Aufs Wort (genau) – Teil 2
Teil 1 siehe hier …
Doch das einzelne Wort und vollends dessen elementare lautlichen wie auch skripturalen Komponenten werden gemeinhin weder im alltäglichen noch im literarischen Sprachgebrauch als solche wahrgenommen, da die Automatismen des Sprechens und Hörens, des Schreibens und Lesens sie in aller Regel gar nicht erst erfassen, offenbar deshalb, weil es dabei stets primär um das Verstehen geht, und nicht um die sinnliche Wahrnehmung dessen, was sprachlich jeweils gegeben ist. Nicht das Einzelwort ist im kommunikativen Sprachgebrauch von Interesse, vielmehr der Wechselbezug des Worts mit andern Wörtern. Das Wort bleibt deshalb gemeinhin eingeschmolzen in Wortverbindungen, verliert sich gewissermassen unter seinesgleichen, geht auf und geht unter in syntaktisch gefügten Aussagen – es fällt (nach André Breton) der «schlimmsten aller Konventionen » zum Opfer: der Sprache selbst.
Indem einzelne Wörter zu Worten (Sätzen, Sprüchen usf.) gefügt werden, bilden sie Diskurse, repräsentieren und vermitteln sie Bedeutungen. Anderseits – umgekehrt – können einzelne Verse oder Aphorismen gleichsam Wortqualität gewinnen: Man liest sie dann tatsächlich wie ein Wort und wird feststellen, dass die geringste Änderung daran (z.B. Fortfall oder Beifügung oder Vertauschung eines Buchstabens, einer Silbe) dieses Mehrwortgebilde als rhythmische und klangliche Einheit zerstört. Auch wer eigens nach Wörtern sucht oder um Worte ringt, wird unwillkürlich zu Sätzen, zu Aussagen tendieren, die sich entweder zu diskursiver oder zu poetischer Rede fügen. Stéphane Mallarmé hat dies schon 1891 (mündlich gegenüber Valéry) dezidiert festgehalten: «Der Vers ist ein Ganzes, er ist ein neues, ein nie zuvor gehörtes Wort.»
Sache des Dichters ist’s, dieses «Wort» zu buchstabieren, Sache des Lesers – es zu entziffern.
Je schwieriger sich das Verständnis der Worte ausnimmt, desto mehr konzentriert sich die Lektüre, als Entzifferung praktiziert, auf die einzelnen Wörter.
… Fortsetzung hier
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