Erik Balke & Stefan Döring: ZEHN

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Erik Balke & Stefan Döring: ZEHN

Balke & Döring/Florschuetz-ZEHN

V/2

billig meine teure
was man bewilligt
was du dir einbildest
sie lassens uns kosten
lass dirs schmecken
geschenkt, und wenn
augenblicke bedeuten
du seist es wert
um keinen preis
wir sind umsonst

 

 

 

Die Audionauten im Druckhaus

− Eine Schallplatten-Edition zeitgenössischer Musik und Lyrik. −

Jürgen Deppe: Für Uneingeweihte klingt fremd, was da jetzt auf Vinyl aus dem Druckhaus Galrev gekommen ist. Ohnehin könnte auf den ersten Blick verwundern, daß der Lyrikverlag vom Prenzlauer Berg nun auch Schallplatten ediert. Aber es ist Stefan Döring, der da seinen Gedichtzyklus „ZEHN“ liest. Einer vom Prenzlauer Berg also, einer aus der unabhängigen Literaturszene der achtziger Jahre, die sich jetzt im Druckhaus Galrev professionell dem widmen, was sie zu Zeiten der DDR inoffiziell tun mußten: verlegen, herausgeben, dichten. Auch der Gedichtzyklus „ZEHN“ ist im Druckhaus Galrev erschienen. Ist das, was da jetzt gekommen ist, also die Schallplatte zum Buch? Eine Dichterlesung auf Tonträger? Mitnichten.

Niko Tenten: Eine der Sachen, die mich immer geärgert haben, ist, daß die zeitgenössische Musik sich überhaupt nicht an die zeitgenössische Literatur anlehnt. Wenn sie was machen, machen sie was mit Relikten – mit James Joyce oder mit Beckett – ohne daß sie direkten Kontakt mit den Schriftstellern haben.

Deppe: Und so nahm der holländische Medienkünstler Niko Tenten, der bis dahin vor allem für den Rundfunk gearbeitet hatte, vor etwa einem Jahr Kontakt zum Druckhaus Galrev auf. In Anlehnung an seine Radiosendung für zeitgenössische Musik entstanden DIE AUDIONAUTEN IM DRUCKHAUS.

Tenten: Darin versuche ich zeitgenössische Komponisten mit zeitgenössischen Lyrikern zusammenzubringen und wir vertonen das dann. Wir machen Aufnahmen im Studio, arbeiten daran längere Zeit und das wird dann auf Schallplatte herausgegeben.

Deppe: Niko Tenten, der selbst zeitgenössische Musik, Kompositionslehre und elektronische Musik studiert hat, führt Musiker und Lyriker zusammen, provoziert eine ästhetische Synthese der beiden Medien.

Tenten: Ich suche nach Übereinkünften oder nach Gegensätzen, die in der Ästhetik da sind und bringe die dann miteinander in Kontakt. (…) Die Texte sind fertig. Was ein Komponist daraus macht, ist dann abhängig vom Kontakt zwischen dem Lyriker und dem Komponisten. Das kann natürlich manchmal etwas völlig anderes sein als der Text.

Deppe: Etwa zehn Platten sollen auf diese Weise pro Jahr entstehen. Jeweils in einer Auflage von 1000 Stück. Im ersten Jahr werden ausschließlich Texte der Galrev-Autoren vertont, später werden andere hinzukommen. In drei Jahren sollen soviele Schallplatten verkauft sein, daß sich das Projekt selbst trägt. Freunde der zeitgenössischen Musik sind rar. Als erstes hat Niko Tenten Stefan Döring und Erik Balke zusammengeführt.

Tenten: Erik Balke ist ein norwegischer Komponist, der viel mit Naturerscheinungen und dessen Geräuschen arbeitet (…). Bei Erik Balke geht es halt um diese Naturerscheinungen, um die Bewegung (…) und die Materie, die ständig in Bewegung ist, man weiß aber nicht wohin die genau geht. (…) Und bei Stefan sehe ich auch Bewegung innerhalb seiner Dichtung, wo auch die Frage ist, wohin was geht. Geht es jetzt von oben nach unten, von links nach rechts, dreht es sich in einem Kreis usw. usf. (…). Das sind so grundsätzliche Sachen, worauf ich dann einsteige und wo ich dann die Leute zusammenbringe.

