Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Anthologika (Teil 7)

Anthologika

Teil 6 siehe hier

Der konventionellen Sprachform des «Stufen»-Gedichts entspricht die Trivialität seiner Botschaft, die – als lyrische Tugendlehre – noch einmal das richtige (will heissen: das gewöhnliche) Leben belobigt. Hesse scheut sich nicht, als Herold des «Weltgeistes» aufzutreten, der uns «Stuf’ um Stufe heben, weiten» will, diesen Prozess aber auch – wer wüsste es nicht? – jederzeit abbrechen, ihn mit dem Tod besiegeln kann: «Wie jede Blüte welkt und jede Jugend | Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe …».
​Hesses Strophen bestätigen nur einfach das Offenkundige, fassen es in gefällige, bald erläuternde, bald ermunternde Verse, die durchwegs der Konventionalität verhaftet bleiben: «Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe | Bereit zum Abschied sein …» – «Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten …» – «Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …»
Die Aussage des Gedichts beschränkt sich in Summe auf die Feststellung, dass «wir» alle sterblich sind und dass dies kein Problem darstellt für jene, die den «Abschied» rechtzeitig eingeübt haben, ihn als «Aufbruch», als «Neubeginn» begreifen. Das Sterben, umgedeutet zu einem naturgemässen unausweichlichen Vorgang, der «uns neuen Räumen jung entgegen» sendet, verliert somit seinen Horror: «Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!»
Als ein «bestes», «wichtigstes» Gedicht sind Hesses «Stufen»-Verse sicherlich nicht auszuweisen, es sei denn, man mache ihre Popularität zum Massstab der Bewertung. Doch ich denke, als anthologisches Prinzip ist das heute, da ohnehin alles zum Populären und vieles zum Populismus tendiert, ein unhaltbares Kriterium.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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