Ezra Pound: An eigensinnigen Inseln

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ezra Pound: An eigensinnigen Inseln

Pound/Zickelbein-An eigensinnigen Inseln

DAS SCHACHSPIEL

Dogmatische Aussage, das Schachspiel betreffend:
Motiv für eine Reihe von Bildern

Rote Springer, braune Läufer, helle Damen,
Setzen aufs Brett in farbkräftigen Knien,
Laden aus, stoßen im Zickzack zu, halten einfarbige
aaaaaFronten.
Dies Brett ist geflammt mit Licht: die Figuren leben aus
aaaaaihrer Satzung
Ihre Züge sprengen und bilden aufs Neu das Gewirk:
aaaaaaaaaaleuchtend Grün von den Türmen,
Durchkreuzt vom X-Zug der Damen, gekettelt in Rösselsprüngen.

Y-Bauern dämmen und brechen auf!
Quirlen! Zentripetal! Matt! König fällt in den Wirbel,
Ringe, verschränkte Kettfäden, grelle Bänder, gestrafft,
Blockiertes Licht drängt ein. Ausweg. Erneutes Treffen.

 

 

 

Nachwort

Castalia ist der Quell dort genannt, in dem Felsschrund,
am Fuße das Meer,
ein schmaler Strand.
Templum aedificans, noch kein Marmor,
„Amphion!“

Diese fünf Zeilen aus dem Canto XC deuten das in Raum und Zeit Weitausgreifende, Universelle der Dichtung von Ezra Pound an. Der Kastalische Quell, am Parnaß bei Delphi gelegen, mythischer Spender von poetischer Kraft, führt uns zugleich in die altrömische Ära zu Ovid wie auch ins Mittelalter zu Dante, der den Brunnen in dem „Fegefeuer“-Teil seiner „Divina commedia“ in Erinnerung bringt. Und das Bild der See mit dem schmalen Strand beschwört unwillkürlich die Welt der „Odyssee“ Homers herauf, ebenso wie der Name des Zeus-Sohnes Amphion, während dessen Spiel auf der Leier sich die Mauern Thebens von selbst zusammenfügten, und das „Templum aedificans“ in die Zeit der Antike weisen – wobei Pound neben der Reminiszenz an den Tempel des Apollon wahrscheinlich auch noch Assoziationen an die in den „Cantos“ mehrfach erwähnte Errichtung eines imposanten, heidnisch aussehenden „Tempio“ in Rimini durch den italienischen Renaissance-Adligen und -Mäzen Sigismundo Malatesta wecken will. Doch neben dem Motivgeschichtlichen, dem Mythischen und Faktologisch-Historischen kommt, wenn auch nicht vordergründig, eine weitere Dimension ins Blickfeld: die des poetischen Schöpfers Pound und damit der Bezug zur Gegenwart. Pound begreift sich, wie bereits diese kurze Passage belegt, als moderner Fortsetzer der überlieferten Weltkultur, und so ist der mit Namen wie Ovid und Dante verbundene Kastalische Quell auch – oder sogar vor allem – Symbol für das Streben des amerikanischen Dichters nach einer Erneuerung und Revitalisierung der Poesie. In welch starkem Maße Pound die Künste als eine Einheit sah und immer wieder Verbindungen zwischen ihren einzelnen Gattungen herzustellen suchte, bezeugt der implizierte Vergleich zwischen dem Schreiben eines Gedichtes, dem Emporwachsen eines Tempels und dem durch das Leierspiel Amphions bewirkten Aneinanderfügen der Steine in Thebens Stadtmauer. Literatur, Architektur und Musik folgen im Grunde denselben künstlerischen Regeln, sind denselben Merkmalen des Wachsens und Werdens unterworfen. So ist das Erschaffen eines Gedichtes, ehe das fertige Kunstwerk vorliegt, einem „Templum aedificans“, einem in Entstehung begriffenen, noch nicht zu marmorner Vollendung gediehenen Tempel ähnlich, dessen endgültige Form vorerst nur in der Phantasie seines Schöpfers existiert. Wie der Architekt dann bei der Errichtung seines Bauwerkes die Steinquader zu einem ausgewogenen Ganzen vereint, setzt in Pounds Sicht der Dichter, der gleich dem legendären Musiker Amphion eine neue Ordnung der Dinge anstrebt, Bildblock gegen Bildblock, bis eine in sich geschlossene poetische Textur hervortritt.
Doch schon lange, ehe sich der 1885 in Hailey im US-Bundesstaat Idaho geborene Ezra Loomis Pound intensiv der endgültigen Ausformung der Cantos, seines voluminösen Opus magnum, zuwendet, offenbart sich bei ihm dieses Bemühen um die Erschließung der Weltkultur und das Erfassen des inneren Wesens anderer Kunstgenres. Als der frühreife Jugendliche, noch nicht einmal sechzehn Jahre alt, 1901 in die akademische Welt der Universität von Pennsylvania in Philadelphia eintritt, widmet er sich mit Eifer der Lyrik der englischen Poeten Robert Browning und Ernest Dowson wie des römischen Dichters Catull und schließt mit dem Medizinstudenten und späteren renommierten Lyriker William Carlos Williams Freundschaft, von dem Hans Magnus Enzensberger, sein Dolmetscher ins Deutsche, sagt: „… er wurde zum Doyen und Erzvater einer Poesie, die sich von der europäischen Abhängigkeit gelöst und über den ganzen Kontinent, von New York bis San Francisco, ausgebreitet hat.“ Seine Studien am Hamilton College in Clinton im Staat New York betreibt Pound betont zielgerichtet, hat er doch schon hohe literaturwissenschaftliche wie literarische Ambitionen: das alte Angelsächsisch, die romanischen Sprachen und Literaturen und die Geschichte des Mittelalters rücken ins Zentrum. Die Lektüre der Feenkönigin des englischen Renaissance-Dichters Edmund Spenser und des Verlorenen Paradieses von John Milton bestärkt ihn in seinem ehrgeizigen Vorhaben, ein langes, die Historie der Menschheit einbeziehendes Epos zu schreiben. Doch noch eine Fülle anderer Anregungen sollen seiner mehr und mehr aufkeimenden poetischen Neigung Richtung und Kontur geben. Als „Harrison Fellow“ der Romanistik an der Universität von Pensylvania – er war 1905 zum Abschluß seines Studiums dorthin zurückgekehrt – wendet er sich dem Werk des spanischen Dramatikers Lope de Vega zu und versucht zur gleichen Zeit, den Geheimnissen der Dichtkunst der alten provenzalischen Troubadours auf die Spur zu kommen. Eine Forschungsreise nach Europa, das er vorher bereits zweimal – 1898 und 1901 – besucht hatte, bringt ihn intellektuell wie emotional in eine noch engere Nähe zu diesem Kontinent mit seiner eindrucksvollen kulturellen Vergangenheit; und als er nach einem kurzen Intermezzo als Dozent am Wabash College, Crawfordsville im hinterwäldlerischen Indiana, mit dem Vorwurf, er sei zu sehr der Typ des Bohemien, zur Kündigung gedrängt wird, fällt ihm – die Profession des Poeten im Visier – der Entschluß nur allzu leicht, in die Alte Welt überzusiedeln.
Die Jahre in London von 1908 bis 1920, die einem etwa halbjährigen Aufenthalt in Venedig und der Veröffentlichung seines ersten Gedichtbandes A Lume Spento an diesem geschichtsträchtigen Ort folgen, erschließen ihm ein neues künstlerisches Areal: die zeitgenössische englische und irische Literatur. Hier in London lernt er nahezu alle bedeutenden oder vor dem Aufstieg zu künstlerischem Ruhm stehenden Autoren kennen; die Reihe der Namen reicht von Thomas Hardy, Joseph Conrad und H.G. Wells über den Iren William Butler Yeats, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte, bis hin zu Thomas Ernest Hulme, D.H. Lawrence, Ford Madox Ford und Richard Aldington. Hinzu kommen amerikanische Landsleute wie Amy Lowell, die im „englischen Exil“ lebenden Kosmopoliten Henry James und T.S. Eliot; zu jener Zeit begegnet er in der britischen Metropole auch seiner früheren Freundin Hilda Doolittle, die später den ob seines Antikriegsromans Heldentod (1929) gerühmten Schriftsteller und Dichter Aldington heiratete.
Als Pound schließlich London verläßt, da es in seiner etwas Überzogenen, stets zum Rigorismus neigenden Sicht nach dem ersten Weltkrieg „kein intellektuelles Leben in England mehr gibt“, und sich von 1921 bis 1924 in Paris – für Pound damals „das Zentrum der Welt“ – ansiedelt, kommt es zu weiteren Begegnungen, Anregungen und auch Befreundungen. Er trifft Jean Cocteau, ist für kurze Dauer vom Dadaismus des Tristan Tzara und des dieser Kunstrichtung zu jener Zeit gleichfalls verbundenen Louis Aragon fasziniert, führt Ernest Hemingway in die Kunst des Schreibens ein und dieser ihn in die des Boxens und wird bekannt mit der die Pariser Kulturszenerie mit eisernem, Zügel beherrschenden Gertrude Stein, die später in ihrer 1933 erschienenen Autobiographie von Alice B. Toklas maliziös bemerkte: „Gertrude Stein mochte ihn gern, fand ihn aber nicht sehr amüsant. Sie sagte, er sei ein Dorfredner, was ausgezeichnet sei, wenn man im Dorf sei, wenn man es aber nicht sei, nicht.“ James Joyce, Schöpfer des Ulysses und Mitbegründer des modernen Romans, dem er den Weg zum künstlerischen Durchbruch geebnet hatte, begegnet er 1920 in Sirmione zum erstenmal. Und noch ein anderer wesentlicher Einfluß prägt das Werk Ezra Pounds – die ihm von der Witwe des amerikanischen Ostasienforschers Ernest Fenollosa 1913 überlassenen Aufzeichnungen öffnen ihm die Welt der chinesischen Dichtkunst und des japanischen Nô-Spiels. Die Beschäftigung mit dem chinesischen Philosophen Konfuzius ist dazu Ergänzung: In dessen Vorstellungen von einer klar umrissenen, dauerhaften hierarchischen Ordnung der Gesellschaft, von Selbstdisziplin und dem rechten Maß bei allem Handeln glaubt er einen Weg aus der Misere neuzeitlichen bürgerlichen Seins gefunden zu haben. Doch neben die Literatur und die Philosophie treten die Malerei, die Bildhauerkunst und die Musik. Der englische Maler und Schriftsteller Wyndham Lewis erschließt ihm die avantgardistische bildende Kunst ebenso wie der französische Bildhauer Henri Gaudier-Brzeska, der eine Büste von Pound schafft und der im ersten Weltkrieg bereits im Juni 1915 an der Front sein Leben lassen muß – ein Verlust, den Pound nie verwindet. Bei dem Bildhauer Constantin Brancusi nimmt er in Paris sogar Unterricht. Seine Vorliebe gilt jedoch der Musik. Beleg dafür sind nicht nur seine anregenden Bekanntschaften mit dem Musiker und Instrumentenbauer Arnold Dolmetsch, den Komponisten Aaron Copland und George Antheil und der amerikanischen Geigenvirtuosin Olga Rudge, die ihm – nicht ganz ohne Verdruß von seiten seiner Ehefrau Dorothy – ein Leben lang die Treue halten sollte. Für sie komponiert er auch, inzwischen 1924 aus dem „entnervten Zentrum“ Paris in das idyllisch gelegene, dem Kulturbetrieb ferne italienische Städtchen Rapallo übergesiedelt, 1926 eine Violinsonate. Und im gleichen Jahr werden zwei andere Kompositionen Pounds erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt: die dem französischen Bohemien François Villon gewidmete, konzertant uraufgeführte Oper Le Testament und die Homage à Froissart. Von Olga Rudge, einer Verehrerin Antonio Vivaldis, angeregt, läßt er 1933 die Notenschriften des italienischen Meisters in Dresden kopieren und bewahrt so die später im Bomben-Inferno des Februars 1945 vernichteten Werkvorlagen vor der Auslöschung aus dem Bewußtsein der Menschheit.
Diese nicht hoch genug zu bewertenden Meriten um die Bewahrung und Erneuerung der überlieferten Weltkultur stehen in einem merkwürdigen Kontrast zu seiner in der Rapallo-Zeit einsetzenden Liaison mit dem italienischen Faschismus des „Duce“ Benito Mussolini. Gewiß liegen dem tragischen Irrtum des hochgebildeten Poeten eine ganze Reihe von Ursachen zugrunde. Dies beginnt mit seinem nur allzu berechtigten Zorn über das merkantile Gebaren in amerikanischen und britischen Gefilden – sehr klarsichtig erkennt er die Schuld der kapitalistischen Plusmacher in der Entfachung des ersten Weltbrandes von 1914 bis 1918 – und seiner Hinwendung zu der von dem englischen Gesellschaftstheoretiker Clifford Hugh Douglas begründeten und von A.R. Orage, Redakteur der britischen Zeitschrift The New Age, propagierten Theorie vom Sozialkredit wie auch zur „Freiwirtschaftslehre“ des Finanzbeauftragten der Münchner Räterepublik Silvio Gesell. Pound meint hier ein Remedium gegen das Übel des Zinswuchers, usura, und, für eine organisierte schnelle Zirkulation des Geldes gefunden zu haben. „Der Staat hat Kredit. Dieser Kredit beruht letzten Endes auf der Freigebigkeit der Natur, auf dem nachwachsenden Gras, das die Schafe ernährt. Aufgabe des Staates ist es, dafür zu sorgen, daß das ganze Volk hinlänglich Geld in Händen hat und daß dieses sich in entsprechend raschem Umlauf befindet, damit die Verteilung des vorhandenen und möglichen Volkseinkommens gewährleistet wird. Diese Verteilung erfolgt über kleine Papierscheine. Wenn du nicht weißt, wie sie gemacht werden, wer sie ausgibt und wer sie kontrolliert, wird man dich um deine Existenz bringen. Die Autorität des Staates hinter dem gedruckten Geldschein bietet die beste Gewähr für eine gerechte und zuverlässige Währung.“ Ein weiteres Moment für das Engagement Ezra Pounds im Ökonomisch-Sozialen waren zweifellos die populistischen Neigungen des einst im Blockhaus zur Welt gekommenen, später zum Senator avancierten Großvaters und die monetären Interessen des Vater, Homer Pound, eines staatlichen Münzprüfers. Dieses Engagement hat der amerikanische Literaturwissenschaftler Clark Emery einmal in die Worte gefaßt: „Daß Pound als Literat Wucher, ungerechte Besteuerung, staatlichen Zwang und die Übel des Industriestaates angriff, ist an sich nichts Neues. Er nimmt seinen Platz ein neben Emerson, Thoreau, Cooper, Howells, Clemens, Dickens, Morris, Ruskin, Carlyle, Shaw, den Aufdeckern der Korruption in Amerika und vielen anderen, als einer der Schriftsteller, die es ablehnten, ihrer sozialen Verantwortung auszuweichen.“ Weshalb ein Intellektueller vom Format eines Ezra Pound, der für die russische Oktoberrevolution des Jahres 1917 Sympathien empfand, dem italienischen Faschismus auf den Leim geht (obwohl er nie eingetragenes Mitglied der Mussolini-Partei wurde), ist neben seinen populistisch-antikapitalistischen Zielen, die ihm in dem mit Demagogie ausgiebig operierenden Staat des „Duce“ verwirklicht schienen, auch in seiner Vorliebe für eine festgefügte Ordnung, die er groteskerweise mit den Pressionen des „gesunden Volksempfindens“ gegenüber Andersdenkenden verwechselt, und in dem naiven Glauben an eine kulturelle Erneuerung der Welt im Sinne humanistisch-antiker Ideale durch das Italien Mussolinis begründet. Daß der italienische Faschismus seine Brutalität, seine Zivilisationsfeindlichkeit geschickter tarnte als der deutsche Nazistaat, dem Pound distanziert gegenüberstand, kann nicht die Schuld des Dichters tilgen, die er – trotz persönlicher Freundschaften mit Juden – durch seine zum Teil Antikapitalismus mit Antisemitismus gleichsetzenden Ansprachen über Radio Rom auf sich lädt.
Seine nach dem Sieg der Alliierten verfügte Einsperrung in einen „Gorillakäfig“ in einem gefürchteten Militärstraflager bei Pisa, die zu seinem physischen und psychischen Zusammenbruch führt, und die Ende 1945 folgende Gerichtsverhandlung, bei der er einer Verurteilung wegen Verrats an seinem Heimatland durch die Einweisung in die Washingtoner Irrenanstalt St. Elizabeth entgeht, sind die Buße für seinen Irrweg. Wenn die Dichter Archibald MacLeish und Robert Frost gemeinsam mit Ernest Hemingway und T.S. Eliot, dem Pound Jahrzehnte zuvor bei der modernen Ausformung seines Poems Das wüste Land behilflich gewesen war, für seine Entlassung aus der Anstalt eintreten und dies 1958 schließlich auch erreichen, bedeutet das keineswegs eine Rechtfertigung seiner politischen Fehlleistungen, sondern vielmehr den Einsatz für eine verdienstvolle, trotz allem achtunggebietende Dichterpersönlichkeit. Wie förderlich Pound seinen literarischen Zeitgenossen gewesen ist, beweist eine frühere Äußerung Hemingways: „So kennen wir also Pound bislang als den großen Dichter, der, sagen wir, ein Fünftel seiner Zeit der Dichtung widmet. Die übrige Zeit bemüht er sich darum, das materielle wie das künstlerische Los seiner Freunde zu bessern. Werden sie angegriffen, so verteidigt er sie. Er bringt sie in Zeitschriften unter und holt sie aus dem Kittchen. Er leiht ihnen Geld. Er verkauft ihre Bilder. Er veranstaltet Konzerte für sie. Er verfaßt Artikel über sie. Er macht sie mit reichen Frauen bekannt. Er bringt Verleger dazu, ihre Bücher anzunehmen. Er sitzt, wenn sie vorgeben, im Sterben zu liegen, die ganze Nacht an ihrem Bett und unterschreibt ihren Letzten Willen als Zeuge. Er schießt ihnen die Krankenhauskosten vor oder redet ihnen den Selbstmord aus. Und am Ende verzichten ein paar wenige von ihnen darauf, ihm bei der erstbesten Gelegenheit ein Messer in den Rücken zu stoßen.“
Aber damit ist Pounds schöpferisches Wirken lediglich angedeutet. Sein Name ist vor allem mit dem Begriff des Imagismus verknüpft, einer Richtung, die, Anregungen von den französischen Symbolisten und der Prosa Flauberts, aus der chinesischen und japanischen Literatur und nicht zuletzt aus der antiken Dichtung aufgreifend, der noch dem Geist des 19. Jahrhunderts verhafteten, mit abgenutztem Sprachmaterial und ebenso abgenutzten Gedanken und Gefühlen hantierenden georgianischen Lyrik den Kampf ansagt. Ezra Pound, der sich bereits – trotz des lange Jahre bewahrten Glaubens an ein amerikanisches geistiges „Risorgimento“ von der kulturfeindlichen, dem konformistischen Zwang erlegenen Heimat USA abgenabelt hatte, um nicht „an ihr zu zerschellen“, ist sehr bald die bestimmende Kraft innerhalb des Dichterkreises der Imagisten. Der mehr als ein Jahrzehnt ältere Ford Madox Ford äußert über Ezra Pound: „In sehr kurzer Zeit hatte er mich, die Zeitschrift (The English Review) und schließlich London in seine Obhut genommen.“ Und wie stark der amerikanische Poet seinen Avantgardismus auch äußerlich zur Schau trug, beweist Fords Beschreibung des exzentrischen Habitus Pounds: „Ezra pflegte mit den Schritten eines Tänzers daherzukommen und mit einem Spazierstock Hiebe gegen einen imaginären Widersacher auszuteilen. Er trug gewöhnlich Hosen aus grünem Billardtuch, eine rosarote Jacke, ein blaues Hemd, eine von einem japanischen Freund handbemalte Krawatte, einen ungeheueren Sombrero, einen flammendroten, zu einer Spitze geschnittenen Bart und einen einzelnen großen blauen Ohrring.“
Die Gruppe von englischen und amerikanischen imagistischen Künstlern, der neben Pound vor allem Thomas Ernest Hulme, Richard Aldington, Frank Stuart Flint, David Herbert Lawrence, Hilda Doolittle und Amy Lowll angehörten und deren Einfluß auf die Dichtung T.S. Eliots nicht hoch genug veranschlagt werden kann, sah bei aller Nuanciertheit der Auffassungen in einer radikaIen Überprüfung der zeitgenössischen poetischen Ausdrucksformen und ihrer Vorstellungswelt einen Weg zur Neubelebung der Dichtkunst. „Die Krankheit der vorigen anderthalben Jahrhunderte war die Abstraktheit. Sie griff um sich wie die Schwindsucht“, heißt es bei Pound. Angesichts dieser Verfallserscheinungen wird eine dichterische Konzeption entwickelt, bei der „der natürliche Gegenstand stets das angemessene Sinnbild ist“, der Bildersprache also eine größtmögliche Konkretheit eigen sein muß und das Bild nicht, wie in der konventionellen Lyrik, zum reinen Schmuckelement verkommen darf. „Image“ ist in Pounds Sicht „etwas, das einen intellektuellen und emotionalen Komplex innerhalb eines geringsten Zeitabschnittes darstellt“. Höchst anschaulich beschreibt er die Entstehung eines image in seinen Äußerungen zu Anlaß und Ausformung des vielfach gerühmten Gedichtes „In einer Station der Metro“. Er berichtet, wie er in Paris aus einem Zug der Untergrundbahn stieg und eine Vielzahl von schönen Gesichtern erblickte und daraufhin den ganzen Tag über versuchte, dieses elementare Erlebnis in Worte zu bannen. Zunächst schrieb er ein Gedicht von dreißig Zeilen, das er sechs Monate danach auf die Hälfte reduzierte. Und ein Jahr später wurde daraus ein Zweizeiler oder – wie Pound es nennt – das „Ein-Image-Gedicht“, bei dem „eine Vorstellung über eine andere geschichtet ist“. Die letzte Zeile faßt das Erlebnis in einem Bild aus Farbtupfen zusammen:

