Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Anthologika (Teil 9)

Anthologika

Teil 8 siehe hier

Das gekonnt gebaute Gedicht von Albrecht Goes ist, anders als Hesses «Stufen», kein lyrischer Traktat mit Anleitung zu gutem Leben und Sterben, es ist eine persönlich gehaltene Bilanz, zugleich die Verabschiedung eigener Ambitionen (das Wollen und Müssen als «Lebensgeissel») und die Überwindung der «Angst des Werks».
Die Dichtung wird mit dichterischen Mitteln hintangestellt, sie soll zurücktreten hinter die Gewissheit, dass «ganz zuletzt» nur eines zählt, «nur noch: ich bin» – und wer und was ich bin.
Mit «Blick auf Latium», die lichtvolle römische Provinz, verwandelt sich «der Mann aus Deutschland, dunkel, denkenschwer» gewissermassen in sich selbst, er wird wesentlich, ist befreit von Nationalität, Beruf und Alltagswelt, wird «endlich Ding», endlich ganz «Kreatur» wie der Oleanderbaum oder die Zypresse, die hier als brüderliches Du angesprochen werden.
​Ein «bester» Text ist auch dieses Gedicht nicht, aber es ist gut genug, um in einer Anthologie «Deutscher Gedichte» zu figurieren. Hier steht es für die restaurative Dichtung der bundesdeutschen Nachkriegszeit, wie sie in der damals mehrfach aufgelegten Anthologie «Ergriffenes Dasein» (Erstdruck 1953, 13. Aufl. 1972) reichlich dargeboten wurde. Ergriffenheit ist die für Hesses «Stufen» und Goes’ «Olévano» gleichermassen passende Stimmungslage; in beiden Fällen überbietet die seelische Ergriffenheit den formalen Gestaltungswillen, das dichterisch Gefällige – das dichterisch Gekonnte.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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