Erich Arendt: Feuerhalm

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Erich Arendt: Feuerhalm

Arendt-Feuerhalm

FANTIŠEK HALAS

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaKunštat 1962

Jung,
essend den sonnenschwarzen
Apfel: du spiest in den Sand
die Kerne, daß aus der Erde
Freude wächst, tiefer dem Aug,
das schal ist, im Blattwind,
ohne den Tod.

Nun,
kahl steht der Baum
dir überm Herzen, jahrlang
ein Schneelicht. Verlöscht
die Kerzen der Gräber, es kamen
die eisernen Harken, die Wege
zu ebnen eines kleinen Erinnerns:
Du, hier −
mußt das Wachsen der Stunde
der Steine verschlafen
die den Himmel verdecken, den
stummgeschlagenen Mund.
Einst,
in der Winddissonanz,
du lehrtest den Schwermutsvogel
das Wort
nach dem gestorbenen Lachen.

Rasch wächst
das Dürrgras Vergessen:
wir mähen es
ab mit den Zähnen des Worts (das
du härtetest). Schweigst,
zu leben im Zwielicht
der Geschichte
,unglücklich glücklich‘!

 

 

 

Beitrag zu diesem Buch:

Heinz Czechowski: Neue Gedichte von Erich Arendt
Neue Deutsche Literatur, Heft 11, 1973

 

Aus dem Tagebuch 1973

16. April
Arendts neuer Gedichtband FEUERHALM mit der Widmung: „− zu leben im Zwielicht / der Geschichte / unglücklich glücklich! /“ Und dann: „Elke und Eddi in herzlicher Verbundenheit, verschworen den offenen Horizonten; Erich“. Arendt ist gestern 70 Jahre alt geworden.

3. Mai
Nachdem ich einmal hier, einmal dort in FEUERHALM gelesen habe, fühle ich mich anders als früher bei der Lektüre Arendtscher Bücher auf saugende Weise in eine Abfolge von Träumen gezogen, besser: von Traumlandschaften, wie man sie in rascher Bewegung durchfliegt („Kraterzerrissen, es / altert, gramgrauer Stein, die /sperrige Fläche… // geritten geritten // hufnackt drüber, ins / Meerphasen- / geschliffne Gekerbte…“), mit plötzlichen Verengungen des Weges („Ein Wiehern, / blindgeritten / über die Wände kam, / felsinnen: / hinab…“), jähen gefahrvollen Gipfeln und Ausblicken:

… wir gleiten über die
Felsscheide,
Grabwind
im Ohr

Traumlandschaften, unwirtlich, kahl, fast menschleer, abseits der üblichen Erfahrung der Kinder der norddeutschen Tiefebene – Arendt, vor siebzig Jahren in Neuruppin geboren oder der Freunde des Fichtelbergs – Arendt, der gefürchtete Skiläufer, Spezialist für Abfahrten, noch in den Sechzigern −; und doch erkennt „man“ diese Traumgegenden wieder. „Man“? Möglicherweise erleben dies viele: daß sie aus tiefem Schlaf erwachen und einen Ort geträumt haben, den sie in Wirklichkeit nie erlebt haben und dessen schemenhafte Umrisse von nun ab als eine zweite „Heimat“ in ihrer Erinnerung bleiben. Für mich – wahrscheinlich im Unterschied zu vielen anderen – ist diese Traum-Heimat so öde und trostlos, fern allen sogenannten „Ferienparadiesen“, wie die Landschaften des Buches FEUERHALM. Wenn er Glück hat – doch ist das eine Frage des „Glücks“? – erlebt der eine oder andere auch noch das zweite, den Schock: eines Tages in ferner Weltgegend seine Landschaftsvision in der Wirklichkeit wiederzuentdecken, wie es mir geschah, als wir vom Perewall nahe dem kaukasischen Bakuriani übers armenische Hochland blickten, Elke und ich.

Wir kuschelten uns auf dem felsbrockenübersäten Plateau des Perewall hinter einem mächtigen Steinmal, Steinmaul zusammen, hohe Rast, der kalte Wind pfiff, wir blickten in die abweisende Landschaft des armenischen Hochlands, die sich schroff unterschied in Farbe und Form von den Tälern um Borshomi. Baumlos, gelb-grau, steinig fiel der Südhang des Perewall allmählich zur Hochebene ab und zu fernen, metallisch schimmernden Seen. Eine Straße, die sich wie wir durch die Schluchten hochgeschlängelt hatte, zielte nun schnurgerade in die flimmernde öde Weite – in Richtung Achalkalaki, wie die Karte zeigte, in Richtung: türkische Grenze, in deren Nähe die zweite große Felsenstadt Georgiens, die Höhlenstadt Tamaras, Gwardsia, liegt; zerfallende Felswand voll von hineingeschnitzelten Toren, Gängen, Zimmern, Etagen, die Etagen durch Treppchen miteinander verbunden, von denen viele, Spielzeug des Windes, ins Nichts verrieseln hoch überm Mtkwari… Ein einsamer Militärlastwagen zog auf der Straße in Richtung Gwardsia, ein winziges Käferchen war er unter der Herrscherin Sonne, er zog eine lange Staubfahne hinter sich her, die am Fuß der Bergkette, auf der wir lagen, vom Wind zu Boden geschlagen wurde…

Jetzt erst wird mir bewußt, daß der Abschnitt 8 meiner Georgienreportage, den ich in diesen Tagen geschrieben haben, von den neuen Gedichten Arendts irgendwelche Signale empfangen haben muß; dabei hatte ich noch keine Zeile gelesen (oder glaubte es), sondern nur gelegentlich am Papier gerochen.

Ein Ineinanderspiel von Traum und Wirklichkeit beginnt, ein Austausch zwischen Vision und realem Erlebnis – ist solche Erfahrung womöglich eines der konstituierenden Elemente der Arendtschen Poesie auch? Was für eine spekulative Frage. Aber ganz und gar abwegig wäre der Gedanke, es handle sich hier etwa um gedichtete Träume. Das mußte demnächst noch stärker betont werden – als in meinem Sinn-und-Form-Artikel vom vorigen Sommer −, daß Arendts Gedichte fast ausschließlich von realen Begegnungen, ja, Beobachtungen ausgehen, und zwar: strenger und direkter als bei jedem anderen Dichter unseres Landes.

8. Mai
Versuch, die neuen Gedichte in das bislang bekannte Werk einzubetten und solcherart zu bewältigen, einzufügen in das Gebäude der synoptischen oder mythischen Vision Arendts der mächtigsten poetischen Anlage, zumindest im Hinblick auf die Konzeption, die die deutsche Dichtung nach dem Krieg gezeitigt hat: weshalb riskiert man so etwas nur in Tagebüchern auszusprechen? Doch dieses Mal wird die Ein- und Zuordnung nicht einfach; ein Rest Verwirrung bleibt, ein Stachel, der schmerzhaft beunruhigt, enervierender noch als bei der Lektüre von AGÄIS vor sechs Jahren. Ist der einfache Grund für solche Verwirrtheit, daß FEUERHALM im Gegensatz zu TOLÚ, den verschiedenen Komplexen in GESANG DER SIEBEN INSELN, den FLUG-ODEN und ÄGÄIS keine Gedichtgruppen enthält, die sich in einem umrissenen geographischen Raum oder nach einem bestimmten Programm bewegen? „Der Prager Judenfriedhof“, „Abgestorben die Wurzeln innen“, das Land der Kakteen „Handwurzel, schwarz“, die Landschaft des Feuerhalms, der die „Füße des Himmels“ in Brand setzt, die submarine der „Mantanza“, „Hartwuchs okeanischen Dunkels“, Kreta, Toledo, Nordafrika – verlier Dich! Gedichte schöner Geschlossenheit („Niobe“), andere, deren Metaphernwelt sich in splitterartige, wenn auch immer intensiv einwirkende Signale „auflöst“. („Sela“, Feuerhalm)

Erich Arendt ist in der letzten Zeit zwei Mal schwer krank gewesen und operiert worden. Elke lief bleich und dünner noch als sonst die gehaßte Friedrichstraße hinauf und hinunter, traf den und jenen, fragte jeden: „Wie geht es Arendt? Weißt Du etwas von Arendt?“ Einer, W., meinte: „Er pfeift auf dem letzten Loch!“ – „Aber wie! Aber wie!“, verteidigte ich Arendt und hatte seine letzten Gedichte im Kopf. – Verteidigte??!! Nun ja, weshalb nicht auch das noch?

Weitere Unterschiede zwischen FEUERHALM und den früheren Bänden. Die alten Schlüsselworte (Stein, Licht, Dunkel etc.)  gewinnen oft neue Akzente, die solchen Schlüsseln entsprechenden Kräfte in Arendts Weltbild treten in neue spannungsreiche Verhältnisse zueinander, so in dem für jeden Arendt-Kenner vermutlich verblüffend dramatischen Gedicht „Der Tänzer“ mit dem schrecklichen Schluß: „Entmannt / steht / das Licht“. 2. Einige der früheren Motive erfahren beträchtliche Ausweitungen, z.B. die der untermeerischen Szene, der Grüfte der Meere, wie sie im frühen Nördlich – von 1957, sehe ich – imagiert wurden („Treibende Leere, Tiefe, / sonnen- und augenlos, / von Flossen und Fängen gemieden, / nur Dunkel und Dunkels Schoß.“) und in dem neuen „Turmuhren“ poetisch-abstrakt definiert werden: „… zehntausend Strich unterm / Spiegel, den / kein Christus besteht…“; in „Sireneninsel“ und „Die Matanza“ nun auch der Todeskampf der sich drängenden Fischleiber („Dort unten / stumm / wandern die Thune…“) unter den Harpunen und im Fangkasten („Ich steh im / offenen Schrei / der Särge, ein Lebender, die / sich füllen, blind, / mit Angst und Tod“), nicht mehr zu erfahren für den Dichter ohne den simultanen Gedanken an das unterseeische Drama der Fischwelt bei Atombombenversuchen, an die Apokalypse:

… redeten sieben Donner
ihre Stimme,
und das Dritt-
Teil des Meers ward Blut…

9. Mai
Die für Arendt neuartige Vertracktheit und neuartige Schlichtheit vieler dieser Gedichte – es fällt mir plötzlich wie Schuppen von den Augen: sie hängen mit dem Versuch zusammen, den Tod zu bannen (das Phänomen des Todes poetisch zu fassen, besser so?). „Bald / vorm Gesicht / das Leersegel, / breit gespannt“ – dieser einfachen bildhaften Benennung des Nichts entspricht in einem anderen Gedicht das (demonstrative) Versagen jeglicher Bildhaftigkeit: „… dies war / nichts als und / unabänderlich Nirgendwo / Haltlos Verschweben. Leersegel, Leersegel… Oder mit Gesang“ (einer sich unmittelbar mitteilenden vokalreichen Musikalität):

… wie Wasser
und Sand ist
die Zukunft
und steigt
wie du auf das Schiff

Einfachstes im bisher schwierigsten Gedichtband der ganzen Lyrik der DDR.