Das Erscheinen dieser Gesichter in der Menge:
Blütenblätter auf einem nassen, schwarzen Ast.

In die gleiche Richtung auf Konkretheit und Ökonomie der Wörter und Sätze und die höchste Sinngeladenheit des Ausdrucks – ein Bemühen, das dem Flauberts um das mot juste in der Prosa entspricht – zielt auch die Mahnung Pounds an den Dichter: „Verwende kein überflüssiges Wort, kein Adjektiv, das nicht irgend etwas enthüllt!“ Eine solche „verdichtete“ Lyrik sollte wie gute künstlerische Prosa in der Sprache des Alltags gehalten sein und in der Wahl ihrer Themen keine Tabus kennen. Eine logische Konsequenz aus diesen Postulaten ist die Favorisierung des vers libre, des freien Versmaßes, mit dem keinesfalls eine willkürliche Handhabung der dichterischen Diktion gemeint ist, vielmehr ein Rhythmus verlangt wird, „der sich genauestens mit dem Gefühl oder der Gefühlsschattierung deckt, die er wiedergeben soll“.
Pound unterscheidet drei Arten, die Sprache der Dichtung zu kondensieren und zu spannen – erstens durch die Melopoeia, bei der „Worte über ihren wahren Sinn hinaus mit einer musikalischen Eigenschaft geladen werden, welche Tragweite und Richtung dieses Sinnes steuert“, zweitens durch die Phanopoeia, bei der „Bilder auf die innere Netzhaut projiziert werden“, und schließlich durch die Logopoeia, für Ezra Pound „der Tanz des Geistes unter den Worten“, bei dem „die Worte nicht nur wegen ihrer sinnfälligen Bedeutung gebraucht“, sondern „auf besondere Art die Gepflogenheiten mit in Anschlag gebracht“ werden, „der Zusammenhang, in dem wir das Wort erwarten, seine üblichen Begleitworte, sein überkommener Sinn und das Spiel der Ironie“. Trotz mancher ästhetizistischer Überspitzungen verliert doch Pound in seinem Programm das eigentliche Ziel nie aus den Augen: Es wird eine Dichtung angestrebt, die in konzentrierter Aussage und klarer sprachlicher Konturierung Wesentliches über den Zustand ihrer Umwelt berichtet.
Der von Pound ins Spiel gebrachte Begriff des Vortizismus, mit dem er eine engere Verbindung zu ähnlich gearteten Bemühungen in der bildenden Kunst wie in der Musik etwa zu den Werken des Bildhauers Gaudier-Brzeska, der Malerei von Wyndham Lewis oder den Musiktheorien Dolmetschs – schaffen wollte, wobei das Wort vortex (d. h. Wirbel, Strudel) letzten Endes nichts anderes als eine Metapher für das image ist, hat sich alles in allem als wenig ertragreich herausgestellt.
Als von weitaus größerer Bedeutung erwies sich seine durch die Arbeiten Fenollosas vermittelte Bekanntschaft mit der Literatur Ostasiens. Im Haiku, dem siebzehnsilbigen japanischen Naturgedicht, und im Nô-Spiel, dessen Text faktisch nur aus einem einzigen image besteht, findet er jene Konzentration von Form und Aussage vor, die wir in den besten seiner Dichtungen wiederentdecken können. Am folgenreichsten ist aber wohl sein Studium der sogenannten chinesischen Bildschriftzeichen, der Ideogramme, in denen Pound eine noch vorhandene ursprüngliche Einheit von Bild, Laut und Zeichen zu sehen vermeint. Wenn auch diese These von wissenschaftlicher Warte aus nicht länger haltbar ist, hat sie doch – wie der amerikanische Literaturwissenschaftler Earl Miner nachweist – dem Werk Ezra Pounds entscheidende Anstöße gegeben: In den Cantos begegnet man den Ideogrammen als images, die gegenüber dem vorangegangenen Text eine zusammenfassende oder kontrastierende Funktion besitzen.
Und noch eine andere literarische Form hat in seinem Œuvre unübersehbare Spuren hinterlassen: der von Robert Browning, einem führenden englischen Poeten des 19. Jahrhunderts, benutzte dramatische Monolog. Gerade auf diese Gattung hat Pound während seiner ersten Schaffensphase immer wieder in schöpferischer Weise zurückgegriffen und sie zur Persona (Maske) abgewandelt – einer Art des Dichtens, bei der der Poet, gleich dem antiken Schauspieler, sich in der Maske einer anderen Gestalt artikuliert. „Cino“, wie das den Liebeskummer und das Verstoßensein des provenzalischen Troubadours Arnaut de Mareuil aus dessen Mund und in dessen Stil höchst anschaulich beschreibende Gedicht „Marvoil“ eine solche „Persona“, gibt sogar analog zu einem Drama den Ort der Handlung, die italienische Campagna, und die Zeit, das Jahr 1309, an und fügt zur näheren Erläuterung der Szenerie hinzu: „Auf der Landstraße“. Beide Werke bezeugen ganz augenfällig die Identifikation ihres Schöpfers mit den Monologsprechern. Was Pound mit den von ihm gewählten Figuren verbindet, ist das Bewußtsein der prekären Lage des Künstlers in einer Gesellschaft, die ihn als Außenseiter betrachtet oder zum Ausgestoßenen degradiert.
Den Begriff der Persona dehnt er sehr bald auch auf die Übertragung aus, sieht er doch in dem Übersetzen einen Vorgang, bei dem das Übertragende Ich die eigene Individualität und den Geist seines Zeitalters mit einbringt, der fremde Text also vom Nachdichter gleichsam als Maske benutzt wird. Dabei geht es ihm niemals um eine künstlerisch sterile, philologisch getreue Kopie des Originals, vielmehr um ein „Aufheben“ der für seine Epoche relevanten Ideen und Haltungen. Die Skala der solchermaßen ins Neuenglische gebrachten Texte reicht von antiken Dichtungen, wie etwa den Elegien des Properz mit ihrer Parodie auf alle hohltönenden vaterländisch-heroischen Phrasen, über das altenglische Epos „Der Seefahrer“ und die Lyrik der Troubadours bis hin zur klassischen chinesischen Lyrik, bei der die Kunst des Andeutens durch eine sinngeladene Bildsprache ihre Vollendung fand. Es nimmt keineswegs wunder, wenn die Gedichtform der Persona, die Pound eine größere Freiheit in der Stoffbehandlung erlaubt und ihn andererseits zu ästhetischer Selbstdisziplin anhält, auch einem Gedichtband von 1909 den Namen gibt – seinen Titel Personae erhebt Pound später sogar zur Bezeichnung für alle seine vor den Cantos geschaffenen poetischen Werke.
Werden schon in den frühen Gedichten sozial kritische Töne angeschlagen – neben dem Pariadasein eines Intellektuellen in der bourgeoisen Welt insgesamt stehen der schlechte Geschmack der Überholten Kulturtraditionen verhafteten englischen Kritiker und die Verwerfung einer elitär-verklemmten Lebenshaltung zugunsten eines naturnahen, vitalen Verhältnisses zum Dasein im Zentrum −, nimmt Pound in dem 1920 veröffentlichten Zyklus „Hugh Selwyn Mauberley“ eine rigorose Bestandsaufnahme zeitgenössischer bürgerlicher Existenz vor. Das beginnt mit der Demaskierung der Inkompetenz und Innovationsfeindlichkeit der offiziellen Kunstrichter, die er in dem ironisch verfaßten Einleitungsgedicht in einem imaginären Nachruf auf seine Person mit den sie selbst abqualifizierenden Bemerkungen zu Worte kommen läßt: „Unberührt vom ,Zeitgeschehen‘ / Entschwand er menschlichem Gedächtnis“, und „der Fall / Gereicht den Musen nicht zum Ruhm“. Dabei schwingt, sonst wäre Pound nicht der Dichter mit den höchsten Anforderungen an sich wie an andere Poeten, in dem Nachruf auch hier und dort Selbstkritisches mit. Die Bewertung seiner Umwelt findet ihre Fortführung in Bildern zivilisatorischen Verfalls, bei dem das „Groschenklavier Sapphos Barbitos ,ersetzt‘“, das Schöne zur billigen Massenware verkommt und eine demagogisch fehlgelenkte Menge „Schufte und Eunuchen“ zu ihren Oberhäuptern kürt. Und dies endet in der Abrechnung mit einem verlogenen Patriotismus, bei dem in blindem Glauben an die „Lügen der Greise“ die Jugend auf den Schlachtfeldern des ersten Weltkrieges verblutet: „Es starben Millionen, / Darunter die Besten, / Für eine alte Sau mit Zahnfäule, / Eine verfahrene Zivilisation.“
Der in manchem an T.S. Eliots Das wüste Land gemahnende Zyklus leitet zu den Cantos über, die Pound als sein eigentliches Lebenswerk betrachtet hat. In Hugh Selwyn Mauberley äußert sich nicht nur die später in den Cantos mit vielfältigen Details vertiefte grundlegende Kritik an der bürgerlichen Daseinsform, es wird hier bereits die antike Welt mit ihren kulturellen und ethischen Vorstellungen eingebracht. So taucht der schon im Eröffnungsteil von Hugh Selwyn Mauberley erwähnte Odysseus in Canto I wieder auf – stellvertretend als eine Art Maske für Pound in dessen Suche nach einer aus den alten Mythen und der Geschichte abgeleiteten Seinserfüllung, die einer bedeutungsentleerten banalen Alltagsgegenwart neue Ideen und Ideale zuführen kann. Die auf den XI. Gesang der „Odyssee“ zurückgehende Nekyia-Episode des Odysseus, seine Fahrt ins Reich der Toten und seine daraus gewonnene Welterkenntnis, ist Eingangstor zu Pounds Cantos, einer modernen Version von Dantes Divina commedia, bei der wiederum Vergils Aeneis und in einem gewissen Grade auch Ovids Metamorphose Pate gestanden haben. Angereichert mit Begebenheiten und Zitaten aus nahezu allen Zonen der Welthistorie und -literatur, sind die in über vier Jahrzehnten geschaffenen, in ihren letzten Texten unvollendet gebliebenen 120 Cantos (womit er Dantes 100 Gesänge der Divina commedia aber immerhin „überbietet“) geradezu ein Kompendium menschlicher Befindlichkeit in Vergangenheit und Gegenwart. Was Pound mit seinen Cantos anstrebt, ist nicht weniger, als in der weltlich orientierten Nachfolge Dantes einen Weg zu einem „Paradiso terrestre“, einem irdischen Paradies, zu weisen. Unumgänglich für diese Zielsetzung erscheint ihm eine präzise Sondierung weltgeschichtlicher und kultureller Phänomene und ihre Einteilung in Bleibendes, sich Wiederholendes und Einmaliges-Vergängliches. Ezra Pound sollte später, wie seine verdienstvolle Übersetzerin und Interpretin Eva Hesse berichtet, „an den Fresken von Cosimo Tura und Francesco del Cossa im Palazzo Schifanoja zu Ferrara eine Parallele zur Zeitkonzeption seines Gedichtes entdecken. Die Malerei dort ist in drei Bändern über die Wände des Salone dei Mesi geführt: Auf dem oberen Streifen figurieren die ,skizzierten Werte‘, wie Pound sie nennt, die Triumphwagen der antiken Götter und Göttinnen, die über der Zeit stehen – in den Cantos wäre das die Zone des Bleibenden; auf dem mittleren Band erkennen wir in den Halbgöttern des Zodiak-Kreises die Zone des Wiederkehrenden, die in den Cantos durch die archetypischen Charaktere und Geschehnisse verkörpert wird; auf dem unteren Band schließlich finden sich die Szenen aus dem Alltag des Borso d’Este, Herzogs von Ferrara – dies als die Zone des Vergänglichen und Zufälligen, die in den Cantos durch das persönliche und biographische Detail zu Wort kommt.“ Die drei zeitlichen Fixpunkte Antike, Renaissance und 20. Jahrhundert – verschmelzen bei Pound zur sinnträchtigen, Grundmuster menschlichen Seins offenbarenden Einheit, so wie der amerikanische Romancier William Faulkner auf ähnliche Weise die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufgehoben hatte: „Es gibt in Wirklichkeit kein ,Es war‘, weil die Vergangenheit gegenwärtig ist. Sie ist ein Teil jedes Mannes, jeder Frau und jedes Augenblicks. All seine und ihre Abstammung und das Milieu – alles ist jeden Augenblick ein Teil von ihm und ihr. Und deshalb ist ein Mensch, ein Charakter in einer Story in jedem Augenblick des Handelns nicht nur so, wie er da erscheint, er ist alles, was ihn geschaffen hat…“
Sagenumwobene Städte wie Ithaka, Troja, Rom, das Venedig der Renaissance, das Ekbatana des Königs Deiokes und das mehrfach untergegangene, von dem deutschen Forscher Leo Frobenius wiederentdeckte afrikanische Wagadu, „nun im Geist unzerstörbar“, sind für Pound Kettenglieder einer bis ins Heute wirkenden Tradition. Daß die überdimensionale Konzeption der Cantos dennoch beileibe nicht kohärent ist, hat nicht nur seinen Grund in den allzu hochgesteckten Ambitionen ihres Schöpfers, sondern mindestens ebenso in ihren Widersprüchen. Einerseits bringt etwa Canto VII die desolate Lage bürgerlichen Seins, „mondblind auf kahlen Hängen … Eros versackt, wassersatt, halbtot“, ins Bild; und der Gesang XLV und nicht zuletzt die das Dantesche Vorbild in die Gegenwart transponierenden Höllen-Cantos XIV und XV führen jene Welt mit ihrem wahnwitzigen, kulturzerstörenden Profitstreben ad absurdum und geißeln den Zinswucher, der „metzt das Kind im Mutterleib“, als Ursünde. Andererseits begegnet man in den mittleren Cantos Anschauungen, die in ihrer dogmatisch-rückwärtsgewandten Aussage die humanistische Botschaft dieses Epos zum Teil verwässern und Pounds Bemühen um Allgemeingültiges ins Persönlich-Vorurteilsbehaftete verengen. Welchen Fehlurteilen dabei der Dichter erliegt, wird schon in seiner Gleichsetzung der Theorien Thomas Jeffersons, des Verfassers der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, eines entschiedenen Anhängers der bäuerlichen Lebensweise und Gegners monetärer Spekulationen, mit rechtsgerichteten diktatorischen Bestrebungen des 20. Jahrhunderts sichtbar.
Doch auch wenn es ihm nur begrenzt gelang, ein Opus zu schaffen, das die Dynamik historischen Geschehens gültig nachvollzieht, und selbst wenn er seine Vorstellung von einer Synthese aller Kulturen nur partiell dichterisch zur Geltung bringen konnte, bleibt seine Leistung für die Weltliteratur unbestritten. Über alle Zweifel erhaben bleibt ebenso sein Verdienst, mit seinem Œuvre der Dichtkunst nicht nur neue ästhetische Wege gewiesen, sondern auch dem Krisenbewußtsein des modernen bürgerlichen Menschen in einer monumentalen poetischen Schöpfung aus kritischer Sicht Wort und Stimme verliehen zu haben. Sein immenses Werk, viele Jahrhunderte verschüttetes Kulturgut wieder ans Tageslicht gehoben zu haben, ist Zeugnis seiner Anstrengung um Bewahrung und Weitergabe der geistigen Werte unserer Welt. Wenn der 1972 in Venedig verstorbene, aber schon elf Jahre zuvor dichterisch verstummte Ezra Pound in seinem letzten Canto in menschlich bewegenden Versen bekennt:

