Dichtung als Textil
Die oft gestellte, eher unbedarfte Frage, weshalb und wozu er «eigentlich» schreibe, hat Oskar Pastior jeweils knapp beantwortet mit der prosaischen Feststellung: «… damit Text da sei.» – Diese Antwort wäre heute, da Dichtung statt auf Formkunst primär auf Mitteilung angelegt ist, kaum noch opportun. Denn für Pastior und seinesgleichen war «Text» gleichbedeutend mit Sprache – mit der Sprache als solcher (ob geschrieben oder gesprochen) und eben nicht bloss als Medium für Gemeintes. Noch weiter ging Jorge Luis Borges, der – buddhistisch inspiriert – «das Leben» insgesamt als einen Text begriff, als eine Endlosschlaufe gewissermassen, die alle Zeiten und Kulturen durchwirkt: «In jedem Augenblick unseres Lebens weben wir und lösen wieder auf. Nicht nur unser Wille und unsere Taten bilden ein Gewebe heraus, auch unsere Halbträume, unser Schlaf, unser Halbwachen: Unaufhörlich weben wir an dieser Struktur.»
Die Auffassung, wenn nicht gar die Definition der Dichtersprache beziehungsweise des Dichtwerks als Text lässt sich vielfach aus antiken Quellen herleiten, ist aber schon durch den Begriff selbst vorgegeben, der in diesem Fall als Metapher zu verstehen ist: lat. «textus» für Gewebe, Geflecht (von «texere», weben), speziell auch für Wortgefüge; von besonderem Interesse: «Text» geht etymologisch auf griech. «technè» (Handwerk, Kunstfertigkeit) zurück. Damit wäre der «Text» – und vollends das Gedicht – als Produkt technischer Fertigkeit ausgewiesen.
Davon ausgehend wagte einst Joseph Brodsky – in seiner Nobel Lecture von 1987 – die Behauptung, die Sprache selbst nehme die Dichter in ihren Dienst, um sich erst eigentlich als Text zu konstituieren, sich fortzuentwickeln und dabei permanent sich zu erneuern.
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© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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