Dirk von Petersdorff: Sirenenpop

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Dirk von Petersdorff: Sirenenpop

Petersdorff-Sirenenpop

BERGHAIN

in der Kette der Tanzenden
schwebendes Verfahren
Gehörgang geflutet
Synthesizer sticht

wo Elfen ihr Pulver mischen
weiß-rau, rosenrot
Song, der nicht enden darf
Kette der Wesen

wer steht am Mischpult
schweben zwischen Extremen
hör, es klagt die Flöte wieder
Tanzfläche, Trauerrand

in Ex-Fabrikgebäuden
der Töne Licht
in Bässen zittern
Nächte, die in Tage sinken

Tor aufgeschoben, Morgen flutet
vollkommen verloren
durch leere Straßen
Kreisen der Fahrradketten.

 

 

 

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Sich einer Bewegung anzuvertrauen, mit dem Unbestimmten und Fließenden, mit einer Welt voller Verschiedenheit Ernst zu machen und gleichzeitig den Gefühls- und Formenreichtum der Vergangenheit spielerisch und gekonnt aufzugreifen, ohne dass irgendeine weltanschauliche Verbindlichkeit daraus abgeleitet wird – so könnte man die Welthaltung der Lyrik Dirk von Petersdorffs beschreiben.
In den fünf Kapiteln seines neuen Gedichtbandes widmet sich der Lyriker, Essayist und Literaturwissenschaftler der Erfahrung des Verschwindens, schreibt „Lieder“, die zeigen, dass auch unsere nachromantische Welt welche besitzt, folgt in einer Art stoischem Programm den Jahreszeiten und Szenen aus dem Innenhof eines Hauses und zeigt „Paare“: vom Kennenlernen über Emphase, Zweifel, Abstand bis zum Festhalten oder Loslassen. Eine Gruppe von Liebesgedichten beschließt den Band, die noch einmal die Formenvielfalt der Petersdorffschen Dichtkunst zeigen. „Erzähl die Mythen auch zu Ende“ – zwischen Flirren, Gleißen, Kirke und einer Ausziehcouch in Hannover sind diese Gedichte angesiedelt, die aus ihrer Nähe zur Musik leben. Sie erkunden eine Welt der Rätsel und der intensiven Berührungen, eine Postmoderne, die sich durchaus nach Urzeit sehnt, sie im Jetzt sogar erahnt und sich ihr doch nicht mehr ausliefern kann, zum Preis fortdauernder, aber auch produktiver Unsicherheit.

C.H. Beck Verlag, Ankündigung

 

Das Sausen der Waschmaschinen

Dieser Lyriker bedarf der strengen Zucht; das hat er inzwischen teilweise eingesehen. Vor fünfzehn Jahren dichtete er Strophen wie:

Und das gilt für heute und morgen,
die Wege der Wolken sind schnell;
die Zukunft ist leider verborgen –
sagt die Nixe von RTL.

Es ging so flink von der Hand wie bei einem klugen Kind, das entzückt kapiert, dass die Erwachsenen auch nur mit Wasser kochen. Wenn es je ein schlagendes Argument für die These gegeben hat, der Reim, terminal ausgeleiert, habe sich überlebt, dann hieß es Dirk von Petersdorff.
Der Titel des neuen Bandes, Sirenenpop, weckt zunächst schlimme Befürchtungen, die in die alte Richtung zielen: Tradition plus Tralala gleich Gedicht. Doch muss man gerechterweise sagen, dass Petersdorff das Problem der Form nunmehr erkannt hat. Er hat sich darum abschnittsweise einer strengen Bändigung unterworfen. Im ersten der fünf Teile greift er zu einer Art von Quasi-Sonett, das beachtliche ordnende Kraft entfaltet. Der Anforderung des doppelten Vierfachreims entzieht er sich (wie Shakespeare), sodass die lyrische Energie nicht in der Artistik zerstäubt, einfacher Kreuzreim genügt; und er schließt, statt mit zwei Terzetten, mit einem einzigen resümierenden Paarreim. So kommt er auf zehn statt auf vierzehn Zeilen und hat doch vom Sonett das Beste. Auf diese Weise bekommen trivial erscheinende Themen ein mächtiges Widerlager, und es funktioniert, was sonst hoffnungslos an seinen Stoff verloren wäre. „Zurück im Job“ zum Beispiel, das sich mit dem Evergreen der von Schuldgefühlen zerrissenen jungen Mutter befasst, die wieder arbeiten geht; es beginnt: „Dazu Johanna zügig abgestillt“ – die effiziente Karrierefrau – und endet „ob du dein Kind auch stark genug vermisst?“ – die Gewissensbisse. Nur in diesem Korsett gelangen auch Einzelverse zu ihrer Wirkung:

Ein hohes, Sausen kommt durch die Jahrzehnte,
das sind die Waschmaschinen der WGs

Von der Zivilisation und ihrer fordernden Komplexität erschöpft, hat sich dieses lyrische Ich „Ein Jahr im Hof“ verschrieben – so lautet der Titel des dritten Teils. Auch hier gereicht ein strenges äußeres Muster den Gedichten zum Segen; es sind die zwölf Monate, von „Januar“ bis „Dezember“. Eine Kastanie steht im Zentrum schwarz und ernst über zertretenem Schnee. Frühlingsfeucht oder ausgebürstet vom Herbstwind. Dazwischen bleibt viel Zeit für Rückblicke: kleinmütige Erziehungsversuche, die schließlich vor dem ewigen ,,Aba!“ der Kleinen kapitulieren, Susanne trampt durch Indien, „Moosmauer – Bundeswehrparkas, fahle Jünglinge, / Sandspielzeug, rot, gelb – Anti-Atomkraft-Aufkleber“. Ja, das ist unverkennbar jenes westliche Deutschland um 1980, nach dem sich keiner zurücksehnen wird.
Teil drei heißt „Paare“ und bescheidet sich folglich mit dem braven Paarreim, der hier nicht sehr weit trägt. Der Mann bringt der Frau grünen Tee ans Bett; sie zieht aus, bereit zur nächsten „Häutung“, denn so hießen damals die sukzessiven Phasen der weiblichen Selbstfindung. Vorerst aber weht die Flagge auf halbmast:

Es ist nicht nur zum Heulen, nein sie heult,
Kartons, die sie umgeben, braun-verbeult,

in kahle Stille tropft ein Wasserhahn,
sie ohne Werkzeugkasten, momentan

Das heißt ohne die männliche Praxis-Kompetenz, die für solche lästigen Kleinigkeiten wie tropfende Wasserhähne bislang zuständig war; und im nachgereichten „momentan“ fühlt man den Trotz, der sich vornimmt, derartige weibliche Abhängigkeiten ein für allemal zu beenden, demnächst ganz bestimmt. Die Halbherzigkeit dabei spricht aus dem Komma nach dem Werkzeugkasten. Darin, solche Epochenbilder, Epochendüfte kurz aufwallen zu lassen, ist Petersdorff ziemlich gut.
Es muss hier aber leider auch von den Teilen vier, „Röhrenhosendandy“ und fünf, „Er, sie, 10 Schritte“, die Rede sein. Sie überlassen sich ganz ungehemmt der Erinnerung an die Jugendzeit mit ihren erotischen Lockungen und theoretischen Mühen, nicht ungern zu einem einzigen Erlebnis verschlungen: „Vor der Mensa (Luhmann und Carla)“. „Juristinnen sind anders. Ist Carla anders?“ Das gehört zu den klassischen drängenden Fragen, die zwar nie gelöst werden, sich aber irgendwann erledigt haben. Goethe wird ohne erkennbaren Mehrwert verhackstückt: „Ich denk an dich, wenn am zerdröhnten Highway / mein Laufschuh bebt“, aber ebenso die Rappelkiste: „Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum?“ Und dann kommt er doch noch, der „Sirenenpop“, den man gleich anfangs befürchtet hatte:

und deshalb bleiben Männer stehen
nach allem Scheitern, allen Trümpfen
und murmeln in die Sommernacht:
Ja, sicher gab es sie, die Nymphen.

Hier reimt sich nicht nur Nymphe auf Trümpfe, sondern zugleich sentimental auf alles egal.

Immerhin ist es Petersdorff in zwei der fünf Abschnitte gelungen, sich aus dieser poetischen Flachsee bis ungefähr zur Hüfte herauszuarbeiten, sodass sein besseres lyrisches Selbst ahnbar wird. 40 Prozent, das ist eine noch passable Ausbeute.