Ich versuchte, ein Paradiso zu schreiben
Rühre dich nicht
Laß den Wind reden
so ist es das Paradies.
Laß die Götter mir nachsehn, was ich hervorgebracht
Laß die, die ich liebe, mir nachsehen
was ich hervorgebracht

− so können dieses Eingeständnis des trotz allem glanzvollen Scheiterns an einem erstaunlichen künstlerischen Wagnis und die Beichte seiner persönlichen Schuld keineswegs die Meriten Pounds vergessen machen. Das Wertvollste aus der poetischen Hinterlassenschaft dieses Dichters auch unseren Lesern in die Hände zu geben, heißt den Auftrag des antifaschistischen norwegischen Lyrikers Nordahl Grieg erfüllen, der einst über seinen denselben demagogischen Parolen wie Pound erlegenen Landsmann Knut Hamsun äußerte: „Wir anderen jedoch müssen den Schatz hüten, den er der Welt geschenkt hat.“

Günter Gentsch, Nachwort, 1985

 

„Die Dichtung ist ein Kentaur.

Die denkende, wortsetzende, lichtende Gabe muß in Schritt und Sprung mit den voranpreschenden, fühlenden musikantischen Gaben paßgehen.“ In diesem von Ezra Pound (1885–1972) benannten Spannungsfeld von Ratio und Emotion bewegt sich seine unter dem Titel Personae/Masken zusammengefaßte frühe Lyrik, in der er auf die Dichtung der Troubadoure, der englischen Romantik, auf die Klassiker der Antike und des Fernen Ostens zurückgriff und sie, subjektiv bereichernd, für unser Jahrhundert aufbereitete. Sein Streben nach dem Gemeinsamen der Weltkultur führte folgerichtig zu seinem magnum opus, den Cantos. In diesen Zyklus von einhundertzwanzig „Gesängen“ ließ er, großen Epen wie der Odyssee, der Äneis und der Göttlichen Komödie nacheifernd, historische, politische, kulturelle, philosophische, ästhetische Erscheinungen aller Zeiten einströmen und versah sie mit neuen Bedeutungsinhalten, die seinen Vorstellungen von einem harmonischen Weltganzen entsprachen. Ezra Loomis Pound, in Haily, Idaho, geboren und in Venedig gestorben, hatte sich seit seinem fünfzehnten Lebensjahr der Literatur, den Sprachen, der Geschichte und Kultur verschrieben. In Traditionsbewußtsein und elitärer intellektueller Haltung seinem Dichterfreund T.S. Eliot ähnlich, unterliefen ihm ideologische Irrtümer von großer Tragweite. Nicht zuletzt deshalb blieb sein humanistischer Anspruch „Ich versuche ein Paradiso zu schreiben“ unerfüllt. Als selbstloser Förderer zahlreicher Dichter und Schriftsteller und Vater des „Imagismus“, als Initiator einer neuen Ästhetik und Schöpfer revolutionierender Lyrik hat er jedoch in der literarischen Landschaft unseres Jahrhundert unauslöschbare Zeichen gesetzt.

Verlag Volk und Welt, Begleitzettel, 1986

 

Erster Canto

Gestern habe ich Pound kennengelernt. Gesehen hatte ich ihn schon früher einmal, am 27. November, als Bolitha Laws die Anklage gegen ihn erhob, und er jegliche Aussage verweigerte. An jenem Tag kreuzte sein Blick einmal den meinen, gequält und feindselig; vor Gericht in die Enge getrieben, keinen Bekannten bei sich außer seinem Rechtsanwalt, den er erst seit einer Woche kannte. Wie er, der wortgewaltige Mann, da schweigend vor dem Gericht stand, das war ein menschliches Drama. Aber bevor Laws hereingekommen war, hatte es ein anderes, ein politisches Drama gegeben. Der Anwalt wies Pound auf eine Jury hin, die in der Bank auf irgendeinen Mietshaus-Prozeß wartete, der an diesem Vormittag auf Laws’ Anklageerhebung gegen Pound folgen sollte. Es war eine typische Jury, jene Kollektion freier Menschen, auf der das Recht des demokratischen Prozesses, SCHWURGERICHTSVERFAHREN, beruht; satirisch leicht zu treffen, gemein wie es ist, leicht zu persiflieren, ungebildet wie die Leute sind, zu karikieren, unbeholfen wie sie in der Öffentlichkeit auftreten. Da saßen sie, und Pound wandte sich auf seinem Stuhl um und nickte sie an. In 40-jährigem Exil hatte er seine Stimme gegen Amerika erhoben, seit 20 Jahren hatte er die Demokratie und ihre Werke verflucht. Nun, da er gestellt war, würde sein eigenes Leben bald in den Händen einer solchen Versammlung von 12 Menschen liegen. Er beugte sich nach vorn, ruckte den Kopf auf und ab wie einen Schnabel, kniff die Augen zusammen, als habe er keine Brille auf, dabei hatte er Sie auf, und musterte die Gesichter der Geschworenen, starrte jeden einzelnen direkt und lange an, wie es nur Kinder und Dichter tun und sonst niemand, da es als unanständig gilt. Seine Miene war ausdruckslos, sein Blick ging in meine Richtung, und ich meinte, er sei von seinen eigenen Problemen zu sehr abgelenkt, als daß seine Gefühle sich auf das da vor ihm auswirken konnten. Der Gerichtssaal verharrte in seinem Zustand aus Respekt und Stille. Es war die Kammer des Gerichtspräsidenten, eingerichtet wie eine bischöfliche Kapelle, Neger wiesen die Zeugen in die Bänke, und hinter dem altarmäßig erhöhten Richtertisch, gegenüber der Geschworenenbank, sprachen Anwälte, Reporter und Aufseher mit gedämpften Stimmen. Respekt und Stille währten ungestört. Eine schläfrige, untätige Welt: warten. Der Inhalt dieses Augenblicks lag außerhalb, erstreckte sich weit in die Zeit zurück; die 60 Lebensjahre Pounds standen gegen jene etlichen 100 Jahre, seit ein paar Engländer zum ersten Mal zu einer Jury zusammentraten. Pound beendete seine Untersuchung und wandte sich näherliegenden Dingen zu; befingerte ein Handgelenk mit der anderen Hand, nahm die Brille ab und rieb sich die Augen, versank in seinem Stuhl, lehnte sich über den Tisch, wand sich in eine bequemere Haltung, dabei immer die Hände bewegend.
Er war so einsam, so mürbe an diesem Tag, daß ich meine Hand ausstrecken und ihm etwas freundliches sagen wollte. Ich hatte ihn noch nie gesehen und fand, er sehe älter und schwächer aus als ich ihn mir vorgestellt hatte. Aus seinen Schläfen traten die Adern hervor, seine Handgelenke sahen dünn aus und die Hände zu lang. Seine Haltung, als er aus dem Aufzug trat. Und wie er die N.Y. Times zurückgewiesen hatte. Er war grau und einsam. Darum war ich gestern so überrascht. Denn seine Hand war stark wie meine, oder stärker. Und sein Fleisch war frisch und kräftig.
Seine Augen waren nicht mehr haßverkniffen. Sein Eifer, seine Energie, als er rasch in das Wartezimmer trat. Die Offenheit seines Blicks. Seine Schüchternheit, als er mich zu lange angesehen hatte; wandte sich ab zum Fenster. Rieb ab und zu seine Stirn mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger, wie er es im Gericht so oft getan hatte. Am meisten fiel mir seine Erregung auf, als er von Mary und Omar sprach, von seiner Einsamkeit und den Sorgen, die er sich um sie machte; dabei sah er aus dem Fenster, mit scheinbar ganz nach innen gerichtetem Blick. Ich sagte zu ihm, er sehe besser aus als letztesmal. Wann war das? 27. Nov. oh, keine Daten, kann ich nicht behalten. Als ich vor Gericht ausgesagt habe? Nein, als Sie die Aussage verweigerten. Also Gallinger, habe da Zwischenstation gemacht. Sehen Sie, ich wurde in einem Jeep von Pisa nach Rom gebracht, man gab mir nur eine halbe Stunde Zeit… „Ich weiß nicht, was Sie alles davon wissen.“ Ich antwortete: „Einiges.“ Und er fuhr fort… das Flugzeug landete, offenbar wegen bedeckten Himmels, nicht in Frankfurt, sondern auf den Azoren, von dort ging’s weiter nach hier. Zuerst war das Gefängnis in Ordnung (deutet eine hohe Decke an), und Klaustrophobie machte mir nicht zu schaffen. Aber dann dieser Wechsel und wir wurden in Zellen gesteckt.
Gallinger war besser als das hier (deutet mit Kopf und Augen Howard Hall im St. Elizabeths an, die hohe Gefängnismauer vor dem vergitterten Fenster). All diese Vorhängeschlösser und Türen. (Das Gebäude stammt aus den 80er und 90er Jahren, und ich war durch eine schwarze Eisentür eingelassen worden, in der sich neun Gucklöcher, in drei horizontalen Reihen angeordnet, befanden.) Auf meiner Station ist ein Indianer, der ständig davon redet, irgendwelche Leute ermorden zu wollen. Vorige Nacht schraubte er die Zahl derer, die er abmurksen wolle, auf 10.000. (Derselbe Gebrauch veralteter Slangausdrücke wie in seinem Werk.)
Bei dieser Gelegenheit erwähnte Pound wohl zum erstenmal seine Sachen in Gallinger, seine Papiere, Kleider, sein Geld, das er brauche, um jemanden nach Zeitungen und Zuckerstangen schicken zu können. Er kam immer wieder darauf zurück. Natürlich fühlt er Sich verloren ohne das, er braucht ein paar persönliche Dinge, um sich zu beschäftigen. Schlug vor, ich solle Karten an Leute schreiben, daß sie ihm schreiben sollen, und gleichzeitig erklären, daß er nicht antworten könne. Er scheint nicht mehr als ein paar Sätze schreiben zu können. Ich wollte schon damit anfangen, aber er sagte: meine Adressen sind in Gallinger. Wir werden warten müssen. Ziman erzählte mir später, oder war es Kavka, er würde gern von seinen alten Freunden hören – Cummings, Z(ukofsky). Ich dachte an Bill Williams. Dann erzählte er mir, wie er in Pisa die Cantos geschrieben habe (10 waren’s im Ganzen) und den Confuzius. Sagte, das habe er einem römischen Juden (jew) zu verdanken (oder hat er chew gesagt? Ich war nicht sicher, und bei dieser ersten Begegnung wollte ich ihn nicht unterbrechen.)
Dabei redete er so liebenswürdig. Erklärte, an einem solchen Ort werde man egoistisch! Bemühte sich, mich ebenfalls zu Wort kommen zu lassen. Wollte genau wissen, wer ich sei. Kann es sein, daß ich Ihren Namen auf irgendwas Gedrucktem gesehen habe?
Die Fahnen für Confucius hielt er für unproblematisch, während es ihm bei den Cantos, obwohl er sie nicht erwähnte, anders zu liegen schien. Hier wie auch in anderem Zusammenhang spielte er vage auf Laughlin an, offenbar in der Annahme, ich käme von ihm und wüßte in diesen Dingen Bescheid.
Er wollte etwas zu tun haben. Beschwerte sich, daß man einen Mann wegen Diphtherie behandelte, obwohl er Dysenterie habe. Sagte ganz ruhig, er glaube nicht, daß etwas mit ihm nicht stimme. Gestand zu, ein wenig verwirrt zu sein, und sagte, wenn er hier noch länger bleiben müsse, werde er kaputtgehen. Benutzte öfter Worte wie Souvenir oder Bruchstücke, was mir das Gegenteil von dem vermittelte, was er meinte. Ich fand das gut, und er meinte, schlecht wäre es gerade dann, wenn er nicht kaputtginge. Wollte etwas hinterlassen, bevor er ginge – „für seine Familie“.
Sprach hastig von Mary, etwas von Omar, der nach Rom gegangen sei, und dann von ihrer Ankunft in Rapallo am 20. Mai, während er sie am 17. erwartet hätte. In der Nacht des 16. wurde er fortgebracht. Von da kam er wieder auf seine Kleider, und er erklärte, als die Partisanen mit ihren Maschinenpistolen zur Tür hereingekommen seien, habe er das angezogen, was er seither getragen habe, da er nicht gewußt habe, auf was für Böden in welchen italienischen Gefängnissen er werde liegen müssen.
Einmal, als es um Howard Hall ging, kam die Stärke seiner Neugierde zum Vorschein, die jedem kreativen Menschen eigen ist; da sagte er, selbst im Gorillakäfig wär’s eine Weile auszuhalten! Nannte das immer Gorillakäfig. Sprach davon, wie gut er im CIC behandelt worden sei. Und sein Zelt in Pisa war ihm als erträglich in Erinnerung. Die wußten nicht, sagte er, als sie ihn in die USA verfrachteten, daß er in dem Zelt täglich nur rund zwei Stunden auf den Beinen gewesen war. Die konnten das nicht sehen.
Was steckt hinter all dem? Wer will das? Ich begriff nicht gleich, was er meinte: nämlich, daß anscheinend jemand wolle, daß ihm dies passiere. „Wer ist dieser Truman? Ist sein Name zufällig Warren Gamaliel?“ Worauf ich erwiderte: Sie werden seinen Namen so hinnehme müssen, wie er sich anhört, und die Lüge danach beurteilen. (Das mag nach Verfolgungswahn aussehen, aber wenn man an den Armeekäfig und ein paar andere Dinge denkt: durfte er sich da nicht so etwas fragen?)
Er erklärte, von seiner Arbeit in Italien hätten die keine Ahnung. Anscheinend wollte er andeuten, daß er mit den Liberalen gegen Mussolini gearbeitet habe. Er erwähnte ———, den Leiter der Propaganda, und sagte, der sei liberal und habe ihm gegenüber geäußert, er könne nicht an M’s Palazzo vorbeigehen, weil der Boss so einen Gestank verbreite! Anderes habe ich vergessen.
Ein anderes Mal meinte er: würden die lieber Klaus Mann als mich hören? Das überraschte mich, und ich sagte, als er jung gewesen sei, müsse es genau so gewesen sein: Geringere würden vorgezogen. Streckte meine Hand aus und berührte seinen auf dem Tisch liegenden Unterarm, und sagte, die alten Yankee-Prediger (dachte an seine Vorväter) hätten das angeborene Verderbtheit genannt. Und erzählte ihm von meiner Begegnung mit Klaus Mann bei Laughlins Party für Bill Williams; K hatte mich da mit L verwechselt. Ich sagte, er suche nach ihm. Und P gab zurück, er habe nach einem Verleger gesucht!
Als er seine Arbeit in Italien erwähnte, kam er mir mit derselben Sache, die er an seinem ersten Tag hier schon der Presse angedreht hatte: er werde nach Tiflis gehen und Georgisch lernen, damit man ihn zu Gesprächen mit Stalin schicken könne. Betonte, wie wenig Beachtung Stalin irgendeinem nach alter Bankiersart redenden Fettkloß vom Außenministerium schenken würde. Sagte, soweit er wisse, gebe es im Außenmin. nur einen einzigen Mann, der Georgisch spreche.
Und als er fragte, wer Truman sei, schweifte er ab und beklagte sich über den Mangel an aktueller Information. Kein Kongresslexikon nach 1939, glaube ich. Und dann eine Liste der Sachen, auf die er seine Arbeit gestützt hatte, besonders Brooks Adams. Und fragte herausfordernd, ob Adams Faschist gewesen sei. Wiederholte die Frage. Vor der ich auswich, weil ich mich nicht mit ihm auf Politik einlassen wollte. Ich habe meine Meinung dazu kundgetan, mich da durchgetastet, und mein Urteil gefällt. Ich will nichts mehr damit zu tun haben. Ich werde das wohl aber müssen, und vielleicht ist es das beste, wenn ich ihm meine Yeats-Rede gebe, falls das Thema nochmal aufkommt. Ich will ihm nur persönlichen Trost spenden, ihm den einen oder anderen Gefallen tun, z.B. Leute dazu bewegen, ihm zu schreiben, und ihm mein mehr oder weniger einfühlsames Ohr leihen. Und das für sein Werk. Und für meine jetzigen Empfindungen, für den Charm und Reiz seines Wesens. Denn er ist so großmütig und wach und fleißig wie eh und je. Seine Sprunghaftigkeit im Gespräch ist nicht stärker als bei mir oder jedem anderen aktiven Geist. Hin und wieder scheint er wie besessen zu reden, aber das ist bei mir auch nicht anders, und wenn ich mal in seinem Alter bin, nach dem Reichtum seines Lebens, dürfte ich noch tausendmal schlimmer sein. Ich denke schon an Dahlberg.
Er gab den Engländern die Schuld. Behauptete, der Krieg sei erstens durch Radar gewonnen worden, zweitens durch die amerikanische Produktion, drittens durch die militärische Strategie. Schien andeuten zu wollen, der Krieg wäre verloren worden, wenn Radar nicht die U-Boote versenkt hätte. (Tatsache oder nicht, mir schien, er rechtfertigte sich hier für seine Behauptung, der Krieg wäre für die Demokratien verloren, mit dem unausgesprochenen Vorwurf, wie er denn etwas von Radar hätte wissen können? Ich wollte darauf hinweisen, daß jeder hinreichend Wahrnehmungsfähige hätte vorhersehen können, daß die Amerikaner sowohl Radar als auch die Produktion schaffen würden, beschloß aber den Mund zu halten.) Um einen anderen Punkt zu beweisen, daß wir uns nämlich nie in irgendeiner Sache sicher sein können, erzählte er, wie verblüfft Stars and Stripes gewesen sei, als Churchill in die Pfanne gehauen wurde. Er sagte noch irgendwas über die Engländer, aber das habe ich vergessen.
Oja, und als er vom Radar anfing, zog er über die BBC her und bestritt, daß die Propaganda irgendetwas mit dem Sieg zu tun gehabt hätte. „Der Scheiß von BBC.“
Sprach vom Infantry Journal und meinte, wie überlegen das doch Stars and Stripes wäre. Fragte mich, ob ich S&S gesehen hätte. Sagte, hier drüben hätten wir’s nicht gesehen.
Die zwei alten Damen, eine davon 80, die ihn besuchten und ihm einen Flicken auf die Jackettschulter nähten. Und er macht sich Sorgen wegen ihres Kommens, wegen irgendwas mit ihrem Auto, und meint, sie könnten nicht viel tun.
Auch wie er mit dieser Kleidersache anfing. Das wäre ein Gnadenakt… und es dann herunterspielte, damit es nicht nach Bettelei aussah, oder vielleicht wie eine allzu direkt an mich gerichtete Bitte. Dabei fingerte er dauernd an seinen Hemdsärmeln herum, zog sie unter seinem Jackett hin und her; scheinen keine Knöpfe gehabt zu haben, oder sie waren abgegangen. Eigentlich wirkt er wie ein Schriftsteller, der an seinem Schreibtisch arbeitet. Nehme an, seine Besorgnis kommt von seiner gewöhnlichen Pingeligkeit mit Wäsche u. dergl. Er sagte, alles gehe in Dienst, was immer das heißen sollte. Sprach von seinen Pyjamas in Gallinger. Er ist sauber rasiert und sein Kinnbart gestutzt. Sein Haar ist offenbar von Natur aus dicht und gelockt und fest.
Wollte dem Arzt neben den Cantos 50-61 sein Kulch geben, wie er das nannte. Ließ die Bemerkung fallen, Laughlin habe das K gestrichen, als er erklärte, er meine „Guide…“ Und deutete, ich weiß nicht mehr wie, Faber & Fabers Rolle dabei an.
Die Sache mit den Zuckerstangen – „4 oder 5 Cents das Stück“. „In Italien Mangelware.“ „Ein paar Dollar unter meinen Sachen in Gallinger.“
Ich sagte, eines Tages würde ich meine Frau rüberbringen, und ich könnte mir vorstellen, er würde sich freuen, mal wieder eine Frau zu sehen. Er stimmte herzlich zu und sagte: nur die Krankenschwester in Gallinger, und irgendwo, Pisa?, ein paar Matronen, die er mit einem Schwall Italienisch beschrieb, womit er, wenn ich richtig verstand?, auf irgendwelche riesigen pferdhaften Wesen anspielen wollte.

