Diego Valverde Villena: Feuerzungen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Diego Valverde Villena: Feuerzungen

Valverde Villena-Feuerzungen

WIE EIN BUCH

Verloren,
verlassen in fremden Zeilen,
Geisel zufälliger Artgenossen, die andere Sprachen verstehen,
Zufallsopfer eines spöttischen Bibliothekars
oder einer unerfahrenen Hand,
allein und übergangen,
bis einer mich findet.

 

 

 

Tandaradei

Während ich Vorbereitungskurse an der Universität besuchte, investierte ich mein mit Privatunterricht verdientes Geld in Bücher und Schallplatten. Bei einem meiner Streifzüge durch die Buchhandlungen entdeckte ich zwei Bücher, die für mich entscheidend werden sollten: eine Biografie Arthur Rimbauds und eine zweisprachige Anthologie der Minnesänger. Sie traten gleichzeitig, als die zwei Seiten derselben Medaille, in mein Leben.
Die Anthologie, die ich oft mit Genuss wiedergelesen habe, enthielt vor allem Werke von Walther von der Vogelweide. Seine Verse sind getragen von einer speziellen Art Heiterkeit; es scheint, als seien sie mit einem Lächeln auf den Lippen geschrieben.
Schon als Kind hat mich die Poesie stark beeindruckt, zum Beispiel, als mein Vater eines Tages beim Mittagessen César Vallejos Erwachen und Die schwarzen Boten vorlas. Aber von Walther von der Vogelweide ging ein besonderer Reiz aus. Eine Lebenslust, die jene der provenzalischen Sänger übertraf. Ein Gesang, der die Wunder des Lebens feiert, ohne ihr Geheimnis preiszugeben, tandaradei.
Beim erneuten Lesen der Feuerzungen finde ich sie wieder, diese Feier des Lebens, deren Fürsprecher unter anderen Dylan Thomas war. Insbesondere die Feier der Frau, der weißen Göttin mit den vielen Gesichtern, den vielen Namen. Und in den amourösen Epiphanien höre ich den Gesang Walthers, der Nachtigall, deren Weisen das Mysterium verkünden. Wie ein Zeichen des Traumwandelns, das die Zeit zum Stillstand bringt, tandaradei.
Diesem Gesang folgend, habe ich Länder durchquert, Bücher, Ansichten und Offenbarungen gewonnen. In meinen Gedichten habe ich versucht, jene Orte aufscheinen zu lassen, an denen sich das Wunder behaupten konnte.
Jetzt, so viele Jahre nachdem ich dem Minnesänger begegnet bin, erscheinen meine Gedichte in Frankfurt, der Stadt dessen, der uns sagte: Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan. Und nun pilgern, so wie ich einst, meine Worte zum Goethehaus.
Also kehre ich in dein Land, Walther, und in deine Sprache zurück, um dir meine Gedichte als Opfergabe zu bringen, und bin wieder der kleine, von deiner Poesie geblendete Junge, der, unter anderem dank dir, mit dem Schreiben begann. Und ich flüstere andächtig das ewige Schibboleth des Minnesangs: tandaradei.

Diego Valverde Villena, Vorwort

 

Nahe den Sternen der Sprach

Diego Valverde Villena kam am 6. April 1967 in Lima, der Hauptstadt Perus, zur Welt. Sein Vater war Spanier, seine Mutter Bolivianerin aus Potosí. So ist er glücklich über seine dreifache Identität als Peruaner aus Lima, als Bolivianer mütterlicher- und Spanier väterlicherseits. Lima ist für ihn der magische Ort, an dem seine Eltern sich kennenlernten und verliebten. Vaterland, Mutterland, Geburtsort. Für ihn sind Peru, Bolivien und Spanien seine drei Vaterländer, vereint in der spanischen Muttersprache.