Burkhard Müller, Süddeutsche Zeitung, 21.1.2015

Slalom der Stimmen

„Er recherchiert im Smartphone Pflanzmethoden“ – im Garten seines Eigenheims mit Panoramafenster. Sie schlendert im „weissen Schlabberhemd“ mit „Nackentatoo“, und der Poet sagt sich:

vielleicht sind das Zeichen

Und im Biologieunterricht fragt der Lehrer, „wie sich der weibliche Körper / im Erregungszustand verändere“, nachdem er ein „schaukelndes Skelett“ ins Klassenzimmer geschoben hat. Wir befinden uns in der zur Hälfte vollständig gereimten Lyrikwelt des Dirk von Petersdorff, von dem wir gewohnt sind, dass er auf unbedingter Augenhöhe mit den Zeittrends dichtet. Sein lyrisches Werk – wie könnte es bei einem literaturgeschichtlich so gebildeten Autor auch anders sein – arbeitet zudem mit einer Fülle diskreter oder offensichtlicher Anspielungen auf Traditionen, deren ihm wichtige Vertreter er meist auch namentlich nennt – auffallend weniger jedoch in seinem neuen Band Sirenenpop.
Zwar liest auf „hohen Betonstufen“ eine Studentin Luhmann; und Kulturgeschichtliches lässt ab und an grüssen:

So wie gelandet aus der Zeit
vor Deutschlands dunkler Theorie,
vor Weltgeist, Wahnfried und Beton,
am Hügel lehnte Sanssouci.

Aber diese Anklänge bleiben spielerisch und wirken weniger beladend und belastend als manche seiner früheren Gedichte (etwa das Heidegger-Gedicht „Schwarzwald“). Nein, man liest diese neuen Gedichte Petersdorffs ausgesprochen gerne, entwickelt Sinn für seine Reimlust, die nur von ferne an Heine, Ringelnatz, Benn und Gernhardt erinnert (kaum noch wie in früheren Bänden an Stefan George), und freut sich an seinen Gliederungseinfällen, etwa im Zyklus „Ein Jahr im Hof“, in dem jeder Monat mit einem Gedicht bedacht wird. Man lese ihn und höre dabei mit dem inneren Ohr Tschaikowskys Klavierzyklus „Die Jahreszeiten“.

Was man benannt hat, ist gebannt
Petersdorffs Gedichte sprechen von Zuständen, körperlichen und seelischen, und von Eindrücken, die zu inneren Zuständen werden – gerade durch das Gedicht und die Vielzahl seiner Stimmen und Tonlagen. Einmal nennt er eine solche beim Namen: „Vergangenheit, sein: Melancholisches Musikvideo, / Trakl-Sound, Ford-Mustang räderlos auf gottverlassenem Hof, fragend tastender Schlagzeugeinsatz […]“ Das Zitat illustriert, was in einer Strophe oder lyrischen Sequenz Petersdorffs so alles zusammenkommen kann. Wichtig aber ist: Er erinnert an den „Trakl-Sound“, ohne ihn je zu imitieren, was für seine Gedichte spricht – frei nach dem Motto: Was man benannt hat, ist gebannt. In Gedichten von Petersdorff können sogar Widersprüche zu etwas Schmackhaftem werden; das Horazsche „delectare“ wörtlich verstehend, vernehmen wir:

Als das Müsli salzig schmeckte
von ihren Tränen,
wurde sie wieder froh.

Dieses Beispiel nun steht für eine Grenzerfahrung, die uns diese Gedichte zuweilen abnötigen: jene zwischen geschmackvoll und geschmäcklerisch, gekonnt und überzogen (der Titel des Bandes, Sirenenpop, gehört zu ebendieser Grenzerfahrung!). Man wird jedoch Petersdorff bescheinigen können, dass er Niveau zu halten versteht – in Geschmack und Sprachartistik.