Charles Olson, Schreibheft, Heft 27, April 1986
Aus dem Amerikanischen übertragen von Werner Schmitz

Vom Image zum Ideogramm

Zum Thema:
Aus der Opposition gegen die ganz in der Konvention befangenen „Georgian Poets“, die im damaligen England die Dichtung von Amtswegen darstellten, entstand um 1912 die Schule der Imagisten unter der Führung Pounds, der T.E. Hulme, Richard Aldington, Hilda Doolittle, John Gould Fletcher und F.S. Flint um sein revolutionäres Banner versammelte. Diese englische Bewegung stand in engem Kontakt zu französischen Gruppen ähnlicher Tendenz, die ihren Hauptanreger in Remy de Gourmont, bei den Jüngeren auch in Jules Romains, André Spire, Vildrac und Duhamel hatten. Schon frühzeitig war in de Gourmonts Werken
Les Livres des Masques (1896–1898) und Le Problème du Style (1902) die allgemeine Richtung festgelegt worden:

En litterature, comme en tout, il faut que cesse le regne des mots abstraits (1898!).

Genau dieses Verwerfen einer Sprache, die sich von den Dingen abgelöst hatte, griff Pound für seine neue Lehre auf:

Die Krankheit der vorigen anderthalb Jahrhunderte war die Abstraktheit. Sie griff um sich wie die Schwindsucht.

Der Auszehrung der Sprache und des Denkens in abgeleiteten Begriffsbahnen setzten die Imagisten nun ihr Programm einer konkreten Bildhaftigkeit entgegen. Sehr vereinfacht formuliert: Bilder sollten nicht nur als Vergleiche für subjektive Seelenregungen benutzt werden, Ding sei Ding und nichts könne eine Sache besser aussprechen als die Sache selbst, wenn man sie beim Wort nähme. Ein Malen in Bildern wie es in der Landschaftsdichtung des neunzehnten Jahrhunderts vornehmlich in England einen breiten Raum einnahm, vernutzte das image für schöne Stimmungen oder als Zierat und Ausschmückung des Gedankengangs, statt es für sich selbst sprechen zu lassen als Sprache der Dinge. Mehr noch: aus der Bildschicht, die aller Sprachstrebigkeit zugrunde liegt, erwächst recht eigentlich die Dichtung, ja die bildhafte Vorstellung ist der „primäre Werkstoff des Dichters“, denn das image ist, wie Pound sagt, im Grunde „selbst Sprache“, ist „das Wort noch jenseits des Formulierten“. In diesem Sinn ist eine wahrhaft dichterische Sprache „immer eine erkundende Sprache und die dichterische Fähigkeit in ihrer höchsten Potenz: Erforschung und Entdeckung von Neuland“.
Neben dieser Besinnung auf den ursprünglichen Sprachbestand, bei dem das Schöpferische ansetzt, faßten die Imagisten den Vorsatz: „die Dichtung auf die Höhe der Prosa zu bringen“, also die thematische und sprachliche Einengung, die ihr auferlegt worden war, zu sprengen. Unter Pounds Anleitung, der hierin von Ford Madox Ford bestärkt wurde, verband sich nun die Forderung nach der größeren Anschaulichkeit mit dem Stilprinzip des
mot juste, den Qualitäten der großen französischen Prosaisten des 19. Jahrhunderts, vor allem Flauberts und Stendhals. In der Folge gewann das Gedicht eine größere epigrammatische Schärfe und syntaktische Unmittelbarkeit (man vgl. hierzu Pounds Gedichte in Lustra, 1915, die Yeats, wie er sagt, „keine Zufluchtstätte“ für seine Gefühle ließen). So sind die Haupterrungenschaften der Imagisten, neben dem vers libre und der unvergrätschten Wortfügung, eine hartkonturige konkrete Anschaulichkeit, eine große Wortpräzision und ein Nachdruck auf dem Besonderen, statt auf dem Allgemeinen.
Obwohl dies Programm fast zu schnell Schule machte (oder auch gerade deswegen) ging Pound sehr rasch vom
image zum Ideogramm über, als ihm der Zufall den Nachlaß Fenollosas, eines ostasiatischen Kunsthistorikers, in die Hände spielte. Pound öffnete sich hier eine zeitlich sehr ferne, ihm aber blutnahe Welt. Man erkennt das ganz unmittelbar aus den Worten des Wei T’ai aus dem 11. Jahrhundert, die sich wie eine Vorwegnahme von Pounds Überlegungen hinsichtlich des image (und von Eliots „objektivem Korrelat“) lesen:

Dichtung bezeichnet das Ding um das Gefühl zu vermitteln. Sie sollte, was das Ding angeht, bestimmt, und was das Gefühl angeht, verschwiegen sein, denn sobald das Bewußtsein anspricht und sich auf das Ding einstellt, tritt das Gefühl in den Worten zutage; auf diese Weise dringt die Dichtung tief in uns ein. Wenn der Dichter Gefühle, die ihn überwältigen, direkt bezeichnet und nichts zurückbehält, das sich als Nachgeschmack festhängt, berührt er uns an der Oberfläche; er bringt Hände und Füße nicht dazu, sich unwillkürlich im Takt zu regen, noch weniger vermag er die Sittlichkeit zu stärken, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen und die Geister heraufzurufen.

Bezeichnenderweise ist auch hier der Ton auf dem Bild (als Sinnerscheinung des Dings) mit einem psychologischen Faktor gekoppelt. Pound meinte, das imagistische Gedicht halte den genauen Zeitpunkt fest, „in dem eine äußere objektive Sache in eine innere subjektive Sache umgebildet wird bzw. umspringt“. Es erfüllt also die Aufgabe eines Brückenschlags zwischen der objektiven Außenwelt und der inneren Erfahrungswelt des einzelnen in einem Vorgang des Be-Greifens, wodurch jenes Gefühl des „jähen Wachstums“ oder eines Zuwachses zu unserer Welt ausgelöst wird. Für Pound kommt alles auf die Möglichkeit an, Entsprechung und Zuordnung zwischen Innen und Außen zu finden. Es handelt sich um jenen Drang über den Goethe reflektiert:

Es ist etwas unbekanntes Gesetzliches im Objekt, welches dem unbekannt Gesetzlichen im Subjekt entspricht.

Genau an dieser Stelle findet sich die ultima ratio der Cantos. Jedoch bot das image für solche Erkenntnis noch nicht die rechte Handhabe. Denn es lebt aus dem quasi dialektischen Moment, da sich aus mehr oder minder statischen Bildern ein überraschender Sinnzusammenhang erschließt – für das Subjekt. Der an sich bestehenden Welt der Dinge (Noumena) war damit nicht beizukommen.
Hier kam ihm nun Fenollosas epochemachendes Essay „Über das chinesische Schriftzeichen als Organ für die Dichtung“ zu Hilfe. Denn das chinesische Ideogramm oder Bildschriftzeichen hält (nach Fenollosa) die Sprachwerdung in der Phase zwischen konkretem Bild und abstrahiertem Begriff fest und trägt darum das Sein noch so in sich, daß die Nebeneinanderstellung verschiedener solcher Bildsigel gleichsam objektiv das Leben zwischen den Dingen offenbar macht. Jedes Bildsigel ist hier Kernchiffre für Seiendes und die Bilder, die das Sein in sich tragen, tragen es sich wechselseitig zu – nicht aus der Subjektivität künstlicher Paradiese, sondern als Zeichen der Welt (
Ontsigns). Die vox mundi fällt in die vox humana ein: das Objektive, jede Bildvorstellung, jedes vom Menschen ein für allemal gesprochene und zitierbar gewordene Wort, jedes geschichtliche Ereignis in seiner Faktizität, behält die eigene nicht-reduzierbare Wirklichkeit; die Reihung der Seinszeichen aus dem Strom der menschlichen Welterfahrung wird zum Canto, in dem der Dichter Sigel auf Sigel heranholen kann, zu einem Dialog des Ichs mit der Welt, bei dem die Welt die Sprache hergibt. Das Wort abstrahiert nicht mehr, es inkarniert – partielle Erfüllung des uralten (und vielleicht unerfüllbaren) Traums der Dichter:

Dichtung soll nicht besagen
Sondern sein.

Eva Hesse

Vom Image zum Ideogramm

Als Ezra Pound zum erstenmal eine Sitzung des Poets’ Club besuchte, soll das Café in Soho von seinem heftigen Vortrag der „Sestina: Altaforte“ gescheppert haben. Er war „randvoll von seinen Troubadours“, seufzt F.S. Flint [englischer Dichter 1885–1960] in der History of Imagism. Nun, er war randvoll von allen möglichen Interessen, aber bereit, noch mehr auf sich zu laden, und übernahm denn auch bald von T.E. Hulme [englischer Dichter und Philosoph 1883–1917], der sich ohnehin mehr für Philosophie und Ästhetik interessierte, die Führung des Klubs. Hilda Doolittle [„H.D.“, amerikanische Dichterin 1886–1961] schloß sich der Gruppe 1910 an; Richard Aldington [englischer Schriftsteller 1892–1962] 1911. Etwa zu dieser Zeit erhielt Pound über Flint erstmals Kenntnis von der dichterischen Relevanz der japanischen Poetik. Als Amy Lowell [amerikanische Dichterin 1875–1925], John Gould Fletcher [amerikanischer Dichter 1886–1950] und so grundverschiedene Gestalten wie Ford Madox Ford (englischer Romancier und Kritiker 1873–1939] und D.H. Lawrence [englischer Romancier und Dichter 1885–1930] sich dem Imagismus anschlossen, hatte Pound bereits in jeder Hinsicht die Führung der Gruppe übernommen. Das gilt auch für das Studium japanischer Dichtung.
Die Jahre 1912 bis 1924 sollten der entscheidende Zeitraum in Pounds Entwicklung zur dichterischen Vollkraft und zur endgültigen Formulierung seiner dichterischen Theorie sein, es war die Zeit, da er seine Anleihen bei der provenzalischen Dichtung, bei den Dichtern des ausgehenden 19. Jahrhunderts und bei Yeats durch die Stilmittel Whistlers und der Impressionisten potenzierte. „Whistler und die Japaner!“ hatte er als Losungswort ausgegeben, wobei er einer im Jahr 1914 allgemein verbreiteten Vorliebe gebieterischen Ausdruck verlieh; jedoch hatte sein Wort in dieser Sache besonderes Gewicht, was auf seine Vertiefung in die japanische Dichtung zurückzuführen war, die ihn instandsetzte, auch ohne die Vermittlung Whistlers unmittelbar auf das Japanische anzusprechen. In dem bekannten Artikel über den Vortizismus (The Fortnightly Review, vom 1. September 1914), wo er seine Auffassung vom Wesen der Dichtung niederlegt und seine eigenen Ziele auseinandersetzt, läßt er erkennen, wie das Haiku (oder Hokku) – das siebzehnsilbige japanische Naturgedicht – in seine Poetik eingegangen war und wie es ihm den Weg zu einem seiner bekanntesten Gedichte gewiesen hatte:

Vor drei Jahren [1911] stieg ich in Paris an der Place de la Concorde aus einem Zug der Métro und erblickte auf einmal ein schönes Gesicht und dann wieder eines und wieder eines… und ich versuchte den ganzen Tag lang Worte zu finden, für das, was es mir bedeutet hatte… Und an jenem Abend… fand ich plötzlich den Ausdruck… nicht im Sprachlichen, sondern in kleinen Farbflecken. Ja, das war es, ein ,Muster‘, oder noch nicht einmal ein Muster, wenn man unter ,Muster‘ etwas versteht, das eine Wiederholung enthält. Aber es war ein Wort, und für mich der Anfang einer Sprache in Farben.

Die malerischen Effekte hier erinnern noch an seine Bewunderung für Whistler, aber im folgenden verknüpft er sein Verfahren direkt mit der japanischen Poetik:

Ich schrieb ein Gedicht von dreißig Zeilen und vernichtete es, weil es ein Werk von ,sekundärer Spannkraft‘ war, wie wir das nennen. Sechs Monate später machte ich ein Gedicht, das bloß halb so lang war; ein Jahr danach [1912] schrieb ich folgenden Hokku-ähnlichen Satz:

Das Erscheinen dieser Gesichter in der Menge:
aaaaaBlütenblätter auf einem nassen, schwarzen Ast.

