Die Farbpalette der Dichtung
Eine kleine koloristische Poetik
Teil 12 siehe hier …
Das Blauspektrum umfasst bei Celan eine Vielzahl von unterschiedlichen, auch widersprüchlichen Befindlichkeiten; dazu – abschliessend und ohne Kommentar – ein paar weitere Belegstellen aus allen Schaffensphasen:
«Um dein Gesicht die Tiefen, | die Tiefen blau und grau …» – «Lerchen, jagt hinauf | in die Blaufurche droben …» – «ein blauweisser Skythe, | zebragewandet …» – «… beiss mit den Schaumstoff der Leiter | bliblau» – «überm Sund, wo du Blau flichst und Weiss» – «gibt es sein Weiss | seinem Blauschlick» – «O Blau der Welt, o Blau, das du mir vorsprachst!» – «… doch weicht die blaue, | die Schwester Welt aus deiner Worte Mitte …» – «… welche Blume soll blühen? | Die rote, die ich dir gab? Die blaue, die ich bekam?» – «Grün wie nie ein Jahr war kommt ein Jahr! | Aber Mirjams Augen waren blau.» – «Kämmerlein Tod hat sein Fenster verhängt mit blauen Gardinen.» Usf.
In einem seiner ersten Nachkriegsgedichte («Ein Rosenkelch», ca. 1946) entfaltet Paul Celan, noch unter deutlichem Einfluss von Rilke und Trakl, einen bunten Farbfächer, der zwischen Schwarz und Weiss die Grundfarben Gelb, Rot und Blau aufscheinen lässt – Blau ganz am Schluss, gleichsam als Trostfarbe gegenüber (entgegen) dem Überhandnehmen furchterregender «schwarzer Rosen». Das Gedicht nimmt sich aus wie eine Farbpalette, auf der die Hauptfarben noch unvermischt vorgegeben sind:
Rosen im einsamen Helm: von den schwärzlichen Wassern der Erde
um eines, ein seltsames, fühlt ihr, vermehrt, steigt euch der Duft in die Stengel.
Tau fiel nur spärlich und rings, schwer und mit fremder Gebärde,
heben sich – triefend wovon? – die Schwingen der furchtbaren Engel,
Gram zu verteilen euch allen. Den gelben, den weissen, den roten …
Eben glitt Laub in ein Grab, das keine der Schwestern euch schmückt,
lieblich wie einst als dem Tod selbst sie Sommer entboten …
Ihr, aus den Gärten entflohn, seid mit mir in das Dunkel gerückt …
Erst wenn die schwarze nicht fehlt, die mein Herz mir gezogen,
blendet kein Strahl mir das Aug und kein Feuer versengt mir die Braue,
trifft mich kein Pfeil und keiner mehr spannt hier den Bogen.
Erblickt, die vor schwarzen Rosen sich fürchtet, die blaue.
Das «Laub» in der Mitte des Gedichts kündet anagrammatisch das Zielwort «Blau» an, das zusätzlich durch den Endreim (Braue :: blaue) verstärkt wird, insgesamt ein bemerkenswertes Musterstück modernistischer Farbdichtung.
… Fortsetzung am 27.1.2025 …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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