– Nach Georg Trakls Gedicht „Am Moor“. –
GEORG TRAKL
Am Moor
3. Fassung
Wanderer im schwarzen Wind; leise flüstert das dürre Rohr
In der Stille des Moors. Am grauen Himmel
Ein Zug von wilden Vögeln folgt;
Quere über finsteren Wassern.
Aufruhr. In verfallener Hütte
Aufflattert mit schwarzen Flügeln die Fäulnis;
Verkrüppelte Birken seufzen im Wind.
Abend in verlassener Schenke. Den Heimweg umwittert
Die sanfte Schwermut grasender Herden,
Erscheinung der Nacht: Kröten tauchen aus silbernen Wassern.
durch dichte düstere verstechende wälder halten sie zu auf
das moor aufs suo den feind im rücken sie drehen sich nicht um
knebelten die bärenschellen an ihren mänteln schulterten ranzen
wo ist das suo wo es hell wird wo man von fern jetzt ein schreien
hört tumult und aufruhr von beflügelten der sog zum suo ist groß
sie stehen noch waldverstrickt doch liegt die öffnung vor ihnen zur
räme dem auswaldenden suo zur neva den schwappenden rimpis sie
sehen keine faulenden braunen keine zerfledderten flügel gab sies
so sind sie weggesunken es geschah schon bedeckung verwandlung
vor ihnen liegt eine ebene große betörende lichtregion lichtgürtel
aus silbernem wollgras gewebtes gefieder rene grasen an ihrem saum
ihr leibgedächtnis sagt hier sind die schütteren bülten der merkbaum
gespaltenes birklein die schlechtwüchsigen seggen hier lagern sie
unsere tragenden stämme heimliche überwege eingelassene uns rettende
brücken eilig wirft sich das suo über die schweren klatschenden schritte
sie nehmen nicht den scheinbar stabilen quer übers suo verlaufenden steg
auf dessen unterschwellig morschen angeknacksten planken schlangen
lagern tasten sich vorwärts mit taumelnden füßen den feind im rücken
getrieben von einer verheißung hinterm suo wird die fluchthütte sein
falls der pralle schnee sie schonte falls der ortssinn der sohlen nur reicht
es spricht aus abendnebeln die ihr ziel befallen eine verhüllte gestalt
sie kennen sie nicht und tragen sie in ihrem ahnenwissen in sich ich bin
durch das suo was ich bin und ihr seid die kinder und kindeskinder
suonamen sind unsere. suomalaiset nimet1 wie pakosuo räme neva hete
die dämmerung scheut sie will nicht weitergehen sie bäumt sich auf
Das von mir ausgewählte Gedicht „Am Moor“, 3. Fassung, hat mich gelockt, einen Blick auch auf die anderen Fassungen zu werfen. Faszinierend. So finden sich auch Spuren von diesen in meinem Gedicht.
Meinen ursprünglichen Gedanken, einen kleinen Text zu schreiben zu der Übersetzung des Gedichts ins Finnische, habe ich aufgegeben. Man hätte zu weit ausholen müssen. Beschäftigt hat mich allerdings der andere Stellenwert, den das Wort „suo“, „Moor“, im Finnischen besitzt. „Suo“ gehört gewissermaßen zur finnischen Identität. Finnlands Fläche besteht zu einem Drittel aus Moorböden – über hundert verschiedene Arten soll es geben – und so kennt die finnische Sprache eine Vielzahl von Moorbegriffen. Der Dichter Jorma Eronen schreibt in seinem Gedicht „Uigur!“: „Moornamen sind Namen der Ugrier“.
Das Wort „pakosuo“, „Fluchtmoor“, gibt es tatsächlich. Es zeigt, dass das „suo“ in der Geschichte und Kulturgeschichte eine rettende Funktion haben konnte: die Möglichkeit, Verfolger abzuhängen, wenn damit auch eigene Risiken und Widrigkeiten verbunden waren. Aus dieser Beobachtung heraus entwickelte sich, im Umgang mit dem Traklschen Gedicht, Elemente davon aufnehmend und sich davon absetzend, es in den finnischen Kulturraum übertragend, das meine – eine Fortschreibung, bzw. eine Übersetzung des Traklschen Gedichts ins „eigene poetische Gelände“. Ein Aufenthalt in einer moorreichen Gegend Nordfinnlands in diesem Sommer, mit dem Traklgedicht im Rucksack, trug zum Entstehen bei.
Der Dichter und Übersetzer Jukka Koskelainen hat übrigens, vielleicht bezeichnender- und unbewussterweise, den Titel „Auf dem Moor“ mit „Suolla“ wiedergegeben, was „Auf dem Moor“ bedeutet, er bewegt sich also mit seiner Übertragung in das Moor hinein.
Dorothea Grünzweig, aus Mirko Bonné und Tom Schulz (Hrsg.): TRAKL und wir. Fünfzig Blicke in einen Opal, Stiftung Lyrik Kabinett, 2014
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