Wohlgemerkt, er behauptet nicht, daß dieser Satz deshalb „Hokku-ähnlich“ sei, weil das Gedicht kurz ist oder das image darin irgendwie japanisch anmutet. Was Pound mit dem Ausdruck „Hokku-ähnlich“ meint, wird uns an einer anderen Textstelle des Aufsatzes deutlich:

Die Japaner haben den Sinn für Erkundung besessen. Sie haben das Schöne dieser Art des Erkennens erfaßt (das heißt der imagistischen im Gegensatz zur lyrischen Art des Schreibens)… Die Japaner haben die… Form des Hokku entwickelt.

Die abgefallene Blüte fliegt an ihren Ast zurück:
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaEin Schmetterling.

Das ist der Inhalt eines sehr berühmten Hokk.

Das ,Ein-Image-Gedicht‘ ist eine Form der Überlagerung; das heißt, eine Vorstellung, die über eine andere geschichtet ist. Diese Form fand ich von Nutzen, um aus der Sackgasse herauszukommen, in der ich nach meinem Erlebnis in der Metro verblieben war.

Da sein Begriff von der „Form der Überlagerung“ für das Verständnis eines Verfahrens von Bedeutung wird, das er in seiner Dichtung häufig anwenden sollte, müssen wir näher auf das eingehen, was er darunter verstand. Das Gedicht „Auf einer Metro-Station“ baut sich aus zwei, deutlich getrennten, Teilen auf. Der eine Teil, der erste hier, besteht aus einer ziemlich direkten, nicht-metaphorischen Aussage. Der zweite Teil bringt das scharf umrissene metaphorische image von den hellen Blütenblättern am schwarzen Ast. In dieser ganz übersichtlichen Form besteht der Zusammenhang zwischen der faktischen Aussage und der bildstarken Anschauung in einer scheinbar einfachen Kontrastwirkung. Es liegt eine discordia concors vor, eine Kluft zwischen faktischer Aussage und anschaulicher Metapher, die durch ein Schalten der Phantasie zu überspringen ist – was den besonderen Reiz von dieser Art von Gleichnis ausmacht. Nachdem Pound die Form der Überlagerung einmal entwickelt hatte, handhabte er sie als ein variables Verfahren, das ihm die Grundstruktur zu vielen Textstellen und Gedichten gab.
Die Entdeckung dieser poetischen Technik in einer Sprache, die er nicht beherrschte, gehört zu den Eingebungen des Poundschen Genius. Haikus werden in drei, im Japanischen jedoch nicht eigens getrennten „Zeilen“ geschrieben, die aus jeweils fünf/sieben/fünf Silben bestehen und häufig durch ein „einschneidendes Wort“ (kireji) oder eine Zäsur in scheinbar asymmetrische Bestandteile getrennt werden. Daß Pound dies sah, läßt sich erst richtig würdigen, wenn man bedenkt, daß diese Aufgliederung bis 1953, als Donald Keene die Frage erörterte, nicht erkannt worden ist oder zumindest nirgendwo im Englischen im Druck erschienen war. Wenn der Entdeckung demnach eine historische Bedeutung zukommt, so ist jedoch für uns hier noch wesentlicher, wie Pound das Haiku-Prinzip für seine Dichtung variierte und auf mehrzeilige Gedichte anwandte:

Drei Geister fanden zu mir
Und zogen mich beiseite,
Wo Oliven äste
Nackt am Boden lagen:
Blasses Gemetzel im diesigen Licht.

Die faktische Aussage der ersten vier Zeilen ist zwar, genau genommen, nicht undinglich. Sie ist jedoch beschreibender oder umschreibender als das unmittelbar lyrische image (die Anschauung), das, durch den Doppelpunkt hervorgehoben, das Gedicht zu einer metaphorischen Einheit zusammenschließt. Dieses überraschende Nebeneinander eines image von großer Bildkraft und einer Beschreibung wird in „Gentildonna“ noch deutlicher.

Sie schied und hinterließ kein Schauern in den Adern, die nun
Unter den Bäumen weilt – der Luft verhaftet, die sie teilte,
Die Gräser fächelnd, die sie niedertrat:
Graues Olivenlaub unter den regenkalten Himmeln.

Sogar Pounds vielbewunderte „chinesischen“ Gedichte weisen häufig die Struktur des Haiku auf. Dieser Umstand und der Tonfall verhaltener Emotion machen „Liu Tsch’e“ zum „fernöstlichsten“ von allen Pound-Gedichten.

The rusding of the silk is discontinued,
Dust drifts over the court-yard,
There is no sound of foot-fall, and the leaves
Scurry into heaps and lie still,
And she the rejoicer of the heart is beneath them:
A wet leaf that dings to the threshold.

(Das Seidengeraschel erstirbt,
Staub weht über den Hof,
Man hört keinen Schritt, das Laub
Tollt in den Haufen umher und liegt still,
Und sie, die Freude des Herzens, ist unter ihnen:
Ein feuchtes Blatt, das an der Schwelle haftet
.)

Von den vielen Dingen, die sich über dieses schöne Gedicht sagen lassen, sind drei in diesem Zuammenhang von Bedeutung. Erstens ist dies eines der wenigen frühen Gedichte, in dem der Dichter ein image (eine Anschauung) über das Ohr erstehen läßt. Wichtiger noch: die „Form der Überlagerung“ ist hier schlechterdings zu einer tour de force geworden; in den ersten vier Zeilen finden sich vier images (Anschauungen), und es ist kaum zu fassen, daß Pound ein fünftes image zur Hand hat, das die übrigen an Bildkraft noch übertrifft und gleichsam zum Brennpunkt des ganzen Gedichts wird. Drittens wäre hier zu beachten, wie er das chinesische Gedicht, das er „übersetzt“ (aus Giles’ History of Chinese Literature, 1926), gemäß einer dem Japanischen entliehenen Form gänzlich rekonstruiert hat.
Bald schien es ihm, vielleicht der größeren Abwechslung zuliebe, zweckdienlich, die Reihenfolge von faktischer Aussage und image (Anschauung) umzustellen, so in „Alba“, wo das image, hier als ausdrücklicher Vergleich, am Anfang steht.

Kühl wie die bleichen, feuchten Blüten
aaaaaaaaaaaaaaaaader Maiglöckchen
Lag sie an meiner Seite in der Früh.

über das Experimentieren mit der Umstellung von faktischer Aussage und bildhafter Anschauung hinaus, versuchte er alsbald, die „Form der Überlagerung“ auf andere Themen wie „L’Art, 1910“ anzuwenden, wobei er feststellte, daß das Verfahren sich sogar für ein humoristisches Stück wie „Die Badewanne“ eignete.
„Fan-Piece, for her Imperial Lord“ („Fächerblatt für ihren Kaiserlichen Herrn“) ist aus anderen Gründen interessant:

O fan of white silk,
aaaaaaclear as frost on the grass-blade,
You also are laid aside.

(O weiß-seidner Fächer,
aaaaaaKlar wie Reif auf dem Grashalm,
Auch du wurdest abgelegt
.)

Wie bei der bekannteren „Beschwerde der Edelsteinstufen“ handelt es sich auch hier um eine Klage; die verhaltene Aussage über die Treulosigkeit des Mannes erscheint in der ersten und dritten Zeile, das sinngebende image in der zweiten. Die Klage wird dem Fächer anvertraut und kommt nur in dem unaufdringlichen Wörtchen „auch“ der dritten Zeile zu Gehör. Die nachhaltige Wirkung erhält das Gedicht jedoch erst durch das image (die Anschauung): „Reif auf dem Grashalm“, dessen einzige augenfällige Beziehung zum übrigen Gedicht die weiße Farbe ist, die es mit dem Fächer gemeinsam hat. Der Sinngehalt des image liegt im Grunde in dem sich ständig erweiternden Kreis von Vergleichen: wie der klare Reif in der Morgensonne schnell dahinschmilzt, so sind die schönen Fächer nur auf eine Stunde Spielzeug der Höflinge und so berückt die Schönheit einer Frau einen Mann nur für eine kurze Spanne. Es scheint auch kein reiner Zufall zu sein, daß das Gedicht seiner äußeren Gestalt nach beinahe ein echtes Haiku ist, insbesondere da Pounds Quelle, Giles’ Übersetzung, aus zehn Zeilen jambischer Pentameter besteht! Der Wechsel von fünf und sieben Silben (im Englischen) wird nur in der letzten, sechssilbigen Zeile, durchbrochen, und das Gedicht entspricht auch sonst den Regeln des Haiku, da es eine Jahreszeit angibt oder andeutet, in diesem Fall den Herbst. Nur das Thema, die Liebe, ist dem Haiku fremd, aber dank der feinsinnigen Handhabung und der durchgehaltenen Form verdient dieses Gedicht vielleicht vor allen anderen Versuchen, „ein englischer Haiku“ genannt zu werden.
Noch viele andere Gedichte weisen diese Struktur auf, am bemerkenswertesten: „Lied vom prismatischen Licht“, „Ts’ai Tschi’h“, „Koitus“, „Begegnung“, „Ladenmädchen“, „Fisch und Schatten“ und „Cantus Planus“. Sie alle sind kurze Gedichte, bei denen das Prinzip abwechslungsreich und elegant gehandhabt wird, aber im Licht seiner späteren dichterischen Entwicklung ist es hier interessanter zu verfolgen, wie Pound das Verfahren allmählich auch auf längere Gedichte anzuwenden begann. In den Schlußzeilen von „Zu Perigord“ schwingt mehr als nur „ein Echo Robert Brownings“ mit; dieses „mehr“ ist ein überlagerndes image:

Dort eingesperrt in seiner Burg, Tairirans,
Sie – deren Ohr und Zunge nur in ihrer Hand war,
Dahin – dahin – o unantastbar!
Sie – die nur leben konnte durch den Einen,
Sie – die nur reden konnte zu dem Einen,
Und alles sonst an ihr ein Lichterspiel,
Ein zertrümmerter Spiegelkranz!

„Mauberley“ endet ähnlich, die imagistischen vier letzten Zeilen sind abgehoben vom übrigen Gedicht und ziehen die Bilanz aus Mauberleys Los:

Lefzen beißen ins Nichts,
Stumme Hunde aus Stein,
In der Verwandlung gebannt,
Blieben sein Epilog

Es ist beachtlich, daß es Pound sogar gelingt, das Verfahren auf das weitausholende, erzählende Gedicht der Cantos anzuwenden, entweder als eindrucksvollen Abschluß oder, noch häufiger, innerhalb eines Cantos, um in ein image zu bannen, was vorausgegangen ist oder unmittelbar folgt. Er verwendet das Verfahren am häufigsten in den dreißig ersten Cantos und in den Pisaner Gesängen, jenen Gedichtabschnitten also, die weniger der Auseinandersetzung dienen als die mittleren Cantos, die die Übel des Wuchers und gewisse geschichtliche Staatsformen zum Thema haben. Die Überlagerungs-Technik erscheint etwa in „Canto XVII“ sowohl innerhalb seines Bildgefälles als auch, noch eindrucksvoller, an seinem Ende:

Dorthin zog Borso, als sie den Hakenbolz auf ihn schossen,
Und Carmagnola geriet zwischen die beiden Säulen
Sigismundo zog hin nach der dalmatinischen Schlappe.
aaaaaaAbendrot wie ein Heupferd, aufschwirrend.

Das Verfahren wird aber im allgemeinen innerhalb der Cantos angewendet, um den Sinngehalt einer Anzahl Zeilen durch ein einziges bildstarkes image jäh in einen Brennpunkt zu sammeln. Es gibt viele solcher Stellen, doch sollen uns hier ein paar genügen, um die Spannweite des Verfahrens vom grell kontrastierenden image bis zum image, das aus dem Zusammenhang zu erstehen scheint, aufzuzeigen. Die überlagernden images sind durch Kursivschrift hervorgehoben.

Und der Kastellan von Montefiore schrieb es nieder:

„Wär besser, Ihr hieltet ihn außer Lands.
„Da er zurückkam aus Sparta, brannte das Volk
„Feuer ab, zog herum und brüllte: ,Pandolfo!‘“
Im grauen Dunst verleibt sich das Gold alles Licht.
(„Canto XI“)

Frei zu Land, frei zur See
aaaaaain ihren Galeonen,
Schiffen, Barken und Kauffahrern.
2% der Effektiveinnahmen. Keine Abgaben darüber.
aaaaaaIm Jahr 6962 der Welt,
aaaaaa18. April, zu Konstantinopel.“
Wind auf der Lagune, Südwind fleddert Rosen.
(„Canto XXVI“)

kamen wir je zuende mit Doughty:
aaaaaaThe Dawn in Britain?
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaavielleicht nicht

Vorladung aufgehoben, Sir.

(Weil Ausländer in einem Sperrgebiet)
Wolken ballen ihre kleinen Berge
vor den erstgeborenen Hügeln
(„Canto LXXXIII“)

Zu der Bedeutung, die das Haiku für Pounds dichterische Praxis gewann, kommt, daß es zur Bildung seiner literarischen Theorie, insbesondere der Theorie des image, wesentlich beigetragen hat. In Poetry vom März 1913 verkündete er die berühmten „Gebote für diejenigen, die Gedichte zu schreiben beginnen“. Hinter diesen Ge- und Verboten stehen zum Teil die Theorien von T.E. Hulme, F.S. Flint, Remy de Gourmont und die Stilmittel der Impressionisten, doch ist wohl sicher, daß Pound, als er zu jener Zeit seine Theorien entwickelte, vornehmlich die japanische Dichtung im Auge hatte. Einige der „Gebote“ deuten dies an, spätere Schriften bestätigen es:

„Verwende kein überflüssiges Wort, kein Adjektiv, das nicht irgend etwas enthüllt!
Verwende keine Ausdrücke wie „dunkles Land des Friedens“! Sie trüben das Bild. Sie vermengen Abstraktes mit Konkretem. Sie entspringen der mangelnden Einsicht des Schreibenden, daß der natürliche Gegenstand stets das angemessene Sinnbild ist.

Bündigkeit, Trennung des Anschaulichen von der abstrakten Aussage (wie in der „Form der Überlagerung“) und der Nachdruck auf den natürlichen Sinnbildern, das sind die Faktoren, die hier hervorgehoben werden. All das gehört auch zu den hervorragenden Merkmalen der japanischen Dichtung. Einige Jahre später schreibt Pound in „Pavannes and Divisions“ dementsprechend über die natürlichen Sinnbilder:

Ich bin der Ansicht, daß das zweckmäßige und ideale Symbol der natürliche Gegenstand ist, daß ein Mensch, der ,Symbole‘ verwendet, sie so verwenden muß, daß ihre symbolische Funktion sich nicht aufdrängt; so, daß wenigstens ein Sinn und die poetische Qualität der Stelle für diejenigen bestehen bleiben, die das Symbol nicht als solches verstehen, für diejenigen also, denen zum Beispiel ein Falke ein Falke bleibt.

Man könnte annehmen, daß das wiederholte Anraten des natürlichen Gegenstandes für das Symbol nicht mit Pounds Interesse an der japanischen Dichtung zusammenhinge und daß dergleichen Prinzipien eher von jenen französischen Dichtern abgeleitet wurden, die recht ungenau unter dem Titel „Symbolismus“ eingeordnet werden. Aber an dem Artikel über den Vortizismus, aus dem wir weiter oben zitierten, wird klar, daß eine solche Annahme kaum stichhält. Pound beginnt hier mit einer theoretischen Auseinandersetzung:

Die andere Art der Dichtung ist ebenso alt und ehrenwert wie die lyrische, hatte jedoch bis vor kurzem keinen Namen gefunden. Schon Ibykos und Liu Tsch’e brachten das image (das Bildhafte). Kraft dieser Gabe ist Dante ein großer Dichter – und Milton mangels dieser Gabe ein Salbaderer… Imagisme ist kein Symbolismus. Die Symbolisten machten in ,Assoziation‘, also in einer Art Anspielung, fast in einer Allegorie. Sie erniedrigten das Symbol zum Stand eines einzelnen Wortes… Die Symbole des Symbolisten sind festgelegte Größen wie die Zahlen der Arithmetik… Die images des Imagisten sind veränderliche Größen wie die Zeichen a, b und x in der Algebra… Der Sinn des Imagisme ist nun eben der, Anschauliches nicht als Ausschmückung zu verwenden.

Er geht vom Theoretischen zur Veranschaulichung über und bringt Beispiele aus der japanischen Dichtung:

Die Japaner haben den Sinn für Erkundung besessen. Sie haben das Schöne dieser Art des Erkennens erfaßt. Ein Chinese sagte einmal vor langer Zeit, daß ein Mensch, der das, was er zu sagen hat, nicht in zwölf Zeilen fassen kann, lieber schweigen sollte. Die Japaner haben die noch kürzere Form des Hokku entwickelt.

Behält man diesen japanischen Einfluß im Auge, so ist es verhältnismäßig leicht, den Bezug zwischen Pounds wohlbekannter Definition des image, seinen anderen theoretischen Schriften und seiner Dichtung herzustellen. Seine Definition des image lautet:

Ein image ist etwas, das einen intellektuellen und emotionalen Komplex innerhalb eines Augenblicks darstellt… Die Darstellung eines solchen Komplexes innerhalb eines Augenblicks erzeugt ein Gefühl plötzlicher Befreiung und Lösung aus zeitlichen und räumlichen Schranken, ein Gefühl jähen Wachsens, wie wir es vor großen Kunstwerken erleben.

