EH DU ZU SPRECHEN BEGINNST – Ein nicht mehr
aaaaaganz
so heller Tag. Und ein ganzer Schwung Fernen:
aaaaaDrängelt
auf einen Sprung dabei zu sein: Noch tätig in
aaaaaBalkonen
und Dächerfarben, in Bäumen, einem
aaaaaangeschnittenen
Kran vielleicht, die bei sich selber wissen, wie sie die
Lichttaschen des Fensters füllen. Ein Stehen, ein Biegen,
eine an den Rändern etwas unscharfe Ausdehnung, wie
dazu nötig ist, von dieser Einkunft den Kopf zu drehen,
länger zu schauen, mit einer Handbewegung Spannen der
Stille am nächsten zu kommen. Jetzt kannst du Hose,
Hemd und Jacke tragen, dazu eine ganz bestimmte Fähig-
keit haben, und sehen wie leicht es ist, auf die Straße zu
treten, praktisch der Rede nicht wert, verbunden mit
Füßen gegangen zu sein.
die Fenster, Türen, Schuhe, Füße, auch die Bäume, Wolken und Landschaften aus Farhad Showghis Gedichten auf ihre Betrachter und Leser zurück. So fern sind sie, dass sie uns fremd werden, und so fremd, dass wir sie mit neuen Augen sehen können. Sie sind eine Welt, wie Kinder sie vielleicht sehen oder Menschen, die nicht in allem nach Sinn und Bedeutung fragen.
Urs Engeler Editor, Ankündigung, 2008
− Farhad Showghi und Die große Entfernung. −
Was liegt nahe? Die Sinneswahrnehmung und zuvor noch der eigene Körper: Auge und Ohr, Hand und Fuß. Wie aber konstituiert sich daraus eine Wirklichkeit, eine für das Individuum verbindliche Welt? „Welcher Name kann mir einen Anfang machen?“ fragt das Ich im ersten Teil von Farhad Showghis Band „Die große Entfernung“; ahnend, dass ohne eine – vielleicht willkürliche – Setzung kein Anfang zu machen ist. Ein möglicher Ansatz ist die Erinnerung, die wiederum in Sprache gewandet ist – welche Sprache aber ist das?
Es sind die philosophischen Fragen nach Wahrnehmung und Wirklichkeit, die Showghi umtreiben, ohne dabei allerdings der Konvention beziehungsweise Tradition anheim zu fallen. So bedient sich dieses Ich zwar der Wörter, doch nur bedingt ihren althergebrachten Bedeutungen. Jene reziproke Evokation, das sich gegenseitige Wachrufen von Gegenstand und Begriff, wie von den Strukturalisten vor knapp hundert Jahren definiert, stellt sich in Showghis lyrischer Prosa nur zögerlich ein. Der Maßstab, der die Wirklichkeitskoordinaten eines Individuums, wörtlich bestimmen soll – eines Ichs, das sich irgendwo in einem Zimmer befindet, zuweilen aus dem Fenster schaut oder dann in die eigene Erinnerung abtaucht –, ist noch nicht festgelegt: „Mit geringem Aufwand können jetzt solche wie ich im Zimmer riesige Fehler machen.“
Der 1961 in Prag geborene Autor, der in Hamburg lebt und dort als Psychiater arbeitet, hat seinem neuen Band ein Motto von Gennadij Ajgi vorangestellt: „Ganz aus ‚seele‘ bestand der begriff ‚hier‘.“ So schwierig jenes Hier, dem sich das Ich in konzentrischen Kreisen annähert, anzugeben ist, so unmöglich scheint die Identifikation mit einer Seele, jedenfalls mit sprachlichen Mitteln. Showghis Ansatz ist nur auf den ersten Blick ein solipsistischer: Die wahrgenommene Welt ist keinesfalls gegeben, sie entzieht sich dem Individuum permanent, lässt sich nicht festhalten – das Zugleich von Wahrnehmen, Fühlen und Denken ist auf Dauer nicht zu behaupten.
