Eugen Gomringer: Zu Eugen Gomringers Gedicht „z a h l 5 6 7 8“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Eugen Gomringers Gedicht „z a h l 5 6 7 8“. –

 

 

 

 

EUGEN GOMRINGER

z a h l 5 6 7 8

 

z a h l 5 6 7 8

heinz gappmayr, mein langjähriger freund und kollege der kurzen texte, hat einmal in einer diskussion über mein schreiben mehr nebensächlich als gezielt eingeworfen, ich hätte mehrere inkunabeln geschaffen. er spielte auf SCHWEIGEN, DAS SCHWARZE GEHEIMNIS IST HIER, WIND an, um einige zu nennen, deren erwähnung mir geblieben ist. ich fand das sehr ehrenvoll, denn wir beide waren strenge richter. texte von mir mit dem selten gebrauchten begriff „inkunabel“ zu bezeichnen, war gleichbedeutend mit früh- oder erstdruck oder als ganz am anfang stehend.
nicht zur ersten gedichtsammlung zählen einige andere texte, denen ich selbst nach meiner einschätzung gerne die ehrenbezeichnung „inkunabel“ zuschreiben würde. ich bleibe bei solchen überlegungen wiederholt an der buchstaben-zahlen-folge hängen, an die ich mit dieser kurzen ausführung erinnern möchte. losgelöst vom ursprünglichen zweck wirken die vier buchstaben und die ihnen unmittelbar folgenden vier zahlen bei einer ersten kurzen begegnung unverständlich, unbedeutend, allein gelassen. jedoch neige ich selbst dazu, gerade in ihrer aus zwei systemen zusammengesetzten reihe etwas rätselhaftes zu sehen. doch wie entstand das gebilde? ich beteiligte mich an einer künstlermappe, die 8 siebdrucke von rupprecht geiger mit texten von 8 dichtem vereinigen sollte. die reihenfolge von 1–8 wurde vergeben und mir wurde die zahl 8 zugesprochen. mein text wurde der kürzeste, indem ich eben – sehr konkret – gerade 8 zeichen zum achten siebdruck stiftete. ich entdeckte, dass die zahl 8 eine kombination aus vier buchstaben und vier zahlen sein konnte. mit den buchstaben  z a h l  wies ich nach, worum es im ganzen ging und mit der folge 5,6,7,8 brachte ich den auftrag zu ende. dass ich nicht einfach die zahlen 1.2.3.4.5.6.7.8 vorgeben konnte, liegt auf der hand und hätte keine aussage ergeben.
meine kollegen hatten sich übrigens – angeregt durch ihre zahlen – mächtige poetische informationen gestattet. ich entdeckte ferner, dass das kurze wort zahl den ersten und den letzten buchstaben des alphabets enthält und mit dem „h“ den 8. buchstaben des alphabets. im neu gebildeten verbund aus buchstaben und zahlen konnten die letzteren mit der 5 die fortsetzung aufnehmen. mir gefällt an der reihe, dass buchstaben die stelle von zahlen einnehmen und sich dabei als zahl in der reihe 1–8 bezeichnen. es ist seit der publikation der künstlermappe des rupprecht geiger meine gemischte reihe wiederholt als einzelgebilde, als grafisches bild benutzt worden und hat einen eigenwert erhalten. nicht zuletzt natürlich als moderne fortsetzung alter symbolischer systeme und verknüpfungen von buchstaben und zahlen, denen schon immer mein interesse galt. mit meiner reihe hatte ich einen anlass geschaffen, in der heutigen zeichenwelt über alte kulturelle systeme nachzudenken.

Eugen Gomringer, aus Eugen Gomringer: poema. Gedichte und Essays, Nimbus, 2018

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