Erich Kleinschmidt und Wolfgang Schmitz (Hrsg.): Sammeln und Lesen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Erich Kleinschmidt und Wolfgang Schmitz (Hrsg.): Sammeln und Lesen

Kleinschmidt und Schmitz (Hrsg.)-Sammeln und Lesen

 

 

 

 

 

 

 

Annette Brüggemann: H.C. Artmann – Poet auf dem fliegenden Teppich

 

 

Ansätze

Das Werk eines Autors findet nicht nur seine Leser, sondern auch seine Sammler, die ihre Lektüren im Regal zu materialisieren wünschen. Das gedruckte Buch trägt dem in besonderer Weise dann Rechnung, wenn es ästhetisch gestaltet Text und Ausstattung zusammenschließt, aber oft genügt auch ein karger Erstlingsdruck mit unauffälliger Widmung, um emotionale Nähe herzustellen, die zum Erwerb des Buches führt. Immer wird deutlich, dass im Medium auch ein Erlebnis enthalten sein kann. Es ereignet sich auf der Ebene der Textentstehung schon beim Autor und im Schreibakt, es geschieht in der Faszination der Lektüre und es erstreckt sich auf Kauf und Besitz der Drucke. Alle Bereiche fügen sich zu einem kulturellen Bewusstsein zusammen, dessen materielle Schnittstelle die Bibliothek ist. Ihre Funktion beginnt im privaten Raum, wo sich versammelt, was ein Autorname zusammenschließt, mag es auch heterogener Struktur sein. Sie setzt sich fort im Fundus öffentlicher Bibliotheken, die das beständige und systematische Archiv bilden, wo sonst das Werden und Vergehen individuellen Zusammentragens herrscht. Ein Glücksfall besteht, wenn das privat Gesammelte, von Zerstreuung Gefährdete den Weg in die Sphäre der bewahrenden Bibliotheken findet.
Der Kölner Sammler Karl-Heinz Knupfer, beruflich als Experte dem Buch verpflichtet, hat sich lange der Sammlung der Publikationen H.C. Artmanns verschrieben und trug zusammen, was ihm zugänglich war. Daraus wurde ein sehr beachtlicher Bestand, den die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln nun von ihm geschenkt bekam und der sorgfältig über das schon bibliographisch Bekannte hinaus nun in diesem Band katalogisiert ist. Die mäzenatische Tat bliebe für sich genommen in Zeiten austrocknender Etats schon anerkennenswert genug und stünde in der nicht mehr selbstverständlichen guten Tradition bildungsbürgerlicher Schenkungen an die Hauptbibliothek ihrer Stadt, die auch die ihrer Universität ist. Aber Bücher erfüllen ihre Funktion nicht im Regal, sondern in der Hand ihrer Leser. In der Universität sind sie nicht weit. Es liegt nahe, einer Bücherschenkung das Gegengeschenk ihrer wissenschaftlichen Lektüre zu machen. So entstanden Idee und Initiative, eine kleine Gruppe von Nachwuchsforschern innerhalb des Zentrums für Moderneforschung der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln anzuregen, sich mit dem neuen H.C. Artmann-Bestand auseinanderzusetzen. Der Impuls der Sammlung sollte damit aufgenommen werden. Die literaturwissenschaftlichen Annäherungen verstehen sich ihrerseits auch initiativ als Anregungen, die demonstrieren, was und wie verschieden gelesen werden kann und wie Theorien und Texte sich gegenseitig anregen. Artmann gewinnt plurale Lesarten und der Artmann-Forschung fällt ein Ertrag zu.
Der Kreislauf schließt sich, der vom Buch zum Leser wiederum zum Buch sich wendet. Dieser Einheit sind Autor, Sammler, Bibliothekar und Wissenschaftler verpflichtet und spielen ihren Part.