„Aber wie!“

Adolf Endler, aus: Gregor Laschen und Manfred Schlösser (Hrsg.): Der zerstückte Traum • Für Erich Arendt, Agora Verlag, 1978

„Vergegenwärtigung des Einzelnen“

Ein Programm, ein Plan, der Fortschritt, das Gute, müssen den Frieden der Erfüllung nicht geben; wie es eingebürgert ist, bietet ein Programm ja den Frieden des Programms. Ein Programm kann verglichen werden mit einem Zuhause, mit einem Heim, in welchem der Mensch seine Schulaufgaben macht und seine Eltern hat, nämlich, wie Günter Eich einmal trefflich anmerkte, seinen Vater Staat, seine Mutter Natur. Sie, die nicht Vater und Mutter und nicht Gatten sind: als Interpretationen treten sie auf im zurechtgezimmerten Kinderzimmer, das den Geist einbehält, bis er mündig ist.
Erich Arendt, der heute 81jährige und nach meinem Wissen und Gewissen bedeutendste Lyriker unter den lebenden deutschen, fand, die Vaterstadt Neuruppin, d.h. das Programm eines Lehrerbildungsseminars, einer Bank und einer Fahnenweberei verlassend, Aufnahme in ein avantgardistisch-literarisches, dann in ein kommunistisches-ideell-ideales Programm, welches ihn in die Emigration führte, ihn in Spanien ein blutiges Scheitern der progressiven Idee, in Südamerika das obdachlose Verenden der einheimischen Indios, den Tod eines Volkes und seiner Kultur wahrnehmen ließ und ihn als einen die Welt erfahrenden Odysseus aus der ideologisch-idealischen Kinderstube der mitteleuropäischen Zivilisation entließ in das elementare, nicht mehr bevormundete A und O der menschlichen Existenz, das Ur- und Erdenbild, das er in Stein, Licht, Meer und der Menschengebärde auf den Inseln des Mittelmeeres sah.

KERNNACHT-
geboren:
aaaaaaaaaaaBlick und
aaaaaaaaaaaGestirn.
aaaaaaaaaaaDie Materie
aaaaaaaaaaabindet.
Einlauschend ins
Eigenste,
die Dinge
hindurch:
aaaaaaaaaaadie Erde, schwermutalt,
aaaaaaaaaaawir sind
ein Versuch
von ungefähr.
Und aller Rinden Glanz.
(„Memento und Bild“)

Niemand wahrhaftig übte, niemand hatte Weltanschauung wie er, der unter uns lebte. Jahrelang schienen die jüngeren Lyriker, um mehr als ein Vierteljahrhundert jüngeren, eine andere Arbeit zu tun als er: Artikulierten sie eine in der Problematik ihres Landes befangene Gegenwart, schrieb Arendt in der Weite historischer und irdischer Dimensionen.
In den letzten fünf Jahren aber zeigten sich bei allen Veränderungen, die auf einen gemeinsamen Prozeß schließen lassen, einen Prozeß, in dem Arendts poetische Selbstverwirklichung – Gott helfe diesem Ausdruck durch die Zeiten! – sich erweisen kann als ein Probierfeld, eine Vorleistung zu unserem eigenen Selbstverständnis, d.h. zum Verständnis unserer Prägungen und ihres Spielraums. Für diese Eigenschaft, Eignung, Eigenschaft finde ich in des Grafikers Carlfriedrich Claus „Subjektive(n) Notizen zum Spätwerk Erich Arendts“ ein hervorragend genaues Wort: integrale poetische Prozeßwirklichkeit. Er sagt:

Während harter Jahre des Exils erfuhr Arendt Initiation in indianisches Naturbewußtsein. Er erspürte Zukunftshaltiges, einen antizipierenden Kern in mythischer, ja magischer Naturbeziehung. Diese Kontakt-Erfahrungen, Bewußtseins-Verdichtungen und -Erweiterungen werden von ihm seit ÄGÄIS in integrale poetische Prozeßwirklichkeit umgesetzt. Ein neuer Kulminationspunkt ist mit MEMENTO UND BILD erreicht. Die Wände zwischen Bewußtem und Unbewußtem fielen.

− Ich würde den Begriff Zukunft in etwas Gegenwärtiges übersetzen und versuchen, die genannte Initiation als psychologische Funktion oder Operation zu begreifen, vom dritten Satz aber bis zu dem Satz „Die Wände zwischen Bewußtem und Unbewußtem fielen“ folge ich dem Text mit erhellter Freude.
(…)
Elke Erb, aus: Text+Kritik – Erich Arendt Heft 8/83, edition text+kritik, Juli 1984

Verse vom Kampf und der Schönheit des Lebens

– Stunde der Akademie mit Erich Arendt. –

Die am vergangenen Mittwoch von der Akademie der Künste veranstaltete Stunde der Akademie galt diesmal dem lyrischen Schaffen Erich Arendts. In einigen einführenden Worten wies Hermann Kant dennoch zunächst auf den Nachdichter Arendt hin. In Stunden der Sorge um die revolutionären Errungenschaften Chiles und unserer Verbundenheit mit dem chilenischen Volk erinnerte er daran, daß uns Erich Arendt das lyrische Werk des großen chilenischen Poeten Pablo Neruda erschloß.
Vor zahlreich erschienenem Publikum las Erich Arendt Gedichte seines Spätwerks, bereits veröffentlichte (in dem Band Aus fünf Jahrzehnten und in dem soeben erschienenen Inselbändchen Feuerhalm), aber auch bisher unveröffentlichte Gedichte. Spannungsvolle sprachliche Schöpfungen, voller Bewegung und Musikalität, kamen zu Gehör: Beispiele einer Lyrik, die — so Erich Arendt in der sich anschließenden Diskussion — ihre Form dem Erlebnis der Ägäis verdanken. Die karge Existenz der Bewohner dieser griechischen Inselwelt vor Augen, sah sich der Dichter mit dem Elementaren um den Menschen und in ihm konfrontiert. Verse entstehen, die um Grundsituationen des zwischen Leben und Tod gespannten menschlichen Daseins kreisen.
Die Lesung ließ wiederum die besondere Stellung des Schaffens von Arendt in unserer Lyrik erkennen. Stark der Mittelmeerwelt, griechischer Gedichte und antiker Mythologie verpflichtet, beschwört der Dichter eigenwillig und in komprimierter Bildsprache Bedeutungsvolles, seine innere Welt aufbauend und artikulierend. Immer aber bleiben die Gedichte an die äußere Welt gebunden, dem Sehen, Hören, ja Ertasten der Dinge geöffnet. Bei allen Schwierigkelten des Verstehens sind die Verse doch zugänglich.
Sie künden von einem tiefen Humanismus, der alle menschlichen Erfahrungen auszuschöpfen sucht und letztlich die Einmaligkeit und gerade darum Schönheit menschlichen Lebens bejaht („nur wer vergänglich gilt“). Erregtes und unbedingtes Engagement für den Menschen äußerte sich gleichfalls in dem am Schluß gelesenen Gedicht „Das Kartenspiel“, das thematisch den Spanischen Bürgerkrieg behandelte. Erich Arendt war selbst 1936 bis 1939 Teilnehmer des spanischen Freiheitskampfes. Die Ausstrahlungskraft des Gedichts aber reicht weit über dieses historische Ereignis hinaus, weckt es doch den Haß gegen jegliche Reaktion — den Feind der Poesie und des Volkes.

