Felix Philipp Ingold: Aufs Wort (genau) – Wenn …

Aufs Wort (genau) – Teil 3

 

Teil 2 siehe hier …

Wenn im Deutschen das Einzelwort die Mehrzahlform «Wörter» erhält, wird es dadurch abgegrenzt gegenüber den «Worten», die nicht Vokabeln bezeichnen, sondern Aussagen, Sätze, selbst ganze Texte. In solchem Verständnis spricht man von einem «Dankeswort», einem «Grusswort», vom «letzten Wort» eines Sterbenden, aber auch – zum Beispiel – von einem «Bibelwort», einem «Wort» des Augustinus oder Franz Kafkas, mithin von einem Spruch (dictum), und nicht etwa von einem einzelnen Begriff (verbum).
Man kann sich «auf jemandes Wort» verlassen, man kann jemanden «beim Wort nehmen» und hoffen, er werde sich «an sein Wort halten»; man kann «das Wort beantragen», kann es «ergreifen» oder «erteilen». Usf. In all diesen Fällen ist das Wort als Rede (in «Worten») gemeint. – Die Bezeichnung des «Wörterbuchs» wiederum macht klar, dass hier kontextfreie Einzelbegriffe aufgelistet werden, und eben nicht «Worte», die als zitierte Rede in Umlauf sind; ihre willkürliche (alphabetische) Anordnung hat praktische Gründe, führt aber auch eindrücklich vor Augen, dass sich die solcherart «freigestellten» und aufgereihten Wörter wechselseitig in keiner Weise «entsprechen».
Es gibt keine wahren, trostreichen, gültigen, guten oder schlechten Wörter. Das Wort als solches ist neutral, kann nicht anders als neutral sein, solang es kontextfrei Schwarz auf Weiss dasteht. «Dreckskerl» mag ein Schimpfwort sein (mag als Schimpfwort eingesetzt werden), ist jedoch vorab, d.h. vor seiner Bedeutung eine bemerkenswerte Konstellation von Selbst- und Mitlauten. – «Halleluja» ist ein Jubelwort, bleibt aber auch ohne diese Funktionsbestimmung – schlicht – ein resonierendes Klanggehäuse.
Erst auf der Bedeutungsebene kommt es zu qualitativen Differenzierungen und werden Schimpf- und Jubelwörter (nunmehr als Worte verwendet), Befehle und Verbote, Versprechen und Warnungen sinngemäss unterschieden.

… Fortsetzung hier