Felix Philipp Ingold: Aufs Wort (genau) – Wort …

Aufs Wort (genau) – Teil 19

 

Teil 18 siehe hier

Wort oder Name beziehungsweise das Einzelwort als Name finden sich häufig in der höchst bedeutsamen Position des Titels, mit dem der Autor in bewusster und freier Wahl sein Werk etikettiert und damit naturgemäss auch dessen Lektüre einspurt. Diese schlichteste, wenig attraktive, oftmals mehrdeutige, bisweilen unverständliche Art der Titelgebung nutzt gleichermassen Personen- und Ortsnamen, historische und fiktive Namen, Wörter unterschiedlicher Gattung (meist Substantive, aber auch Pronomen und Verben); beispielsweise: «Unschlecht», «Unterleuten», «Kerbelgericht», «Vermählungen», «Illuminationen», «Radetzkymarsch», «Atlantis», «Tschewengur», «Tarabas», «Nase», «Hiob», «Idiot», «Faust», «Nadja», «Fro», «Wir», «Ich», «Gehen», «Aufmachen», «Holzfällen». > Sorokin: Roman/Norma, Sebald: Austerlitz. Die Reihe liesse sich beliebig verlängern, wenn man den bestimmten oder unbestimmten Artikel hinzunähme: «Die Blendung», «Das Schloss», «Der Untergeher», «Die Falschmünzer», «Die Wohlgesinnten», «Die Wörter», «Der Lüster», «Die Seine», «Ein Leben», «Der Revisor», «Ein Junggeselle». Tatsächlich lesen sich Werktitel dieser Art gemeinhin wie ein Wort. – Wenn Nora Gomringer den Begriff «Gottesanbeterin» durch Hinzufügung des Buchstabens «i» zu «Gottesanbieterin» verfremdet und damit ein Buch betitelt, tut sie damit dar, dass durch eine minimale Manipulation auf Letternebene ein tiefgreifender Bedeutungswandel und damit ein (in diesem Fall nicht eben origineller) Kalauer bewerkstelligt werden kann.

… Fortsetzung hier

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