Jürgen Engler, Neues Deutschland, 16.9.1973

Poetik des Total-Worts

– Zu den Gedichten Erich Arendts. –

In den Tagebuch-Aufzeichnungen Franz Kafkas aus dem Jahre 1922 findet sich unter dem Datum des 16. Januar folgende Bemerkung: „Diese ganze Literatur ist Ansturm gegen die Grenze“ – „… ich kann auch sagen ,Ansturm gegen die letzte irdische Grenze‘, und zwar Ansturm von unten, von den Menschen her, und kann, da auch dies nur ein Bild ist, es ersetzen durch das Bild des Ansturms von oben, zu mir herab“.1 Diese Notiz Kafkas ist vor allen anderen Implikationen, die sie enthält, zunächst in poetologischer Hinsicht aufschlußreich und das nicht nur im Hinblick auf die Werkstruktur Kafkas; wird hier doch eine Einsicht formuliert, die in ihrer, wenn auch ,bild‘-haften Grundsätzlichkeit von Bedeutung ist für das Verständnis struktureller Verhältnisse in der Literatur und die sprachliche Organisation des einzelnen Werks. Das Dichtungsprinzip, das Kafka in dieser Notiz ins „Bild“ setzt und das er an anderer Stelle mit den Formulierungen „stehendes Marschieren“ und „stehender Sturmlauf“ belegt,2 ist, stellenweise versetzt, anders akzentuiert, variiert und ausgesprochen thematisiert, bis in die Literatur der unmittelbaren Gegenwart hinein spürbar. Sprechen in einem Raum und in ihn hinein, der sich selbst als Grenze für eben dieses Sprechen auftut, indem er sich als „Bild“, als Sprach-Bild zu erkennen gibt. Dieses Bild wird in seiner Setzung als eines gewußt, das ersetzbar ist. Ersetzbarkeit meint hier aber nicht bloße, schematische Austauschbarkeit, sondern bestimmt sich von der Temporalstruktur des „Bildes“, des Sprechens schlechthin her: ist zu verstehen im Sinne von Gleichzeitigkeit solch letzter, grundsätzlicher Grenz-Signale wie „oben – unten“, jetzt – einst, hier – dort, ich – du oder wie es Helmut Heissenbüttel in den „Tautologismen “ formulierte:

die Lage in die ich gekommen bin ist ja und neint3

Die anhand solcher Signale gleichsam punktuell angepeilte Grenze liegt nicht länger in dem durch Worte, durch Sprechen Bezeichneten, sondern wird als das Sprechen selbst begriffen, doppelzüngig: auf diese Grenze zu und zugleich von ihr her. Im Hinblick auf das Selbstverständnis des modernen Gedichts hat Paul Celan in seiner Büchner-Preis-Rede diesen Sachverhalt verdeutlicht:

… das Gedicht behauptet sich am Rande seiner selbst; es ruft und holt sich, um bestehen zu können, unausgesetzt aus seinem Schon – nicht – mehr in sein Immer – noch zurück.4

In einem späten Gedicht Celans heißt das:

Der Kehlkopfverschlußlaut
singt5


Das sich so, programmatisch und zugleich in seiner Gefährdung formulierende Sprachbewußtsein ist bei der Betrachtung des lyrischen Werks Erich Arendts, dem wir uns im folgenden zuwenden wollen, im Auge zu behalten.

I
Es ist notwendig, einige kurze Anmerkungen zum curriculum vitae Arendts vorauszuschicken. Zum einen sind die Stationen dieses Weges, über den persönlichen Stellenwert hinaus, symptomatisch für die Lebensläufe einer ganzen Reihe von deutschen Schriftstellern, in deren Erfahrungszentrum die Konfrontation mit dem Nationalsozialismus steht. Zum anderen bedeuten die einzelnen Phasen dieses Weges auch Zäsuren im Œuvre Arendts: gerade im Hinblick auf die jeweilige Sprach-Verfassung seiner Arbeiten ist das nicht zu übersehen.
In Neuruppin geboren, gehört Erich Arendt wie Peter Huchel dem Jahrgang 1903 an. Bis 1933 ist er als Lehrer an einer Versuchsschule im Berliner Arbeiterbezirk Neukölln tätig. Zugleich arbeitet er als Zeichner in einer Theatermalerei, ist Journalist für verschiedene Berliner Zeitungen. Die Affinität zur Malerei schlägt sich bereits in einigen Gedichten des Anfangs nieder, wir begegnen ihr später in den großangelegten Figurengedichten der vierziger Jahre. 1926 veröffentlicht Arendt seine ersten Gedichte in dem von Herwarth Walden geleiteten Sturm. Im gleichen Jahr wird er Mitglied der KPD, zwei Jahre später schließt er sich dem von Johannes R. Becher geführten Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller6 an. 1933 emigriert Arendt zunächst in die Schweiz, dann nach Spanien, wo er von 1936 bis 1939 in der 27. catalanischen Division „Carlos Marx“ am spanischen Freiheitskampf teilnimmt. Weitere Exilstationen sind Frankreich, schließlich Kolumbien. Während der Emigration veröffentlicht er in den beiden Moskauer Zeitschriften Das Wort und Internationale Literatur,7 in der Zeitung Freies Deutschland,8 die in Mexiko erschien, sowie in spanischen Zeitungen und Zeitschriften. 1950 kehrt Arendt nach Ostberlin zurück. Er lebt heute in Berlin-Treptow.9

II
Grob gesprochen läßt sich das lyrische Werk Arendts in drei (Sprech-)Phasen gliedern, deren Zusammenhang und Bedingung füreinander nicht sogleich sichtbar sind, bei näherem Zusehen freilich doch die Internität dieses Werkes belegen. Die erste dieser Produktions-Stufen ist bezeichnet durch die Jahre 1925 bis 1928, die zweite durch das Stichwort Emigration, die dritte schließlich ist anzusetzen Mitte der fünfziger Jahre, nach der Rückkehr Arendts aus dem kolumbianischen Exil. Schon diese an geschichtlichen Daten orientierte Gliederung läßt jene Schwierigkeiten, unter denen dieses Werk entstand und denen es ausgesetzt war, ahnen: Schwierigkeiten, für die Brecht lakonisch die Zeile setzte:

Schlechte Zeit für Lyrik.10

Die ersten Gedichte erscheinen in dem von Herwarth Walden herausgegebenen Sturm. Dieser Einsatz des jungen Dichters ist an sich nicht weiter verwunderlich, memoriert man die überragende Bedeutung dieser Zeitschrift und ihres Herausgebers für den deutschen Expressionismus und die Dominanz dieser literarischen Bewegung. Weitaus bemerkenswerter ist vielmehr seine Orientierung an einer Poetik, die in ihrer fundamental sprachrevolutionären Bedeutung nur von wenigen Zeitgenossen richtig eingeschätzt worden ist und deren Würdigung und produktive Aufnahme und Weiterentwicklung – über die Dokumentation des Dadaismus hinaus – erst nach 1945 eingesetzt hat und bis in unsere Tage, etwa in den Arbeiten Heissenbüttels, Gomringers, Mons, verdeckter noch auch im Werk Paul Celans, spürbar ist: gemeint ist das Dichtungs-Prinzip August Stramms, eine Poetik, in deren Zentrum das Einzel-Wort, aufgefaßt als „Total-Wort“ gerückt ist. Die Gedichte Arendts aus dieser Zeit – etwa zwanzig sind erhalten – belegen, abgesehen von dem Versuch einer intensiveren Verbalisierung der Sprache, keine Fortführung des Strammschen Ansatzes. Er begnügt sich mit einer Wiederaufnahme dieses Prinzips, wie eine Gegenüberstellung zweier Gedichte zeigt; im Hinblick auf die Poetik der späten Gedichte Arendts aber ist dieser adaptive Einsatz als gleichsam vor-entscheidend zu erkennen.

August Stramm

FREUDENHAUS

Lichte dirnen aus den Fenstern
Die Seuche
Spreitet an der Tür
Und bietet Weiberstöhnen aus!
Frauenseelen schämen grelle Lache!
Mutterschöße gähnen Kindestod!
Ungeborenes
Geistet
Dünstelnd
Durch die Räume!
Scheu
Im Winkel
Schamzerpört
Verkriecht sich
Das Geschlecht!
11

Erich Arendt

DIRNENGANG

Dämmerung
Zerkeimt die Helle
Lüsteln
Trippt und lungert
Glimmen Schiele
Knöchern
Schlüpfen
Blinze Tode
Luren
Geile Augenlider
Schenkeln
Winkelmord die Gassen
Stöhnen
Qualen
Blinze tasten
Aus den Spalten
Luren gleiten knüpfen Blicke
Kauern würgend
Sticken
Fallen
Sterne Steinen
In aufgescheuchter Angst
Flieht
Umspannt die Hand ein Schatten
Du!
Die Knochenweiße
Ringt
Heran
Blind leckt zerschrien ein Ruf
Feuchten fastelt
Schnappt den Schlitz
Den schlitzen Schlitz
Streifen Steift
Und atmet
Stockt
Du!
Und
Tappt
An uns vorüber! –
(UHW, 38)

Stramms poetische Verfahrungsweise, die Alfred Döblin mit dem Prädikat „puritanisch“ belegte, wird von Arendt widerstandslos übernommen. Die Übereinstimmungen lassen sich bis in den einzelnen Vers hinein verfolgen. Daß Arendts Gedichte in der Regel länger sind als die Stramms, hängt mit der Tendenz zur stärkeren Verbalisierung zusammen, bestätigt aber auch, wie eng der Abstand zum Vorbild ist: Arendts „Dirnengang“ ist in diesem Sinne eine ,Aus-Schreibung‘ des Strammschen „Freudenhauses“. Diese ,Aus-Schreibung‘ steht ganz unter jenen Vorzeichen, die Herwarth Walden 1918 in seinem Essay „Das Begriffliche in der Dichtung“ formulierte, eine erste und zutreffende Explikation der Strammschen Poetik: „Die Bindung der Kunst ist ihre Bewegung. Der Rhythmus.“ – „Warum soll nur der Satz zu begreifen sein und nicht das Wort. Da doch der Satz erst das Begriffliche des Wortes ist. Nur die Wörter greifen den Satz zusammen. Wenn das einzelne Wort so steht, daß es unmittelbar zu fassen ist, so braucht man eben nicht viele Worte zu machen. Man darf es dann sogar nicht, weil man sonst das Wort umstellt, unsichtbar macht.“ – „Jedes Wort hat seine Bewegung in sich. Es wird durch die Bewegung sichtbar. Die einzelnen Wörter werden nur durch ihre Bewegung zueinander, aufeinander, nacheinander gebunden… Das ist die innere Sichtbarkeit. Die ungegenständliche Dichtung“.12
Wie Stramm sucht der junge Arendt die optimale Intensität seines Sprechens im Rückzug auf das Einzel-Wort, in der darin verborgenen Bewegung. Der Vers wird häufig auf ein einziges Wort reduziert, das solcherart seine „Unmittelbarkeit“ zeigt:

