Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Dichtung als Schwarzkunst (Teil 2)

Dichtung als Schwarzkunst

Teil 1 siehe hier

In dichterischen Texten finden Farbwörter in unterschiedlichster, meist jedoch «übertragener» (symbolischer, metaphorischer) Funktion. Bemerkenswert ist die Feststellung, dass solche Wörter, ihrem oftmaligen Gebrauch zum Trotz, fast ausnahmslos auf Primärfarben beschränkt bleiben, vorab auf Rot, Blau, Grün, mit eingeschlossen Schwarz und Weiss. Mischfarben sind für die Dichtung – anders als für die Malerei! – offenkundig irrelevant, um so bedeutsamer ist demgegenüber die hochdifferenzierte Bedeutungsvielfalt der Grundfarben.
Grundfarben können für kalt (Blau, Grün) oder warm (Gelb, Rot) stehen, für introvertiert (Grün, Blau) oder für extravertiert (Gelb, Rot), für aktiv (Gelb, Rot) oder passiv (Grün, Blau) usf. Dazu kommen tradierte, meist symbolische Sonderbedeutungen aus zum Teil weit auseinanderliegenden Einzugsbereichen.
So kann beispielsweise Gelb je nach Kontext assoziiert werden mit Neid, Gefahr, Verrat (Judas, Jude), Feuer, Sonne, Osten (asiatisch). Dass Rot gleichermassen als die Farbe der Liebe (Begehren, Leidenschaft), der Macht, der Revolution, der Provokation, des Zorns (roter Kopf) und des Verbots (rote Ampel) gilt, ist Beleg für die Widersprüchlichkeit von Farbbezeichnungen insgesamt.
Darüber hinaus kann die Dichtung über Rot frei verfügen – für Ernst Jandl ist Rot eine Eigenschaft Gottes, für Paul Zech eine Eigenschaft des Monds (als «rote Zote»).

Bei Philipp Reclam jun. in Stuttgart liegen mehrere Anthologien deutschsprachiger koloristischer Lyrik vor, die Einblick bieten und Aufschluss bringen zur Verwendung von Farbwörtern in dichterischen Texten: «Schwarz Weiss Gedichte» (2009), «grüne gedichte» (2012), «blaue gedichte» (2012), «rote gedichte» (2012); diese Publikationen bilden die Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen und Kommentare.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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