EPITAPH FÜR ISAAC ALBENIZ
Den wir hier aufgerichtet sehn, der Stein,
im Todeskraut auf lehmig-dunklem Grund,
birgt Schattenleier, reife Sonne und
des Liedes einsamen und reichen Schrein.
Vom herben Cádiz nach Granada rein,
das tief ins Wasser baut sein Mauerrund,
zu Pferd, mit andalusisch hartem Mund,
seufzt laut dein Schatten nach dem goldnen Schein.
O sanfter Toter mit der kleinen Hand!
O Güte und Musik, so eng verwandt!
O Falkenauge, Herz, gesund und stark!
Der weite Himmel schläft, das Schneegelände.
Es träumen Sommergrau und Winterbrände.
Schlaf und vergiß, was einst dein Leben barg!
Diese Ausgabe umfaßt zwei eng zusammengehörige, nicht mehr zu Lebzeiten Lorcas veröffentlichte Gedichtzyklen. Vollständige Manuskripte von Lorcas Hand sind in beiden Fällen nicht erhalten, doch liegen teils Abschriften, teils Einzelveröffentlichungen in Zeitschriften oder auch handschriftliche Erstfassungen im Lorca-Archiv in Granada vor. Die Textvarianten und unterschiedlichen Lesarten bei einzelnen Gedichten sind in den bisherigen Ausgaben insgesamt so geringfügig, daß, auch wenn es eine verläßliche kritische Edition aller überlieferten Gedichte noch nicht gibt, eine deutsche Übertragung dieser beiden Zyklen heute schon gewagt werden kann.
Den Zyklus „Diván del Tamarit“ hat Lorca ab September 1934 für den Druck in der Universitätspresse von Granada vorbereitet. Er übergab sein Manuskript Emilio García Gómez, der es eigenhändig kopierte und ein Vorwort dazu schrieb. Im Winter 1935/36 hoffte Lorca noch, das Buch werde bald erscheinen, doch der Beginn des Bürgerkriegs und Lorcas Ermordung am 19. August 1936 machten den Plan zunichte. Lorcas Schwester Concha rettete das Manuskript, indem sie es 1940 von der Universitätspresse Granada zurückforderte. Die Erstveröffentlichung besorgte dann sein ins Exil gegangener Bruder Francisco García Lorca in New York, in der Revista Hispánica Moderna, Columbia University, Nr. 3 und 4, Juli/Oktober 1940. (Der dort veröffentlichte Text lag der Auswahl und Übertragung von Enrique Beck zugrunde: Federico García Lorca: Gedichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main 1969.)
Zum Umkreis des „Diván del Tamarit“ gehören die beiden Gedichte „Dos normas“ und „Gacela del mercado matutino“. Sie wurden aber entweder von Lorca selbst oder von García Gómez für die Ausgabe der Universität Granada verworfen. „Dos normas“ wurde 1940 zusammen mit dem „Diván“ abgedruckt, die „Gacela del mercado matutino“, nach Auskunft von André Belamich wohl als Gasele XII gedacht, erschien zuerst im Almanaque literario, Madrid, Herbst 1935.
Die Vorlage für die deutsche Übertragung des „Diván“ und der beiden Gedichte aus dem Umkreis ist der spanische Text, wie er 1981 in der kommentierten Ausgabe von Mario Hernández erschien.
Nach Zeugnissen der Freunde Vicente Aleixandre, Luis Cernuda, Jorge Guillén, Pablo Neruda und Rafael Alberti sowie nach eigener Aussage in einem Interview 1936 schrieb Lorca kurz vor seinem Tod einen Zyklus von Sonetten; mehrfach las er daraus seinen Freunden vor. Luis Rosales, in dessen Haus Lorca im Sommer 1936 Zuflucht suchte, erinnerte sich, das Buch habe den Titel „Jardín de (los) sonetos“ (Garten der Sonette) tragen sollen und sei zweiteilig angelegt gewesen: zunächst ältere Sonette, die zum Teil schon in Zeitschriften erschienen waren, und anschließend die „Sonetos del amor oscuro“. Die Freunde Alberti, Aleixandre und Cernuda erinnern sich daran, daß Lorca die letzten Sonette, die er kurz vor seinem Tod schrieb, „Sonetos del amor oscuro“ nannte. Wie es scheint, umfaßte dieser Zyklus nicht mehr als zwölf Sonette. Ein zusammenhängendes Manuskript dieser Sonette ist nicht überliefert, da die von Lorca seinem Freund Rafael Rodríguez Rapún übergebene Reinschrift verlorengegangen ist, als dieser auf der Seite der Republikaner fiel und sein Haus in Madrid von deutschen Flugzeugen bombardiert wurde. In den Archiven der Familie Lorca sind jedoch Entwürfe und Erstfassungen der „Sonetos del amor oscuro“ erhalten. Einige wenige dieser Sonette sind bald nach Lorcas Tod in Zeitschriften erschienen, andere wurden zuerst 1980 veröffentlicht, die übrigen sechs Sonette wurden erst 1984 in der Madrider Tageszeitung „ABC“ der spanischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht, nachdem bereits die französische Übertragung (Pléiade-Ausgabe) veröffentlicht war und in Granada 1983 ein Raubdruck zirkulierte. Eine vollständige kritische Ausgabe der überlieferten und neu aufgefundenen Sonette ist bisher in Spanien nicht erschienen.
