Dichterische Philosophie
Der französische Lyriker Roger Munier
Teil 2 siehe hier …
Von daher wird einsichtig, dass und wieso der Dichter beim Schreiben fast durchweg vom Schweigen (von der Stille) ausgeht, von der Leere, der Fremde, dem Vergessen, dem Alleinsein, dem Nichts. Die Dichtersprache soll hier – noch ein Paradoxon – authentischer Ausdruck von Sprachlosigkeit sein. Indem sie in Erscheinung tritt, betreibt sie ihren Schwund. Jede «Form», ob Wort oder Gegenstand, unterliege, meint Munier, diesem Widersinn; sie verschwinde, sobald sie wahrgenommen wird.
Dichtung als Leerlauf?
Leerlauf als dichterische Pflicht und Kür!
Für Roger Munier ist die Dichtung stets «abwesend», sie ist die «Stimme der Abwesenheit». Die Welt (die Wirklichkeit) ist der Ort, wo der Dichter (wie das Gedicht) nicht ist. Die Sprache, auch die Dichtersprache kann nur Nachtrag sein, Supplement; ihr geht das Schweigen voran, es steht ihr entgegen, muss gebrochen werden, damit das Wort verlauten und danach erneut das Schweigen eintreten kann.
Dann lebt die Sprache sich aus wie ein Fluss, und wie jeder Fluss verliert sie sich auch. Von Munier gibt es dazu eine lyrische «Fabel» (in Le moins du monde, 1982):
«Der Fluss entsteht einzig daraus, dass er sich voranbewegt. Eigentlich führt er kein Wasser, das Wasser ist einfach auf der Flucht. Ein Bett hat er nicht, solang er darin nicht zur Ruhe kommt. Keine Böschungen, nur beiläufig grüsst er sie in seinem unentwegten Freilauf. Der Fluss ist Fluss nur dann, wenn er sich verliert – um sich zu verlieren im Meer, das ihn in der Ferne erwartet.»
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
Schreibe einen Kommentar