Umkreisungen
Flach oder abgeschmackt wirken keine seiner Reime; Petersdorff erweist sich einmal mehr als ein lyrischer Formkönner. Seine Metaphern hat er im Griff (nicht umgekehrt!); nur gelegentlich kommen an seinen Bildern Zweifel auf: Ob Fahrradketten „kreisen“, hängt wohl vom Konstruktionsmodell ab. In einer Hinsicht handeln diese Gedichte jedoch von einem Kreisen – jenem um das Ich und das Du. Beide umkreisen einander, bis sie sich strophenweise überschneiden oder in unerforschlichen Zeichen annähernd erkennen, wie es in einem der sinnigsten Verspaare des Bandes heisst:

verloren, Rätsellandschaft des Tattoo,
ein Ich mit Überblendungen des Du

Nur gelegentlich, und deutlich weniger häufig als in seinen früheren Bänden, beschleicht einen das Gefühl, es gehe zu aalglatt zu in diesen Gedichten. Man wünscht sich mitunter etwas mehr Widerstände, dann und wann Brüche und weniger Spiegelfläche. Es überwiegt aber deutlich das Vergnügen an diesen gelungenen Zeitgedichten.

Rüdiger Görner, Neue Zürcher Zeitung, 9.10.2014

Diese Paare hält nur noch der Paar-Reim zusammen

– Erheb’ das trunk’ne Auge zum strahlenden Azur: Wer erkennt, wo Dirk von Petersdorff für seine Gedichte die Vorbilder findet? Sein neuester Band heißt Sirenenpop und verbindet Alt und Neu. –

Ist Dirk von Petersdorff ein Pop-Lyriker oder ein Neuromantiker? Er ist beides zugleich und doch ein Solitär, eigenwillig und beweglich. Als er 2014 seine frühen Gedichte mit neuen zusammenfasste, tat er es unter der Devise „Nimm den langen Weg nach Hau“. Das war, wie ironisch auch immer, ein Rekurs auf Romantik, auf die Universalpoesie und die Lieder aus des Knaben Wunderhorn. Petersdorff ist ein rückwärts gewandter Avantgardist, im Alten sucht er das Neue. „Wir haben keine Lieder“, so befand er, „unsre Dichter reden rum.“ Statt rumzureden, suchte er nach den Liedern seiner Generation. Es durften auch Sonette sein wie in dem Zyklus „Die Vierzigjährigen“. Da las man freilich auch die leicht resignativen Zeilen:

in Jahren, die wie Ostseewolken ziehen,
sind wir Modelle, die nun sanft veralten.

Nein: veralten, gar sanft veralten – das wollte der Dichter zuallerletzt. Zumal er sich als Jahrgang 1966 noch zu den Vierzigjährigen rechnen darf. So nimmt er sich auch die jugendliche Lizenz heraus, seinen neuen Band Sirenenpop zu nennen. Das ist nicht bloß keck und mutwillig, es bündelt auch seine Intentionen: Sirenenpop als Synthese von Alt und Neu, Antike und Postmoderne, Verführung und Provokation. Im Titelgedicht tönt das so:

Auch Kirke haben wir gekannt,
von ihrer Ausziehcouch umrandet,
Ägäishitze in Hannover,
an jedem Freitag dort gestrandet.

In der Liebesdienerin auf spießiger Couch sollen wir die Nymphe, im Freitagskunden den irrenden Odysseus sehen. Der Poet stellt sich die Aufgabe:

Erzähl die Mythen auch zu Ende.

Dieser krud-sarkastische Ton darf als Provokation hingehen. Sie ist sonst Petersdorffs Sache nicht. Er ist eher ein Freund der Nuancen und Andeutungen; und darin auch glücklicher. Die Rubrik „Wie ein Strom, wie ein Schlaf, wie ein Gras“ bringt gereimte Zehnzeiler. Sie erinnern an die Sonette der „Vierzigjährigen“, aber um vier Verse verkürzt. Das macht sie liedhaft und befreit sie von der Last der Reflexion. Hier spricht nicht der Dichter, sondern eine anonyme, generationstypische Stimme. In Erinnerungen und Naturschnappschüssen erinnert sie sich an die „WG-Zeit, nachts“, an den „Truppenübungsplatz, jetzt Biotop“ oder riecht – gebildet und sensibel – noch immer „die Suhrkamp-Bücher im Regal“.
Diese Vierzigjährigen sind einer verlässlichen Lebenskonzeption kaum näher gekommen, auch wenn sie sich – in der zweiten Abteilung – als „Paare“ zusammenfinden. Im Gegenteil:

das war Florenz, das zeigt, die Konfusion,
die ihn durchzittert, war am Anfang schon:

ihr Uraltroller, rostig, Farbe keine,
darauf die jungen, glatten, hellen Beine.