Erstmals in Poetry (März 1913) veröffentlicht, erscheint diese Definition ein Jahr nach der dichterischen Gestaltung seines Erlebnisses in der Metro nach dem Haiku-Prinzip. Der Nachdruck liegt hier nicht so sehr auf der poetischen Funktion des image, wie auf der auslösenden Wirkung im wahrnehmenden Bewußtsein, eben das „jähe Wachsen“. Sonst findet sich eine Darstellung des image auf Grund seiner subjektiven Auswirkung wohl nur in dem Bericht über das Entstehen des Gedichtes in der Métro, wo der Dichter von der gleichen „jähen Emotion“ spricht. In beiden Aufsätzen betont er die jähe und transzendierende Offenbarung, die das image dem Dichter und dem Leser gewähre. Pounds Äußerungen hierzu bilden, so gesehen, eine Einheit, in der sich Theorie und Praxis fast vollkommen ergänzen.
Ein anderes Problem erhebt sich hinsichtlich der großen Spaltung der Imagisten, als Pound sich dem Vortizismus zuwandte, die anderen sich aber Amy Lowell anschlossen. Der Streit selber ist ein ödes und nicht sehr aufschlußreiches Stück Literaturgeschichte. Die Frage, die uns hier angeht, wäre, ob Pound damals, wie häufig angenommen, seine ästhetische Theorie änderte. Befaßt man sich etwas eingehender damit, erkennt man bald, daß dies keineswegs zutrifft. Aus Pounds Artikel über den Vortizismus im Fortnightly wird ganz klar, daß der „Vortex“ eine Metapher für das „image“ darstellt – ein Schwall von Empfindung und Bedeutung schießt in den psychologischen oder ästhetischen „Wirbel“ (Vortex), den das image hervorruft. Darüber hinaus erklärt er schlechthin:

Gemäß seiner Ankündigung umfaßt der Vortizismus bestimmte Mal- und Bildwerke und, in der Verskunst, den imagisme. Ich werde den imagisme erläutern und dann dazu übergehen, seine innere Beziehung zu gewissen modernen Bildern und Skulpturen aufzuweisen.

Die neue Flagge des Vortizismus war ein Vorwand, um begabtere Künstlerkollegen zusammenzuschließen und dadurch den „Amy-gismus“ wirksamer zu bekämpfen. Da Pounds Gedichte zu jener Zeit keinen jähen Wandel aufweisen, der sich Wyndham Lewis oder Gaudier-Brzeska zuschreiben ließe, wäre es falsch zu behaupten, daß der Vortizismus mehr als eine Änderung des Namens und des Orts der Handlung mitbrachte.
Es ist sicher richtig, die neue Phase in Pounds Werdegang mit dem Umstand einsetzen zu lassen, daß Mrs. Mary Fenollosa ihm im Jahr 1912 die Notizbücher ihres Gatten, des Japanologen und Kunsthistorikers Ernest Fenollosa (1853–1908) im Manuskript übergab. Dies zeitigte einmal die Bearbeitungen von Fenollosas Rohübersetzungen der Nō-Spiele, die im Jahr 1916 veröffentlicht wurden. Und im Jahr 1920 war es ihm denn auch gelungen, in seinem Essayband Instigations ein wichtiges, wenn auch umstrittenes Stück aus dem Fenollosa-Nachlaß unterzubringen, das er „Das chinesische Schriftzeichen als Organ für die Dichtung“ nannte.
Die anhaltenden Kontroversen über diesen Essay sind zu einem großen Teil auf eine in solchen Fällen nicht ungewöhnliche Tendenz zurückzuführen, Argumente durch persönliche Angriffe zu ersetzen. Auf der einen Seite hat man Pound verlacht, weil er sich übernommen habe und das Wesen des chinesischen Schriftzeichens von falschen Voraussetzungen anginge, und auf der anderen hat man seine Gegner als geistlose Pedanten verunglimpft, die nicht imstande wären, über ihre Wörterbücher hinauszusehen. Der Kern der Sache aber läßt sich, so kompliziert sie ist, in den Hauptzügen klar umreißen.
Pounds Beschäftigung mit der übersetzten japanischen und chinesischen Dichtung hatte den Boden für sein Interesse an der Schriftsprache beider Länder vorbereitet. Die Verlagerung des Schwerpunktes vom Japanischen aufs Chinesische ging um so leichter vonstatten, als sich beide Sprachen der chinesischen Schriftzeichen bedienen und schon Fenollosa seine chinesischen Kenntnisse von japanischen Gelehrten erworben hatte. Über die Beschaffenheit des chinesischen Schriftzeichens gibt es zwei diametral entgegengesetzte Auffassungen. Die eine, die „alte“ Schule, der Fenollosa und daher auch Pound angehören, ist der Ansicht, daß das Schriftzeichen im Grunde ideographisch sei, ein stilisiertes Bild, eine stilisierte Zeichnung des dargestellten Gegenstands oder Begriffes, und daß sich die Dichter beim Schreiben der ursprünglichen, bildlichen Bedeutung der Zeichen sehr wohl bewußt sind. Die zweite Schule vertritt die derzeit vorherrschende, maßgebliche Ansicht, daß das Schriftzeichen sich wohl in vorgeschichtlichen Zeiten aus ideographischen Ursprüngen entwickelt haben mochte, daß diese bis auf einige Ausnahmen verlorengegangen seien, und daß sich die chinesischen Schriftsteller beim Schreiben der Zeichen ihrer bildlichen Bedeutungen jedenfalls nicht mehr bewußt sind. Aus vielerlei Gründen haben Pound und Fenollosa unrecht, und die „Pedanten“ recht. Zunächst einmal kann jeder, der im Lesen und Schreiben des Chinesischen oder Japanischen eine gewisse Fertigkeit erreicht hat, bestätigen, daß man sich im Umgang mit der Sprache der ideographischen Aspekte der Wörter ebenso wenig bewußt wird, wie etwa im Umgang mit der englischen Sprache der griechischen oder lateinischen Wortwurzeln. Betrachten wir dann die Beschaffenheit der Sprache an sich, so erkennen wir, daß die chinesischen Schriftzeichen wurzelgelöste Chiffren für Wörter sind, daß die Sprache an sich also aus „toten“ Metaphern besteht und eine der Aufgaben des Dichters darin liegen muß, die abgenutzte Sprache immer wieder zu erneuern. Das semantische Problem der Sprache, insbesondere der dichterischen, wäre kaum zu bewältigen, wenn es zum Verständnis der Sprache notwendig wäre, jede tote Metapher oder jede Komponente eines Schriftzeichens in seiner ursprünglichen Taufrische zu erfassen. Pound erkennt dies und erkennt es auch wiederum nicht. Wenn Fenollosa schreibt: „Die Aufgabe der Schriftsteller und der Dichter im besonderen liegt vor allem darin, sich an dem allmählichen Aufbau der Sprachzellen zurückzutasten“, hängt Pound eine Fußnote an:

Ich möchte bescheiden anheimstellen, daß dies auf die Übersetzung antiker Texte anwendbar wäre. Gestaltet der Dichter Probleme seiner Zeit, so muß er auch zusehen, daß ihm die Sprache nicht unter der Hand versteint. Seine Aufgabe ist es, neuen sprachlichen Errungenschaften längs der Wachstumslinien der echten Metapher, das heißt, der sinngebenden Metapher, Bahn zu brechen, die ja der unechten oder ausschmückenden Metapher diametral widerläuft.

Er sieht nicht, daß er hier seinem eigenen Hauptargument widerspricht, da doch die „alten“ Dichter demselben Problem gegenüberstanden wie die neueren. Wir können ja in der Geschichte gar nicht bis zu dem Punkt zurückgelangen, wo jedes chinesische Schriftzeichen ein magisches Bild des dargestellten Gegenstandes war. Seine Erwartungen hierin sind eher primitivistisch als realistisch zu nennen. Er erinnert in diesem Punkt in bemerkenswerter Weise an Francis Bacon und Sir Thomas Browne, die vermeinten, die westliche Welt habe mit dem Chinesischen vielleicht die ursprüngliche Sprache, die Sprache vor dem Turmbau zu Babel, wiederentdeckt, die den europäischen Sprachen dadurch überlegen sei, daß die Schriftzeichen Idee und Laut zugleich darstellten.
Wenn Pounds Fehlinterpretation den Gelehrten Anlaß zu einiger Heiterkeit bot, wenn sie zudem in seinem Werk inkonsequente Transliterationen oder vom Setzer auf den Kopf gestellte Schriftzeichen entdeckten, so sollte uns das nicht von der Kernfrage ablenken: wieso Pound einen Fehler begehen konnte, der doch einen Widerspruch in seine Gedankengebäude bringt. Überzeugend würde die Sache indessen, ließe sich seine Auffassung vom chinesischen Schriftzeichen mit den anderen Grundansichten seiner Poetik koordinieren. Ihm, wie Fenollosa vor ihm, scheint dieser Fehler unterlaufen zu sein, weil ihn die dichterischen Möglichkeiten der ideographischen Schreibweise bestachen. Und wirklich mußte einem Dichter, der das Englische nach neuen Bildern oder Metaphern durchforscht hatte – Metaphern von Dingen, Farben, Lauten und Vorstellungen, die sich mittels der sechsundzwanzig Buchstaben oder Laute des Alphabets darstellen ließen – die Möglichkeit einer Welt, worin ein festgelegtes Bild (das in der gesprochenen Sprache zum Laut wird) durch ein Ideogramm wiederum in ein image zurückverwandelt und sichtbar gemacht wird, wie die Entdeckung eines neuen Kontinents vorkommen. Um bei seinem eigenen Beispiel des natürlichen Sinnbilds zu bleiben: wenn das Wort „Falke“ für den phlegmatischen Leser einen bestimmten Vogel bedeutet und dennoch in einem imagistischen Gedicht einen vielschichtigen Wert darstellen kann, welch zusätzliche Sinn fülle mag es dann erst erhalten, wenn es nicht F-a-l-k-e buchstabiert, sondern als „Bild“ geschrieben würde, worin die rechte Komponente „Vogel“ bedeutet und die linke „Familie“ oder „Sippe“? (Die scharfsinnigen Überlegungen, warum „Vogel“ plus „Sippe“ gleich „Falke“ sei, oder wie andere Schriftzeichen zu zerlegen wären, bilden einen harmlosen Zeitvertreib, dem Neulinge im Chinesischen und Japanischen gern nachhängen.) Pounds Begeisterung für die angeblich ideographische Eigenschaft des chinesischen Schriftzeichens ist durchaus verständlich: er projizierte einfach seine Theorien über das image auf ein Gebiet, in dem andere Raumverhältnisse vorherrschen. Außerdem darf man nicht vergessen, daß er ein image als „einen intellektuellen und emotionalen Komplex innerhalb eines Augenblicks“ definiert hatte, eine Definition, die eine gewisse Tendenz zum Abstrakten in seine Theorie des Anschaulichen bringt, was gern übersehen wird. Ein image ist für ihn nicht nur ein „emotionaler“, also sinnenhafter, sondern auch ein „intellektueller“ Komplex. Folglich sprachen ihn sowohl die abstrakten Eigenschaften der sino-japanischen Schriftzeichen an – abstrakt insofern sie nur Chiffren der Dinge sind, die sie darstellen – wie ihre sinnenhaften Eigenschaften, die einmal in den dargestellten Gegenständen vorhanden sind und dann in der gefälligen Gestaltung der stilisieren Schriftzeichen selber. Die Logik seines Irrtums ist die Logik einer poetischen Denkweise, die hier einer Metaphorik ganz neuer Ordnung begegnet.
Am anschaulichsten wird dies in den Pisaner Gesängen, wo er sich der chinesischen Schriftzeichen bedient, als wären es überlagernde images, was sie ja in gewisser Weise auch sind, da sie abstrakte Begriffe visuell verkörpern. Eine Stelle im „Canto LXXIV“ gewährt uns einen derartigen Komplex der Bezüge:

aaaaaaEine Eidechse stand mir bei
aaaaaaDie wilden Vögel mochten kein Weißbrot
aaaaaavom T’aischan bis zum Abendrot
Vom Carrara-Gestein bis zum Turm
aaaund an diesem Tag tat sich die Luft auf
aaaaaafür die Kwannon aller Wonnen
aaaaaaLinus, Cletus, Clemens
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaderen Gebete,
der große Skarabäus vorm Altar gebückt
das grüne Licht gleißt in der Flügeldecke
gepflügt ins heilige Feld und früh die Puppen abgehaspelt
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaain Fasern

im Licht des Lichtes ist die virtù
aaaaaaaaaaaaaa„sunt lumina“ sprach Erigena Scotus ming2
aaaaaaaaaaaaaawie bei Schun auf dem T’aischan
und in der Halle der Ahnen
aaaaaaaaaaaaaawie vom Anfang aller Wunder
der Paraklet zugegen in Yao, das Präzise
in Schun dem Barmherzigen
in Yu dem Wegweiser der Wasser

Wir haben hier zwei Metaphern-Reihen: die Eidechsen/Skarabäus-Vorstellung und die Licht-Vorstellung. Der Abschnitt beginnt mit der Wiedergabe von Tieren aus der Umgebung des Erzählers, vielleicht als Anspielung auf die biblische Geschichte von Elias, der von den Raben ernährt wurde, und das Eidechsen/Vogel-Image wird zu einem Skarabäus aus Jade vor dem Altar. Der gleißende, leuchtende Käfer wird der magischen Befruchtung zuliebe auf dem heiligen Feld untergepflügt und verwandelt sich in die Seidenraupe. All das soll uns wohl die Vorstellung einer heiligen Handlung suggerieren: die Gnade des Lichtes und die erflehte Gestaltwandlung. Die Lichtmetapher wird dann aus dem überlagernden „Ideogramm“ entwickelt, das aus den Radikalen für Sonne und Mond besteht und „dämmern“ oder „sich öffnen“ bedeutet (für Pound auch: „Absorption und Rückstrahlung des Lichtes; darum die Intelligenz“). Auf diese Weise ersteht der Begriff einer geistigen Wiedergeburt oder des Lichts als einer geistigen Kraft. Erigena kommt mit dem Ausspruch: „omnia quae sunt, lumina sunt“ („alles was Sein hat, hat es vom Licht“) zu Wort, den er auch auf Shun, den Gott der irdischen Herrschaft, angewandt haben könnte. Das geistige Licht wird als der Paraklet, der Heilige Geist bezeichnet, der vom Himmel herabsteigt und „in Yao gegenwärtig“ war, das Wissen um die Himmelserscheinungen, wie es uns in „Canto LIII“ begegnete:

YAO wie Sonne und Regen
sah welcher Stern im Solstitium steht
sah welcher Stern die Sonnwend bezeichnet.

Dieser Licht-Geist lebte in „Shun dem Barmherzigen“ und daher gerechten Herrscher, und in „Yu, dem Wegweiser der Wasser“ oder dem Geist des Ackerbaus. Yao, Shun und Yu erscheinen hier sowohl als die alten Herrscher der Sage, die diese Tugenden vorlebten, wie auch als deren göttliche Manifestationen. Auf jeden Fall ist das Schriftzeichen ming2 der Glanz von Sonne und Mond und die geistige Morgendämmerung – das überlagernde Ideogramm, das den heterogenen Elementen dieses Abschnittes Zusammenhalt gibt.
Um den Preis eines größeren Fehlers in der Konzeption des chinesischen Schriftzeichens gelang es Pound, seine frühen imagistischen Verfahren auszubauen. Dem Gesichtsverlust stand ein reicher Gewinn in Form von dichterischem Zuwachs gegenüber.
Unter den Notizbüchern, die Pound von Fenollosas Witwe erhielt, befaßten sich viele mit dem Nō-Spiel, dem klassischen, aristokratischen, im Grunde religiösen japanischen Drama. Da Pound das Nō-Spiel stets sehr hoch gewertet hat, und da einige seiner Bearbeitungen für seine Dichtung von Bedeutung werden sollten, ist es erforderlich, den Einfluß dieser Kunstform auf seine Theorie genauer zu untersuchen. Der auffallendste Aspekt seiner Entdeckung des Nō-Spiels ist zunächst die Begeisterung, mit der er darauf ansprach. Es kommt einem oft vor, als ob in all der Erregung und den mutigen Worten, die die Imagisten in ihrem Enthusiasmus für das Haiku fanden, ein Unterton des Zögerns oder der Unsicherheit mitschwingt. Wie kann man sich aber auch, beim besten Willen, auf siebzehn Silben beschränken und sich einen Dichter der englischen Zunge nennen? Doch das Nō rechtfertigte den Glauben, den Pound und andere Dichter in das Japanische gesetzt hatten. Hier sahen sie dieselbe hochentwickelte geistige Kultur am Werk, die sie im Haiku gefunden hatten, das gleiche Genie für die Entwicklung der Stilmitel, das nunmehr eine auf ziemliche Länge durchgehaltene Form hervorbrachte, eine dramatische Form, die sich am ehesten dem klassischen griechischen Drama vergleichen ließ. All das schwingt in Pounds Entdeckerfreude mit; die ausdrückliche Feststellung in einem Brief an Harriet Monroe spricht für sich:

Beiliegend das japanische Stück [Nishikigi] für das April-Heft. Es gibt uns einige Daseinsberechtigung… Ich glaube, Sie werden mit mir übereinstimmen, daß dieser japanische Fund der größte Glücksfall seit Gründung der Zeitschrift ist. Ich ordne dieses Werk auch nicht in die übliche Katagorie von Übersetzungen ein. Eher hätte es kaum kommen können. Die früheren Versuche, japanische Dichtung ins Englische zu übertragen, sind langweilig und läppisch… Sie werden sehen, daß W.B. Yeats [der Ende Januar 1914 nach Amerika abgereist war] ebenfalls ganz Feuer und Flamme dafür ist.