Im Verlauf dieser beglückenden Übersetzungsarbeit sind in mir viele Erinnerungen an eine Reise in die Anden und in das Quellgebiet des Amazonas erwacht. Es war Ende der 1970er-Jahre, als ich mit einem Freund in Frankfurt Spanischunterricht bei einem peruanischen Poeten namens Hannibal de Rio nahm und wir mit einem Aeroflot-Flug über Havanna schließlich in Lima landeten. Nach einigen Tagen dort nahmen wir den Ferrocarril, den Zug, der in Spitzkehren hinauf in die Anden kroch auf über 4781 Meter Höhe in der Westkordillere und dann wieder hinab ins Hochtal nach La Oroya. Auf dem Markt in Huancayo aßen wir die berühmten Kartoffeln, und in dem wunderschönen Ayacucho hatten wir lange Diskussionsabende mit Studenten. Wir kamen nach Cuzco und wanderten zum Ziel unserer Träume, dem Weltwunder Machu Picchu.
Auf der Wanderung dorthin hatte ich César Vallejos Gedichte im Gepäck, den schmalen Band der Bibliothek Suhrkamp von 1963, herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger. Er wurde beim Anstieg über die hohen Pässe immer schwerer, aber ich besitze ihn heute noch. Wir fuhren von Cuzco zum Titicacasee und überquerten ihn auf dem Weg nach La Paz mit einem altehrwürdigen Dampfschiff. Eine eiskalte Nacht nahe den Sternen, als wir uns mit dem Rücken an den Schornstein des Schiffes lehnten mit unvergesslicher Aussicht ins All. „Ich sah mit meinen Augen was ich nie gesehen hatte / die Nacht und ihre Sterne“, schrieb Borges und Diego Valverde:

Kepler, Kopernikus und Brahe führen mich die Straße entlang.

Die mittelalterliche, Renaissance- und Barockliteratur sind Valverdes literarisches Gebiet. Das ist auch bei seinen Gedichten, die auf den ersten Blick als Alltagsszenen daherzukommen scheinen, nicht anders. Ihn interessiert und fasziniert das barocke Konzept der Beziehung zwischen Ideen und Gegenständen die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Von Walther von der Vogelweide über Ausiàs March und Jordi de Sant Jordi zu John Donne führt eine Spur, der er wie mit einer Wünschelrute nachgeht. Und so lässt sich der Kreis erweitern: Auf den Kapverden traf er Wisława Szymborska, die ihn durch eine erstaunliche Übersetzung mit Stanisław Barańczak vertraut machte. Auch Josef Brodsky lernte Valverde zuerst über seine Essays kennen. Kurz gesagt: sein literarischer Horizont ist europäisch. Zu ihm gehören Laurence Sterne, T.S. Eliot und Dylan Thomas ebenso wie Milan Kundera und Zbigniew Herbert. Und nicht zuletzt Friedrich Hölderlin, Gottfried Benn und Paul Celan.

Harry Oberländer, Klappentext

 

 

TANDARADEI – Eine Ode an die Liebe und das Leben

Diego Valverde Villenas Gedichtband Feuerzungen ist eine eindrucksvolle Sammlung von Liebesgedichten, die die Facetten der Liebe in all ihren Formen beleuchtet. Diese umfassende Sichtweise auf die Liebe spiegelt sich in seinen Gedichten wider, die durch eine besondere Tiefe und Sensibilität bestechen.
In Feuerzungen treffen wir auf Gedichte, die sich durch eine meisterhafte Verknüpfung von Alltagsszenen und tiefen, oft barocken Reflexionen auszeichnen. Valverde Villena greift dabei auf eine reiche literarische Tradition zurück, die von mittelalterlichen Minnesängern über die Mystiker bis hin zu modernen Dichtern reicht. Seine Verse sind durchdrungen von einem tiefen Verständnis der Beziehung zwischen Ideen und Gegenständen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben.
Valverde Villena selbst beschreibt seine Inspiration und seine literarische Reise mit einem Wort: TANDARADEI. Diese Silbe, die er von Walther von der Vogelweide übernommen hat, symbolisiert für ihn die pure Lebensfreude und das Staunen über die Wunder des Lebens.
In Feuerzungen findet sich diese Feier des Lebens wieder, besonders in den amourösen Epiphanien, die den Gesang der Nachtigall und das Geheimnis des Lebens verkünden.
Ein Buch, das die Leser auf eine emotionale Reise mitnimmt, die sowohl die Höhen als auch die Tiefen der Liebe erforscht.
Es ist ein Muss für alle, die die Kraft und Schönheit der Liebeslyrik in ihrer reinsten Form erleben möchten.

edition faust, Ankündigung

 

Beitrag zu diesem Buch:

Lisa Evertz: Diego Valverde Villena: Feuerzungen
trouvailleslitteraires.de, 30.9.2024

 

 

 

Fakten und Vermutungen zum Übersetzer + Instagram + Kalliope
Nachrufe auf Harry Oberländer: Journal Frankfurt ✝︎ faustkultur ✝︎
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Harry Oberländer liest zwei Gedichte zu den Frankfurter Lyriktagen 2015

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

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