Eine schöne Pointe, doch eine eher triste Bilanz. Zur Zeit des jungen Hofmannsthals waren „alte Möbel und junge Nervositäten“ angesagt, hier sind es der Zivilisationsschrott und die sexualisierte Körperwelt. Bei einem anderen jungen Paar führen die Beziehungsprobleme auf das melancholische Couplet:

er bringt ihr grünen Tee, dann ist der Wille
nur so ein Löffelklappern in der Stille.

Allein die Kunst hält das Disparate zusammen. Was diese Paare noch verbindet, ist – der Paar-Reim.
Auch in den anderen Kapiteln bringt Petersdorff seine traurigen Befunde eher im leichten Ton. Er spricht sie allenfalls stichworthaft an. „Werbetexter, / ausgebeulte Lebenslinie“ heißt es oder „Dieser Komiker… jetzt auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela“ – er will uns etwas mitteilen:

aber Tonausfall,
nur Mundbewegungen

Der Dichter kann lediglich die traurige Wissenschaft bestätigen, wonach es kein richtiges Leben im falschen gibt. Umso entschiedener hält er daran fest, dass es mehr geben muss als leere Mundbewegungen. Mehr als jene Minima Moralia, die aus Beziehungskisten abzulesen sind.
Im Schlusskapitel „Er, sie, 10 Schritte“ versucht Petersdorff über all das hinauszugehen und eine andere Perspektive zu gewinnen. Ich will nicht gerade sagen: den großen hymnischen Ton, aber doch die Erweiterung seines Repertoires. Seine freirhythmischen Flächentexte changieren zwischen Lamento und strikter Beobachtung. Da klagt und fragt das lyrische Ich: „Muse, warum gabst du uns die vielen Videos?“, und ist doch fasziniert von epiphanischen Momenten, die einerlei Deutung verlangen:

Nähe von Nizza,
Baguette gekauft, beim Herumdrehen
eine Ölflasche
vom Tresen geschoben, sie und die Frau sahen zu,
wie das Öl auf dem Mosaikboden
langsam verlief.

Das erinnert an Snapshots von W.C. Williams oder Rolf Dieter Brinkmann.
Wer zwischen Jim Morrison und Heinrich Heine schreibt, steht unvermeidlich in der Tradition. Wie tief, das erweist sich, wenn der Dichter keine Namen nennt, sondern darauf vertraut, dass die Form selbst die Bezüge stiftet. Man lese nur das locker gereimte Liebesgedicht „Er weit weg“:

Ich denk an dich, wenn am zerdröhnten Highway
mein Laufschuh bebt,
wenn abends plötzlich Trauer hinterm Gaumen
wie Chutney klebt.

Dieser Zuruf des abwesenden Mannes an die Geliebte wirkt merkwürdig anrührend, fast altmodisch. Dies mag den Leser auf die Spur bringen. Er muss nur zu Goethes Gedicht „Nähe des Geliebten“ greifen, um fündig zu werden:

Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt…

Mehr noch: Goethes Gedicht ist seinerseits eine Kontrafaktur. Er hatte im April 1795 Friederike Bruns Lied „Ich denke dein“ in Zelters Vertonung gehört und eine eigene Fassung dagegengesetzt. Beethoven hat dann seine „Nähe des Geliebten“ 1799 vertont; man weiß, mit welchem Erfolg.
Dirk von Petersdorff ist ein Bote zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Er ist ein leichtfüßiger Poet. Er trägt geflügelte Schuhe.

Harald Hartung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.10.2014

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Thorsten Schulte: Wo Elfen ihr Pulver mischen
literaturkritik.de, November 2014

Hellmuth Opitz: Der Flow der Assoziationen
fixpoetry.com, 11.12.2014

Friedrich-Schiller-Universität Jena: Kunst trifft auf Wissenschaft
uni-jena.de, 29.10.2014

Harald Hartung: Lyrik-Empfehlung 2015
lyrik-empfehlungen.de

Das Lyrische Quartett im Lyrik Kabinett sprach am 4.11.2014 über dieses Buch und ist zu hören ab 0:38:43.

 

Wolfram Malte Fues: Dirk von Petersdorff: Sirenenpop
signaturen-magazin.de

Andreas Wirthensohn: Hellwache Oden auf den Alltag
Wiener Zeitung, 29.11.2014

 

 

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Dirk von Petersdorff: Lyrik zum Mauerfall (Vortrag)

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