– Zu Else Lasker-Schülers Gedicht „Pharao und Joseph“ aus Else Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Band I: Gedichte. –
ELSE LASKER-SCHÜLER
Pharao und Joseph
Pharao verstößt seine blühenden Weiber,
Sie duften nach den Gärten Amons.
Sein Königskopf ruht auf meiner Schulter,
Die strömt Korngeruch aus.
Pharao ist von Gold.
Seine Augen gehen und kommen
Wie schillernde Nilwellen.
Sein Herz aber liegt in meinem Blut;
Zehn Wölfe gingen an meine Tränke.
Immer denkt Pharao
An meine Brüder,
Die mich in die Grube warfen.
Säulen werden im Schlaf seine Arme
Und drohen!
Aber sein träumerisch Herz
Rauscht auf meinem Grund.
Darum dichten meine Lippen
Große Süßigkeiten,
Im Weizen unseres Morgens.
„Pharao und Joseph“, der Titel verführt, wie Thomas Mann „in Spuren zu gehen“, Echos zu lauschen, zu sehen, was man weiß: Joseph auf verschlungenen Schicksalspfaden, nach Verkauf und Verleumdung, Grube und Gefängnis, auf dem Höhepunkt seiner gottbestimmten Bahn – als Staatsmann an der Seite des Pharao.
Aber schon die ersten Zeilen des Gedichts irritieren die Erinnerung: „Pharao“, heißt es da, „verstößt seine blühenden Weiber“. Und: „Sein Königskopf ruht auf meiner Schulter, / Die strömt Korngeruch aus“. Wer und wes Geschlechts ist dieser Joseph?
Der Korngeruch läßt an die Gaben- und Ährenträume der biblischen Helden denken. Doch die Verse des Gedichts weissagen nicht Wohl und Wehe Ägyptens, sprechen nicht von dürren und fetten Jahren. Kopf auf Schulter wird hier geträumt – genauer gesagt: Joseph träumt, was die Dichterin sich träumen läßt:
Sein Herz aber liegt in meinem Blut.
Gottfried Benn ist dieses Gedicht gewidmet. In anderen, ihm gleichfalls zugedachten Versen, „Dem Barbaren“ betitelt, gibt sich das dichterische Ich in männlichem Gewand als ein verführerisches Weib zu erkennen:
Ich bin Joseph und trage einen süßen Gürtel
Um meine bunte Haut.
Benn datiert die erste Begegnung mit Else Lasker-Schüler auf das Jahr 1912. Im Prosatext „Doktor Benn“ von 1913 nennt sie ihn einen evangelischen Heiden, einen Christen mit Götzenhaupt, Habichtsnase und Leopardenherzen.
Pharao heißt er in unserem Gedicht. Immer adelt die Liebe den Erwähnten, einzig ist er und von königlichem Geblüt. Mit Königsnamen also ruft sie ihn, sendet in anderen Gedichten lyrische Botschaften an „Giselheer“ den „Knaben“, den „Heiden“, den „Tiger“ und erfindet ihm ein Königreich: das eigene liebende Herz. Anfangs wirbt sie spielerisch und sehnsüchtig um den bewunderten Dichter, später leidenschaftlich und klagend auch um den Mann. Doch Benn antwortet im Gedicht „Hier ist kein Trost“:
Mein Weg flutet und geht allein.
Was der Adressat dieser Liebesgedichte ihr schuldig bleibt, das Leben ihr versagt, die Religion ihr nicht mehr zu geben vermag, Trost und Geborgenheit, gibt ihr die Dichtung. In Masken und prächtigen orientalischen Gewändern betritt die deutsch-jüdische Dichterin ihr poetisches Reich, schlüpft, im Gedicht „Prinz von Theben“, in den „süßen“ oder „lammblutenden Hirtenrock“, sucht in den Armen fremder Götter Schutz vor den feindlichen Brüdern („Zehn Wölfe gingen an meine Tränke“) und findet im Bild des verratenen und verkauften Joseph auch eine Metapher für ihr Verhältnis zum Judentum, das ein zwiespältiges war in den Jahren, als diese Gedichte geschrieben wurden.
Immer wieder geht es hinab in die Grube – „Ich sterbe am Leben und atme im Bilde wieder auf“ („Mein Herz“) –, immer wieder entsteigt sie verwandelt dem Grab. Der Tod – der kleine wie der große – ist ein Verwandler. „Vielleicht war Tammuz eine Jungfrau und ist ein Jüngling nun Kraft des Todes“, examiniert Thomas Manns Joseph den kleinen Bruder Benjamin und belehrt auch Leas Sohn Ruben, seinen Halbbruder:
Weißt du nicht, daß es des Todes Kraft ist, die Beschaffenheit zu verändern, und daß Rahel dem Jaakob lebt in Joseph… Ich und die Mutter sind eins.
Mit verschleierten Rahel-Augen dichtet und deutet Else Lasker-Schülers Joseph dem Pharao Träume:
Pharao ist von Gold.
Das goldene Haupt des Sonnengottes, die Sonne selbst, ruht auf der kornduftenden Schulter. Seine Augen kommen und gehen, Tag und Nacht, Gezeiten der Liebe. Die schillernden Nilwellen überfluten den trockenen Acker, verwandeln ihn in fruchtbares Schlammland.
Sein Herz aber liegt in meinem Blut.
In Josephs Brust schlägt es, schlägt für Pharao. Wenn aber das Herz schon verloren ist an ein goldenes Monument, gilt es den Kopf zu retten, fabulierend tausendundeine Nacht lang, buchstäblich Pharao die Nacht versüßend:
Darum dichten meine Lippen
Große Süßigkeiten.
Über die „Großen Süßigkeiten“, die Dichtung der Else Lasker-Schüler, sagt Benn Jahrzehnte später: „die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte.“ Was aber der „Barbar“ der liebenden Frau zu verstehen gab, die ihre Biographie geschönt, sich um Jahre verjüngt hatte, war herzlos. Söhne lautete der Titel des ihr einst gewidmeten Buches.
Doris Runge, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Einundzwanzigster Band, Insel Verlag, 199
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