Vorlage für die deutsche Übertragung der Sonette ist der spanische Text, wie er in der Ausgabe von Hernández bzw. in „ABC“ erschien. Die Reihenfolge der „Sonette der dunklen Liebe“ in unserer Ausgabe folgt der einsprachig französischen Pléiade-Ausgabe.
Rudolf Wittkopf und Lothar Klünner
gehören die beiden Zyklen zusammen – sie stammen zum allergrößten Teil aus den letzten Jahren vor García Lorcas Tod 1936 –, auch thematisch sind sie eng verbunden. Liebe und Tod sind die prägenden Motive dieser Gedichte: „Welche Schönheit enthält der postume Diwan des Tamarit! Seine Gaselen und Kassiden – ebenfalls Lieder, zwar ebenso anmutig wie die übrigen, aber doch sehr viel angstvoller, sogar verzweifelt – bilden ein wundervolles Ganzes. Vielleicht hat der Autor kein Buch geschrieben, das als Gesamtheit von solcher Eleganz ist.“ Jorge Guillén
Suhrkamp Verlag, Klappentext, 1990
− Ein Spanier als deutsche Legende. −
Die Titel-Frage klingt wohl im ersten Moment, als könne sie nicht ganz ernst gemeint sein. Gilt der Dramatiker und Lyriker Federico García Lorca doch in Deutschland seit langem als der bedeutendste spanische Dichter des 20. Jahrhunderts; Lorca- ein viel illustrerer Name als beispielsweise der des bizarren Romanciers und hochgrotesken Theaterautors Ramón del Valle-Inclan oder auch der des Literaturnobelpreisträgers von 1977, des Lyrikers Vicente Aleixandre.
Natürlich sind auf deutschsprachigen Bühnen die großen Dramen Bernarda Albas Haus, Doña Rosita bleibt ledig oder Yerma immer wieder zu sehen; sicherlich wissen beileibe nicht nur Hispanisten etwas über García Lorcas Leben und über seine Freundschaft mit Pablo Neruda, Salvador Dali oder Luis Buñuel. Legendär ist schließlich García Lorcas Tod geworden. Legendär – im doppelten Sinne des Wortes: mit dem Ende fangen nur zu gerne die Verklärungen an und die Halbwahrheiten.
1898 wurde Federico als Sohn des Großgrundbesitzers Federico García Rodriguez und seiner Frau, der Lehrerin Vicenta Lorca Romero, in dem Dorf Fuentevaqueros bei Granada geboren. García Lorca, dessen Familienname im Deutschen zumeist fälschlich nur auf den Namensteil seiner Mutter Lorca verkürzt wird, ist nach einem Leben, das ihn – früh und viel bewundert – durch Europa, die USA und Lateinamerika führte, nahe bei seinem Geburtsort gestorben: Im Bürgerkrieg, Anfang August 1936, flieht der andalusische Autor, nachdem bereits sein Schwager, der Bürgermeister von Granada, vor die Gewehrmündungen der aufständischen Falangisten Francos geraten war, aus Granada auf ein Landgut; er wird dennoch am 17. August von einem falangistischen Todesschwadron festgenommen und vermutlich in der Nacht vom 18. auf den 19. August in die kleine Ortschaft Víznar gebracht, nur wenige Kilometer von Fuentevaqueros entfernt, und dort zunächst in einem zum Munitionsdepot und zur Verhör- und Folterstätte der Falangisten umgewandelten Sommerhaus gefangengehalten. Bis heute geben Aufsätze und mehrere Biographien den 19.8.1936 als Todestag García Lorcas an, doch haben Erkundigungen vor allem des irisch-spanischen Literaturwissenschaftlers Ian Gibson in den siebziger Jahren ergeben, daß der genaue Zeitpunkt nicht zu belegen ist, an dem der Dichter vermutlich mit zwei gefangenen Toreros und einem Dorfschullehrer am Rande des von den Todeskandidaten üblicherweise selbst ausgehobenen Grabes durch Genickschüsse ermordet wurde. Einige Tage nach dem 19. August jedenfalls wurde auf einem karstigen Feld bei Víznar über frischen Gräbern eine Krücke des mitgetöteten Lehrers gefunden, und am 24. August meldet in Granada eine falangistische Zeitung mit dem Titel Ideal, daß García Lorca unter den jüngst Erschossenen sei, „gestorben“, wie das Blatt schrieb, „an den Wunden, die der Krieg verschuldet hat“.
Der Tod des über alle politischen Lager hinaus populären Dichters ist dem Franco-Regime immer peinlich geblieben – und es gab zahlreiche Versuche, den Mord als kriegsbedingte „Fehlhandlung“ oder gar als Blutrache unter Homosexuellen wegzuleugnen. Zu dem Ort Víznar, auf dessen angrenzenden Feldern mehrere tausend tatsächliche oder vermeintliche Anhänger der spanischen Republik von den Aufständischen niedergemacht wurden, führte noch in den späten Jahren der Franco-Zeit kein Wegweiser, und erst 1985 wurde eine Gedenktafel aufgestellt, die nun andeutet, was in der Nähe des Ortes mit dem nur 38 Jahre alt gewordenen Dichter Spaniens geschah.
