Der Poet (weiblich)
Teil 1 siehe hier …
Naturgegebene, vom Schicksal bestimmte Künstlerschaft? Genetisch bedingtes literarisches Talent?
Immer wieder hat Marina Zwetajewa ihre Gedichte mit Nachdruck und in vollem Ernst als ihre Kinder bezeichnet, und damit sich selbst als deren Mutter – die Mutter und der Dichter, Weiblichkeit und Männlichkeit fallen ineins. «Fest steht: ein Werk der Kunst ist ein Werk der Natur, also geboren, und nicht gemacht», heisst es in ihrem Versuch über «Die Kunst im Licht des Gewissens» (1932): «Und wäre Geburt etwa keine Arbeit? Vom Austragen der Frau und vom Austragen des Werks durch den Künstler ist so oft geredet worden, dass man es nicht mehr eigens betonen muss.» Und nochmals in «Der Dichter und die Zeit»: «Gedichte sind unsere Kinder. Unsere Kinder sind älter als wir, sie werden länger leben, weiterleben. Älter als wir sind sie, wenn man’s von der Zukunft her betrachtet. Deshalb sind sie uns bisweilen so fremd.»
Und dann der entscheidende Dreh: «Gedichte und Kinder bestellt man nicht bei Gott, sie sind von den Vätern!» Das heisst: Letztlich sind die Väter die Mütter; und ebenso sind alle Dichterinnen – Dichter.
Der gendersprachliche Kompromiss – Dichter:innen oder Dichter*innen – wird damit desavouiert. Eine diesbezügliche Umfrage im russischen Internet hat kürzlich ergeben, dass 8 von 10 Autorinnen als «Dichter» gelten wollen und sich die gängige Bezeichnung «Dichterin» strikt verbitten.
© Felix Philipp Ingold
aus unveröffentlichten Manuskripten
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