Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Anthologika (Teil 2)

Anthologika

Teil 1 siehe hier

Gemäss ihrer archivalischen und didaktischen Grundfunktion ist sich die Anthologie über Jahrhunderte hin konzeptuell gleichgeblieben. Der Stoff wird stets chronologisch dargeboten, sei’s in der Gesamtschau («von den Anfängen bis zur Gegenwart») oder nach literarhistorischen Epochen («von der Romantik zum Realismus», «vom Jugendstil zur Neuen Sachlichkeit» u.a.m.), und doch liegt das vorrangige Interesse durchwegs auf jenen «besten» Texten, die anerkanntermassen «ewige» Geltung haben und eben deshalb auch am liebsten memoriert, am häufigsten zitiert werden.
​Seit 1984 erscheint in immer wieder neuer, revidierter und auch ergänzter Auflage Dietrich Bodes Anthologie «Deutsche Gedichte», eine – laut Verlagswerbung – «bewusst knapp gehaltene Auswahl hervorragender und repräsentativer Gedichte». Das Buch ist inzwischen – wiederum laut Verlag – zu einem «Klassiker» von Reclams Universal-Bibliothek geworden, gilt als eine der populärsten deutschen Anthologien überhaupt und hat sich auch im Schulbetrieb als Orientierungshilfe etabliert.
Der jüngste Neudruck, datiert von 2024, stellt auf 393 Seiten die mehr als «100 wichtigsten Lyrikerinnen und Lyriker deutscher Sprache» vor. Im Schnitt hat also jeder Autor vier Seiten für seine «besten» Texte zur Verfügung.
Eine so «knappe» Auslese «hervorragender und repräsentativer Gedichte» ist naturgemäss ein elitäres Unterfangen: Bestes soll sich hier an Bestes reihen, alles ist als Produkt «wichtigster» Dichter ausgewiesen, die allerdings auch für ein breiteres Publikum und nicht zuletzt für die Schullektüre einen verlässlichen «ersten Zugang zur deutschsprachigen Lyrik» sicherstellen sollen.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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