Aus Anlaß des 50. Todesjahres erschien 1986 im Frankfurter Insel Verlag ein großformatiger Band: Federico García Lorca – Bilder und Texte, herausgegeben von Herbert Meier und Pedro Ramirez. Das Buch, so heißt es in der Titelei, „wurde zum 50. Todestag Federico García Lorcas im Auftrag der Heinrich-Enrique-Beck-Stiftung, Basel“ veranlaßt – also von der kurioserweise mit dem Synonym „Heinrich-Enrique“ firmierenden Nachlaßverwaltung des 1974 verstorbenen deutschen Lorca-Übersetzers Enrique Beck.
Die schön gedruckte Jubiläumsausgabe enthält neben den wichtigsten Photos und einigen Zeichnungen vor allem Kostproben aus Stücken, Gedichten, Briefen und anderen Zeugnissen des Künstlers – alle in den Übersetzungen Becks; damit freilich wird im Textteil, so uninspiriert wie unkritisch, nur das Gängigste und auch an anderer Stelle leicht Greifbare von und über García Lorca wiederaufbereitet. Aus der Fülle neuerer Literatur über Leben und Werk des Andalusiers, vornehmlich im Spanischen und Französischen veröffentlicht, hatten die Herausgeber einzig eine Handvoll kürzerer Zitate aus dem ersten Band der 1985 in Barcelona erschienenen großen García-Lorca-Biographie Ian Gibsons in eigener Übersetzung herangezogen. Und ausgerechnet zum Tod des Dichters begnügte sich das Buch mit dem Faksimile einer 1973 gefertigten Abschrift einer 1940, vier Jahre nach dem Mord, vorgenommenen amtlichen Beurkundung der erlittenen tödlichen „Verletzungen durch Kriegshandlungen“, wie es damals hieß. Zur weiteren Dekoration dann ein mit der stimmungsvoll-lapidaren Bezeichnung „Bei Granada“ versehenes Landschaftsphoto, welches erkennbar nicht den Todesort darstellt, und der Hinweis auf García Lorcas Erschießung durch die Francisten am 19. August 1936 – also wieder das Datum, das längst nicht mehr als Tatzeit feststeht; vor drei Nachruf-Gedichten auf García Lorca folgt noch gleichsam als Schlußstein des dokumentarisch-biographischen Teils ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat aus Luis Buñuels Lebenserinnerungen Mein letzter Seufzer; es ist der Satz: „In Wahrheit starb Federico, weil er ein Dichter war.“
Mit diesem Finale haben die Herausgeber des Insel-Gedenkbandes nun einmal mehr das Bild García Lorcas entwirklicht. Hier verschwimmen die möglichen Konturen schon wieder wie unterm Weichzeichner, und es öffnen sich die Gefilde jener blumigen Abstraktion und verquasten Symbolik, welche die deutschen Übersetzungen seit über drei Jahrzehnten als das originäre Reich der lorcinischen Dichtung bezeichnen.
Kennen wir García Lorca also tatsächlich in Deutschland? Vor 21 Jahren fragte Rolf Michaelis zu Beginn einer Monographie über García Lorcas Theaterstücke, ob der Ruhm, den der andalusische Dramatiker bereits in den deutschen Theatern der fünfziger Jahre besaß, nicht auf einem Mißverständnis beruht habe. Michaelis meinte, daß der Dichter und Dramatiker bei uns überhaupt erst zu entdecken sei, denn: „Im Augenblick verhindert die Bekanntschaft mit dem wahren García Lorca der Mann, dem wir doch verdanken, daß der Name García Lorca in Deutschland nicht unbekannt ist, der Übersetzer Enrique Beck. Es heißt die Verdienste des Mannes nicht schmälern, wenn gesagt wird, Becks Übertragungen stehen einer Rezeption, geschweige denn einer Renaissance des andalusischen Dichters im Wege.“
An dem Befund von 1969 hat sich auch 1990 noch nichts Wesentliches geändert. Enrique Beck, bei dem sich gute, doch für diffizile Texte wohl nicht ganz ausreichende Spanisch-Kenntnisse mit einem vergleichsweise viel verhängnisvolleren eigenen dichterischen Ehrgeiz verbanden, hatte unter nicht restlos erhellten Umständen nach García Lorcas Tod eine Art Generalvollmacht für die deutschen Übersetzungen des Spaniers erwirkt. Nahezu das gesamte dramatische Werk, die meisten theoretischen Texte, Briefe und mehrere Gedichtsammlungen García Lorcas sind in den fünfziger und sechziger Jahren dann unter dem Signum Enrique Becks im Deutschen erschienen und sollen für die Dauer des gesetzlichen Urheberrechts am Originalwerk, in diesem Falle auf 70 Jahre nach García Lorcas Tod, also bis zum Jahr 2006, gesperrt sein für Korrekturen oder gar eine völlige Neuübertragung der Texte.
