ES GIBT DIE NASSE UND DIE TROCKENE
aaaaaTRAUER
die nasse trauer ist die gütige die leichte
die trockene macht schreien
aaaaaaaaaaaaaaaaaaasend my roots rain
die nasse trauer bringt die tränenschwemme
bis kühles grün hervorquillt
die brandwarnung ist aufgehoben
es setzt die lindernde umnebelung des
verlorenen ein der in die zukunft blinzelnde
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaumflorte blick
Ein großer Gesang aus dem „wassertrunkenen Land“ der Sprache.
„Kaamos“ ist ein zentrales Wort in der finnischen Sprache. Man liebt es und es macht die Eigenart und Identität gegenüber den anderen Völkern Mitteleuropas aus. Es wird fast mit Ehrfurcht ausgesprochen und es hat eine mythische Qualität. „Kaamos“ ist die Zeit der Dunkelheit, die sonnenlose Zeit. In den täglichen Nachrichten wird genannt, welche Regionen des Landes es nun bedeckt und wie es sich wieder im Laufe des Winters zurückzieht.
In den neuen Gedichten von Dorothea Grünzweig geht es aber nicht vorrangig um die kalendarische dämmerige Dunkelheit, sondern um die dunklen Seiten des Lebens und der Erinnerung, die sich von uns nie ganz ausloten lassen. Die Geschichte, das Altern, körperliche und psychische Krankheit und das Leid stehen neben Themen der helleren Jahreszeit, der Natur und des Lichts. Das alles ist vom Numinosen des „Kaamos Kosmos“ umschlossen.
Dorothea Grünzweigs Verse schöpfen aus einer langen literarischen Tradition und wagen sich zugleich wortschöpferisch in das „wassertrunkene land“ der Sprache.
Wallstein Verlag, Ankündigung
– Sie zog von Schwaben in die finnische Wildnis, um zu dichten, sie studierte und übersetzte den englischen Frühmodernisten Gerard Manley Hopkins. Nun hat Dorothea Grünzweig einen eigenen neuen Gedichtband veröffentlicht, der Licht in die nordische Finsternis bringt. –
Thomas Morawitzky: Frau Grünzweig, Sie wurden in Korntal bei Ludwigsburg geboren und leben nun seit 25 Jahren in Finnland. Wie kam es dazu?
Dorothea Grünzweig: Wenn man in ein anderes Land zieht, gibt es meist äußere und innere Gründe. Der äußere Grund war bei mir die Entsendung an die deutsche Schule in Helsinki durch den Auslandsschuldienst. Tiefere Gründe lagen in dem Wunsch, wieder von Baden-Württemberg in den Norden zu ziehen. Nach dessen Kargheit und Weite hatte ich mich seit meiner Zeit in Schottland gesehnt.
Morawitzky: Sie haben in Finnland gefunden, was Sie suchten?
Grünzweig: Ich fand Anonymität, eine überwältigende, herausfordernde, bisweilen auch bedrohlich wirkende Natur und eine faszinierende Sprache, die mich noch immer unaufhörlich anregt. Finnland war in den 20er Jahren auch das Traumland meines Vaters gewesen. Es blieb ein unerfüllter Traum, der an die nächste Generation weitergegeben wurde.
Morawitzky: Finnland war das Gastland der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt. Was zeichnet die finnische Literatur Ihrer Meinung nach aus?
Grünzweig: Mein Leseschwerpunkt ist die Lyrik, ich übersetze sie auch. Sie ist bildstark, handfest, sinnlich, in der physischen Welt verankert und wenig verkopft. Das kann man wohl auch vom finnischen Roman sagen. Mich zogen besonders Texte an, in denen sich eine animistische Sichtweise erspüren ließ.
Morawitzky: Die Texte Gerard Manley Hopkins’ haben Sie bereits während Ihres Studiums in Tübingen kennengelernt. Was war es, das Sie zuerst für sie begeistert hat?