Deppe: Wie weit Erik Balke bei der Verwendung von Naturgeräuschen geht, zeigt die zweite Seite der Schallplatte. Hier interpretiert der Norweger die Brandenburgischen Konzerte in negativer Fassung; was heißt, daß die Pausen, die einzelne Stimmen im Stück haben, ausgespielt werden. Es wurde daraus ein Konzert für synthetische Bläser, digitale Streicher, menschliche Stimmen und – man höre und staune – für einen Elch. Erik Balke verwendet echte Naturgeräusche. Die Elchkuh, die zu hören ist, fand Balke auf einer abgelegenen Insel. Sie hatte den Zeitpunkt zur Rückkehr auf das Festland verpaßt und stimmte zur Brunftzeit ihren vergeblichen Lockruf an. Balke will dieses Klangbild als Kommentar zur deutschen Situation des Jahres 1990 verstanden wissen. Experiment „Sprache“ und Experiment „Musik“ treffen sich und geben einen gemeinsamen Kommentar ab: ein disharmonischer Beitrag in einer Zeit, die vehement nach Harmonie strebt und in der es doch gefährlich knackt im Gebälk.
Das Projekt ist schwierig und dürfte seine Schwierigkeiten noch bekommen. Die Schallplatten und CD’s werden nie in den Verkaufs-Charts auftauchen, vielleicht nicht einmal das Druckhaus Galrev in der Lychener Strasse 73 verlassen. Aber neue Ästhetik hat selten den Massengeschmack angesprochen. Niko Tenten weiß das:

Tenten: Ich habe noch nie in meinem Leben etwas gemacht, um jemanden anzusprechen. Ich finde es wichtig, daß die Künste sich gegenseitig treffen, in der Zeit, worin sie sind. Das ist nämlich immer die gleiche Zeit. Dementsprechend sollen die sich gegenseitig kennenlernen. Da gibt es wenig Chancen sich kennenzulernen. Das ist eigentlich das einzigste wichtige daran, wodurch natürlich auch ein kulturelles Leben entsteht, das sehr wichtig ist natürlich auch für Berlin. Berlin hat ja schon reichlich Künstler verloren und ich denke, daß Projekte wie diese die Kunst in dieser Stadt und das kulturelle Leben instand hält. Und das ist eigentlich die einzigste Absicht.

Deppe: DIE AUDIONAUTEN IM DRUCKHAUS sind gestartet zu einer schwierigen, aber aufregenden Mission. Auf dem Weg zu neuen Ausdrucksformen trotzen sie der Alltäglichkeit und der Massenware. Wie weit ihre Energie sie tragen wird, muß sich zeigen. Mit der ersten Aufnahme haben sie enorme Schubkraft bewiesen.

RIAS 1, Kulturzeit, 7.6.1991

 

Sprachgewand(t) – Ilona Schäkel: Sprachkritische Schreibweisen in der DDR-Lyrik von Bert Papenfuß-Gorek und Stefan Döring

Christine Sohn: Leichtsinnige Gewissenhaftigkeit Sture Sprunghaftigkeit Geballtes Schwingen. Laudatio zur Verleihung des Karin-Kramer-Preises für widerständige Literatur 2022.

 

Poesie von Stefan Döring im Mix mit abseitiger Populärmusik / Präsentiert von der lebenden Repetiermaschine Rex Joswig / O-Töne Stefan Döring aus: ROSA EXTRA Extrakte 1980–1984, ein Film von Bernd Jestram / Gewidmet Dennis Z.

 

STEFAN DÖRING

zehn koma zen

zwischen bemuttert entmutigt
sucht wohl zu schlucken
jeden in alles uns was ankommt
soll münden was durchkommt
soll borden bist du mir hasen
so will ich dich wolfen

Peter Wawerzinek

 

Fakten und Vermutungen zum Komponisten und Musiker
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Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der Stefandöring“.

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