ÜBERSETZE UND TRÄUME
ich bin soeben übersetztes Gedicht
bin aufgelöst und neu geschaffen
erinnere keine Drift
von Abraumich zu Anraumich
träum nur daß dies geschehen ist
Ich sage
Alter Körper komm
sei du mein Gast im neuen
er kommt
ist unsichtbar durchzieht mich
bleibt in der Gegenwart
so daß ich mich bin und
an meiner statt
Es läuft ein Band durch mich
ich seh die Enden nicht
und jemand spricht
Das ist der Seelenstrang
unlöslich unerschütterlich
Und spricht
Sie sollen um ihn
der Leib ist ja nur leihgegeben
verwandelt verwandelt werden
Der Sprachverlust im Ausland und das Wiedergewinnen, auch Neuentdecken der Muttersprache im Fremden ist ein Thema der Gedichte von Dorothea Grünzweig, die seit langem in Finnland lebt. Weit hinein in die Erinnerung reichen diese Verse, bis in Kindheitslandschaften. Oder in die Welt von Pflanzen und Tieren, denen sie eine eigene Sprache leiht. Auf buchstäblich zauberische Weise gehen sie auf Stimmenfang. Ihr leiser, aber kategorischer Imperativ lautet: Wer Ohren hat zu hören, der höre.
Aus Friederike Mayröcker: Poesiealbum 310, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014
Es sind uralte Themen der Lyrik, die in Grünzweigs Gedichten so unverbraucht und neu erscheinen, daß man aus dem Staunen über diese Frische nicht herauskommt.
Tilman Streckelsen
Auf buchstäblich zauberhafte, zauberische Weise gehen diese Gedichte auf Stimmenfang. Wer ihre Verse liest, der muß zum Ohrhalter werden.
Heinrich Detering
Wir dürfen es einen Glücksfall nennen, daß es noch Gedichte gibt, die uns am poetischen „Nachglühen des Garten Eden“ teilhaben lassen.
Michael Braun
Besonders berühren die biographischen Gedichte, persönliche und Weltgeschichte ineinander verwoben. Man kommt nicht davon.
Hans-Jörg Klages
Stets tastet Grünzweig nach der sinnlichen Seite der Sprache, das „Sehen der Wörter“ will sie schon in Kindheitstagen gelernt haben.
Nico Bleutge
Was Grünzweigs Gedichte zwingend macht, sind ihre eigenen Auflösungserscheinungen. Es geht darum, zu „lernen, daß wir ein Erbe tragen“.
Samuel Moser
Das ist Dichtung im Geist der Romantik, eine Kunst des Konjunktivs, des nur möglicherweise, nur sprachlicherweise Wirklichen. Alte Worte tauchen auf, anderes holt Grünzweig lautspielerisch herüber aus dem Finnischen… Aus diesen Gedichten spricht der bewundernswerte Wille, daß es eine unbedingte Kindlichkeit geben darf und muß, eine sprachliche Anmut, für die die Entzauberung der Welt ein unerhörtes Geschehen ist.
Peer Trilcke
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014
Weit hinein in die Erinnerung reichen diese Gedichte voller Sprachlust und Sinnlichkeit. Freude und Trauer, Vertrauen und Zweifel, Mut und Angst bleiben in atemberaubender Schwebe. Gerade dies aber gibt ihnen Halt und Zusammenhalt.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2014
Zum Herbst sagt sie „Sturzackerzeit“, eine Zeit, die uns in die „Schneehoffnung“ treibt. Der Schnee ist gegen Hierarchien. Tag und Nacht, mehr Unterschied ist in Schneegegend nicht nötig. Das Leben büßt seine Problematik ein, jetzt denkt man: Denkmalschutz nicht nur für Häuser, sondern auch für Lebewesen! Zeit auch der „Schneesprache“, die besteht aus „ruhigen mattschimmernden Worten“, zuvor übers Schweigen gehalten, wie man Fische übers Feuer hält, Worte, „denen ich nachhängen / kann ohne zu stürzen“. Sprache, die nicht weiß, was ein Befehl ist.
Es ist die blendende Kargheit eines hohen Nordens, die das Gemüt der Dichterin Dorothea Grünzweig geprägt hat. Die Welt, die sie aufruft, besteht aus Seetag und Wellenschaum und Muldendämmerung – diese Lyrikerin nimmt alles beim Wort, was die Wetter zwischen Meer und Küste so flüstern, sie weiß schreibend nicht, wo sie gerade empfängt und wo sie gerade gibt. Akute, moderne, wirklich gegenwärtige Dichtung wird akut, modern, wirklich gegenwärtig durch den klaren Befund: Alles beim Alten, das wir durch Staunen und Bilder weitergeben, nicht durch Wissen und Formeln verändern. Just dies macht die sanften Erschütterungen einer Poesie aus, die sich heiter und sehnsüchtig aufreibt zwischen Erfahrungen, aus denen man niederfällt, und einer Fantasie, mittels derer man hochklettert zu einem rettenden Rand.
Grünzweig, als Pfarrerstochter 1952 in Schwaben geboren, war Lektorin, Lehrerin, seit über 15 Jahren lebt sie in einem südfinnischen Dorf. Die Existenz im skandinavisch Abgedämpften neben das Dasein im zentraleuropäisch Aufgedonnerten gestellt – wer lebt näher am Wesentlichen? Die Dichterin folgt nicht den Regeln einer aufgebrachten, wirbelnden Welt.
Längst braust in mir kein
Schwarzrotgoldgeblüt
kein Mitmischfieber
Sie hat sich die Blickweite einer Romantikerin bewahrt, die umhergeht zwischen den Rätseln und ihnen die Angst davor nimmt, der Mensch liebe Geheimnisse nur wegen deren Entschleierung. Auch wir selber, so Grünzweig, sollten uns daran freuen, Verrätselte zu bleiben – es ist keine Schande, den Weg nicht zu erkennen, den man geht.
ich wohne wo ich bin
in mir so aufgehoben
fall ich in mein grünes wesen
So sehen diese Verse ehrend auf die Wirklichkeit, nicht begehrend – das Dichtwerk der Dorothea Grünzweig folgt einem doppelten Auftrag: Es will dem Leben eine Helligkeit so zusprechen, dass wir meinen könnten, es gebe diese wirklich, und es will eine Verfinsterung so aussprechen, dass wir meinen könnten, es gäbe die nicht wirklich. Das ist die Kraft, die im Brüllen der Zeit eine bezwingende Freundlichkeit behauptet. Herkunft?
Deutschland wie aus dem Gesicht
geschnitten
heißt es von mir
seitdem verhäng ich die Spiegel.
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