Stockt
Du!
Und
Tappt
(UHW, 38):

das Wort in der Isolation wird zum „Total-Wort“. Seine „Frei-Stellung“ im Vers beschränkt die Versbewegung auf die des Wortes. Durch diese Isolierung im Vers wird das Wort in eine gewissermaßen statische Position gebracht, von der aus es seine Signal-Fähigkeit erst entwickelt: Signal zu sein für sich selbst, für die ihm innewohnende Bewegung. Die rhythmische Qualität des Gedichts bestimmt sich so von der Intensität der Einzel-Bewegungen her.
Die strenge Folge der „Total-Wörter“ im Gedicht betont ihre Gleichwertigkeit und in gewissem Sinne auch ihre Gleichzeitigkeit: das Gedicht ist – als Sprachgeste – „reine Gegenwart“, und von daher: „ungegenständlich“, wie Walden festgehalten hat.
Diese Konzentrationstechnik auf das Wortinnere, seine Bewegung evoziert dadurch, daß der Assoziations-Raum des Einzel-Wortes gleichsam mit-bewegt wird, neue Sprech-Abläufe. Die Bewegung, die im Wort steckt, ist von kombinatorischer Qualität:

und
glockt und glockt
aufsternt Jubelglock
Und Herzgeläut
Glockt das All
Glocken
Rauschen
Glocken
Stürmen
Glocken Schwallen Schallen Prallen
Branden überall das All
Lichtschwallrundung prallt
(AJ, 29)

heißt es in dem Gedicht „Geburt“ von 1925. Die Verbalisierung des Substantivs zu Beginn dieser Sprech-Kurve – aus „Glocke“ wird „glocken“ – betont eine dynamische Tendenz, die das Sprechen gleichsam selbsttätig vortreibt. Das zum ,Tätigkeits-Wort‘ umfunktionierte Substantiv spürt weitere, im Bereich seiner Bewegung liegende Worte auf: „Rauschen / Stürmen / Schwallen / Schallen / Prallen“, wobei die tonalen Qualitäten der Wörter sozusagen die (Wort-)Räume konstituieren, in denen die Bewegung sichtbar werden kann: „Schwallen / Schallen / Prallen“ vollzieht sich im „überall / das All“. Der Neologismus – „Lichtschwallrundung“ – am Ende dieser Sprechbewegung stellt sich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit ein: er steht als Indiz für ein dichterisches Sprechen, dessen zentrale Antriebskraft die apostrophierte Eigenbewegung der Wörter ist. Diese tonale Kombinatorik des Sprechens ist aber kein sinnentzogenes Lautspiel, ohne reale Bezugsmöglichkeiten auf die Bedeutungen, den im Titel signalisierten Vorgang Geburt. Sie erweist ihre Funktion vielmehr in dem Versuch einer Identifikation von Sprache und des in ihr und durch sie beschriebenen Vorgangs. Man ist versucht, von einer „Sprech-Geburt“ zu reden: der Bewegungsablauf des realen Vorgangs Geburt wird in seiner Sprachlichkeit erfaßt, die ihm innewohnende Bewegung wird identifiziert als Sprech-Bewegung. Die tonalen Stützen des Sprechens im zitierten Abschnitt des Gedichts – die Vokale o, u, a, (au) e und i, ihre Ballung und ihre zeitliche Folge, nämlich von den dunklen Vokalen hin zu den hellen am Schluß des Gedichts

Grell und grell
Weißer Schrei
Zerschellt der Leib
(AJ, 29)

sind unüberhörbare Hinweise auf den Ablauf in Wirklichkeit, den Vorgang Geburt in seinen einzelnen Phasen.
Im Zuge der Reduktion lyrischen Sprechens auf das „Total-Wort“, die Wort- bzw. Laut-Gebärde kommt es wie bei Stramm häufig zur Bildung von Neologismen, häufig durch gewaltsame Umwandlung einer Wortkategorie in eine andere.

Glimmen Schiele (UHW, 38)

heißt es da etwa. Zugrunde liegt das Verfahren der Substantivierung: aus ,schielen‘ wird ,Schiele‘: „Glimmen Schiele“ – eine Fügung, die die Assoziation ,glimmende Scheite‘ gerade noch ermöglicht. Für Arendt bestimmender ist die Verbalisierung, die mit der Kontraktion zuweilen Hand in Hand geht. Einige Beispiele:

(1) Staunen augt
das schwanke Schwanken.
(AJ, 30)

Müde mondet um die Welt. (UHW, 42)

(2) Locken üppen (UHW, 40)

Schweigen mondeinsamt (UHW, 42)

Auf und nieder kletterhasten Sternenfüße (AJ, 33)

Im ersten der unter (1) angeführten Beispiele liegt der Fall einfach: das Substantiv ,Auge‘ wird verbalisiert, gleichsam aus dem Status der Ruhe in jenen der Bewegung versetzt; das naheliegende ,äugt‘ wird vermieden, da es kaum von jener sprachlichen Unmittelbarkeit ist, die das ,augt‘ erreicht. Die im zweiten Vers erfolgte Amputation des Partizip Präsens ,schwankendes‘ zu ,schwanke‘, unterstützt durch die Alliteration, dient der gleichen Absicht: der Rhythmus der Verse wird härter, schnittartiger, unmittelbarer. Das erste der unter (2) angeführten Beispiele belegt die Verbalisierung eines Adjektivs (üppig). Das dritte Zitat unter (2) demonstriert die Kontraktion von zwei Verben (klettern – hasten), aber auch die Kontraktion von Verb (klettern) und Adjektiv (hastig): „auf und nieder kletterhasten Sternenfüße“ – Bewegung, die in einem Raum vollzogen wird, der lediglich durch die Signale „auf und nieder“ in seinen Grenzen angedeutet wird, ein Sprach- und Sprechraum, der im Spätwerk Arendts immer stärker thematisiert wird. Differenzierter als dieses Beispiel und zugleich direkter gefügt ist eine Wendung, wenn, wie im folgenden Beispiel, die Bezugspunkte von unterschiedlicher sinnlicher Qualität sind, in zwei Wahrnehmungsvermögen reichen: „Blicke schwammen lall“ (UHW, 36) – verbal zusammengebracht also das Visuelle und der Ton.
Unter dem Aspekt der Intensivierung lyrischen Sprechens, der Reduktion auf den der Sprache innewohnenden Rhythmus sind auch die unverhältnismäßig häufig angewendeten Alliterationen und Assonanzen zu erkennen, die zuweilen bis ins Einzel-Wort vordringen:13

„Lahfen schwahlt wahl
Schwarzen schwahlt
vemachtet“ (AJ, 29)

„Schwahlt“ evoziert immerhin noch „schwelen“: das Produkt eines Vorganges „schwelen“, nämlich Asche (Schatten) wäre dann in den Vorgang selbst und zwar tonal hineingenommen. Die Amputation von Partizipien ist des öfteren zu beobachten. Vgl. UHW, 38 („Blinze Tode“), AJ, 12, UHW, 32 oder AJ, 17: „Bittern knifft den Mund verängsten“. Letztgenanntes Beispiel belegt den doppelten Vorgang der Verwandlung eines Wortes aus einer Wortkategorie in eine andere: das Substantiv Bitternis wird verstümmelt unter gleichzeitiger Verbalisierung, wird aber substantivisch verwendet. Das Partizip verängstigt wird amputiert, aus seinem intransitiven (passiven) in einen transitiven (aktiven) Bezug versetzt, ohne daß auf das vorliegende Verb verängstigen zurückgegriffen wird. Die neue Form „verängsten“ ist fremd, der Wortinhalt aktualisiert in eine Bewegung neuer sprachlicher Qualität. Ein Hinweglesen über den Versschluß wird verhindert, die Assoziationsfähigkeit des Lesers beansprucht, direkt.

Kichern krillt zerzerr (UHW, 36)

Feuchten fastelt
Schnappt den Schlitz
Den schlitzen Schlitz
Streifen steift
(UHW, 38/39)

und so bereit bereits
geneigt
(UHW, 41)

Hinzuweisen ist schließlich noch auf ein die ,Sichtbarkeit‘ der im Sprechen vollzogenen Bewegung unterstützendes Moment: die Bewegung ist eine gelenkte.

Die Knochenweiße
Ringt
Heran.
(UHW, 38)

Oder:

Matt
Stirbt der wandelbare Schein
Dir
Vom Gesicht
(UHW, 34)

Das Gedicht „verlassen flehen“ setzt ein:

und schwarzblank übersinken vogelrauschen
hin zum land
(AJ, 11)

„Jedes Wort hat seine Bewegung in sich. Es wird durch die Bewegung sichtbar“ hatte Walden 1918 notiert. Fünf Jahre später schreibt Gottfried Benn – in einer Bemerkung über die Beziehung des lyrischen Ich zum Wort:

… , daß Worte eine latente Existenz besitzen, 14

Anders als Benn, für den die latente Existenz der Worte – zumindest noch 1923 – „das letzte Mysterium“ verkörpert, radikalisieren Stramm und in seiner Spur der junge Arendt diesen Ansatz, die latente Existenz sichtbar zu machen: sie erheben ihn zum Dichtungsprinzip.