In den drei kurzen Absätzen, aus denen seine Einleitung zu den Fenollosa-Pound Versionen besteht, legt er sein Urteil in einer – nicht ganz zutreffenden – historischen und kritisch wertenden Weise dar:

Das Nō ist zweifellos eine der ganz großen Kunstformen der Welt und vielleicht auch eine der undurchsichtigsten.
Im 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung begründeten Kunstbeflissene am japanischen Hof den Teekult und das Spiel des „Auf-Weihrauch-Lauschen“.
Im 14. Jahrhundert schufen die Priester, der Hof und die Schauspieler eine dramatische Form, die nicht minder subtil ist.

Die einzige umfangreiche Sammlung englischer Übersetzungen des Nō, die sich vom Dichterischen her mit Pounds Übersetzung vergleichen ließe, ist die von Arthur Waley, der fraglos einer unserer großen Übersetzer ist, und zwar allein schon dank seiner Version des Genji Monogatari, nach Murasaki Shikibus Roman aus dem Beginn des 11. Jahrhunderts. Waleys Übersetzungen, unter dem Titel The No Plays of Japan (1920) veröffentlicht, wurden mit Gelehrsamkeit und Einfühlungsvermögen erarbeitet und stellen sozusagen die maßgeblichen englischen Texte dar. Die Pound-Fenollosa-Version ist eine dichterische Übersetzung. Gewissenhaft sofern es ihm die Vorlage gestattete, jedoch in den historischen, literarischen und sprachlichen Zusammenhängen unbeschlagen, hatte sich Pound mit seiner Bearbeitung eine unmögliche Aufgabe aufgebürdet. Sehr oft ist ihm der Wurf gelungen, und wo das der Fall ist, sind seine Übersetzungen denen Waleys nicht selten überlegen. Aber häufig mißlingt der Versuch auch. Den Schluß von Kinuta hat er so verpfuscht, daß er keinen Sinn mehr ergibt, und Sotoba Komachi ist völlig unerklärlicherweise auf zwei nichtssagende Seiten reduziert, wo Waley für dasselbe Spiel elf Seiten braucht. Einige Schnitzer müssen Fenollosa oder der Skizzenhaftigkeit seiner Notizen angekreidet werden, aber es gibt keine Entschuldigung für die Einleitung zu Aoi no Uye, die eine an sich schöne Übersetzung auf den Kopf stellt. In Anbetracht von Pounds großen dichterischen Fähigkeiten ist auch Hagoromo eine Enttäuschung, vielleicht die größte von allen. Er hat das Stück vollkommen verstanden, vieles davon ganz herrlich wiedergegeben und dann das Ende des Stückes, eine der schönsten Passagen des Nō, in eine Prosa gefaßt, die gegen den Schluß zu schwerfällig dahinholpert.
Seine eigentlichen Glanzleistungen sind Suma Genji, Tsunemasa, Aoi no Uye, Genjō, Kumasaka, Kagekiyo, Kakitsubata und Nishikigi – vielleicht in dieser ansteigenden qualitativen Reihenfolge. Außer dem Zusammenhang kann man von diesen Stücken eigentlich nur die lyrischen Passagen zitieren, so etwa die Worte des von der Liebsten getrennten Liebenden in Nishikigi, die einen Begriff von der Schönheit dieser Übersetzungen vermitteln:

Uns faßt ein Frösteln, wie kalt ist der Herbst!
Die Nacht bricht herein…
CHOR: (spricht die Worte des Mannes weiter)
Und es stürmt. Die Bäume geben das Laub auf,
geschüttelt von plötzlichen Schauern.
Herbst! Unsere Schuhe sind durchnäßt
von den taufeuchten dichten Laubhaufen.
Die Berge werfen den ewigen Schatten.
Die Eule ruft aus dem Efeu,
der schwer an den Föhren hängt.

Noch eine andere Stelle verdient zitiert zu werden – sowohl ihrer eigentümlichen Schönheit wegen, als auch wegen der Lichtvorstellung darin, die mit der gleichen Vorstellung der Cantos in Zusammenhang steht. Die Verse stammen aus Kakitsubata, wo der Geist der Kakitsubata (Iris) von ihrer Leidenschaft für Ariwara no Narihira, einem Höfling von legendärer Verführungskunst und einem der größten Dichter Japans, erzählt. Das Verhältnis währte nur kurze Zeit, und nun wird die Seele der Toten zwischen ihrem Verlangen nach Narihira, ihrem Stolz, daß er sie nie vergessen konnte, und der Notwendigkeit einer buddhistischen Erlösung durch Verzicht auf alle irdischen Reize zerrissen.

Im Zeitlichen hier
weht und weht nur der Herbstwind
und die Wildenten schrein: „Kari!… Kari!
Ich, die ich spreche, ein unsteter Schatten,
eine flüchtige Form, dahingetrieben wie alle,
ich bin gekommen den Menschen zu leuchten.
Und mögen sie mich auch nicht erkennen.

Ein Licht, das nicht ins Dunkel lockt

Das image, das von der abgesetzten Zeile hervorgehoben wird, verrät uns, daß Pound von der Überlagerungs-Technik des Haiku so angetan war, daß er der günstigen Gelegenheit, das image der letzten Zeile von den vorangehenden, mehr beschreibenden Aussagen abzuheben, sogar beim übersetzen andersartiger Texte nicht zu widerstehen vermochte.
Im ersten Überschwang hielt Pound seine Bearbeitungen für Umdichtungen – und tatsächlich weisen diese schönen Verspassagen vieles auf, was nicht nur von seinem ureignen Stil zeugt, sondern auch vieles, das sich vom Original unterscheidet. Doch frühstens im November 1927 hatte er, vielleicht auf Grund der Lektüre von Waleys Übersetzung, möglicherweise auch auf Grund anderweitig erworbener Kenntnisse eingesehen, daß seine Fassungen ziemlich lückenhaft waren und daß ihm bei diesen Spielen manches nicht so recht gelungen war. Denn am 9. November schrieb er an Glenn Hughes, er würde seine Übersetzungen gern noch einmal überarbeiten, falls er einen sachkundigen Mitarbeiter fände und die Auflage soviel abwerfen würde, daß sich der Zeitaufwand lohne. Sowohl Japan wie der Westen dürfen es sich als schwerwiegenden Verlust für ihre Dichtung anrechnen, daß es zu dieser Überarbeitung niemals kam.
Die Bemühungen, das Nō zu verstehen und zu übersetzen, hatten indes seine poetische Theorie um ein ganz wesentliches Element erweitert, ein Element, das sich etwa zu der Zeit, da er sich dem Vortizismus anschloß, in seinen Schriften niederschlug.
„Ich werde oft gefragt“, schreibt er in The Fortnightly (1. September 1914) „ob es auch ein längeres vortizistisches oder imagistisches Gedicht geben könne. Die Japaner, die das Hokku entwickelten, haben auch das Nō-Spiel entwickelt. In den besten Nō-Spielen besteht der ganze Text zuweilen aus einem einzigen image. Ich meine, er reiht sich einem image an. Die Einheit beruht hier in einem image, das durch Tanz und Musik noch gesteigert wird. Ich wüßte nicht, was gegen ein längeres vortizistisches Gedicht spräche.“
Er macht diesen Standpunkt über den Aufbau des Nō mindestens noch zweimal geltend, am ausführlichsten in der Anmerkung am Ende des Schauspiels Suma Genji. Dort schreibt er, das Nō besäße etwas, was man als „Einheit des image“ bezeichnen könne:

Zumindest sind die wesentlichen Nō-Spiele alle auf die Potenzierung eines einzigen bestimmten Bildes hin angelegt: der roten Ahornblätter und der Schneegestöber in Nishikigi, der Kiefern in Takasago, der blau-grauen Wasser- und Wellenmuster in Suma Genji, und des Federmantels in dem danach benannten Spiel Hagoromo.

So geschrieben im Jahr 1916, zwei Jahre nach seinem Artikel über den Vortizismus.
Eine zusätzliche Bedeutung gewinnt das Nō als Quellenmaterial der Cantos, wie sich anhand der zahlreichen Anspielungen auf einzelne Nō-Spiele zeigen läßt, die sich zuweilen offenkundig, dann wieder fast unkenntlich, durch das Gedicht ziehen. Ab und zu, wie in „Canto LXXIV“, wird auf eines der Spiele unmittelbar Bezug genommen:

XAPITEΣ     vielleicht in der linden Luft
den Mast von der Linken umklammert
in dieser Luft wie von Kwannon
Enigma, achtlos der Zeit und Gezeiten
doch diese Luft treibt sie landein a la marina
die große Muschel von den Seen gehoben
aaaaaaaaaaaaaaaaanautilo biancastro
Keineswegs ein geordneter Dante’scher Aufstieg
sondern wie Winde raumen

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaatira libeccio
nun Genji in Suma                    , tira libeccio
aaaaaawie Winde raumen, wie das Floß hintreibt
aaaaaaund die Stimmen

Hier werden mehrere verwandte Gestalten zusammengesehen, angefangen mit dem Hinweis auf die Chariten bzw. auf die christliche Nächstenliebe, die alsbald in dem Bild der Kwannon (chinesisch: Kuan-yin), der buddhistischen Göttin (oder auch dem Gott) des Erbarmens, einer Erscheinungsform der Liebe, aufgeht. „Kwannons“ linke Hand umklammert den Mast, so wie viele ihrer Standbilder in der linken Hand ein Schiff oder einen ornamentalen Gegenstand halten, während die Rechte zum Segen erhoben ist. Ihr heiteres Gesicht, aus dem das Nirwana leuchtet, ist aller Zeitlichkeit entzogen, sogar der Zeitlichkeit, die sie über das Meer herführte. Nun wird sie in die Figur der Venus übergeblendet, einer anderen Gestalt der Liebe, muschel getragen über steigende Wogen, ihr Weg, stürmischer als Dantes geordneter Aufstieg zum Paradies, führt über aufgewühlte Wellen, wie jene, die sich am Ufer brachen, als Prinz Genji nach Suma verbannt war. Wir erinnern daran, daß Pound das image der „blau-grauen Wasser- und Wellenmuster“ rühmte, mit dem Suma Genji und nun auch diese Canto-Stelle zu einer Einheit zusammengeschlossen werden. Die sturmgepeitschten Seen werden zu dem Meer, worin das Floß des Odysseus vor der Küste Phäakiens zerschellt. Pound hat sich Motive aus ganz heterogenen Literaturen entliehen, doch diese Motive fügen sich von selber zu einer Form, der Form des zusammenschließenden image, wie wir es im Nō erkannten.
Hier sollte noch ein Punkt, den wir bereits im Vorbeigehen streiften, erwähnt werden: Es ist ein allgemeines Strukturprinzip der Cantos, daß zahlreiche Mythen, Fabeln und historische Begebenheiten sich um ein paar System-bildende Archetypen ordnen, etwa so wie an der Stelle, wo die Gestalten der Kwannon und der Venus ineinander übergehen. Wenn auf der subjektiven Seefahrer-Karte oder dem „periplus“ nur die Umrisse der Küste (nicht die Namen) eingetragen sind, so dürfen wir einen weithin sichtbaren Berg nach Belieben benennen – Fujiyama, Vesuv oder T’aischan. Diese Methode kommt in den Cantos so häufig zur Anwendung, daß sie als eines ihrer wichtigsten strukturellen Prinzipien gelten muß.
Der Zusammenschluß heterogener Motive mittels sinngebender Archetypen ist demnach ein weiterer Nachweis der Ableitung eines formalen Verfahrens aus der japanischen Dichtung, in diesem Fall dessen, „was man als ,Einheit des Image‘ bezeichnen möchte“, jenes Verfahren des Nō-Spiels also, das in Pounds Augen ein längeres vortizistisches Gedicht erlaubte. Die Skala solcher archetypischer bildhafter Nenner in den Cantos ist beträchtlich. Manche von ihnen entstammen dem üblichen Dichter-Bestand, so das Licht; bei anderen handelt es sich um Motive der Literatur, so die Fahrten der Odyssee oder die Wanderung der Göttlichen Komödie; andere wiederum sind menschliche Tätigkeiten, die zu metaphorischer Bedeutung erhöht worden sind, so die Handelsgeschäfte; andere wiederum sind ortsgebundene images, denen Pound Sinngehalt oder Schönheit zuspricht, so das Wellenmuster-image, das auf Suma Genji anspielt; dazu kommen dann die ausschließlich Poundschen Bild-Nenner. Aus den vielen möglichen Beispielen seien einige ausgewählt, einmal um das Verfahren zu veranschaulichen, dann um aufzuzeigen, wie häufig die Verwendung japanischen Quellenmaterials unmittelbar damit verbunden ist. Wir wählen drei Motive aus den Cantos: die göttliche Erscheinung, „den heiligen Einfluß des Lichts“, wie John Milton es bezeichnete, und die „goldene Mitte“.
Als Bild-Nenner für die göttliche Herabkunft in „Canto LXXX“ kann man sehr wohl das Hagoromo-Motiv auffassen, da dieses Spiel für Pounds Vorstellungswelt so viel bedeutet hat – es schließt die anderen Epiphanien in sich:

„Bei uns gibt es kein Falsch“
aaaaasprach die Mondnymphe      immacolata
aaaaaGib meinen Mantel zurück,
hagoromo.
aaaaahätt ich die Wolken des Himmels
aaaaaaaaaawie Nautilusse an den Strand geschwemmt
aaaaain ihrem Massensterben
aaaaaaaaaawie Winden landeinwärts getrieben
und das Meer hat sich kupfern verfärbt,
aaaaasmaragd grün in der Räumte

Zu Ephesus jammerten sie die Silberschmiede
aaaaada offenbarte sie den Paraklet
aufrecht in der Beuge
aaaaades Mondes et in Monte Giojosa
aaaaindes Lerchen steigen am Allegre
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaCythera egoista

Die Stelle beginnt mit einem Zitat und fährt mit einer Paraphrase aus Hagoromo fort. Bei uns Unsterblichen gibt es keine Lüge, so gib mir meinen Federmantel zurück, und ich tanze, „den Tanz der heiteren Nachthimmel“, den ich dir versprach, sagt der Tennin in Hagoromo dem Sinn nach zum Fischer und tanzt dann hinan in das perlmuttfarbene Wolkengefieder über dem Berge Fuji. Pound faßt die Erscheinung als „Mondnymphe“ auf; er muß dabei Diana vor Augen gehabt haben, die Mondgöttin, die ja auch zur Erde herabsteigt und (wie der Tennin) beim Baden überrascht wird, von dem unseligen Aktäon – der kurz nach der oben zitierten Canto-Stelle erwähnt wird. Das dem Tennin beigelegte Attribut „immacolata“ erinnert an das Erscheinen des Heiligen Geistes bei Maria. Die „Nautilusse an den Strand geschwemmt“ gemahnen uns, wie schon die früher zitierte Stelle, an die Muschel der Venus. Ihre Vorliebe für die Silberschmiede führt uns von ihrer Lieblingsinsel nach Ephesus hinüber mit den christlichen Anklängen, wie in der nächsten Zeile mit der Erwähnung des „Trösters“ (des „Paraklets“) klar erkennbar wird. Unser Zitat endet mit einem wiederholten Hinweis auf die kytheräische Aphrodite.
Immer und immer wieder begegnet man in den Cantos dem Bild-Nenner des Lichts. So zeigt etwa die bereits zitierte Stelle, wo von Erigenas Lehre die Rede ist: „alles Seiende ist Licht“, das Schriftzeichen ming2, als ein überlagerndes image. In der Tat ist das Licht der metaphorische Nenner für den ganzen Komplex der Cantos.
Es gibt viele Zähler über diesem Nenner. Ein Beispiel mag zeigen, wie sich die Bild-Motive der himmlischen Herabkunft und des Lichts an einer Stelle wie der folgenden aus „Canto XXIX“ nahtlos und unaufdringlich zusammenschließen lassen.

aaaaaaaaaaBraun-topasen die Augen,
Quickborn über braunem Sand
Die weißen Hunde am Hang,
Eilende Wasser, Lichter und Steven,
Silberne Schnäbel der Nacht ausmündend,
Stein, Ast über Ast,
aaaaaLichtergetaumel im Wasser
Föhren gewinkelt zu ihrem Schattenstamm
Und auf dem Hang nichts als Schattenstämme
Die Bäume ertrunken in Luft.

Diese Canto-Stelle bringt die einstige Schönheit und das einstige Licht in krassem Gegensatz zu dem derzeitigen „Stand der Dinge“. Eine ganze Reihe nun schon vertrauter Bilder wird ins Gedächtnis zurückgerufen: Dianas Bachflor und die weißen Hunde Aktäons aus „Canto IV“, die Laternen auf dem Silberbug der Gondeln aus „Canto XVII“; die Kiefern erinnern an die heiligen Stätten von Takasago und Ise („Cantos IV“ und XXI), all das von Finsternis verhüllt, wo ehmals alles Licht war, und das Ganze verschwimmt in der lichtgetränkten Luft, so wie auch der Berg Fuji im flimmernden Dunst verschwimmt (jedenfalls in Pounds Version von Hagoromo), indes der Termin in seinem Federmantel an den wolkenfiedrigen Himmel emportanzt.
Der metaphorische Nenner der „Mitte“ oder des „goldenen Mittelwegs“ von Konfuzius wird durch das Schriftzeichen chung, verkörpert, das „Mitte“, Mittelpunkt“, „Mittelweg“ usw. bedeutet (für Pound auch: „gerechter Ablauf“ und „Angelzapfen“). Der erste Niederschlag von diesem image, das wirklich eher „einen intellektuellen Komplex“ als ein image im üblichen dichterischen Sinn darstellt, ist wohl eine Stelle in „Canto XIII“, wo er Konfuzius sagen läßt:

„Ins Unmaß verfallen kann jeder,
„Übers Ziel zu schießen ist leicht
„Schwer unentwegt in der Mitte zu stehen.“

Obwohl es in einem großen Teil des Gedichts mitschwingt, bekommen wir nichts mehr davon zu hören, bis in „Canto LXX“ ein Brief von John Adams, dem zweiten amerikanischen Präsidenten, zitiert wird. Wieder erscheint das Ideogramm im unmittelbaren Zusammenhang als überlagerndes image, fungiert jedoch im weiteren Zusammenhang des Gedichts als Bild-Nenner.

