VOM EINDRINGEN DES IMPERFEKTS
IN DIE GRAMMATIK DES HEUTIGEN TAGES
Die Erde bricht wie Brot.
Ich gehe zu Grund, klagt das Meer.
Das Feuer, dies sanfte Delirium.
Der Abendhauch stürzt einen Felsen um.
oder auch, so Karl Krolow, als Autorin der „Lautlosigkeit“. Ihre Lyrik zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß sie auf jedes Ornament und auf jede auftrumpfende, Bedeutung suggerierende Geste verzichtet. Elisabeth Borchers hat nie ihre Stimme bei allfälligen „Ereignissen“ erhoben, hat im „Geschäft des Sich-Einmischens“, von anderen vortrefflich beherrscht, sich nie eilig zu behaupten versucht, was wiederum, paradox ist das nicht, für ein um so nachhaltigeres Wirken ihrer Lyrik gesorgt, die Resonanz auf diese erheblich erhöht hat.
Sechs Jahre nach Wer lebt erscheint nun eine neue Gedichtsammlung: Von der Grammatik des heutigen Tages. Mit diesen Texten ist Elisabeth Borchers weitergegangen, nicht ohne die Widerstände miteinzubeziehen, sie vielmehr deutlicher werden zu lassen: Dichter und dadurch klarer, einfacher und dadurch reicher, rhythmischer und dadurch schöner, gelassener und dadurch präziser sind diese poetischen Arbeiten von unterwegs. Denn unterwegs zu sein ist ein wesentliches Motiv, das letzten Endes bestimmende Moment einer Autorin, die weiß, was ihr die Grammatik des Tages bedeutet: den Tag zu nehmen, ehe er vergangen ist, den Regeln des Jetzt zu folgen und sie zu formulieren. Oder auch, ganz einfach, melancholisch, ironisch und heiter zugleich: „Tun wir den nächsten Schritt / auf die weiße Fläche / Zukunft.“
Suhrkamp Verlag, Klappentext, 2018
Die Erde bricht
Die Zeit, 26.6.1992
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