II
1926 trat Arendt der KPD bei und ein in den Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller, der ab 1929 ein eigenes Organ hatte, die Linkskurve. In der ersten Ausgabe dieser Zeitschrift formulierte Johannes R. Becher die Aufgabe des Bundes und der Linkskurve:

Das wichtigste Ereignis auf dem Gebiet der Literatur ist die Entstehung einer proletarisch-revolutionären Literatur, einer Literatur, die die Welt vom Standpunkt des revolutionären Proletariats aus sieht und sie gestaltet. Sie ist der Aufstand gegen die Welt, so wie sie heute ist, der Ruf nach durchbluteten Hirnen und nach den Breitschultrigen.15

1927 schrieb Arendt das Gedicht „Folterung – Szantó und den Genossen“ gewidmet. Darin heißt es (wir zitieren die Schlußverse):

Roh wühlt das Klirren
Angst
Hetzt henkerwild entlang
Die weißerwürgten Augen
Morden!
Die Scheiben knicken
Blut
Licht erfüllt den Raum
Erstickt
Des Grauens voller Mund!
(UHW, 43/44)

Damit mußte Arendt in direkten Gegensatz zu der vom Bund vertretenen Forderung nach Einfachheit, Volkstümlichkeit, „Breitschultrigkeit“ gelangen. Der vor allem von Becher vorgetragene Angriff bezichtigt ihn des Subjektivismus, des Formalismus, der Gesellschafts- und Praxisferne, einer a-politischen Haltung. Becher, seine expressionistische Herkunft16 verleugnend, vermißt zweifellos Agitation und Tendenz, er vermißt die unmittelbare politische Anwendbarkeit des Arendtschen Gedichts im Sinne dieser beiden, damals auch in der Linkskurve vieldiskutierten Begriffe, deren Definition im Rahmen einer marxistisch-leninistischen Ästhetik – die erst noch zu schreiben wäre – ja bis auf den heutigen Tag nicht aus den Bedingungen der Sprache, zumal der dichterischen, entwickelt wurde, sondern von politisch-ökonomischen Zielsetzungen her formuliert wird, von einer gewissen vordergründig praktischen Effektivität her beurteilt wird. Nur so ist es zu verstehen, daß die Kritik die präzise politische Valenz eines solchen Gedichts übergeht: daß das Gedicht selbst Folterung ist, „Sprechfolterung“ (Handke).17
Immerhin reichte die Massivität des Angriffs hin, um den jungen Arendt in eine Krise zu treiben: für einige Jahre, etwa bis 1934 verstummt er.18

Was das Herz hier spricht,
das verweht ein Wind.
Küsse mein Gesicht,
weil wir sterblich sind.

(Diese Strophe fehlt inzwischen in der vom Autor redigierten Rostocker Ausgabe.) Und diese Krise ist noch keineswegs überwunden, als eine erneute Verschärfung hinzukommt: in dem Augenblick, als er dabei ist, seine Sprache zu entwickeln, wird er gezwungen – für nahezu zwanzig Jahre – den deutschen Sprachraum zu verlassen und ins spanisch-südamerikanische Exil zu gehen. Die wenigen erhaltenen Zeugnisse aus der Zeit Mitte der dreißiger Jahre sprechen eine beredte Sprache: „Auf der Suche nach einer neuen Ordnung entstehen Sonette und andere wohlgesetzte Formen, die leichtfingrig und unverbindlich Hofmannsthals müden Schönheitskult und Rilkes preziöse Unsäglichkeitsgebärden bemühen“.19 Hinzu kommt ein blasser Neo-Klassizismus, der von Becher her übernommen sein dürfte. Zwei knappe Belege mögen das veranschaulichen. Zuerst eine Strophe des 1936 entstandenen Sonetts „An den Dichter“ (BWB, 15):

Nun ist es Zeit, die Feder fortzutun;
der Mensch kämpft mit den letzten Waffen!
Die Helden, die dein Herz im Trotz erschaffen,
sie fordern Rechenschaft von deinem Tun.

Das aus dem Jahre 1934 stammende Gedicht „Aragonesischer Abend“, das der Dichter sowohl in der Hamburger wie in der Rostocker Ausgabe korrigiert vorlegt, setzte ein:

Lehmhäuser recken aus der Hitze ihr Gesicht.
Der Sommerbrand des Himmels löschte über kahlen
endlosen Feldern aus. Ein grüner Glanz von fahlem
hauchdünnem Glas, spielt fernhin das vergangne Licht. 
UHW, 48)20

Mit dem Eingreifen Arendts in den spanischen Freiheitskampf beginnt ein Neuansatz sichtbar zu werden. Merkwürdig, daß das im Ausland geschieht: die in Deutschland sich ankündigende Katastrophe wird nicht – und wenn, dann indirekt – thematisch. Aber damit ist ein Charakteristikum des Arendtschen Werkes bezeichnet, das in den späten Gedichten von zentraler poetologischer Bedeutung ist: die Position der Distanz, die Wendung ins Paradigmatische; ein Sprachbewußtsein, das sich an den „Rändern der Sprache“ und von ihnen her formuliert. Die Unmittelbarkeit der politischen Wirklichkeit in Deutschland, der Arendt gegenüberstand, verschlug ihm die Sprache, verstellte gerade die Unmittelbarkeit seines Sprechens: im übrigen eine Erfahrung, der auch andere deutsche Autoren – etwa Huchel, teilweise Hermlin – Rechnung trugen.21

DIE HÄNDE

Zum Hauklotz, drauf der Bauer Sebastián
für den asturischen Winter Holz geschlagen,
stieß ihn die Guardia Civil und spie ihn an:
Nun balle deine Faust, die du so hoch getragen!
Vier hielten keuchend seinen Leib gepackt;

der hat verzweiflungsvoll in letzter Not gerungen.
Mit stumpfem Beilhieb fielen abgehackt
die Hände, die im Schacht den Fels bezwungen.

Mit blutigen Stümpfen lief er taumelnd ins Gelände.
Sie schossen lachend hinterdrein. Und als er schrie,
ging einer hin, mit Erde ihm den Mund zu stopfen.

Tot lag im Acker er. Und weit von ihm die Hände.
Sie schlossen sich zur Nacht. Im Dorfe hörten sie
die Fäuste kommen und an alle Scheiben blutig klopfen.
(UHW, 58)22

In nahezu allen Spanien-Gedichten benutzt Arendt bestimmte traditionelle Formen. Das Sonett nimmt darunter eine vorherrschende Stellung ein. Zuweilen treten balladeske, erzählende Elemente auf: auffällig ist bereits der relativ häufige Einsatz des ,und‘, das ein wichtiges Struktur-Prinzip der späten und spätesten Gedichte darstellt. Ansätze zu einer freien Rhythmik, die das Spätwerk kennzeichnet, sind noch selten.
Der Gegensatz von sozusagen ,heiler Form‘ und ,chaotischem Stoff‘, bewußt genutzt, erzeugt hier jene Intensität und Wucht seiner Sprache, die er zu Beginn in der Reduktion auf das einzelne Wort gewann. Die Form wird einer Wirklichkeit ausgesetzt, die sie zu sprengen droht. Die Form wird durch den Anspruch des Stoffes aktualisiert, ihre rhythmische Qualität erheblich gesteigert, während der Stoff in der Konfrontation mit ihr eine Dynamisierung erfährt. Von der Statik des „Hauklotz“ zu Beginn bis zu den „Fäusten“, die „blutig klopfen“, intensiviert sich ein Vorgang, dessen sprachliche ,Bewegungs-Qualität‘ nicht zuletzt der festgefügten Form zu verdanken ist, die gleichsam als Engpaß, als Presse funktioniert.23
Der spanische Freiheitskampf wird für Arendt zum Paradigma, das keiner Verschlüsselung bedarf:

Hier in Spanien bietet sich an, was zu Hause erst nicht genutzt, dann verwehrt wurde: die Gelegenheit, auf den Faschismus im eigenen Land aktiv zu antworten, den revolutionären Schwung und das erstickte Pathos kämpferisch zu entladen. Es ist für Arendt, wie für viele andere an diesem Kampf beteiligten Schriftsteller aus anderen Ländern, eine notwendige politische Ersatzhandlung großen Ausmaßes, die von fern an die Begeisterung und die Aktionen der „Philhellenen“ im griechischen Freiheitskampf (1821–29) erinnert.24

Das Moment des Paradigmatischen, aus der Position der Distanz gleichsam zwangsläufig entwickelt, bestimmt von nun an geregelter seine lyrische Diktion. Die ersten Metaphern tauchen auf, ganz noch im Sinne der Metaphern-Definition Lorcas:

Y una imagen poética es siempre una traslación de sentido – Ein poetisches Bild ist immer eine Sinn-Übertragung.25

1936 entsteht das Gedicht „Das Beispiel“, eine hommage à Madrid:


wenn du verzagen willst: Dann blicke fernhin nach Madrid,
das allem Tod zum Hohn aus seiner Kehle lacht,
ein Lachen stählern, groß, das Panzer beben macht.
Dort recken noch die toten Fäuste sich aus Steinen.

Stehst du vorm Blutgericht, beug nicht zuletzt dein Knie.
Mit großem Blick umfaß noch einmal sie,
die kühne Stadt: Madrid kämpft seinen Kampf und deinen!
(UHW, 55)

Was paradigmatisch ausgesprochen wird, gründlich, fast archetypisch gewendet, verträgt die Groß-Vokabel, die große Wortgeste. Ein einziges Wort – „Blutgericht“ – evoziert und stützt die ganze Szenerie. Was paradigmatisch daherkommt, nimmt auch das Ende, die Niederlage in diesem Fall, bereits vorweg: die Personifizierung des kämpfenden Madrid bezeugt die Unwiderruflichkeit, Unauslöschlichkeit dieses Kampfes:

dort recken noch die toten Fäuste sich aus Steinen.