Unter der Erblast dieses Beckschen Monopols winden sich zunächst einmal die direkt Betroffenen. Literaturwissenschaftler zitieren in deutschen Veröffentlichungen über García Lorca so weit wie möglich nur immer das spanische Original oder behelfen sich, auf einzelne Belegstellen beschränkt, mit eigenen Übertragungen. Und in den Theatern handeln anspruchsvollere Regisseure und Dramaturgen mit dem Basler Bühnenverlag Reiss, der die Rechte für deutschsprachige Aufführungen hält, im Einzelfall stillschweigende Korrekturen an den Beckschen Vorlagen aus; worauf dann zum Beispiel bei einer Münchner Yerma-Inszenierung von Peter Zadek im Programmheft diskret bedeutet wurde: „Deutsch von Enrique Beck – Fassung der Münchner Kammerspiele“.
Nur ist den Lesern der Stücke mit inszenatorisch eingreifenden Phantasien und kosmetischen Veränderungen am gesprochenen Text noch nicht geholfen.
Einige kurze Beispiele für das, was nun nicht nur ingrimmige Lorca-Liebhaber als Verbildungen und zum Teil willkürliche Verzerrungen des Originals kritisieren. So wird in der Sammlung Poeta en Nueva York —Dichter in New York — ein „Nocturno del hueco“ überschriebenes Poem von Beck nicht etwa semantisch getreu als „Nokturne der Leere“ wiedergegeben, sondern ambitiös wortschöpfend zum „Nocturno vom Hohl“ mystifiziert.
Oder ein Zitat aus García Lorcas Zigeuner-Romanzen:
Y el agua se pone fría
para que nadie la toque.
Die beiden Verse hat der Hispanist Klaus Porti einmal ziemlich wörtlich übersetzt:
Und das Wasser wird kalt,
damit niemand es berühre.
Es sind zwei sinnlich und sinngemäß also durchaus einfache Verse, deren Schlichtheit Enrique Beck offenbar nicht genügte. Er schrieb in seiner bis heute rechtsverbindlichen Übertragung:
Kalt wirds Wasser, auf daß niemand
rühr an seine Unberührtheit.
So freilich erhält die Stelle eine im Original überhaupt nicht intendierte quasireligiöse Bedeutung: aus dem natürlichen Wasser wird in der Übersteigerung (statt Übersetzung) eine Art jungfräuliches Weih-Wassser. Und zu eben dieser Tonlage paßte auch, daß Beck rund ein Jahrzehnt lang für die Sammlung Poema del Cantejondo – die später korrigierte Dichtung vom Cantejondo – zunächst den deutschen Titel Dichtung vom tiefinnern Sang gewählt hatte.
Die Diskussion um García Lorca in deutscher Sprache kann inzwischen allerdings auch anhand neu publizierter Texte, ja sogar neuerer Übersetzungen geführt und vielleicht auch zur Sache einer literarisch interessierten Öffentlichkeit gemacht werden. So sind in den letzten Jahren zunächst zwei bereits zu Lebzeiten García Lorcas umraunte, aber erst später aus dem Nachlaß zur Veröffentlichung freigegebene Stücke bzw. Stückfragmente auf Deutsch erschienen und mittlerweile auch aufgeführt worden. Beide Texte, Das Publikum und Komödie ohne Titel benannt, reflektieren in einem halb konkreten, halb phantasmagorischen Rahmen García Lorcas eigene Haltung zum Theater und zur Gesellschaft seiner Zeit – die Stimme des Autors klingt darin durch alle Dunkelheiten der poetischen Gesichte besonders hell und klar, sogar auf Deutsch. Ein Jahrzehnt nach dem Tode Enrique Becks, zu dessen Lebzeiten die beiden Stücke auch im Spanischen noch nicht zugänglich waren, erzeugte der Übersetzer Rudolf Wittkopf einen Ton, dessen Plastizität und Härte auf eine bis dahin im Deutschen nie gehörte Weise die lyrisch-dramatischen Instrumente García Lorcas zum Klingen brachte.
Danach hat Wittkopf zusammen mit Lothar Klünner in deutscher Übersetzung auch noch zwei aus dem Besitz der Familie García Lorcas in der vorliegenden Form erst Anfang der achtziger Jahre zur Buchpublikation freigegebene Gedichtzyklen vorgelegt: den Diwan des Tamarit und die Sonette der dunklen Liebe, beide in einem Band wiederum im Frankfurter Insel Verlag erschienen.
Der Diwan des Tamarit, noch zu García Lorcas Lebzeiten für den Druck vorbereitet, ist zum größten Teil ab 1940 zuerst in Amerika auf Spanisch veröffentlicht worden, und die Sonette der dunklen Liebe, in den letzten Lebensmonaten geschrieben, sind im Zusammenhang erst zwischen 1980 und 1984 in Spanien erschienen; Originalmanuskripte gingen in beiden Fällen in den Wirren des Bürgerkrieges verloren, die Buchversion der Sonette beruht überwiegend auf Entwürfen oder Erstfassungen; vollständige kritische Ausgaben existieren auch im Spanischen noch nicht, und die Zusammenstellung von Wittkopf und Klünner stellt auf Grund der komplizierten Ausgangslage zunächst wohl eine formal sorgfältige Edition dar.