Grünzweig: Angezogen hat mich an Hopkins von Anfang an die dichte, aufgeladene Sprache, die das Ureigene der Dinge in den Blick nimmt und es gleichzeitig einordnet in die Harmonie des Schöpfungsganzen. Die Musikalität, die einem Flechtwerk aus Klang und Inhalt entspricht. Die dafür notwendige Eigentümlichkeit von Wörtern und Satzbau. Etwas Kindliches an ihm – kein Regieren der Sprache, sondern Begeisterung, wie wenn er entzückt über das ihm Zugekommene in die Hände klatschen würde. Die Seligkeit und andererseits die Verzweiflung in seinen Gedichten. Das alles rührt an.
Morawitzky: Sie haben sich nach dem Abschluss Ihres Studiums gegen eine akademische Laufbahn entschieden. Sie schreiben:
Die Art und Sprache des Vorgehens kam mir fremd vor und schien von mir zu verlangen, mich gegen den Strich zu bürsten.
Hopkins seinerseits hatte mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, weil er als Mitglied des Jesuitenordens Gedichte schrieb. Sehen Sie hier eine Parallele?
Grünzweig: Ja, es gibt hier wohl Parallelen, die mir aber erst mit dem eigenen Schreiben in den Sinn kamen. Das dichterische Sprechen fordert eine völlig andere Grundhaltung als das akademische oder theologisch auslegende, besonders wie es von Hopkins damals vonseiten seines Ordens erwartet wurde. Es ist ja sinnlich-leiblich, speist sich aus tieferen Quellen, macht sich das Stoffliche der Sprache zu eigen und fordert viel Platz um sich. Hopkins hat das in Konflikte gestürzt, davon zeugt auch die Tatsache, dass er wegen unpassender Sprachbilder mehrfach Predigtverbot erhielt. Seine poetische Sprache brauchte aber wiederum die Norm, um sich von ihr wegstemmen zu können.
Morawitzky: Sie stammen selbst aus einem Pfarrhaus.
Grünzweig: Das stimmt. Als Jugendliche fühlte ich Sehnsucht nach einer Sprache, die sich der Welt behutsam nähert, durch Bilder, die das Gesagte in der Schwebe lassen und immer neue Räume eröffnen. So schien die Sprache für mich das „Geheimnis der Religion“ zu erhalten und eigentlich erst spüren zu lassen. In dieser Zeit schrieb ich auch „Songs“ – so nannte ich sie – für meine Gitarre. Ich mochte die Texte nur dann, wenn sie mich selbst überraschten und nicht erwartbar waren.
Morawitzky: Gibt es heute noch in Ihrer Auffassung von Sprache und Schreiben Momente, in denen dieser biografische Hintergrund mitschwingt?
Grünzweig: Die Bibel ist voller faszinierender poetischer Texte, die sich zum Beispiel in den Psalmen, aber auch im Neuen Testament finden. Die Sprache meines Elternhauses, die Bibel, andere von ihr kommende, jahrhundertealte Literatur, auch die Choräle sind ein Auslöser dafür, dass ich Gedichte schreibe. Eine unerschöpfliche Inspirationsquelle. Aber was mich daran interessiert, ist, was davon im Unterbewusstsein gelagert ist. Was die Sprache damit macht und wie sie dies mit anderen Elementen verknüpft, so dass eine neue Einheit der Wahrnehmung entsteht, die aber das Alte mitbewahrt.
Morawitzky: Nachdem Sie Ihre Übersetzung der Gedichte von Gerard Manley Hopkins abgeschlossen hatten, haben Sie mit der Arbeit an einem eigenen neuen Gedichtband begonnen, der nun im Wallstein-Verlag erschienen ist. Können Sie beschreiben, inwiefern die Beschäftigung mit Hopkins Ihre eigene Arbeit beeinflusst hat?
Grünzweig: Wenn man einen Dichter wie Hopkins über Jahre hinweg übersetzt, wird er zu einem verehrten Meister. Seine Ansicht, dass die Poesie der „verweilenden Energie des Geistes“ entspringt, beeinflusst die eigene Lebensweise. Seine preisende Haltung und der Wunsch, allem Gesehenen den Aspekt hinzuzufügen, was es bedeutet, färbt ab. In meinem neuen Buch Kaamos Kosmos bringe ich „Licht ins Dunkel“ – Kaamos ist ein finnisches Wort, das die Polarnacht bezeichnet, das Dunkel gehört in einen Kosmos, der das Gegenteil von Chaos ist. Diese Deutung ist manchmal allerdings nur ein aus Splittern zusammengesetztes Mosaik.