Das Hiersein, wie es das Individuum in seinem Zimmer erfährt, ist immer gebunden an ein Gewesensein; diese Bewusstsein etabliert Showghi über den Spracherwerb, seine Geschichte: Begriffe wie zum Beispiel „Ohr“ finden zunächst ihren Niederschlag in der arabischen, dann in der tschechischen und erst dann in der deutschen Sprache. Und eigentlich setzt Showghi noch früher an: Denn Worte sind wie die Bewegungen einer Hand – genau genommen – geformte Luft. Die Anverwandlung von Wirklichkeit, auch wenn das Auge das Foto des Vaters wahrnimmt, ist immer auch rückwärts gewandt; das Hier wird zum (unerreichbaren) Ideal: „Wie beginnst du nun klarer aus der Haustür zu treten, wenn du dabei einen Apfel isst, den Schlüsselbund noch in seine Klänge schwingst und wirklich etwas zu tun bekommst mit dem Abstand zur Umgebung. Beide Enden des Abstands in verschiedenen Stärken wiedergegeben: Du ein Ende, und die Umgebung eins aus lauter Enden, teils herumgeschoben, teils an Ort und Stelle, wo. z.B. eine Waldtaube sitzt.“
Dieser Abstand – „Die große Entfernung“ – gilt es auszuloten, um der Wirklichkeit oder dem, was wir Existenz nennen, ein wenig näher zu kommen. So vorsichtig der Protagonist Fuß vor Fuß setzt, so bedacht setzt Showghi ein Wort vor das andere, beschreibt so ein intellektuelles und auch sinnliches Abenteuer, das aber nicht auf einen ungestörten Lesefluss setzt, sondern im Gegenteil das Stolpern zelebriert, das Mitdenken und Neusehen des Lesers mit jeden Satz herausfordert – und belohnt.
− Die große Entfernung. −
Sprecher: „… meine Unklarheiten sind lange umgeben von Hügellandschaft“, heißt es in Farhad Showghis „Die große Entfernung“. Just diese Unklarheiten sind seit vielen Jahren ein beständiger Motor seiner so eigentümlich mäandernden, wie in beständiger Überprüfung begriffenen Texte. Der dreizehnteiligen Zyklus, in dem von Unklarheiten und Hügellandschaften die Rede geht, heißt: „Das Sprechzimmer“.
Farhad Showghi ist Psychoanalytiker. Vor dem Fenster seines konkreten Sprechzimmers breitet sich St. Georg aus. Herein dringen die Geräusche der Busstation, die, gelegentlich, eine große Entfernung versprechen. Während Showghi erzählt, geht über dem Hauptbahnhof langsam die Sonne unter. Er hat einen langen Tag hinter sich, dreißig bis vierzig Patienten. Schnell ist klar: nicht nur seine Texte – auch seine Schreibzeit ist gedrängt. In beiden Sprech-Zimmern wechselt er die Sprache. Was haben sie sonst noch mit einander zu tun?
O-Ton Showghi: Der andere Punkt ist die Tatsache, dass ich (…) jetzt allmählich immer mehr registriere, dass diese Räume, um die es dann geht, also aus denen die Patienten stammen, die Herkunftsländer, die Landschaften, die Erlebnisse, die Traumata und teilweise auch das sehr Archaische, was da mitschwingt, dass das irgendwie auf vielen vielen Umwegen einen gewissen Niederschlag auch findet in den Texten. Aber eben sehr indirekt. Also ich benutze jetzt nicht irgendwelche Motive oder Geschichten, sondern es geht da sehr um diese darum, wie diese Landschaften im Gespräch plötzlich hier im Raum dann aufleuchten.
Sprecher: Mit einem schnellen Blick in die Biographie Farhad Showghis gelangt man nicht nur zu Orten und Landschaften: Hamburg und Teheran, Prag und das Elbrus-Gebirge. Man gelangt auch zu verschiedenen Sprachen – und schließlich zu der Frage nach dem Heimisch-Sein. „Als gäbe es ein Mindestmaß an Hinaus und Weiter. Sozusagen ein Aufragen und Verschwinden“ – wie es an einer Stelle heißt, erkunden die Texte in Die große Entfernung ihren eigenen Grund – und ihre eigene Begründung. Nur scheinbar bilden Showghis Lebensorte das topographische Zentrum seiner Texte. Die Entfernungen sind viel wichtiger – die zwischen Orten, aber auch die zwischen Worten. Früher habe er in seinem Zimmer Landkarten und Stadtpläne hängen gehabt, von Landstrichen und Orten, an denen er noch nie war. Auch wenn er – im Erzählen – jenes iranische Tal, in dem er aufwuchs, gleichsam illustriert, gelangt er zu einer Ferne.