Besondere Beachtung verdient dieser Insel-Band allerdings aus zwei Gründen: Ähnlich wie das erwähnte Fragment Komödie ohne Titel, García Lorcas letztes Stück, bedeuten auch die Sonette so etwas wie ein poetisches Testament des Dichters. Und durch Berichte von Zeitgenossen ging diesen Gedichten zudem ein ungeheurer Ruf voraus: Vergleichbar den Sonetten Shakespeares, die sich an eine dunkel-magische Liebe – vermutlich zu einem Manne – richten, seien das Garcia Lorcas freieste Verschlüsselungen seiner eigenen, im Spanien seiner Zeit niemals zu bekennenden homosexuellen Liebessehnsüchte gewesen.
In der Einleitung zu seinem 1986 im Verlag DuMont, Köln, herausgegebenen, stilistisch und gedanklich zwar manchmal etwas überanstrengten, jedoch außerordentlich materialreichen Band Federico García Lorca als Zeichner zitiert Rolf Blaeser einmal den Lyriker und Nobelpreisträger Vicente Aleixandre, der sich an eine Begegnung mit García Lorca wenige Wochen vor dessen Tod erinnerte:
Er las mir seine Sonette der dunklen Liebe vor, ein Wunder an Leidenschaft, Begeisterung, Glück, an Erregung, reines und glühendes Denkmal der Liebe; die Seele des Dichters in der Trance der Auflösung. Tief überrascht, konnte ich nicht anders, als ihn anzuschauen und zu rufen: „Federico, was für ein Herz! Wie hat es zu lieben vermocht, wie zu leiden!“ Er sah mich an und lächelte wie ein Kind.
Und noch ein weiterer Grund zur Aufmerksamkeit für die deutsche Ausgabe der Gedichte: Schon Enrique Beck hatte 1969 in einer Auswahl einige Texte aus dem Diwan des Tamarit übersetzt, und diese Übertragungen sind auch in der gleichfalls zum 50. Todestag García Lorcas im Insel Verlag wiederaufgelegten dreibändigen Beckschen Lorca-Ausgabe zu lesen. So ist durch die Neuübersetzung Wittkopf/Klünners im selben Verlag nun ausnahmsweise ein unmittelbarer Vergleich mit den Arbeiten Becks möglich.
Und die Enttäuschung ist doppelt groß. Nachdem „Enrique Beck García Lorca für den deutschen Sprachraum entdeckt“ habe, verheißt uns der Verlag gar vollmundig noch „einen unbekannten“ und erst jetzt „zu entdeckenden Lorca“, in einem – ich zitiere wieder „großen Gedichtband, wie er nur wenige Male in einem Jahrhundert entstehen kann“.
Nun ja. Wer Spanisch spricht oder wer mit Französisch-, Italienisch- und Lateinisch-Kenntnissen zugleich ein Wörterbuch benutzt und sich dazu in García Lorcas Werken ein bißchen auskennt, der kann, schaut er auf die linken Seiten der zweisprachigen Ausgabe, ermessen, wie García Lorca die Motive seiner Literatur und seines Lebens hier nochmals verdichtet hat. Die im Diwan des Tamarit auf das Arabische „diván“ (Gedichtsammlung) und auf maurisch-andalusische Lied-Traditionen anspielenden Gaselen und Kassiden kreisen ebenso wie die Sonetos delamor oscuro um die Nähe von Liebe und Tod, um das Widerspiel von Sonne und Mond, Begeisterung und Melancholie, um Wahrnehmungen in der andalusischen Landschaft, an den Orten des eigenen Erlebens; diese poetischen Empfindungen laufen auf einem scharfen Grat der jähen Freude und der lastenden Trauer: emporgerufen aus existentiellen Abgründen – und zugleich mitgeprägt von den gesellschaftlichen Bedingungen eines zwischen Reaktion und Revolution, zwischen Mittelalter, Barock und Neuzeit zerkrusteten und zerrissenen Landes. Und diese Widersprüche, die García Lorcas emphatische Uneinseitigkeit ausmachen, sind poetisch aufgehoben in den Synästhesien, die noch seinen dunkelsten Texten eine hohe, helle Strahlkraft verleihen. Da scheint ein Selbstporträt durch die Verse, die er in einem Sonett der dunklen Liebe auf den Künstlerfreund Isaac Albeniz verfaßt hat:
… mit andalusisch hartem Mund
seufzt laut dein Schatten nach dem goldnen Schein.
Und es spiegelt sich in García Lorcas Sonetten auch die Widmung für den Komponisten Manuel de Falla:
Kalkül mit heißer Stirn, exakt und schnell.
Passion und Disziplin der Traumgestalt.
