F.J. Czernin / H.-J. Frey: Briefe zu Gedichten

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von F.J. Czernin / H.-J. Frey: Briefe zu Gedichten

Czernin-Frey-Briefe zu Gedichten

… Das bringt mich nun auf die Beziehung zwischen Verstehen und Übersetzen. In unseren früheren Gedanken zum Übersetzen hat es immer eine Rolle gespielt, dass das Ziel der Übersetzung sei, wieder ein Gedicht entstehen zu lassen. Das muss jetzt heißen: es soll ein Text entstehen, der eine ähnliche Werterfahrung beim Leser auslöst wie das Originalgedicht. Diese Werterfahrung ist aber die vorwegnehmende Ahnung des Lesers, in der das, was beim Verstehen zerlegt wird, zwar vage, aber plötzlich und gleichzeitig wahrgenommen wird. Wenn man deshalb das Verstehen und Beurteilen, oder das am Verstehen und Beurteilen, was rational ist, in Ihrem Sinn als eine Möglichkeit sehen will, den Text zu übertragen, so handelt es sich dabei um eine andere Art von Übertragung als beim Übersetzen. Die beim Verstehen stattfindende Übertragung ist immer und zum vornherein einer gewissen Beschränktheit und Einseitigkeit verschrieben. Sie nimmt sich nicht vor und kann sich nicht vornehmen, sich nach der Art des Gedichts erfahrbar zu machen, das heißt, die Erfahrung, die der Leser des Gedichts macht, zu ersetzen. Die Gleichzeitigkeitserfahrung des Ganzen kann nur die des Lesers sein. Was man über ein Gedicht immer sagen mag, wie klug, einfühlsam oder sogar seinerseits dichterisch es sein mag, reicht nie an die Erfahrung heran, die nur der Text selbst auszulösen vermag. Die Übersetzung nun hat das Ziel, genau diese Erfahrung selbst zu ermögliche. Dabei spielt es keine Rolle, ob das je gelingt oder nicht, wohl aber, dass die Übertragung in eine ganz andere Richtung zielt. Daraufhin nämlich, eine Ballung, Dichte, Energie zu erreichen, die jener des Originals entspricht…

Hans-Jost Frey an Franz Josef Czernin

 

 

 

In diesem Buch geschieht etwas recht Seltenes:

zwei mit Literatur beschäftigte Menschen – der Dichter Franz Josef Czernin und der Literaturwissenschaftler Hans-Jost Frey – beginnen – ohne sich sonst weiter bekannt zu sein und ohne Gedanken an ein Publikum – einen Briefwechsel, der sich einer einzigen Sache widmet: der Auseinandersetzung mit und der wechselseitigen Klärung von für das Lesen wie das Schreiben von Gedichten zentraler Begriffe. Zunächst ausgehend von Czernins Beschäftigung mit dem Übertragen von Gedichten aus einer fremden wie aus der sogenannt eigenen Sprache (die ihren Niederschlag in der Veröffentlichung seiner umstrittenen Übersetzungen von Shakespares Sonetten sowie den Gedichten in „elemente, sonette“ gefunden hat), wendet sich das briefliche Wechselspiel von Frage und Antwort, zunehmend auch von Erwiderung und Widerspruch, dem Frage-Komplex der Wertung von Gedichten zu: Wie kann der Wert von Gedichten erkannt werden? Worin kann ihr Wert bestehen? Ist seine Erkenntnis Teil der Erkenntnis von Gedichten? Wie hängen Wert-Erfahrung und Wert-Urteil zusammen? Im offenen, oft auch ungesicherten Charakter der Diskussion liegt der Gewinn für jeden an der zeitgenössischen Poesie interessierten Leser, der mit diesem Buch Anregung zum Nachdenken über grundsätzliche Fragen der Lyrik-Rezeption erhält.

Urs Engeler Editor, Ankündigung, 2003

 

 

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Sehr seltene Single einer österreichischen Band namens YOUNG SOCIETY, drei Singles hat man um das Jahr 1970 herum (immerhin bei Decca) gemacht, hier zu hören die B-Seite der Single Flowers – Songschreiber ist ein gewisser F.J. Czernin – er hatte damals Musik studiert.

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