MONDGLANZ
Die Wellen des Mondglanzes neigen
sich nieder zum einsamen Weg −
am Wegrand stehn traurige Weiden,
wie Schatten verschwiegen und träg.
Erfrischende Winde, sie laben
nach glühender Hitze das Land −
auf schlummernde Felder, da haben
die Engel nun Stille gesandt.
Ein Stern ist zur Erde gefallen
aus himmlischer Tiefe und Ruh −
hör, Seele, von ferne dem Wallen,
dem rauschen des Wildbaches zu.
In Träumen, mir unklar und dunkel,
versunken in kraftlosem Licht,
erschau ich zwei Augen, die funkeln,
erlausch ich Erinnerung, die spricht…
Unter den bulgarischen Symbolisten nimmt der im Kampf gefallene Dimtscho Debeljanow (1887–1916) eine Sonderstellung ein. Aus ländlichen Verhältnissen stammend und von gesundem, kräftigem Naturell, lernt er schon als Kind, vor allem in Plowdiw, Hunger und Obdachlosigkeit kennen, was sich für ihn als schicksalhaft erweist: Auch später, in Sofia, wird es ihm trotz seiner Begabung, die bald erkannt und gefördert wird, nicht gelingen, dem bedrückenden Milieu der städtischen Bohème zu entgehen. Seine Bemühungen, sich als Literat durchzusetzen, zerschlagen sich an äußeren Umständen. Übrig bleibt: ein erniedrigender Kampf ums Überleben.
Zermürbt durch den Egoismus einer von ihm als feindlich empfundenen Umgebung, sieht er im Krieg einen Ausweg. Er meldet sich freiwillig – und findet jene Kugel, die seinem unsteten, von Pessimismus und Melancholie gezeichneten Leben ein vorzeitiges Ende bereitet, damit aber den Mythos des an der Welt (und durch die Welt) zerbrochenen Talents ermöglicht.
Sein von Pentscho Slawejkow und Peju Jaworow beeinflußtes Können, das er auch am französischen und russischen Symbolismus zu schulen weiß, ist er vor allem musikalisch-rhythmischer Natur und ähnelt darin der (unerreichten) Kunst des Nationaldichters und Schicksalsgenossen Christo Botew.
Debeljanow gelingt es, dem bulgarischen Vers eine fast ans Morbide grenzende Musikalität abzugewinnen, die stark an Verlaine erinnert; irgendwie mutet sie aber auch orientalisch an: Das türkische Joch hat, so will es scheinen, in Duktus und Melodie der bulgarischen Sprache Spuren hinterlassen, die es dem Künstler und Naturtalent erlauben, einen Ton zu finden, der ebenso ursprünglich wie unverkennbar ist. Die ungewohnte Mischung aus Volkstümlichkeit, Raffinesse und Naivität machte Debeljanow zu einem der beliebtesten Dichter Bulgariens. Die Verse seiner Zeitgenossen Teodor Trajanow und Nikolaj Liliew sind gewiß nicht weniger musikalisch, doch klingen sie eine Spur „westlicher“, unbanisierter.
In Dimentscho Debeljanows Lyrik verbinden sich Weltschmerz und Rebellion, Schwärmerei und Ironie anfänglich zu romantisch-verklärten, später zu dekadent-symbolistischen und – unter dem Einfluß des Kugelhagels – zu beinahe realistischen Gebilden, zu einem Lied, das vielleicht doch nicht unnütz von den Wiesen dieser Erde berichtet.
Christoph Ferber, Vorwort
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