Träger bereitet, der Zentrum und Peripherie faktisch ineins setzt. Die Veranstaltungen des Vereins der Bücherwürmer einerseits und die entsprechenden Tätigkeiten des Wiener Büros – vorgestellt repräsentiert als Akademie für Sprache (Abteilung D) finden so endlich ihr geeignetes mediales Pendant.
Aus: Die Akademie ist der einzige hüpfende Punkt im Staate. Jahresbericht der Akademie für Sprache, 1991
Der Dichter Oswald Egger.
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