Erich Kleinschmidt, Vorwort

H.C. Artmann

Der Geruch in einem D-Zug-Wagen nachts um 4 Uhr irgendwo auf dem Weg von Tübingen nach Graz im Herbst 1981. Der Geruch der von Reisenden ausgeht, die ohne Schuhe aber wegen der Kälte in Mänteln seit Stunden schlafen oder versuchen zu schlafen.
Die Begeisterung für Dichter und die Worte, die aus ihnen heraussprudeln in einem völlig überfüllten schmucklosen Raum beim Steirischen Herbst. Eine Begeisterung, die innerlich aufgewühlt hat, obwohl man dem verehrten Dichter nicht nahe kommt.
Die Erinnerung an viele Lesestunden, die manchmal die Nacht zum Tag machten. Die Erinnerung an einzelne Sätze und kleinere Gedichte, die über Wochen und Monate immer wieder ins Bewußtsein kamen und passend oder unpassend zitiert wurden.
Dies ist der letzte Rest, der im Bewußtsein geblieben ist. Ich kann nicht mehr sagen, welcher Text den zündenden Funken enthielt, der den Lauf des ersten Buches von Artmann provozierte, noch kann ich sagen, welches Buch es war. Irgendwann war jedoch die Flamme der Leidenschaft entfacht, die mehr forderte. So kam ein Band zum anderen. Nachdem die im Buchhandel lieferbaren Werke, verschlungen waren, erweiterten die Angebote der Antiquare das Spektrum zurück in längst vergriffene Tiefen.
So habe ich im Laufe der Jahre das literarische Werk in seiner ganzen Breite und Vielfältigkeit kennengelernt. Neuerscheinungen habe ich mit Sehnsucht erwartet, gekauft und gelesen. Mitte der 90er Jahre veränderte sich jedoch unsere literarische Beziehung. Die neuen Werke des alten H.C.A. erreichten mich nicht mehr. Der Zwang der Sammlung und auch der Sammelleidenschaft hatte zwar deren Erwerb noch gefordert, aber die hierin ausgebreitete Gedankenwelt lag mir meist fern. Immer wieder griff ich nun zu den geliebten alten Texten. Einige Jahre später war die Artmann-Sammlung in meinem Bücherregal in einen Dornröschenschlaf gefallen.
Der Sammler Otto Deneke hat im Oktober 1909 seine Kollektion literarischer Erstausgaben des 18. und 19. Jahrhunderts versteigern lassen. Den Auktionskatalog leitete er selbst ein und dort stehen einige Sätze, die ich mir modifiziert zu Eigen machen möchte. Die hier ausgebreitete Artmann-Sammlung wurde mit viel Liebe zusammengetragen und die Gedankenwelt, die in ihr steckt hat mein Leben geprägt. Ein Sammler, der seine Bücher nicht mehr richtig nutzt, sollte sich davon trennen. Im Gegensatz zu Deneke möchte ich mich aber nicht in einer Versteigerung davon trennen, wobei zu bemerken ist, dass nur wenige Stücke meiner Sammlung für eine Auktion geeignet wären. Deneke schreibt weiter, dass es das Schicksal von Büchersammlungen wäre, versteigert oder sonst vereinzelt und in alle Winde zerstreut zu werden. Aus seiner Sicht ist das Einzige was übrig bleiben kann, der Katalog der Sammlung.
An dieser Stelle kann ich mich nun im Geiste Denekes einen glücklichen Menschen nennen, denn diese kleine Kollektion wird nicht in alle Winde zerstreut. Diese Bücher sollen an ihrem neuen Aufbewahrungsort noch viele Leser mit der Gedankenwelt H.C. Artmanns vertraut machen und letztendlich davon überzeugen, dass er einer unserer wichtigsten deutschsprachigen Autoren aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist. Darüberhinaus habe ich die Hoffnung, dass die Bücher in ihrer neuen Umgebung noch zu weiteren wissenschaftlichen Texten anregen und die österreichische Gegenwartsliteratur im Anschaffungsetat der Bibliothek Berücksichtigung findet.
Als Mitglied der Kölnischen Bibliotheksgesellschaft, als Schwabe mit Kölner Wohnsitz und als Bücherfreund, möchte ich alle kulturell interessierten Mitbürger mit dieser kleinen Gabe daran erinnern, dass der Großzügigkeit des Kölner Bürgertums die reiche Bibliotheks- und Museumslandschaft der Stadt zu verdanken ist.

Karl-Heinz Knupfer, Köln

 

Inhalt

– Christian Prosl: Grußwort

– Erich Kleinschmidt: Ansätze

– Karl-Heinz Knupfer: H.C. Artmann

– Ute Wolter: Katalog der H.C. Artmann-Sammlung Knupfer

 

Lektüren

– Annette Brüggemann: H.C. Artmann – Poet auf dem fliegenden Teppich

– Christian Bauer: Anleitung zum Diebstahl oder das Vergehen der Lektüren

– Jan Broch: Zwischen Autobiographie und Autofiktion. H.C. Artmanns Nachrichten aus Nord und Süd

– Michael Eggers: Art oder Eigenart. Wissenschaftliche und poetische Ordnung in Carl von Linnés Lappländischer Reise und H.C. Artmanns Das suchen nach dem gestrigen tag oder schnee auf einem heißen brotwecken

