Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Bildgedichte (Teil 1)

Bildgedichte
Eine kleine kommentierte Anthologie

 

Als Sachbegriff steht das «Bildgedicht» – dem allgemeineren Begriff des «Dinggedichts» untergeordnet – für zwei vergleichbare, dennoch gegensätzliche Ausprägungen dichterischer Gestaltung, nämlich einerseits für Gedichte, die Werke der Bildkunst (Gemälde, Grafik, Skulptur) zum Gegenstand haben, andrerseits für solche, die in ihrer schriftlichen Erscheinungsform nicht nur gelesen, sondern auch wie oder als Bilder betrachtet werden können (Figurengedichte, Typogramme, visuelle Poesie).
In beiden Ausprägungen gehört das Bildgedicht seit der Antike zum festen Bestand der Sprachkunst und ist als solches über Jahrhunderte hin vielfach dokumentiert, das Figurengedicht vorab im Mittelalter, im Barock und dann wieder im 20. Jahrhundert, das darstellende, auf real vorhandene Kunstwerke sich beziehende Bildgedicht mehrheitlich im 19. Jahrhundert (Romantik, Realismus) sowie zu Beginn und am Ende des 20. Jahrhunderts – vom Jugendstil zur Postmoderne, von Rilke und George bis Bobrowski, Celan, Kirsch und Kling.
Das althergebrachte Bildgedicht als Bildbeschreibungsgedicht ist erst in jüngerer Zeit umfassend aufgearbeitet worden, zuletzt von Bernhard Walcher («Das deutschsprachige Bildgedicht», 2020), zuvor schon, unter gesamteuropäischer Perspektive, von Gisbert Kranz in mehreren Pionierstudien, Anthologien und Bibliographien.
In einem dreibändigen Werk über «Das Bildgedicht in Europa» (1973) hat Kranz seine diesbezügliche Forschung synthetisiert und dabei mehrere tausend einschlägige Lyriktexte namhaft gemacht. Bald danach legte er unter dem Titel «Gedichte auf Bilder» (1975) eine Anthologie mit 176 Mustertexten von 144 Autoren vor, die jedoch wegen willkürlicher, allzu subjektiver Auswahl nicht als repräsentativ gelten kann, die auch mangelhaft dokumentiert ist und inzwischen, angesichts der markanten Wiederkehr des Bildgedichts um die Jahrtausendwende, ihre Brauchbarkeit ohnehin verloren hat.
Hier Abhilfe zu schaffen durch eine historisch-kritische, gründlich revidierte und entschieden aufdatierte Sammlung entsprechender Texte, ist ein dringliches, sicherlich lohnendes Desiderat. Auch wenn die für Planetlyrik eigens zusammengestellte «kleine kommentierte Anthologie» europäischer Bilddichtung diesem Desiderat natürlich nicht abhelfen kann, wird sie dazu vielleicht doch einen neuen Anstoss geben.

… Fortsetzung am 1.11.2024 …

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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