So muß die Personifizierung nicht zurückgenommen werden, als die Niederlage feststeht, die das Gedicht „Saragossa 1941.“ beschreibt in einer Diktion, deren verzweifelte Würde beeindruckt:


So steigt aus Todesdrohn und Furcht ins fahle
Gewölb der Nacht ein riesenhafter Rumpf:
die steinerne Gewalt der Kathedrale.
Und greise Uhren schlagen überm Dachfirst dumpf.
Der Ebro aber rauscht…
(UHW, 63)

Arendt verläßt Spanien, er taucht in Marseille unter, bis er 1941 ein Visum nach Kolumbien erhält. Damit ist der Spanienkampf seiner unmittelbaren Erfahrung entzogen und die Spanien-Gedichte, die noch entstehen, projizieren die historische Erfahrung auf die neue Situation. Hinzu kommt nun ein Gedicht-Typ, den man als ,Figuren-Gedicht‘ kennzeichnen kann, eingeleitet mit dem 1939 entstandenen Gedicht „Begegnung mit Villon“ (UHW, 73). Gedichte auf Cervantes, Lorca und Rimbaud schließen sich an. Bedeutsam ist seine Hinwendung in die Werkwelt bildender Künstler: Gedichte auf Goya, Rembrandt, Tintoretto, Van Gogh, Pieter Breughel oder das 1941 entstandene Gedicht „Der Maler David vor der Leiche Marats“ (UHW, 40) belegen diese Affinität zur Malerei und bildenden Kunst. Das solcherart durch Anschluß an bereits vorliegende künstlerische Artikulation (Sprach- bzw. Bildwerk) entstehende Figuren-Gedicht bevorzugt noch immer gesicherte literarische Formen, nur selten erscheint eine freie Rhythmik, die, seit den „Flug-Oden“ von 1959, Arendts lyrisches Sprechen kennzeichnet. Eines der ersten Gedichte im freien Rhythmus ist das über den „Maler David vor der Leiche Marats“, das mit den Versen schließt:

Von Härte und Schmerz
der Enttäuschung
ein Rest. Die Treuen aber
sehen weiter. Immer beim
Wanken der Zeit zu rechnen
ist mit dem Abfall eines Mannes. Nicht nur
groß,
vergänglich auch ist er, und Furcht liegt
wie Staub auf den Gesichtern. Das aber
wird hier nicht gewogen.
(UHW, 79)

Die Orientierung dieses Sprechens ist hörbar: es versichert sich an dem von Klopstock projizierten, von Hölderlin zur Höhe gebrachten Klangraum freier Rhythmen. Die Technik der inversiven Fügung („Von Härte und Schmerz… ein Rest“ – „Die Treuen aber… “ – „Immer… zu rechnen ist“ –) führt – exemplarisch dann in den späten Gedichten Arendts – wie bei Hölderlin zur „Vernichtung des Satzes“,26 zu einer Poetik des „gewichtigen Wortes“, in gewisser Weise jene des ,Total‘-Wortes der Sturm-Gedichte memorierend, die die Extensionsgesetze radikal einschränkte zugunsten der im Einzelwort vorhandenen Intensität. Der Zeilenbruch „… Nicht nur:“ und die Placierung des „groß“ als Einzel-Wort im Vers weisen darauf hin. Das Motiv des „Restes“, hier noch strikt thematisch angeschlagen, erreicht bei Arendt späterhin jenen Wert, der die dichterische Sprache selbst als „Rest“, als „Grenze“ reflektiert.
1941, als Arendt nach Kolumbien aufbricht, entsteht die Ballade „Der Albatros“, eine einzige groß hingeworfene Chiffre für eine geschichtliche ,Wende‘, in der Abschied und Aufbruch, Vergangenheit und Entwurf des Horizonts zusammengezogen werden in die gleichsam ,historische‘ Marke jetzt. Das ausfahrende Schiff und sein Unterwegs werden zur Metapher der Emigration:

Eines Tages um die Mittagswende
stieg aus ständgem Glanz das harte Riff.
Palmen wuchsen aus dem Lichtgelände
und die Bai umrauschten grünen Wände,
in die Bucht lief einsam ein mein Schiff.
aaaaaFern am Horizont, der nackt und groß,
aaaaaflog für immer fort der Albatros
. (UHW, 77)

In Kolumbien wird Arendts Lyrik thematisiert durch das Erlebnis „des Dunkels schwarze Tropenschwere“, wie es antizipierend in der „Ballade vom Albatros“ heißt: ein „Gauguin-Erlebnis“ klingt an, freilich a-hermetisch geprägt, bestimmt vom sozialen Engagement für die Sache der ausgebeuteten und versklavten Indios.

Ich, geboren aus Schändung und Wildheit, aus einer
letzten Verzweiflung, ich frage euch denn:
Was wißt ihr!
Was wißt ihr von mir, von dem ihr nur die schändliche
Haut kennt, dies rissige Fell, angewachsen
dicht überm Herzen, das blutet und blutet…
(UHW, 128)

Arendts Sprache entledigt sich in zunehmendem Maße der strophischen Formfesseln. Eine durch das Erlebnis der tropischen Landschaft evozierte Exotik der Metaphernbildung tritt in den Vordergrund. In dieser Zeit aber werden auch bereits jene „großen Silben der Nacht“, die Groß-Vokabeln, die das lyrische Gebäude der Spätzeit konstituieren, eingesetzt: Tod, Himmel-Erde, Meer-Sand, Asche, Sonne, Stein, Auge, Mund, Sprache und Zeit, Erinnerung und Gedächtnis.

Aus Asche das leblose Land.
Sand,
ein meergraues Aschenland.
Kakteen im lichtlosen Licht
tragen
das schwere Eisengewicht:
des Himmels bleichender Wand;
Wand aus gestorbenem Licht
. (UHW, 107)

Die Unverhältnismäßigkeit der Verslängen (lang – kurz) erzeugt einen Rhythmus, der gleichsam in sich selbst wirkt, ,Räumlichkeit‘ herstellt, unterstützt von den zwei, diesen zitierten Abschnitt beherrschenden Ton-Qualitäten ,Licht-Lande‘ unterstützt auch von der semantischen Ebene der Verse her: das darstellende, ausführende Signal „aus Asche das leblose Land“ wird zum absoluten Signal durch Amputation seiner Zeigefunktion: „Aschenland“. Das Gedicht spielt mit den Ton- und Sinn-Qualitäten, bis sie die ,Räumlichkeit‘ erreichen, in der sie zusammenfallen:

Wand aus gestorbenem Licht.

Anders gesagt: die Identifikation des Konkreten in der Metapher ist erreicht, die Konsistenz des Inkonsistenten formuliert. Die Identifikation ist die äußerste Konkretion, in der die Metapher als bloßer Vermittler aufgehoben ist.

III
Als Arendt 1950 nach Ostberlin zurückkehrt, ist es Peter Huchel, der ihn mit vier Gedichten sogleich in Sinn und Form vorstellt und zur Herausgabe der in der Emigration entstandenen Arbeiten auffordert. Anfang der fünfziger Jahre erscheinen kurz hintereinander die Bände Trug doch die Nacht den Albatros und Bergwindballade, für die Arendt mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet wird. Diese Auszeichnung verhindert jedoch nicht, daß er erneut einer kräftigen Isolierung seitens der im Zeichen einer zunehmenden Stalinisierung stehenden Kulturpolitik ausgesetzt ist. Ab 1952 veröffentlicht Arendt keine eigenen Gedichte mehr, sondern publiziert Übersetzungen und Nachdichtungen südamerikanischer und spanischer Lyrik: Guillén, Neruda, Alberti, um nur einige Namen zu nennen. Übersetzungen, deren Qualität ihn über die DDR hinaus bekannt machen. Erst mit Einsetzen des „Tauwetters“ in der Kulturpolitik der DDR um 1956 tritt Arendt mit eigenen Arbeiten wieder an die Öffentlichkeit. Er legt den vierteiligen Zyklus Gesang der sieben Inseln vor und den Band Flugoden, der als Teil-Auflage auch in der Bundesrepublik erscheint. Der Band Gesang der sieben Inseln verdeutlicht die Spuren dieser neuerlichen, „inneren“ Isolation: anstelle des politischen Gegenstandes tritt als bestimmendes Motiv Natur, genauer: jene landschaftliche Grenz-Zone, in der Meer und Land aufeinandertreffen. Ihr korrespondiert jene Grenzbestimmung, die Himmel und Erde im Horizont herstellen, der seinerseits sich bestimmt im Rückbezug auf den Standort des ihn wahrnehmenden Auges. Der sich solcherart signalisierende (Groß-) Raum wird ergänzt, strukturiert durch Zwischen-Räume, die sich aus der gleichsam kontrapunktisch durchgespielten Gegensätzlichkeit von Zeitbestimmungen herstellen: Tag-Nacht, Frühe-Dunkel, Damals-Jetzt-Morgen-, Geschichte-Zeit. Letzte, signalartige Hinweise wie „oben-unten“ distanzieren diese Räumlichkeit von jener einer unmittelbar und visuell erzählten Anschaulichkeit.
Das den Zyklus eröffnende Gedicht „Meeresstille“ (AJ, 222) beginnt:

Oben glühen und reifen
die Narben,
die Säume:
Betörende Stunde!

die aus Stille gewölbten
und singendem Sand,
die steilen Brüste der Insel, krönt
grundmeerentstiegene Helle;…
Von lautlosen
Barken Spiegelbilder der Schwermut:
Schwarze Segel,…

Dem Zugriff ins ,Irgendwo‘ („oben“), unvorbereitet, korrespondiert eine wenngleich vage, so doch schon nähere Bestimmung: „grundmeerentstiegen“, eine Setzung, die gleichsam erst im Vollzug des durch den Einsatz „oben“ provozierten Sprechens erreicht wird, im Nachhinein die vorlaufenden Setzungen „Narben“, „Säume“ belegt, die ihrerseits als Bestimmungen der Grenze diese dann in eine neue Evokation ihrer Merkmale treibt: wenig später heißt es, wobei die zugrundeliegende Gegen-Setzung „oben – unten“ umgekehrt wird:

…:
Mondschwärme zogen,
dicht, als hier der Bäume
gelbes Blut gerann: Sterben,
urwelthaftes, der erloschnen Wälder.

… um uns aber
die Bläue, die trägt
und dem Himmel verschwistert, fern…
(AJ, 223)

Die Spiegelbildlichkeit der Raumstruktur entspricht jener Kontrapunktik von „grundmeerentstiegener Helle“ und dem in die Tiefe abgesunkenen Sterben „erloschener Wälder“.
Bedeutsamkeit bei der von Grenzwerten her gestellten Räumlichkeit kommt der Stellung gewisser Verben zu, die aus dem Zustand der Ziellosigkeit in den der Zielgerichtetheit versetzt werden und die Sprachlichkeit, den Charakter des Sprech-Raumes erhärten. In dem Werner Gilles gewidmeten Gedicht „Cava Acquera“ (UHW, 143) heißt es:

Von Fels hin zu Fels
zählt
mit zeitlosem Finger die Zeit

und:

da dein Schatten (…)
da zum Staubkorn er wuchs
dir unter dem Fuß zusammen

oder:

Im Aug (…) glänzt
(…) die schwarze Perle
dir.