Es ist diese kompositorische Verbindung, ahnungsweise, aus den deutschen Übertragungen noch zu lesen. Dabei fällt im Vergleich zwischen Wittkopf/Klünner jetzt und vormals Beck immerhin auf, daß die neueren Verdeutscher der passionierten Disziplin und dem Seufzen aus andalusisch hartem Mund durch Strenge und Schlankheit der Formulierungen entschiedener zu folgen trachten als ihr Vorgänger. Sind alternde Galane, die im Italienischen „papagalli“ heißen könnten, am Ende in der Gasele „Von der Liebe mit hundert Jahren“, nicht mehr fähig zu ihren Gockelgängen, dann ist es treffender, wenn „keiner mehr spaziert“ – so bei Wittkopf −, als wenn „keiner mehr lustwandelt“ – so die Formulierung bei Beck. Und tatsächlich werden die Galane zu ihren Leb- und Liebzeiten ihre Gasse oder Straße täglich „hinauf“ und wieder „hinab“ gegangen sein und nicht, wie bei Beck, „aufwärts“ und „abwärts“, als seien sie an Fels- oder Häuserwänden geklettert.
Dies sind kleine Beispiele, beliebig vermehrbar. Aber zugleich fällt auf, daß die Neuübersetzer in zahlreichen Fällen, in denen Beck näher am Original zu bleiben bemüht war, ohne Not und Gewinn für den Rhythmus des Verses oder die inhaltliche Verständlichkeit syntaktische Umstellungen vornehmen, Substantive und Verben austauschen und manchmal eine neue, sinnwidrige Freiheit des Nachdichtens suchen.
Nun will ich hier gar nicht erst auf die Metrik abheben oder mit den Zweifeln anfangen, ob insbesondere bei den Sonetten die Treue gegenüber der Form, gegenüber dem Reim auch erhebliche Abschweifungen im Inhaltlichen rechtfertigt. Die Schwierigkeiten sind da groß, allemal. Was mir allerdings unentschuldbar erscheint, ist: barer Unsinn, stilistischer Schmock oder schlichte Faulheit bei der Recherche nach Realien.
Wittkopf beginnt ein Liebesgedicht mit den drei Versen:
Beim bloßen Klang
der Glocke der Vela
bekränzte ich dich mit Verbena.
Frage des deutschen Lesers: Was ist die „Glocke der Vela“ und um welche Pflanze oder was sonst mag es sich bei der Bekränzung mit „Verbena“ handeln?
Im Buch dazu keine Anmerkung, keine Erklärung. Da sich aus einem späteren Vers ergibt, daß das Gedicht mit Granada zu tun hat, schlage ich für alle Fälle in einem bereits zu García Lorcas Lebzeiten verfaßten Reiseführer nach – und erfahre, daß an der Westspitze der maurischen Zitadelle, der Alcazaba über Granada, die Torre de la Vela steht: ein Wachturm mit besonderer historischer und situativer Bedeutung, ohne deren Kenntnis sich bestimmte Assoziationen der folgenden Verse dem Leser kaum erschließen. Und „Verbena“ ist einerseits ein Eisenkraut – und zugleich aber auch ein spanisches Volksfest, bei dem Kränze gewunden und verliehen werden. Die Übersetzung erweist sich also für den deutschen Leser als Sinnverschlüsselung, wenn nicht als Nonsens.
Anderes Beispiel: Wo in zwei offen erotischen Poemen Beck „tu cintura“ durchaus korrekt als „deine Hüften“ übersetzt hat, spricht die neue Übersetzung jeweils von „deinen Lenden“. Obwohl García Lorca in seinen Geliebten sehr wahrscheinlich (idealisierte) Jünglinge und Männer gesehen hat, projizierte er die eigenen seelischen und körperlichen Konflikte beim Schreiben fast immer auf Mädchen und Frauen. Dennoch halte ich heute die verschärfende, aufs Maskuline zielende Übersetzung „Lenden“ anstelle von Hüften für ganz legitim. Endet jedoch García Lorca seine „Gasele von der schrecklichen Gegenwart“ und der für ihn immer tödlichen und von Mißlingen bedrohten, also sterblichen Liebe mit den bezeichnenden Versen
Déjame en un ansia de oscuros planetas
(Überlaß mich einer Sehnsucht nach dunklen Planeten)
pero no me engeñes tu cintura fresca −
dann wird die neue Übersetzung zum unfreiwilligen Witz:
doch zeig mir deine frischen Lenden nicht.
Das steht nun zu lesen, als sei es ein Gespräch am Tresen des befreundeten Metzgers und nicht der Anruf an den versagten Geliebten: einen Mann mit seinen kalten Lenden, Hüften, das heißt mit einem abweisenden oder abwesenden Leib.
Was an Wittkopfs und Klünners Versuchen, für García Lorcas Lyrik eine deutsche Version zu finden, so stört, sind nicht nur die evidenten Abweichungen vom Original – wenn geradezu morgensternheimisch und lorcafern sich plötzlich „Rose“ auf „Metamorphose“ reimt −, es sind vielmehr die zahllosen mittleren und kleineren Ungenauigkeiten. Dafür ein letztes Exempel, im Gedicht „Von der Liebeserinnerung“, ein Doppelvers :
Doy pena de lirio fresco
para un corazón de yeso.
Fast silbengleich, fast genauso klar und dennoch befremdend in der Pflanzen- und Stein-Metaphorik – und hart, hart auch am Rand des Empfindsamen, würde die wörtliche deutsche Übersetzung klingen:
Geb’ Leid der frischen Lilie
für ein Herz aus Gips.
