Die Farbpalette der Dichtung
Eine kleine koloristische Poetik
Teil 9 siehe hier …
Aus Georg Trakls Nachlass:
Die blaue Nacht ist sanft auf unsren Stirnen aufgegangen.
Leise berühren sich unsere verwesten Hände
Süße Braut!
Zeilen aus einem Totengespräch – zwei Liebende, zwei Verlobte finden sich im Zustand der Verwesung, berühren sich zärtlich; der Tod (hier als «blaue Nacht» imaginiert) hat sie in sich aufgenommen, und gleichzeitig öffnet er sich über ihnen als sanftes, kaltes Firmament: «Versteinerte schauen wir unsre Sterne.» Wie eine Variante dazu lesen sich die folgenden Zeilen aus einem andern Gedicht:
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaa… Die frierenden Arme
Hielten Schwarzes umschlungen, und innen rann Blut.
Und feuchtes Blau um unsre Schläfen. Arm’ Kindlein.
Tief sinnt aus wissenden Augen ein dunkles Geschlecht.
«Schwarz» und «dunkel» kontrastieren hier mit Rot («Blut») und einem «feuchten Blau» – Leuchtendes verdämmert in Feuchtem, die Farben verlieren ihre optische Prägnanz, gewinnen dafür an Materialität.
Ein blauer Bach, Pfad und Abend an verfallenen Hütten hin.
Hinter dunklen Gebüschen spielen Kinder mit blau und roten Kugeln;
Manche wechseln die Stirne und die Hände verwesen im braunen Laub.
Auch hier kommen Blau und Rot im Dunkeln nebeneinander zu stehen (beim Murmelspiel), auch hier werden «Stirn» und «verwesende Hände» angesprochen, den szenischen Hintergrund bildet, durchaus konventionell, «ein blauer Bach» – die übliche, wenn auch kaum je zutreffende farbliche Charakterisierung von Gewässern. Das kalte Blau ist hier (wie auch anderswo bei Trakl) dem warmen Braun benachbart und vermengt sich auf der Wortebene sogar damit: Das anfängliche Blau kehrt anagrammatisch (durch Letterntausch) am Ende wieder als Laub und geht buchstäblich darin auf.
Trakls lyrischer Kolorismus zeichnet sich besonders dadurch aus, dass er ausser den Grundfarben in auffallender Häufung auch Braun, Schwarz, Weiss sowie pupurne, goldene, silberne Schattierungen einsetzt: «des Abends braun und blaue Farben», «das Gold der Tage», «Guitarrenklänge … aufgelöst in braunen Laugen», «in schwarzen Laugen | Des Sonnenjünglings feuchte Locken gleiten», «ein nächtiger Kranz | Von Veilchen, Korn und purpurnen Trauben» (Veilchen für Blau, Korn für Gelb), «wenn du die Stirne in die silbernen Hände legst», «Blaue Blume | Die leise tönt in vergilbtem Gestein». Usf.
… Fortsetzung am 25.1.2025 …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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