Das Gedicht „November“ (AJ, 245) beginnt:

Schatten und Vogelzug:
Wie sinkt dir das Jahr.

In dem späten Gedicht „Valet“ von 1967 lesen wir:

(…) Ihm
unter der Zunge das Meer,
er aß,
er trank
Bittres den haarigen Fischern zu
. (AJ, 422)

Durch Setzung des freien Dativ-Objekts wird eine gerichtete Bewegung erkennbar, die Räumlichkeit verstärkt. Ein Bezugspunkt wird angepeilt, von dem offen bleibt, inwieweit er selbst diese Bewegung bestimmt: so deutet sich ein lyrisches Ich an, das erst im Sprech-Vollzug erreicht wird, erreichbar ist und nicht als Ausgangspunkt fungiert. Der sich im Sprechen herstellende Raum wird belegt zudem durch die Umfunktionierung der Zeit-Komponente in ein Raum-Element: es ist das Jahr, das „sinkt“, Im erstgenannten Beispiel – „von Fels hin zu Fels / zählt / mit zeitlosem Finger die Zeit“ – wird die Zeit personalisiert, zum Handlungsträger gemacht: sie „zählt von Fels hin zu Fels“, was zählt sie? Die Zeit „zählt mit zeitlosem Finger“: die Zeitlosigkeit der Zeit erscheint hier als die ihr eigene Bewegungsqualität: die Zeit zeigt sich. Sie ist in gewisser Weise Äquivalent zu der Raumlosigkeit des Raumes in den späteren Gedichten, eines Raumes, dessen kosmologische Weite und dessen mediterrane Realitäts-Reste nur sinnvoll funktionieren, wenn sie als Elemente dieses Sprech-Raumes begriffen werden, aus der „den Worten innewohnenden Bewegung“ heraus entwickelt, wie Walden es formuliert hatte.
Jene o.a. Ersetzung des Objekts durch ein im bekannten Setzungs-Zusammenhang unvertrautes (anstelle von „Glück zutrinken“ dann „Bittres zutrinken“), ist ein intensivierendes Element in diesem Zusammenhang. Der Bewegungsträger (zu-trinken) transportiert eine neue, fremde Sinn-Qualität. Dadurch aber wird der Transport selbst in seiner Funktion gesteigert. Unterstützt wird die so hervorgehobene Bewegungs-Qualität durch eine reduziert angesetzte, rhythmisch betonte Parallelisierung:

er aß,
er trank
Bittres den haarigen Fischern zu.

Die in der Zeitlosigkeit der Zeit, in der lediglich durch Grenz-Signale bestimmten Verfassung des Raums ausgesprochene Paradoxie ist ein konstituierendes Merkmal, vielleicht die zentrale Ambivalenz der späten Lyrik Arendts. „Flut, gipfeldurchragte / unseres Herzens“ beginnt die „Ode IX“. (AJ, 589) Oder: „im Fels dort / im Offnen die Mondspur“ (UHW, 182). Die Paradoxie ist jener Raum, in dem sich sein Sprechen herstellt. Eine ,Landschaft‘ wird evoziert, „heraufgesungen“, um den Tod darin anzutreffen,27 der „Winter“ formuliert als „Sommer der Hölle“ (AJ, 328). Das Gedicht „Valet“, in poetologischer wie programmatischer Hinsicht ein Schlüsselgedicht zum Verständnis der späten Gedichte, manifestiert sich als eindrucksvoller Beleg des sich als Grenze verstehenden Sprechens:

VALET

Glühendes Sandkorn im Auge,
den Himmel,
aaaaaaaaaaer saß
aaaaaaaaaaJahre ungezählt
vor der befragten See:
hohlhallend,
jenseitiges Weiß, die Wellen.
Innehausend dem Brustkorb
Antwort:
aaaaaaader Meerkiesel
aaaaaaaaltes Verrollen.

Ans Schwarzkliff
aaaaaaaaaaaaabeiseite gespült
hartschaliger Auswurf, kalt.
Seine Finger darin
spielten
muscheltot mit der Zeit.
Als ob Zeit
etwas ändert,
aaaaaaaaaadie Wolke.
Schrumpfend
ein Vogelknochen im Blickkreis (hat
aaader Stein denn gesungen).
aaaEr fror,
aufhorchend: oben,
Spitzmesser in Fels,
Schaufeln gruben
den Schrei aus der Luft. (Er
kennt ihn), saß,
den unerreichten Hohlraum
eng
um sich.

aaaaaRücklings
aaaaadie Todesharken aufwärts:
Antennen, die sangen
Kindern unter das Dach
das tausendjährig
aaaaaverjährte Eurydike.
aaaaaNoch
vor der Hütte, hölzernes
Schweigen, er stand,
Frauen, breithüftige Schatten (er
streift sie).
Auf Eisenrosten sand-
entwundene Früchte. Ihm
unter der Zunge das Meer,
er aß,
er trank
Bittres den haarigen Fischern zu.

Als im rissigen Holz spät
das Dorf
anschlief den Tod,
aaaaaaaaaaaaaaseine Adern,
sagt man, haben in anderem Fleisch
gesungen, das
bog sich –
aaaaaaaaoder war’s
draußen? Wind,
der in die schneidenden Schalen
der Muscheln
griff –

Das Gedicht besteht aus fünf strophenartigen Abschnitten von ungleicher Länge. Die Einsätze, bis auf den der letzten Strophe, erfolgen unvermittelt, gleichsam absolut, ein für Arendt jetzt typisches Verfahren.28

Blut-
kehliges
Gestern,
(AJ, 425)

vgl. auch:

Das Aug,
seinen Krater hinab
in den Schächtgrund
(AJ, 417)

oder:

Des Grundmeers
Todsediment:
(AJ, 412)
Die häufig zu beobachtende, bis ins Einzel-Wort greifende Zäsur als Betonung des Enjambements unterstützt die Absolutheit solcher Einsätze.
Die ersten beiden Verse des Gedichts geben die paradoxe Ausgangssituation: die Unendlichkeitsdimension des Himmels, reduziert auf die mit bloßem Auge ebenfalls kaum wahrnehmbare Größe „Sandkorn“: in der Dimension des Unendlichen sind sie austauschbar, gleichwertig. In diese Position, die von einer gewissen Zeitlosigkeit her bestimmt ist, tritt ein lyrisches Er ein, dessen Konturen denen der Landschaft zugeschrieben sind:

den unerreichten Hohlraum
eng
um sich, –

sorgfältig vorbereitet durch Raum-Bestimmungen wie „hohlhallend“, „jenseitig“, „Innehausend“.
Die Sprachlosigkeit am Ende des ersten Abschnitts – „der Meerkiesel / altes Verrollen“, als Rest also nur Erinnerung, treibt das Sprechen in einen Neu-Ansatz, ebenso absolut wie zu Beginn des Gedichts:

Ans Schwarzkliff
aaaaaaaaaabeiseite gespült
hartschaliger Auswurf, kalt.

Wie genau Arendt auf die den Worten innewohnende Bewegung, ihren Richtungs-Sinn achtet, verdeutlicht der zweite Vers: „beiseite gespült“ wird aus der Text-Achse heraus, „beiseite“-gerückt. Eine Zäsur entsteht, nicht ohne theatralische Qualität, die der folgenden, syntaktisch voll ausgespielten und mit prosaischer Bestimmtheit gesetzten lyrischen Reflexion –

Seine Finger darin
spielten
muscheltot mit der Zeit.
Als ob Zeit
etwas ändert,
aaaaaaadie Wolke. –

programmatisches Gewicht zuschiebt. Die Identifikation des lyrischen Er mit der Position des Dichters der Moderne deutet sich an. Die Ernsthaftigkeit dieser „recherche du temps“, zumal sie im Bereich des Spielerischen angesetzt und als artifizielle Möglichkeit im Grenz-Bereich aufgefaßt wird, erfolgt durchaus im vollen Bewußtsein der Fragwürdigkeit:

als ob Zeit
etwas ändert.

Das, was als Wahrnehmung definiert und formuliert wurde, hat „Auswurf“-, Rest-Charakter, ist zuallererst flüchtig: „ein Vogelknochen im Blickkreis“. Eine Landschaft aus Überbleibseln, aus Resten gefügt: der Rückbezug auf die Wahrnehmungsfähigkeit des Auges, damit auf das lyrische Er ist deutlich, denkt man an den Beginn des Gedichtes zurück. Das an seinen Resten noch zu erkennende Geschehen, der Todessturz eines Vogels, und sein Bezug auf die Position des Dichters – „(Er kennt ihn)“ – findet sich diffizil ausgedrückt und verifiziert im Einsatz von Satzklammern, Doppelpunkten, durch Gedankenstriche geöffneten Versschlüssen: das zu erwartende Fragezeichen nach „(hat der Stein denn gesungen)“, wird nicht gesetzt. Die Wahrnehmung steht unterm Signum der Erinnerung. Aber auch diese wird in Klammern gesetzt.
Der dritte und vierte Abschnitt des Gedichts verdeutlichen diese Erkenntnis: die den Kindern noch mögliche Möglichkeit ist bereits „tausendjährig verjährt“. So wie die „Hütte“, Symbolwort einer „heilen Welt“ zum „hölzernen Schweigen“ geschrumpft ist, schrumpft der menschliche Bezug auf ein flüchtiges Berühren: „Frauen, breithüftige Schatten (er / streift sie)“, ein Rest freilich unterm Prinzip Hoffnung, als Möglichkeit immerhin erkennbar bleibend, aber auch und das gleichsam apriori:

Rücklings
die Todesharken aufwärts: –

von fern das Heideggersche „Dasein zum Tode“ evozierend. Die Nähe zu Gedichten der Nelly Sachs ist unüberhörbar.29 Der letzte Abschnitt setzt vermittelter als die voraufgehenden, fast erzählend ein:

Als im rissigen Holz
spät das Dorf
anschlief den Tod
,

Aus der an ihren Resten formulierten Landschaft ergibt sich für einen Moment, ausschnittsweise eine flüchtige Konkretion, die eines Fischerdorfes, die aber sogleich in der Personifizierung des Dorfes, das den Tod anschläft, aufgelöst wird. Es gibt keine Gewißheit: auch die der Erinnerung nicht:

… seine Adern,
sagt man, haben in anderem Fleisch
gesungen, das
bog sich –
aaaoder war’s
draußen?

