Dantesk
Wer liest heute noch die Göttliche Komödie – und wie?
Teil 4 siehe hier …
Wenn ich die Göttliche Komödie nur einfach auf dichterische Formbildungen hin lese, auf das hin, was als Sprachtext dasteht, statt nach dem zu fragen oder zu suchen, was dahinter steht, blende ich bewusst und zu eigenem Verlust die Tiefendimension des Werks aus (Bedeutung, Botschaft, Symbolik usf.), doch ich stelle fest, dass mir das Poetische daran (das kunstvoll Gemachte) keineswegs entgeht, im Gegenteil, ich nehme es weit deutlicher wahr und weiss es höher zu schätzen, als wenn ich mich beim Lesen gleichzeitig auf Inhaltliches konzentriere. «Der Vers lebt jenseits seiner Bedeutung», meint Borges; ich würde eher sagen, er funktioniere auch diesseits dessen, was er «bedeutet». Die sprachkünstlerische Qualität des Werks ist von dessen Bedeutung unabhängig, genauer – sie kann unabhängig davon erkannt und gewürdigt werden, während umgekehrt keinerlei Aussage, weder mündlich noch schriftlich, zu erfassen ist, ohne dass gleichzeitig deren Sprachform wahrgenommen würde.
Die Sprachform als solche bietet sich lediglich als Textoberfläche dar, kann also immer nur einen Teilaspekt des Werks repräsentieren. Die Lektüre – vielleicht besser gesagt: das Scanning – dieser puzzleartigen Oberfläche ist bei jedem beliebigen Text praktikabel, bleibt aber notwendigerweise defizitär, da sie sich weder um die Substanz noch um das Verständnis dessen bemüht, was der Text insgesamt zu bieten hat.
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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