– Zu Paul Celans Gedicht „Ein Knirschen von eisernen Schuhn…“ aus Paul Celan: Mohn und Gedächtnis. –
PAUL CELAN
Ein Knirschen von eisernen Schuhn ist im Kirschbaum.
Aus Helmen schäumt dir der Sommer. Der schwärzliche Kuckuck
malt mit demantenem Sporn sein Bild an die Tore des Himmels.
Barhaupt ragt aus dem Blattwerk der Reiter.
Im Schild trägt er dämmernd dein Lächeln,
genagelt ans stählerne Schweißtuch des Feindes.
Es ward ihm verheißen der Garten der Träumer,
und Speere hält er bereit, daß die Rose sich ranke…
Unbeschuht aber kommt durch die Luft, der am meisten dir gleichet:
eiserne Schuhe geschnallt an die schmächtigen Hände,
verschläft er die Schlacht und den Sommer. Die Kirsche blutet für ihn.
Was geht vor? Es ist, als ob eine sehr alte Ballade erzählt wird. Von gepanzerten Männern ist die Rede mit all ihren Insignien: Sporn, Schild, Feind, Speer, Schlacht. Es ist hoher Sommer, die Kirsche gereift und die Rose. Beim allerersten, flüchtigen Lesen scheint es, als ließe sich ein Inhalt erzählen. Aber dieser Inhalt ist verfremdet wie ein Traum; seine Bilder wirken fast präraphaelitisch
„Ein Knirschen von eisernen Schuhn ist im Kirschbaum“: Dieses (hörbare) Bild ist wohl aus der Assoziation von „Kirsche“ und „Knirschen“ entstanden. Was mag knirschen? „Eiserne Schuhe“, und sie assoziieren Ritter in Rüstung, in Helmen und Sporen. Der fruchtreiche Kirschbaum meint Sommer, tiefe Bläue mit schäumenden Wolken; das sinnliche Kuckucksecho eingeritzt wie von einem Diamanten in das Glas der Himmelsreinheit. Nach einem alten Volksglauben – hat Celan ihn gekannt? – darf man am 22. Juni, dem „Tag der 10.000 Ritter“, keinen Kirschbaum besteigen, sonst fällt man herab und ist tot.
Die zweite Strophe gleicht dem Adagio nach dem Allegro maestoso der Eingangsverse, was bei lautem Lesen sofort deutlich wird. Der Reiter ist helmlos (sein Trinkgefäß) und trägt das Lächeln der Geliebten (der Geliebten des Dichters) im Schild wie ein umgekehrtes Medusenantlitz. Doch dieses ganz heraldische Lächeln ist „genagelt ans stählerne Schweißtuch des Feindes“. Man würde die Schönheit dieser Verse schänden, wollte man ihre Bildhaftigkeit übersetzen in Alltagsrede. Man muß diese Bilder und ihre bewußte Widersprüchlichkeit lange nachempfinden, dann öffnet sich ihr Sinn, obwohl genug Dunkelverborgenes bleibt.
Der helmlos Gewappnete ist den Träumern zugesellt, ihr Garten (nicht Schlachtruhm und militärischer Sieg sind ihm verheißen) wird seine Speere aufnehmen, nicht länger Waffen, sondern Spalier der rankenden Rose. Trotz der Härte des Mittelteils halte ich diese zweite Strophe für eminent erotische Poesie. Es mag die Andeutung genügen, daß der Speer ein männliches Symbol ist, wie die Rose ein weibliches. Der Reiter ist ohne aggressive Männlichkeit. Er erscheint helmlos, also ungeschützt, fast passiv, hat den Feind – vielleicht – überwunden durch das Lächeln der Geliebten, deren Paradies ihm im Bild des Gartens verheißen ist.
Die dritte Strophe gleicht einem Andante. Ein Herab-Schwebender, schuhlos die empfindlichen Füße, aber die „eisernen Schuhe“ der ersten Strophe jetzt an den „schmächtigen Händen“, ein androgyner Genius gleicht er der Geliebten. Er verschläft, wie von Dornröschens Dornenhecke verzaubert, „die Schlacht und den Sommer“. Und das Gedicht nimmt den Anfang wieder auf. Ist der Kirschbaum mitsamt seiner Frucht eingangs ruhendes Bild so tritt die Natur aktiv zur Gestalt des geharnischten Unbekannten:
Die Kirsche blutet für ihn.
Vielleicht wird mancher die Geharnischten in diesen Versen als bedrohlich empfinden. Für mich gleichen sie eher den Gewappneten aus Märchen und Sagen, verirrt etwa im Wald Broceliande, eher der Geliebten oder dem Einhorn auf der Fährte denn einem wirklichen Feind, an dessen Stelle die Kirsche – ein altes erotisches Symbol – ihr Blut vergießt. Ich empfinde diese Strophen als ein verschlüsseltes Liebesgedicht, dessen androgyne Bildlichkeit die leidvolle Trennung des Geschlechts überwunden hat.
Eckart Kleßmann, aus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Neunter Band, Insel Verlag, 1985
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