Dorothea Grünzweigs neuer Gedichtband Kaamos Kosmos bezeugt einmal mehr die große Kraft ihrer poetischen Sprache, die ohne starke Worte auskommt. Kaamos – die Polarnacht, Zeit im Mittwinter, in der in Lappland die Sonne nicht aufgeht, gibt dem Band den Namen. Grünzweig – seit vielen Jahren in Finnland lebend – schreibt sich in ihren Gedichten durch die finnischen Jahreszeiten. Ihr Blick, ihre Sprache bleibt dabei immer suchend, tastend, um das Geheimnis kreisend. Obwohl sie seit Jahren diese Themen umschreibt, erschöpft sich ihre Sprache nicht, nein, sie wird vielfältiger im Ausdruck und zielt zugleich immer mehr auf das Exemplarische hin.
…die blonde grannen mähne durch die
der wind fegt und meine ohren
hängen weit aus der zerrissenheit wie wenn sie
einfallstote wären für einen befriedenden geist
(aus: „das talbespannende grazile gerstenfeld vor uns“)
Woher kommt diese Kraft, woher diese Sprachmagie, die nach einem greift, ohne dass man es merkt? Grünzweigs Gedichte kommen nahezu ohne unser neuzeitliches Vokabular aus, ohne die vielen Anglizismen, Fremdworte und Neologismen, die unsere Sprache in Begleitung der neuen Medien immer mehr aufladen, aber selten kräftiger machen. Bei Dorothea Grünzweig scheinen selbst die Wortneuschöpfungen (u.a. „traumauen“, „fließfriede“, „mäanderlenden“) zweitausend Jahre alte Worte zu sein. Sie fügen sich ein in den aus der Natur herausgewachsenen Sprachkosmos, aus dem sie für ihre Gedichte schöpft.
Es ist nicht das Finnische, das ihre Sprache auflädt. Aber es ist das Leben in dieser finnischen Natur und Weite, das ihre Sprache nach innen und außen zu weiten scheint – immer innerlicher, immer weiter wird ihre Sprache. Ihre Metaphern sind keine Kopfgeburten, nie hat man den Eindruck, dass diese Gedichte an einem Schreibtisch entstanden sein könnten. Zu sehr befinden sie sich in einem Einverständnis mit der Natur. Sie nehmen den Leser wieder mit in die Natur. Nie ist sie die Wissende, immer ist sie die Erfahrende, die Fragende vor der Natur und deren Gewalten.
Grünzweigs Suche nach einer Heiligen Sprache hat nichts Schamanisches, sie ist Ausdruck der Sehnsucht, der Natur nahe zu kommen, das zu verstehen, dessen Teil man ist und sein möchte.
… der fließfriede in uns gesenkt
das kanu ist korb ist wiege
ist grüner vom wasser getragener sarg
in dem wir das weggleiten üben
aaaaadie fließende welle als lebensraum
der tod in seltener milde wir sind in
aaaaadie gegenwart eingetaucht
ein stilles bereitschaftsgleiten ins einmal sterben…
(aus: „der fluss“)
Die freie Rhythmik ihrer Gedichte ist erfühlt, nicht erzeugt. Grünzweig verfügt über ein großes Wissen über Sprache und Formen. Ihre Gedichte – denen Alliterationen und Binnenreime nicht fremd sind – greifen jedoch kaum auf tradierte Formen zurück. Nicht selten spielen Zitate hinein – aus der Bibel, aus Kirchenliedern, aus Bachs Kantaten, Rückbezüge auf Hesse und Celan, auf andere Lektüren – doch werden sie nie Fremdkörper im Gedicht. Sie weiten die Gedichte in andere Kontexte hinein.
Parallel zu Kaamos Kosmos ist im Märkischen Verlag Wilhelmshorst das Poesiealbum 311 erschienen, welches sich dem Werk von Dorothea Grünzweig widmet.
Axel Helbig, Ostragehege, Heft 77, 2015
Elke Engelhardt: Zwischen Licht und Dunkelheit die Grautöne des Lebens
fixpoetry.com, 30.9.2014
Johann Hinrich Claussen: Natur und Menschen leuchten lassen
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