Amerikaner viel schneller verleitet zu unlautren
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaWahlpraktiken
aaaaaaaaaaaaals ich ’74 gedacht
gestellte Worte wie „Monarchie“ und „Republik“
Ich bin fürs Auswichten              chung1

Dieses image kommt in den Pisaner Gesängen, wie zwei Stellen aus „Cantos LXXVII“ und LXXXIV zeigen mögen, öfters vor.

aaaaaaaaaaaaeine Art
Pegel auf den die Dinge gern zurücklaufen
aaaaachung1
aaaaaaaaaain der Mitte
ob lotrecht oder waagrecht

John Adams, die Brüder Adams
aaaaadort unser geistiger Pegel
unsere
aaaaader wir huldigen mögen

Es ist für die heterogenen Cantos, die allein durch solche Bild-Nenner zusammengeschlossen sind, bezeichnend, daß der letzte Pisaner Canto mit einer Huldigung an diese amerikanischen Staatsmänner, die Gesetzgeber, endet, und zwar mit einem chinesischen Schriftzeichen, das ein chinesisches (und universales) sittliches Ideal ausdrückt. Bezeichnend auch, daß Pound dafür Stilmittel nimmt, die er in der Dichtung und im Drama der Japaner gefunden hat – ein image, das zugleich eine „Form der Überlagerung“ und ein Nenner ist. „Dort“, um sich nochmals der Worte Pounds zu bedienen, „dort ist unser geistiger Pegel“.
Selbstverständlich werden noch viele andere japanische Elemente vom breiten Strom der Cantos aufgenommen. Aber die hauptsächlichen Auswirkungen des Japanischen auf Pounds Denken und Schaffen finden sich dort, wo die japanische Kunst über Whistler seine frühen Arbeiten beeinflußte und wo die Dichtung und das Drama Japans ihm in der Dichtung seiner reifen Jahre immer wieder neue sinnträchtige Formen erschloß. Der Einfluß Chinas auf seine Vorstellungskraft war gewaltig, aber er bestand vor allem im Denkerischen und in einem historischen Ideal. Doch als Dichter, der sich mit Problemen der Form, des Stils und der Anschaulichkeit befaßt, steht er tief in der Schuld Japans.
Die kühnste und zukunftsträchtigste Äußerung Pounds über die Bedeutung der kulturellen Rolle Japans für die heutige Welt findet sich in einem Brief an den japanischen Dichter Katue Kitasono, worin er der Hoffnung Ausdruck gibt, daß die japanische Dichtung und Kultur dem Westen einmal als Mittler zum Verständnis des Fernen Ostens dienen werde. Pound ist nicht der erste Dichter, dessen Hoffnungen so hoch gespannt waren. Walt Whitman hatte über die gleiche Möglichkeit nachgegrübelt, als er die japanischen Gesandten den Broadway entlangspazieren sah, und schon Fenollosas Zusammenschau von Ost und West hatte in Japan stattgefunden. Amy Lowell und der weniger bekannte Sherard Vines haben auf ihre Weise versucht, Japans Rolle als kultureller Vermittler herauszustellen. Doch Pounds unmißverständliche Aussage erhält ihre Nachhaltigkeit aus der Rolle, die er selbst bei dem Versuch spielte, die Kulturen des Ostens und des Westens in einem gigantischen lyrischen Epos zusammenzuführen.

Earl Miner, aus Eva Hesse (Hrsg.): Ezra Pound. 22 Versuche über einen Dichter, Athäneum Verlag, 1967

Ezra Pound – in memoriam

Le Paradies n’est pas artificiel
(Ezra Pound, „Pisaner Canto LXXVI“)

Daß Ezra Pound ein poetisches Erbe hinterließ, davon legt die zeitgleiche und nachfolgende Generation englischer und amerikanischer Dichter selbstredend Zeugnis ab in der vielfachen Berufung auf sein Werk – seine Poesie und seine Poetik.
Die Texte von Charles Olson, Allen Ginsberg und Basil Bunting dokumentieren poetische und persönliche Spuren der Erinnerung an ihn. Sie wurden hier (Schreibheft Nr. 27) zusammengestellt, weil sie weniger bekannt sind als die vielzitierte dankbare Verbundenheit eines James Joyce, die Würdigung T.S. Eliots an den „besseren Handwerker“ und die Unabdingbarkeit, mit der Ernest Hemingway Pounds Dichtung für alle nachfolgenden verbindlich machte.
Daß Ezra Pound aber zugleich ein viel problematischeres und schwereres Erbe hinterließ, in Gestalt der Frage, wie es hatte möglich sein können, während der Arbeit am „paradiso“ ins Inferno des Faschismus zu geraten, daran gingen die meisten Beiträge zu seinem 100. Geburtstag bei uns so unbedacht vorbei, als hätte sich hier nie die Notwendigkeit gestellt, sich mit diesem belasteten Teil des Erbes reflektierend auseinanderzusetzen. Mehr noch: Mit dem Zwang zur Verurteilung in einer nur vermeindlichen Parteinahme („Die Entfaschisierung des Ezra Pound“ – als ob es darum gehen könnte!) wurde nicht nur das längst vollstreckte Urteil an Pound unbesehen wiederholt, sondern verschärft in dem Maße, in dem es seine Dichtung zugleich liquidierte.

das Zeitwort ist ,sehen‘
aaaaanicht weitergehen
(„Canto CXVI, Letzte Texte“)

In der Zeile „Le Paradies n’est pas atificiel“ aus den Pisaner Cantos, geschrieben nach dem Zusammenbruch im Straflager von Pisa, reflektiert Pound zum ersten Mal das mögliche Scheitern seines poetischen Projekts und seines poetischen Prinzips. Die elementare Erschütterung, aus der heraus diese dichtesten seiner Gesänge noch die ihnen eigene Schönheit beziehen, hat sich in ihn eingenistet und wird am Ende zur „allergrößten Ungewißheit“. Seine Tragik hat gerade darin ihren Grund – und anders könnte von Tragik gar nicht die Rede sein –, daß das Wort ihm nicht mehr genügte.
Mit seinen politischen Aktionen glaubte er ernsthaft, wenn nicht sein „paradiso“ voranzutreiben, so doch das „inferno“ des Krieges, das sich in der Weltwirtschaftskrise ankündigte, verhindern zu können. Daß das Gegenteil der Fall war, mag auch darauf zurückzuführen sein, daß er schon für diese Grenzüberschreitung vom Wort zur Tat, die durch die traumatischen Erfahrungen des ersten Weltkrieges ausgelöst worden war, in seinem literarischen Umfeld keine Solidarität fand. Da er sie immer weniger suchte und damit die Möglichkeit zur Selbstkorrektur ausschloß, wurde sein blinder Aktionismus zunehmend verwirrter bis hin zu seiner fatalen Verstrickung in den Faschismus.
An der pisaner Selbstreflexion Pounds und an den Einblick in seine Tragik, die sie eröffnete, hätte eine ernstzunehmende Auseinandersetzung anknüpfen können. Sie wäre der fruchtbaren Zumutung nicht entgangen, sich einem Widerspruch zu stellen, der weit über Pound hinausgeht: dem Widerspruch des poetischen und des politischen Subjekts. Das innovative poetische Subjekt, auf das niemand im Ernst verzichten kann, verzichtet er nicht ineins auf Kunst, will ein politisches sein, wenn anders seine Kunst mehr sein soll als artifizielles Spiel, und kann es doch nur sein unter dem Zeichen der Tragik. „Le Paradies n’est pas artificiel“

In einer Station der Metro
Das Erscheinen dieser Gesichter
aaaaain der Menge:
Blütenblätter auf einem nassen,
aaaaaschwarzen Ast.

Die kontemplative Kraft dieses Bildes wurzelt nicht allein in seiner Dichte, Prägnanz und Anschaulichkeit – den drei programmatischen Anforderungen Pounds ans „image“. Sie greift umso weiter aus, je klarer die Dimension der bildlichen Synthesis ins Bewußtsein tritt: Hier ist ein Übersprung vollzogen, der meines Wissens von anderen poetischen Arbeiten noch nicht eingeholt worden ist. Ein Übersprung von der Erscheinungswirklichkeit der Moderne zur kalligraphischen Signatur der Natur, die ohne ihre symbolische Überhöhung, nein: gerade indem sie ganz bei sich gelassen ist, sich einschreibt in die Alltäglichkeit einer großstädtischen Wahrnehmung. Ohne Pathos, ohne Emphase, mit der Kühnheit des Schlichten.
„Starlight is almost flesh“ – dies Zitat aus Basil Buntings Briggflatts ist dem vergleichbar im ausgreifenden Bogen vom Subjekt zum kosmischen Objekt – nur: im Gegensatz zum „image“ Pounds ist er, außerhalb moderner Lebenswirklichkeit, in der stillen Sensation mit der Natur gespannt. Nicht in ihrer Subsumption unter den Titel des „Objektivismus“ liegt die Gemeinsamkeit dieser beiden Dichter, sondern in der, wenn auch ganz unterschiedlichen, Arbeit am gleichen Problem.
Charles Olson hat sich in seiner Poetik des „Projektiven Verses“ daran angeschlossen. Ihm ging es nicht nur, unter Berufung auf den „musikalischen Satz“ Pounds, um die Zurücknahme der artifiziellen Metrik in den Rhythmus des Atmens, sondern auch um die Zurücknahme der „Anmaßung“ des westlichen Menschen: nur „wenn er über die Grenzen seiner Natur nicht hinausdrängt, da er ja Teil der größeren Kraft ist, wird es ihm möglich sein zu lauschen, und was er durch sich hindurch hört, werden Geheimnisse sein, die die Dinge mit ihm teilen.“
Allen Ginsberg schließlich wurde nicht ohne Grund zum dichterischen Symbol einer Bewegung, die sich der linearen Progression entfremdenden Fortschritts querstellte, indem sie auf die Male der Zerstörung wies, die sie am eigenen Leib und an der eigenen Seele hinterließ. Darauf, daß seine Sprache mitten im Aufschrei der Gosse, deren Wirklichkeit sie nicht ausgrenzt, sondern genauestens markiert, eine eigene poetische Musikalität entfaltet, hat Ginsberg immer bestanden. Er hat darauf bestanden mit dem Hinweis auf die Durchbrüche, die Pound mit der Poesie des Alltäglichen, mit dem Rhythmus gesprochener Sprache, der Dichtung der Moderne geschaffen hatte. Davon blieb in der zeitgenössischen Lyrik oft nicht mehr als Monotonie, tonlos in Verse gezwungene Banalitäten. „Schönheit ist schwer“ („Pisaner Canto LXXIV“)
Nein, auch das poetische Erbe Pounds ist nicht abgegolten.

„Das Erscheinen dieser Gesichter in der Menge…“ – Der wahrhaft poetische Blick öffnet die Wirklichkeit zum Vorschein des in ihr Verborgenen und Unerfüllten.
Eine Utopie: die alltäglichen Bilder der Moderne würden natürlichen Signaturen mimetisch, „Blütenblätter auf einem nassen, schwarzen Ast.“ Ohne sich selbst regressiv zu verleugnen und ohne sich der Natur durch Bedeutungen zu bemächtigen.
Und ist doch keine Utopie mehr, denn sie hat ihren Topos in diesem Bild schon gefunden. War das nicht ein Schritt auf das Paradiso zu, das nicht „artifiziell“, und das heißt: nun auch nicht künstlich sein kann? „Do not move / Let the wind speak“ – die Vorstellung des Paradieses im allerletzten Canto Pounds ist vor diesem Hintergrund kein Votum für einen Begriff der Natur, die den menschlichen Eingriff überhaupt desavouiert. Sie ist eine Aufforderung des Innehaltens: Bleib still, für einen Moment, und öffne dein Ohr für die ungehörte Sprache der Dinge.

I have tried to write Paradise
Do not move
aaaaaaaaaLet the wind speak
aaaaaaaaaaaaaaathat is paradise.
Let the Gods forgive what I
aaaaaaaaaaaaaaahave made
Let those I love try to forgive
aaaaaaaaaaaaaaawhat I have made.

(„Letztes Canto CXX“)

Der Text „conversation in courtship“ („Schauplätze einer altägyptischen Liebe“), der hier wiederveröffentlicht worden ist, liegt jenseits der innovativen poetischen Formen, die Pound für seine eigene Lyrik fand. Es handelt sich um eine 1958 in Meran entstandene Nachdichtung einer altägyptischen Hieroglyphenhandschrift, die er auf der Grundlage der Übersetzung seines Schwiegersohnes Boris de Rachewiltz, eines angesehenen Ägyptologen, verfaßte. Bisher nur abgelegen publiziert, dokumentiert sie gleichwohl einen Aspekt der Arbeit Pounds, die neben den eigenen Vorstößen in den Ton der Moderne schon mit den frühen Übertragungen aus dem Provenzialischen und den Nachdichtungen altchinesischerTexte aus dem Nachlaß Fenollosas immer auch der „Vergegenwärtigung“ des Alten und Fremden galt. Wieland Schmied hatte dieses Bemühen Pounds anläßlich der ersten Veröffentlichung des Textes treffend formuliert:

Der Sinn seiner Übertragungen war dieser und kein anderer: die Texte wieder in ihrer dauernden Gegenwärtigkeit erlebbar zu machen. „To make it new“, nannte er es selbst. Dieses „to make it new“ sah er als eine Leistung an, die jede Epoche aufs neue zu vollbringen habe.

Frauke Tomczak, Schreibheft, Heft 27, April 1986

 

Adolf Endler: Eine Reihe internationaler Lyrik, Sinn und Form, Heft 4, 1973

 

JETZT, WO EZRA TOT IST

Jetzt, wo Ezra tot ist
werden wir eine Menge Gedichte über
Ezra schreiben müssen und darüber, was er uns bedeutet hat
wer er war und wie er war
und wie es jetzt
ohne Ezra ist.
Ich habe sieben Jahre mit dieser Alkoholikerin
zusammengelebt
und ständig Cantos nach Hause geschleppt
und sie sagte dann immer:
„Um Himmels Willen, schon wieder dieser POUND? Du
weißt doch, dass du den nicht lesen kannst. Hast du auch
Wein mitgebracht?“
Sie hatte recht. Ich konnte Cantos nicht lesen.
Aber ich hatte wie immer Wein mitgebracht
und diesen Wein tranken wir
jetzt.
Ich weiß nicht, wie viele Jahre ich Cantos aus
der öffentlichen Bibliothek geholt und
wieder zurückgebracht habe
in den Regalen der Literatur- und Philosophieabteilung
waren sie jedenfalls immer vorhanden.
Als er starb, bin ich schließlich von Wein auf Bier umgestiegen;
ich denke, er war ein großartiger Schriftsteller
aber nichts für einen so trägen Geist wie mich.
Mir ist dieses aalglatte Zeug einfach zuwider
aber ich fühle mich ihm und Ernie und Gertie und James J. und der
ganzen, in den Klauen des 1. Weltkriegs gefangenen Gang,
die uns die 20er und 30er Jahre auf ihre unverwechselbare Art
nahegebracht hat, trotzdem verbunden; als dann der
2. Weltkrieg losging, hat Ezra auf einen Loser gesetzt und
wurde für 13 Jahre mit den Verrückten weggesperrt und
jetzt ist er mit 87 gestorben und seine Geliebte
allein.

Das hier ist auch nur ein weiteres Ezra-Pound-Gedicht
obwohl ich zugebe
dass ich Cantos nie lesen oder verstehen konnte
aber ich wette, dass ich ihn öfter als alle anderen
herumgeschleppt habe und dass die jungen Typen
heute Abend in der Bibliothek einen Blick
hineinwerfen werden.

Charles Bukowski
Übersetzung: Esther Ghionda-Breger

 

 

Fakten und Vermutungen zur Herausgeberin + Kalliope +
Johann-Heinrich-Voß-Preis
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Nachrufe auf Eva Hesse: FAZ ✝︎ SZ

 

 

Stefan Troller: Ein Mann auf dem Weg zur Toteninsel

Hans Magnus Enzensberger: Überlebenskünstler Ezra Pound

 

 

Michael Reck: Prospero. Ein Gespräch zwischen Ezra Pound und Allen Ginsberg
DU, Heft 9, September 1968

Franco Antonicelli: Ein Besuch bei Ezra Pound
DU, Heft 2, Februar 1967

Pierre Imhasly: Dichtung in vielen Zungen
DU, Heft 2, Februar 1967

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Hans-Jürgen Heise: Ezra Pound zum 80. Geburtstag
Die Tat, 29.10.1965

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Steve Lake: Ezra Pound
Akzente, Heft 5, Oktober 1985

Zum 45. Todestag des Autors:

 

 

Zum 50. Todestag des Autors:

Hans-Ulrich Fechner: Vor 50 Jahren ist der Dichter Ezra Pound gestorben
Die Rheinpfalz, 1.11.2022

Willi Winkler: Bürgerkrieg unter friedlichen Affen
Süddeutsche Zeitung, 27.10.2022

 

 

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Ezra Pound liest Canto XLV.

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