In der tatsächlich gedruckten Übertragung aber wird die Wortfolge willkürlich geändert und die Sprache zusätzlich behangen, sinnüberfrachtet, sentimentalisiert:
Für ein Herz aus hartem Gips
geb ich lilienfrisches Leid.
Nein, auch in diesen neuen Verdeutschungen erkennen wir nicht wirklich den Dichter, dessen „Haut das Glück“ zu sein schien, wie sein Freund Pablo Neruda schrieb, und dessen Hülle von Geburt an doch so verletzlich war, vom Licht der Welt versengt. Der Dichter, der in seinem Drama Sobald fünf Jahre vergehen fünf Jahre vor dem Ende bereits die eigene Ermordung vorausträumte, ist auch mehr als fünfzig Jahre nach seinem Tod im Deutschen noch unentdeckt. Es bleibt so der Appell an den Verlag, die Rechtsinhaber zu überzeugen, nicht auf dem schlechten alten Recht zu bestehen: und damit eine vollkommen neue, eine wahre Lorca-Übersetzung zu wagen. Was nebenan im gleichen Haus, was bei Suhrkamp im Falle des Joyceschen Ulysses durch die Neuübertragung von Hans Wollschläger möglich war, was im Insel Verlag mit der Neuedition der Strindberg-Werke im Gange ist und was gleichfalls bei Insel einem lange Zeit so lieblich verfälschten Autor wie Marivaux an neuer Gerechtigkeit widerfährt, das sollte bei einem Jahrhundert-Dichter wie García Lorca nicht erst aufs nächste Jahrtausend verschoben bleiben.
Gewiß ist die besondere Verbindung von Poesie und Lakonie, von knapp-hart gesetzten Worten, Sätzen und der mit ihnen dennoch weich und weit ausgreifenden metaphorischen Evokation im Deutschen nur schwer nachzuahmen. Dabei entstehen bei Übersetzungen aus dem Spanischen ähnliche Probleme wie bei der Eindeutschung englischer Texte. Eines aber wäre doch endlich zu beweisen: daß García Lorcas Romantik weder zu tun hat mit einer vermeintlich romanischen Süße und Süßlichkeit, noch mit Tönen, die in der deutschen literarischen Tradition an Stefan George oder Rilke denken lassen. Wenn schon ein imaginäres Konzert der Dichter, dann könnte der Bogen gespannt sein von der Melodie eines Trakl bis hin zur Stimme der Else Lasker-Schüler. Hier erst wäre ein „deutscher“ García Lorca zu suchen, den wir kennen sollten.
Peter von Becker, Neue Rundschau, Heft 3, 1990
ODE AN FEDERICO GARCÍA LORCA
Könnte ich heulen vor Furcht in einem leeren Gebäude,
könnte ich mir die Augen ausraufen und sie verzehren,
ich tät es um deine Stimme, eine Orange in Trauertracht,
und um dein Gedicht, das schreiend zu Tag tritt.
Denn um deinetwillen färben sich die Spitäler blau,
und die Schulen wuchern, und die Viertel am Hafen,
und es befiedern sich die verwundeten Engel,
und die Fische schuppen sich in ihrem Brautbett,
und zum Himmel auffahren die Igel:
um deinetwillen füllen die Schneiderstuben,
mit schwarzen Häutchen bedeckt, mit Löffeln sich und mit Blut
und verschlingen verschlissene Bänder und küssen sich tot
und kleiden sich ganz in Weiß.
Wenn du geflogen kämst im Gewand eines Pfirsichs,
lachend dein Lachen wie einen Tornado von Reis,
Zähne und Adern rührend zu deinem Gesang,
Finger und Kehle:
ich müßte an deiner Lieblichkeit sterben,
müßte sterben an den roten Gewässern,
in denen du wohnst, inmitten des Herbstes,
mit einem gestürzten Roß und einem blutenden Gott,
müßte sterben an den Friedhöfen, die
wie aschgraue Flüsse vorüberziehn
mit Wasser und Gräbern,
nachts, an ertrunkenen Glocken vorbei:
Flüsse, dick wie kranker Soldaten
Schlafsäle: und plötzlich steigt es und schwillt
zu Tode in Flüssen mit marmornen Nummern
und faulenden Kronen und Sterbeöl:
ich müßte sterben, säh ich dich nachts
auf die ertrunkenen Kreuze blicken,
aufrecht und weinend, wie sie vorübertreiben:
denn dort, am Todesfluß, stehst du und weinst,
verlassen, verwundet,
weinend, weinst, und deine Augen sind
voll Tränen, voll Tränen, voll Tränen.
Könnte ich in der Nacht, unwiderruflich allein,
mit einem schwarzen Trichter
Vergessen einsammeln und Schlaf und Rauch
über Dampfern und Lokomotiven,
die Asche zwischen den Zähnen,
ich tät es dem Baum zulieb, darin du gedeihst,
den goldenen Wasserläufen, die in dir münden,
und der Wicke, die deine Gebeine bedeckt
und dich einweiht in das Geheimnis der Nacht.
