Dichtung als Schwarzkunst
Teil 10 siehe hier …
In Gottfried Kellers sentimentalen Strophen auf eine «Winternacht» (1851), die den Gang über einen zugefrorenen See und die unmögliche Begegnung mit einer vom Eis eingeschlossenen Nixe zum Thema haben, sind Schwarz und Weiss ebenfalls ineinander vermengt und bleiben gleichwohl voneinander geschieden:
Auf dem dünnen Glase stand ich da,
Das die schwarze Tiefe von mir schied;
Dicht ich unter meinen Füssen sah
Ihre weisse Schönheit Glied für Glied.
Vor einem «dünnen Glase» steht auch das lyrische Ich bei Ingeborg Bachmann, wenn es sich in der Früh «vor einem Spiegel aus Eis» das Haar kämmt; das Gedicht «Tage in Weiss» (1956) gerät ihr zu einer kleinen Enzyklopädie der «Weissheit», die von Eis und Milch bis zur Weissglut und von der Unschuld bis zum Totenhemd so manches bereithält, was konventionellerweise der Farbe Weiss zugeordnet wird. Auch das «unbeschriebene Land» der weissen Seite, die auf die Prägung durch den Schreibstift wartet, kommt in diesem Gedicht – einem Liebeslied – zur Sprache, und schliesslich wird auch noch der Schwan aufgerufen als Symbol für letzte Weisse und sinngemässe Entsprechung zum weissen Totenhemd.
In diesen Tagen steh ich auf mit den Birken
und kämm mir das Weizenhaar aus der Stirn
vor einem Spiegel aus Eis.
Mit meinem Atem vermengt,
flockt die Milch.
So früh schäumt sie leicht.
Und wo ich die Scheibe behauch, erscheint,
von einem kindlichen Finger gemalt,
wieder dein Name: Unschuld!
Nach so langer Zeit. […]
Am Horizont ahne ich,
glanzvoll im Untergang,
meinen fabelhaften Kontinent
dort drüben, der mich entliess
im Totenhemd. […]
dort drüben, der mich entliess
im Totenhemd. […]
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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