– Dominik Paß: Poesie als Weltanschauung. Sieben mal sieben gibt siebenundsiebzig und sieben und sieben gibt siebenundsiebzig. Zur Poetologie H.C. Artmanns

– Eike Muny: Theater als lyrisches Drama

– Erich Kleinschmidt: Schreiblektüren. Zur transformativen Poetik H.C. Artmanns

– Markus Rassiller: Mytho-Mimese und absolute Poiese. H.C. Artmanns Die Sonne war ein grünes Ei

 

Der Mond isst Äpfel… sagt H.C. Artmann. Die H.C. Artmann-Sammlung Knupfer

Clemens Dirmhirn: H.C. Artmann und die Romantik. Diplomarbeit 2013

 

„Spielt Artmann! Spielt Lyrik!“ (Teil 1)

„Spielt Artmann! Spielt Lyrik!“ (Teil 2)

 

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Nachrufe auf H.C. Artmann: FAZ ✝︎ Standart ✝︎ KSA
70. Geburtstag10. Todestag

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Michael Horowitz: H.C. Artmann: Bürgerschreck aus Breitensee
Kurier, 31.5.2021

Christian Thanhäuser: Mein Freund H.C. Artmann
OÖNachrichten, 2.6.2021

Christian Schacherreiter: Der Grenzüberschreiter
OÖNachrichten, 12.6.2021

Wolfgang Paterno: Lyriker H. C. Artmann: Nua ka Schmoez
Profil, 5.6.2021

Hedwig Kainberger / Sepp Dreissinger: „H.C. Artmann ist unterschätzt“
Salzburger Nachrichten, 6.6.2021

Peter Pisa: H.C. Artmann, 100: „kauf dir ein tintenfass“
Kurier, 6.6.2021

Michael Stavarič: „Immer verneige ich mich, Herr Artmann“
Die Furche, 9.6.2021

Edwin Baumgartner: Die Reisen des H.C. Artmann
Wiener Zeitung, 9.6.2021

Edwin Baumgartner: H.C. Artmann: Tänzer auf allen Maskenfesten
Wiener Zeitung, 12.6.2021

Cathrin Kahlweit: Ein Hauch von Party
Süddeutsche Zeitung, 10.6.2021

Elmar Locher: H.C. Artmann. Dichter (1921–2000)
Tageszeitung, 12.6.2021

Bernd Melichar: H.C. Artmann: Ein Herr mit Grandezza, ein Sprachspieler, ein Abenteurer
Kleine Zeitung, 12.6.2021

Peter Rosei: H.C. Artmann: Ich pfeife auf eure Regeln
Die Presse, 12.6.2021

Fabio Staubli: H.C. Artmann wäre heute 100 Jahre alt geworden
Nau, 12.6.2021

Ulf Heise: Hans Carl Artmann: Proteus der Weltliteratur
Freie Presse, 12.6.2021

Thomas Schmid: Zuhause keine drei Bücher, trotzdem Dichter geworden
Die Welt, 12.6.2021

Joachim Leitner: Zum 100. Geburtstag von H. C. Artmann: „nua ka schmoezz ned“
Tiroler Tageszeitung, 11.6.2021

Linda Stift: Pst, der H.C. war da!
Die Presse, 11.6.2021

Florian Baranyi: H.C. Artmanns Lyrik für die Stiefel
ORF, 12.6.2021

Ronald Pohl: Dichter H. C. Artmann: Sprachgenie, Druide und Ethiker
Der Standart, 12.6.2021

Maximilian Mengeringhaus: „a gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden“
Der Tagesspiegel, 14.6.2021

„Recht herzliche Grüße vom Ende der Welt“
wienbibliothek im rathaus, 10.6.2021–10.12.2021

 

 

Ausstellungseröffnung „Recht herzliche Grüße vom Ende der Welt!“ in der Wienbibliothek am Rathaus

 

Lovecraft, save the world! 100 Jahre H.C. Artmann. Ann Cotten, Erwin Einzinger, Monika Rinck, Ferdinand Schmatz und  Gerhild Steinbuch Lesungen und Gespräch in der alten schmiede wien am 28.10.2021

 

Sprachspiele nach H.C. Artmann. Live aus der Alten Schmiede am 29.10.2022. Oskar Aichinger Klavier, Stimme Susanna Heilmayr Barockoboe, Viola, Stimme Burkhard Stangl E-Gitarre, Stimme

 

Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Uferartmann“.

 

Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm Die Jagd nach H.C. Artmann von Bernhard Koch, gedreht 1995.

 

H.C. Artmann 1980 in dem berühmten HUMANIC Werbespot „Papierene Stiefel“.

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