− Zu Ernst Jandls Gedicht „ein fehler“ aus dem Lyrikband Ernst Jandl: der gelbe hund. −
ERNST JANDL
ein fehler
ein fehler ist jedem schon (paaiert) passiert
auch wenn er sich nicht geirrt hat.
der fehler ist nämlich kein irrtum,
sondern eine falsche. Daraus
wird leicht eine flasche. daß sie zerbricht
ist ein fehler, kein irrtum.
Wenn Ernst Jandl dieses kleine Gedicht – es ist ein Gelegenheitsgedicht vom 11. November 1978 und findet sich erstmals abgedruckt im Band der gelbe hund von 1980 – knapp und dezidiert mit „ein fehler“ betitelt, kann dies … könnte dies zweierlei bedeuten. Es könnte bedeuten, dass in dem Gedicht von einem vorgefallenen oder begangenen Fehler die Rede ist, dass mithin ein erkannter Fehler Gegenstand des Gedichts ist; es könnte aber auch, einfacher und radikaler, bedeuten, dass eben dieses Gedicht beziehungsweise dessen Niederschrift ein Fehler war. Die Vergangenheitsform ist hier unabdingbar. Denn ein Fehler, ob er ungewollt vorgefallen ist oder gewollt begangen wurde, lässt sich erfahrungsgemäss immer erst im Nachhinein als solcher erkennen. Von daher ist auch anzunehmen, dass Jandl den Gedichttitel erst nach der Niederschrift des Texts gewählt und gesetzt hat. Tatsächlich kommen in diesem Text manche Regelverstösse vor, die man für Fehler halten müsste, wenn sie nicht gleichzeitig als solche thematisiert und kommentiert würden. Es handelt sich also um gewollte, vielleicht auch bloss um bewusst zugelassne Fehler. Sind aber bewusste, gar gewollte Fehler als „Fehler“ zu bezeichnen? Und … oder was ist denn überhaupt ein Fehler? Jandl selbst beantwortet diese Grundsatzfrage in den beiden zentralen Versen des Gedichts, und er beantwortet sie ex negativo, dadurch nämlich, dass er sagt, was ein Fehler nicht ist beziehungsweise was kein Fehler ist:
der fehler ist nämlich kein irrtum,
sondern eine falsche.
Das nimmt sich aus wie eine Definition, ist aber, wie man aus dem philosophischen Propädeutikum weiss, eine falsche, jedenfalls unzureichende Definition: Eine Flasche, wer auf solche Weise definieren wollte, was ein Fehler ist! Doch Jandl definiert den Fehler als etwas, das kein Irrtum sei, sondern – was denn? – „eine falsche“. Der Unterschied oder Gegensatz zwischen „Fehler“ und „Irrtum“ besteht darin, dass der Irrtum ungewollt und unbewusst unterläuft, mithin zufallsbedingt ist, wohingegen der Fehler – als Fehlleistung oder auch als Fehlentwicklung – stets in Bezug auf ein vorgegebnes, als richtig geltendes Schema zu denken ist (als Muster, Modell, Regulativ, Gesetz), von dem er abweicht oder dem er zuwiderläuft. In solch elementarem Verständnis wäre schon der Gedichttitel ein fehler ein Fehler, da Duden für Substantive noch immer die Grosschreibung fordert. Fehler beziehen sich demnach auf Aktivitäten, die man fälschlicherweise ausübt oder unterlässt, zudem auf Haltungen, Überzeugungen, auch Formbildungen, die als verfehlt zu gelten haben im Abgleich mit akzeptierten Normen. Irrtümer wiederum gehören zur Dimension des Möglichen und finden demzufolge ihre Referenz in Vermutungen, Erwartungen, Hoffnungen, kurz – im Raum des Konditionalen. Es gibt, um das vielleicht klarer zu machen, angeborne Fehler, nicht jedoch angeborne Irrtümer, und es gibt, um nun erneut bei Jandl einzukehren, intendierte Fehler, aber keine intendierten Irrtümer.
Ernst Jandls Interesse gilt, wie der Gedichttitel es ankündigt und der Gedichttext es bestätigt, dem „Fehler“ beziehungsweise – nach Duden fehlerhaft orthographiert – dem „fehler“. Gleich in den beiden Eingangszeilen wird der Fehler explizit vom Irrtum abgesetzt:
ein fehler ist jedem schon (paaiert) passiert
auch wenn er sich nicht geirrt hat.
Wer auf seiner Tastatur (wo A und S unmittelbar benachbart sind) statt „passiert“ paaiert eintippt, erliegt nicht einem Irrtum, er macht vielmehr einen Fehler oder lässt einen solchen „passieren“. Das fehlerhaft ausgeschriebne Wort – paaiert – ist im übrigen poetisch produktiver als dessen korrekte Schreibweise; denn paaiert, von keinerlei vorgegebner Bedeutung belastet, löst im Unterschied zu „passiert“ sogleich assoziative Sprünge aus, Gedankensprünge, die zu „paaren“, „parieren“, „therapieren“, auch zu „irren“ (-iert / irrt) hinführen, wodurch eine alogische Mehrdeutigkeit und zugleich eine lyrische Disposition sich einstellen. Wenn Jandl in der Folge den Fehler als „eine falsche“ bestimmt, bleibt – wegen der Kleinschreibung – offen, ob damit substantivisch „eine Falsche“ gemeint sein soll oder, nicht zu Ende gesprochen, „eine falsche …“. Aber was? Die Antwort folgt mit der Leichtigkeit einer Vermutung:
Daraus
wird leicht eine flasche.
Mit „leicht“ kann hier durchaus vielleicht gemeint sein, und „vielleicht“ eröffnet zumindest die Möglichkeit, dass aus etwas Falschem etwas Richtiges, aus der „falschen“ also eine richtige „flasche“ gemacht werden kann. Jandl tut’s, indem er einem vermeintlichen Tippfehler zu offenkundiger Richtigkeit und Relevanz verhilft, und was er dabei tut, tut er des öftern, man weiss es, auch in andern seiner Gedichte – er bildet ein Anagramm. Im Anagramm, einem rein skripturalen, mündlich also nicht realisierbaren Phänomen, wird der „Fehler“ – die Versetzung, die Vertauschung, die Umkehrung einzelner Schriftzeichen – zum Prinzip dichterischer Produktivität; er wird, um es so zu sagen, zum einzigen, in der Buchstäblichkeit der Wörter sich verkörpernden lyrischen Helden. Man erinnere sich an Jandlsche Gedichte wie fortschreitende räude („him anflang war das wort … schim schanflang war das wort schund …“), lichtung („lechts und rinks ¦ kann man nicht ¦ velwechsern“) oder kurskorrektur („ostnotost ¦ notnotost“), die nichts anderes und nicht weniger sind als anagrammatische Wortentfaltungen, bei denen der „Fehler“ – nie aber der „Irrtum“! – bewusst eingesetzt wird, um aus noch so „Falschem“ immer wieder eine richtige Flasche zu machen, eine dichte, rein dichterische Flasche, die nicht primär „Flasche“ zu bedeuten hat, die vielmehr – als schlichtes Letterngebilde – mit dem Wort „Flasche“ identisch ist: buchstäblich und unzerbrechlich, weder Fehler noch Irrtum. Denn das Wort als solches kann nie nicht richtig sein.
Felix Philipp Ingold, Frankfurter Allgemeine Zeitung
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