Das Ludvík Kundera zugeschriebene Gedicht „Sekundengezählt“ schließt mit den Versen:

Wann
aagestern
aaaamorgen?
immer, es gibt kein –
Wir wissen
. (AJ, 424)
30

Wir
wissen ja nicht, weißt du,
wir
wissen ja nicht,
was
gilt.

(Niemandsrose, Frankfurt 1963, S. 12/13).

Die Affinität zur Sprachverfassung des Celanschen Gedichtes ist in den späten Arbeiten Erich Arendts spürbar, stellenweise bewußt betont, so etwa in dem Celan gewidmeten Gedicht „Prager Judenfriedhof“ (UHW, 217).

Die Schlußverse von „Valet“ nehmen dieses Motiv erneut auf: was bleibt, ist der

Wind,
der in die schneidenden Schalen
der Muscheln
griff –

Die Behauptung des Gedichts in der Spannung zwischen Sprechen und Verstummen als vorherrschendem Thema rückt das Spätwerk Arendts in den Umkreis jener Versuche, die, von Hölderlin und Mallarmé ausgehend, in zunehmendem Maße die Lyrik der Moderne bestimmt haben und für die heute u.a. so entgegen-gesetzte Positionen benennbar sind wie die Paul Celans und Helmut Heißenbüttels. In dem Gedicht „Frantiček Halas“ (UHW, 219) schreibt Arendt die in „Valet“ angedeutete Geschichtlichkeit der dichterischen Position heute gleichsam zitathaft aus:

Rasch wächst
das Dürrgras Vergessen:
wir mähen es
ab mit den Zähnen des Worts (das
du härtetest. Schweigst.),
zu leben im Zwielicht
der Geschichte
„unglücklich glücklich“.

IV
Fassen wir zusammen: von den Gedichten der Sturm-Zeit, ihrer Intention der „Vernichtung des Satzes“, der Auflösung extensiver syntaktischer Strukturen zugunsten der Intensität des Einzel-, Hauptwortes, bis hin zu den Gedichten der Spätzeit ist diese Poetik des Totalworts für Arendt bedeutsam geblieben.
Wie in den Gedichten der Sturm-Zeit kommt es zur Negation grammatikalischer Strukturen:

Im Sonnen Netz
aaasterbensgereift
zwei Augpunkte
(AJ, 412)

Kommt es zu Häufungen verschiedenartig strukturierter Kontraktionen und Wort-Additionen:

Sonnengneisnackt (AJ, 415)

Das Auge,
atemaugnah
(AJ, 415)

Meerloses Weitersterben.
Wundwunde.
(AJ, 414)

Wie in den Sturm-Gedichten isoliert Arendt das Wort im Vers: bezieht das Gedicht seine rhythmischen Qualitäten nicht aus dem natürlichen Satzrhythmus, sondern aus der Abfolge der „zueinander, aufeinander, nacheinander gebundenen Worte“. Der den Worten immanente „Richtungs-Sinn“,31 durch die Isolierung im Vers hervorgehoben, manifestiert sich im Sprechvollzug als ein „Gespannt-Sein“, als welches das Gedicht selbst erscheint. Eine sprech-rhythmische Wortkombinatorik, der Signalfähigkeit des Einzelwortes vertrauend, bestimmt das Gedicht als Sprach-Bewegung. Die Versstruktur ist daher auch nicht einheitlich, regelmäßig. Auch handelt es sich nicht wie gelegentlich in den Gedichten Johannes Bobrowskis um eine rhythmische Auflösung fester vorgegebener Versformen – wie etwa des antiken Odenmaßes, der alkäischen Strophe oder des von Klopstock und Hölderlin eingedeutschten Hexameters. Eher bietet sich der Begriff der Sprechkurve, des Sprechbogens an:

die rhythmischen Zäsuren gliedern das Gedicht in Verse, die keinen formal-logischen Sinnbezug erkennen lassen, sondern in ihrem Verlauf von der lyrischen Sinnbezogenheit der beim Sprechen nur leicht zu betonenden Zäsuren geregelt werden:32

Fern, wo
die Welle leckt –
der Vogel, taumelnder,
Lust schreit, wo
in dem Schluchtweg und –
purpurne See:
Entschältes –
auf-
gefressen der Lichtkreis,
gefühlt nur
ein Schattenwink, steil
(AJ, 419)

Der Verzicht auf syntaktische Ausführlichkeit, die im Detail angesetzte Aufsplitterung der Sprechkurven gleichsam im Rhythmus des Atemholens, diesen aber ebenso oft angreifend, werden ergänzt durch die ebenfalls schon zur Zeit der Sturm-Gedichte angewendete Verwandlung einer Wortkategorie in eine andere. Auffällig ist in diesem Zusammenhang und im Hinblick auf die späten Gedichte die außerordentlich häufige Verwendung der (epischen) Konjunktion „und“, „Felshaupt und Sternwind“: „sonnen- und augenlos“; „nur Dunkel und Dunkels Schoß“; „… Spur, die / den Tod schnürt / eines Mannes: Zweifel-und- / Zweifel“. Da finden sich Gedicht- und Stropheneinsätze wie die folgenden: „Und immer die Hand, / die/ verrät.“ – „Und nun, / das Kinn über den Horizont / gereckt.“ – „Und über der Zeiten Gefäll, / den Schweigekrügen der Toten“. Die solcherart eingesetzte Konjunktion büßt, abgesehen von ihrer vordergründig additiven Funktion, ihre epische Qualität ein zugunsten des „Richtungssinns“ der Wörter, für sich genommen und im Bezug auf das umgebende Wortfeld. Dem korrespondiert ein Vorgang, der dadurch, daß er gleichsam in der Negation, als ,Entziehungsphänomen‘ auftritt, eine bestimmte Richtung, eine Bewegung freisetzt: gemeint sind die relativ häufigen „ent“-Präfixe:33 „enthalster Schrei“; „Lichtschlag entwimpert / das Dunkel der Welt“; „Troisch entschwiegener Mund“. Eine Sprache also, die ihren Gegenstand, das Gedicht, in skelettierender Weise aufbaut: schließlich ein Hinweis, daß sich dieses dichterische Sprechen selbst als Grenze, als „Rest“ vorwegweiß, den es im Sprechvollzug erst immer wieder erreicht:

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaWorte
gedreht und
gedroschen: Hülse
gedroschen, der
zusammengekehrte Rest
. (UHW, 213)

Gregor Laschen, aus Gregor Laschen: Lyrik in der DDR. Anmerkungen zur Sprachverfassung des modernen Gedichts, Athenäum Verlag, 1971

 

EXEKUTION
für Erich Arendt

Symphonien im Schatten, geschrieben exekutiert
verhaltnes Spiel, ein Rush ein Notenblatt-Reißen
oder jäh ein Geschoß von hundertsechs Pauken
daß die Wogen zergehn, ihr Pulsen-Strömen
glasig der Spiegel glättet
Lichtkegel, richten sie aus zerblenden
dieser Hände Gewerk ihr Abstufen
und die Bogen-Ideen mit den glitzernden Schatten.

Roland Erb

 

 

Zum 50. Geburtstag des Autors:

Uwe Berger: Zwei Dichter unserer Zeit. Zum 50. Geburtstag von Peter Huchel und Erich Arendt
Aufbau, Heft 4, 1953

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Helmut Ullrich: Lobpreis irdischer Schönheit. Zum 60. Geburtstag des Schriftstellers Erich Arendt
Neue Zeit, 13.4.1963

Georg Maurer: Erich Arendt zu seinem 60. Geburtstag
Sonntag, 15.4.1963
Nachgedruckt in: G. M., Essay I. Halle: Mitteldeutscher Verlag 1968

Zum 65. Geburtstag des Autors:

Günther Deicke: Dichter und Weltfahrer. Erich Arendt zum 65. Geburtstag
Berliner Zeitung, 16.4.1968

Elke Erb: Erich Arendt zum 65. Geburtstag
Sonntag Nr. 16, 1968

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Günther Deicke: Poetische Sprache unserer Solidarität. Erich Arendt zum 70. Geburtstag
Neues Deutschland, 15.4.1973

Günter Gerstmann: Der geistigen Welt der Väter verpflichtet
Neue zeit, 15.4.1973

Hinstorff gratuliert seinem Autor Erich Arendt zum 70. Geburtstag
trajekt 7, VEB Hinstorff Verlag, 1973

Zum 75. Geburtstag des Autors:

J(ürgen) Sch(midt): Ein lähmendes Gefühl ist das. Dem Dichter und Übersetzer Erich Arendt, fünfundsiebzig Jahre alt, zu Ehren
Stuttgarter Zeitung, 16.9.1978

Gregor Laschen/Manfred Schlösser (Hg.): Der zerstückte Traum. Für Erich Arendt zum 75. Geburtstag
Agora, 1978

H. U.: Kunde von Siegen und Niederlagen durch die Poesie
Neue Zeit, 15.4.1978

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Hubert Witt: Der flutharte Traum. Erich Arendt zum 80. Geburtstag
Sinn und Form, Heft 2, 1983

Hans Marquardt/Hubert Witt: Himmel und Erde. Erich Arendt zum 80. Geburtstag
Sonntag, 17.4.1983

Zum 85. Geburtstag des Autors:

Uta Kolbow: In Raum und Zeit
Berliner Zeitung, 15.4.1988

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Uwe Grüning: Erinnerungen an Erich Arendt
Ostragehege, Heft 30, II/2003

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