BESCHÄFTIGUNG
Das Meer mit seiner Bläue schmuggelt meine Angst,
und ich war dein fertiges Gedicht;
dich mit Gedichten beschäftigend,
verschobst du mich auf den Anfang
mit Gedichten, die vom Meer gefürchtet werden,
denn es flüchtet in die Bläue ihrer
verträumten Augen und schiebt seinen Anfang
aaaaahinaus.
Sa’adiya Mufarrih
DIE ANKUNFT
Ich werde meine Seele lieben, im Beben ihrer Schatten leben Jahrhunderte,
Erfüllt von den Farben der Phantasie.
Dort in der Seele Windungen hab’ ich die Schönheit gefunden
Und Welten, strahlend wie Sterne und voller berauschender Düfte.
Und dort – wie viele Farben sanken auf den Grund der Kelche der Erinnerungen!
Wie viele Geschichten schliefen und verbargen ihr Geheimnis hinter dem Fühlen.
Wie viele blitzende Träume von Liebe, die eine Weile lebte und dann starb.
Wie viele Melodien eines Sommers, als der Abend
Drückend und schläfrig war in manchen Dörfern.
Ich sang sie und schaute gelöst
Auf den Schatten der Palmen in fruchtbarer Erde.
Ich werde meine Seele lieben, in der Klarheit ihrer Schatten find’ ich zur Klarheit.
Die Trennung von der Heimat währte lange, und die
Hügel färbten sich mit dem Blute des Sonnenuntergangs.
Selbst der Tag begab sich in die Betten des Abends.
Nichts blieb außer uns und den Schornsteinen, die in der Ferne seufzten,
Und der Schwermut der neuen Nacht.
Und da kamen wir an. Hier lebten die Schönheit,
Die Wärme, die liebliche Sonne, die Stille,
Die Weite und eine Welt, die Jahrhunderte birg.
Ein Meer von Farben, von der Phantasie erschaffen,
Und auf seiner weiten Ebene Tausende wogender Schatten.
O Schweigen meiner Seele, ich kehrte, ich kehrte
Zu dir zurück nach Jahren des nächtlichen Reisens.
Überdrüssig waren die Meere meines Reisens.
Der Tag beklagte sich
Über die Bürde der Sehnsucht, die meine Traumgesichte ihm aufluden.
Nichts außer dir bot mir Beistand
Im Dunkel der in die Irre führenden Nacht.
So öffne mir die letzte Tür!
Laß mich ein
aaaaa… mich und meinen Schatten…
Nazik al-Mala’ika
einer entschieden neuen Poesie im arabischen Sprachraum zählt eine Frau, die irakische Dichterin Nazik al-Mala’ika (1923–2007), die als eine der ersten Autoren den shi’r al-Hurr, den freien Vers, einführte.
Khalid Al-Maaly, Nachwort
… Unter dem Titel „Die Flügel meines schweren Herzens“ versammelt der bis vor kurzem in Köln lebende irakische Dichter Khalid al-Maaly ausgewählte Verse arabischer Dichterinnen von vorislamischer Zeit bis heute. Man darf staunen. Im 7. Jahrhundert schreibt Umm ad-Dahhak al-Muharibiya auf der Arabischen Halbinsel: „Heilung von der Liebe heisst Küssen und Umarmen / und dass ein Bauch sich auf dem anderen reibe, // heisst Stossen, dass die Augen übergehen, / und Zerren an Haut und Haaren.“ Von Sappho bis zur Neuzeit sucht man solche Zeilen aus weiblicher Feder in Europa vergeblich – und Umm ad-Dahhak war keine Ausnahme: „Geh von uns mit deinem Zorn / (…) Du willst mich besitzen mit schwachem Verstand und störrischer Dummheit,“ lauten die Verse, mit denen Um Djafar Bint Ali al-Hashimia angeblich einen Heiratsantrag abgelehnt haben soll. Man merkt in diesen Texten, wie auch die Jemenitin Nabila as-Subeir Vorläuferinnen in der klassischen arabischen Lyrik hat.
Und längst nicht alle Gedichte arabischer Frauen sind Liebesgedichte. Bei vielen Texten handelt es sich um Trauergedichte, seit den berühmten Klageliedern al-Khansas (gest. 646) um ihren Bruder vielleicht das prominenteste, weil unverfänglichste Genre weiblicher Poesie auf Arabisch. Aber es gibt auch Lobgedichte auf den Propheten, mystische (Liebes-)Lyrik, sogar Spottdichtung, oft unverhohlen obszön: „Wär doch das, was in meiner Scheide steckt, in seinem Hintern, und nähm mich doch ein anderer Mann!“, heisst es bei Thawab bint Abdallah im 8. Jahrhundert, und ähnlich freizügig schrieben um die Jahrtausendwende die andalusisch-arabischen Dichterinnen.
Neue Zeit, alter Kampf
Fast übergangslos springt die Textauswahl dann vom Mittelalter in die Moderne. Als hätte es all die mutigen Vorgängerinnen nicht gegeben, ringen heute die Dichterinnen erneut um ihre Rolle, kämpfen für ihre Stimme und die Autonomie über ihren Körper. Das entsprechend ostentative Pathos könnte sich in unseren Breiten keine ernstzunehmende Autorin leisten: „Der Flöte der beiden Schenkel entsteigt mein Gesang / Und aus meiner Wollust öffnen sich Flüsse“, schreibt die 1970 geborene Joumana Haddad, eine der bekanntesten Figuren der Beiruter Literaturszene. Die Frage, ob dies gute Poesie ist, hat in Anbetracht des gesellschaftlichen Umfelds einen reaktionären Beiklang…
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