Anthologika
Teil 18 siehe hier …
Meyers wie Mörikes Neutralisierungsverfahren wird Rainer Maria Rilke in seinem wohl bekanntesten Ding- und Bildgedicht «Archaischer Torso Apollos» (1908) konterkarieren, indem er die detaillierte Gegenstandsbeschreibung auf einen moralischen Imperativ zuspitzt: «Du musst dein Leben ändern.» – Das erbringt für das Gedicht insgesamt einen Mehrwert an Aussage und damit auch an Bedeutung, trägt aber nichts zu seinem Rang als Sprachkunstwerk bei.
Dieses form- und bildstarke Sonett braucht keine Moral, keine Botschaft, um sich als Kunstwerk zu behaupten:
Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,
sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.
Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;
und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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