Städte, die riechen nach feuchten Zwiebeln,
warten auf dich, daß du kommst mit heiseren Liedern,
und schweigende Samenschiffe folgen dir nach,
und grüne Schwalben nisten in deinem Haar,
und Schnecken und obendrein Wochen,
zusammengerollte Maste und Kirschen:
der große Kreislauf beginnt, wenn endlich
dein blasser fünfzehnäugiger Kopf erscheint
und dein Mund aus versunkenem Blut.
Könnte ich die Kanzleien mit Ruß erfüllen
und schluchzend die Uhren herunterreißen,
ich tät es, nur um zu sehn, wann in deine Wohnung
der Sommer käme mit seinen gebrochenen Lippen,
viele Leute kämen in sterbenden Kleidern,
kämen Landstriche in traurigem Glanz,
käme der Mohn, kämen tote Pflüge,
kämen Reiter und Totengräber,
kämen Landkarten voller Blut und Planeten,
kämen Taucher, mit Asche bedeckt,
kämen Maskierte und schleiften Jungfraun herbei,
Jungfraun, von großen Messern durchbohrt,
kämen Wurzeln, Ameisen, Adern,
Krankenhäuser und Quellen,
käme die Nacht mit dem Bett, in dem ein Husar
einsam stürbe unter den Spinnen,
käme aus Haß und Stecknadeln eine Rose,
käme ein gelbliches Schiff,
käme ein windiger Tag mit einem Bübchen,
käme ich mit Oliverio und Norah,
Vicente Aleixandre, Delia,
Maruca, Malva Marina, María Luisa y Larco,
la Rubia, Rafael, Ugarte,
Cotapos, Rafael Alberti,
Carlos, Bebé, Manolo Altolaguirre.
Molinari,
Rosales, Concha Méndez,
und die andern, ich hab sie vergessen.
Komm, damit ich dich kröne, heiler Jüngling,
Sommervogel, Jüngling rein
wie ein schwarzer Blitz, der immerfort frei ist:
jetzt, da wir unter den Felsen mit uns allein sind,
wollen wir einfach reden, so einfach wie du und ich:
sag, wozu taugen die Verse, wenn nicht für den Tau?
Wozu taugen die Verse, wenn nicht für diese Nacht,
in der uns ein bitterer Dolch durchwühlt, diesen Tag,
diese Dämmerung, diesen gebrochenen Winkel,
da das geschlagene Menschenherz sich zum Sterben bereitet?
Vor allem nachts,
da gibt es viele Sterne,
alle in einem Fluß:
wie ein Trauerband, das vor den Fenstern
von Häusern voll armer Leute hängt.
Jemand ist ihnen gestorben, oder vielleicht
haben sie ihre Stellen in den Kontoren,
in den Aufzügen, in den Spitälern,
in den Gruben verloren:
hartnäckig sind die Leiden, die ihr Dasein verwunden,
und überall gibt es Berechnung, gibt es Gewimmer:
während die Sterne fließen in einem endlosen Fluß,
gibt es viel Gewimmer hinter den Fenstern,
die Türschwellen sind von Tränen ausgetreten,
die Alkoven sind naß von Tränen,
Tränen, die an den Teppichen nagen wie eine Brandung.
Federico,
du siehst die Welt, die Straßen,
den Essig,
die Abschiede auf den Bahnhöfen,
wenn der Rauch seine Kreise emporschreibt
wie ein Urteil, dorthin, wo nichts ist als ein paar
Steine, Trennungen, eiserne Schienen.
Es gibt soviel Leute, die Fragen stellen
überall auf der Welt.
Es gibt den Blinden, der blutet, und den Erzürnten,
und den, der mutlos ist,
und den Knicker, den Baum aus Krallen,
den Gangster mit dem Neid im Genick.
So ist das Leben, Federico, hier hast du,
was dir meine Freundschaft zu schenken weiß,
eines Mannes Melancholie.
Viele Dinge weißt du von selbst,
nach und nach wirst du andere wissen.
Pablo Neruda
Übersetzung Hans Magnus Enzensberger
Rudolph Kieve: Federico García Lorca, Merkur, Heft 44, Oktober 1951
Jorge Guillén: Federico García Lorca, Merkur, Heft 175, September 1962
Jorge Guillén: Federico García Lorca, Sinn und Form, Heft 3, 1977
Hans-Jürgen Heise: Ein Andalusier wie kein anderer
Hans-Jürgen Heise: Lorca zwischen Granada und dem Kulturbetrieb
Hans-Jürgen Heise: Die Mörder waren keine Zivilgardisten. Dossiers zum Tod Federico García Lorcas.
Peter Jungblut: Darum wird im Mordfall García Lorca nicht mehr ermittelt
Salomé Kestenholz: Federico Garcia Lorca
Die Tat, 19.8.1961
Sylvia M. Patsch: Die Stimme aus dem Innersten
Die Furche, 4.6.1998
Jens Grandt: Das andalusische Genie
nd, 4.6.2023
Federico García Lorca – Porträt, Teil 1/7.
Federico García Lorca – Porträt, Teil 2/7.
Federico García Lorca – Porträt, Teil 3/7.
Federico García Lorca – Porträt, Teil 4/7.
Federico García Lorca – Porträt, Teil 5/7.
Federico García Lorca – Porträt, Teil 6/7.
Federico García Lorca – Porträt, Teil 7/7.
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