O-Ton Showghi: Das war irgendwo im Elbrusgebirge in einem Tal, so ein kleines Dorf, drumherum die hohen Berge und ein Fluss. Und oben der Staudamm, wo mein Vater als technischer Leiter tätig war. (Und so dieses Tal…) Die Geräuschkulisse bestand aus den LKWs und den Autos, die die Pässe hochfuhren und runterfuhren, dann gab’s den Fluss und dann gab’s halt diese Insekten- und Tierwelt und den Wind und die Hitze und die Stimmen der Kinder irgendwo im Hintergrund, die Stimmen der Erwachsenen aus der Ferne. Alles hatte so was Fernes…
Sprecher: Aus diesem Gefühl der Ent-Fernung baut Farhad Showghi seine kurzen Text-Stücke. „Die große Entfernung“ meint nicht nur die Distanz, sondern auch: das Nicht-Dort-Sein. Das kann sich auf eine iranische Gebirgslandschaft genauso beziehen wie auf eine Straße in Hamburg St. Georg. „Was heißt das, aus der Landschaft zum Sprechen zu kommen, etwas zu empfangen, das auch fragt, sprechend gegenübersitzt?“ Nicht zufällig ist dieser Satz aus „Das Sprechzimmer“ als Frage formuliert – nicht als Gewissheit. Farhad Showghis dicht gedrängte, immer wieder neu ansetzende Texte umkreisen eine Sprachheimat, die sich aus Erinnerungsbildern – wie jenem Tal im Elbrus-Gebirge – speist, ohne mit ihnen identisch zu sein. Beim Lesen begeht man gewissermaßen das Hinterland der Worte. Diese Worte können gewöhnlich sein wie die Füße, die Schuhe oder das Zimmer. Auf seinen Rundgängen betrachtet Showghi sie von allen Seiten. „Du weißt nicht, welche Sprache dich zum Sprechen bringt und welche zum Schweigen”, hieß es 1999 in „Die Walnussmaske, durch die ich mich träumend aß“. Die Annäherung an eine sprachliche Utopie – sie ist, vom Zimmer aus betrachtet, tatsächlich ein Nicht-Ort – beschreibt er so:
O-Ton Showghi: Das gewöhnliche Sprechen, das vermeintlich ja etwas festhält und etwas will, dass mir das nicht geheuer ist. Und dass ich das Gefühl habe, es muss sich irgendwas verschieben, es muss ein bisschen was verschoben werden, dann ist man schon näher an dem dran – also noch lange nicht da – aber näher an dem dran, was es vielleicht sein könnte.
Sprecher: Genau auf dieses „…was es vielleicht sein könnte“ schreibt Showghi zu. Erinnerung und Traum sind zugleich in der Welt. Ein Satz wie „Die Pässe haben sich aufgerafft, wieder Pässe zu werden.“ zeigt, dass es nicht um Nachbildungen geht, sondern um ein ebenso komplexes wie komprimiertes literarisches Rekonstruktionsverfahren. In sprachlichen Verschiebungen, motivischen Wiederholungen und thematischen Überlagerungen wird aber nicht Biographie rekonstruiert, sondern etwas, das nur in Sprache war – oder vielleicht erst wird. Showghis knappe Sätze tauchen wie aus dem Nichts auf, werden von einem eigentümlichen poetischen Realismus vorangetrieben.
O-Ton Showghi: Ich bearbeite eigentlich immer wirklich nur Gesehenes, also ich denk mir nichts aus. Wenn ich den Kopf drehe… Ich sehe die Sonne und mache einen Schwenk, ich sehe die Pflanze, dann sehe ich Dich, dann sehe ich den Tisch, dann sehe ich hier eine Spiegelung. Dann drehe ich den Kopf wieder zurück. Wenn ich jetzt wieder zurückschaue, ist es eigentlich wieder anders. Und… Obwohl es das selbe is. Und jedes mal wird’s wieder anders. In dem Sinne ist es realistisch. Realistisch, weil eben das tatsächlich Gesehene auch zu Wort kommt.
Sprecher: In den Büchern von Farhad Showghi kann man lesend nachvollziehen, wie Gesehenes zu Wort kommt. Auf dem Wege des indirekten Niederschlags entsteht ein brüchiges Heimisch-Sein in der Sprache.
Farhad Showghi liest zur Leipziger Buchmesse 2014
Gespräch des Monats: Seilers Shortlist. Am 17.2.2015 stellte er die von ihm gelobten Lyriker Thomas Kunst, Farhad Showghi und Nadja Küchenmeister in der literaturwerkstatt berlin vor.
Farhad Showghi liest „Wie oft muß ich in ein Zimmer gehen“ beim Poetry International Festival Rotterdam 2023.
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